Das vorliegende Essay dient als Beispiel für die geforderte Teilleistung im Proseminar "Politische Systeme".
"Hatte Platon Recht? Vielleicht Ja, vielleicht Nein. Vielleicht erkenne ich mit meinem begrenzten philosophischen – soziologischen Wissen nicht den Kern des Problems. Aber nicht wichtig ist, was man weiß, sondern nur, wen man kennt bzw. welche richtige Seite man im richtigen Buch aufschlägt. Durch einen gütlichen Zufall fiel mir kürzlich ein Briefwechsel zwischen zwei guten Freunden in die Hände. Der eine ein betagter Gelehrter, ein Politikwissenschaftler und in allen Hörsälen zu Hause. Doch da steht er nun der arme Tor und weiß mit seinem Wissen nicht wohin. Sein langjähriger Freund, ein Staatsmann höchster Couleur, der ermüdet der täglichen Kämpfe, nun auf seine alten Tage ein neues, ruhigeres Betätigungsfeld sucht. Deshalb zitiere ich nun einige Briefe aus dem umfangreichen Schriftwerk der beiden Persönlichkeiten."
Hatte Platon Recht?
Vielleicht Ja, vielleicht Nein. Vielleicht erkenne ich mit meinem begrenzten philosophischen – soziologischen Wissen nicht den Kern des Problems. Aber nicht wichtig ist, was man weiß, sondern nur, wen man kennt bzw. welche richtige Seite man im richtigen Buch aufschlägt.
Durch einen gütlichen Zufall fiel mir kürzlich ein Briefwechsel zwischen zwei guten Freunden in die Hände. Der eine ein betagter Gelehrter, ein Politikwissenschaftler und in allen Hörsälen zu Hause. Doch da steht er nun der arme Tor und weiß mit seinem Wissen nicht wohin. Sein langjähriger Freund, ein Staatsmann höchster Couleur, der ermüdet der täglichen Kämpfe, nun auf seine alten Tage ein neues, ruhigeres Betätigungsfeld sucht.
Deshalb zitiere ich nun einige Briefe aus dem umfangreichen Schriftwerk der beiden Persönlichkeiten.
Briefwechsel des Dr. rer. Pol und des Ministers z.b.V
„Mein lieber Freund,
ich hoffe, es geht dir soweit gut und deine politischen Auseinandersetzungen und Machtkämpfe greifen deine physisch schwache Konstitution nicht noch weiter an. Der Grund meines heutigen Briefes ist ein Zitat, das mir aus meiner Studienzeit noch geläufig ist, aber im Laufe der Jahre meinem Verstande entrissen wurde. Besagtes Zitat lautet: „Bevor nicht die Politiker Wissenschaftler werden oder die Wissenschaftler Politiker, wird in der Politik nichts richtiges zustande kommen!“. Warum dieses Zitat? Nun, schon nahezu mein halbes Leben beschäftige ich mich mit der menschlichen Zivilisation und den Prinzipien, auf denen sie gründen. Ich habe unzählige Arbeiten verfasst, die sich mit guter Ordnung, politischer Stabilität, Durchsetzung von langfristigen, allgemeinen Vorteilen für die Gesellschaft befassen. Nach mehr als drei Jahrzehnten habe ich den Glauben an die Macht des Wortes verloren und habe nun endlich beschlossen, mein Wissen der ganzen Gesellschaft zugute kommen zu lassen. Nicht mehr desinteressierte Studenten sollen meine Vorstellungen gelangweilt verfolgen, nein, der Plenarsaal soll mein neues Wirkungsfeld sein und die Republik mein Schüler. Ich, der die Negativbeispiele der Geschichte und der heutigen Welt kennt, werde doch wohl in der Lage sein, in der derzeitigen politischen Lähmung, der Republik einen entscheidenden Stoß in die richtige Richtung zu geben.
Mein erstes Werk wird das Suchen einer geeigneten Mehrheit sein, die sich mit mir den Grundlagen des objektiv Richtigen und wissenschaftlich Begründbaren verschreiben wird. Politik auf Grundlage überalterter Gerechtigkeitsvorstellungen oder christlicher Weltbilder wird einem neuen Typus des Politikers weichen, der auf Grund von überlegener Bildung, nicht überlegener Rhetorik, den Menschen Richtungsentscheidungen vorgibt.
Trotz deiner vielen Aufgaben bitte ich dich, mir baldigst zu schreiben und mir Rückantwort zu geben, was du, mein alter Freund, von meinem Vorhaben hältst.
Meiner lieber alter Professor,
es ist schon erstaunlich, dass du in deinem Alter noch vor hast die Gesellschaft auf den Kopf zu stellen. Du weißt, dass ich mein Leben lang der Politik und meinem Land gedient habe und jetzt auf meine alten Tage, die Wissenschaft mich ruft. Durch Zufall ist mir mit Ablauf der Legislatur ein Lehrstuhl angeboten wurden, und ich, der müde ist vom Kampf um Mehrheiten, habe letztlich zugestimmt. Meine vielfältige praktische Erfahrung sollte mir helfen, nach einer kurzen Phase des Wiedererlernens wissenschaftlicher Arbeitsweise, wieder in der Politik als Wissenschaftler, nicht als Gladiator tätig zu sein. Eure Theorien gelten mir schon lange als verstaubt und veraltet. Endlich wird in den Hörsälen wieder praktisch Verwertbares gelehrt und gelernt werden. Die wissenschaftliche Theorie wird von meinen Erfahrungen mehr als profitieren, große Teile werden gar neu geschrieben werden. Du siehst, nicht nur du allein, mein lieber Freund, hast große Pläne mit der dir noch verbleibenden Zukunft.
In Erwartung auf baldigste Antwort verbleibe ich und wünsche dir viel Erfolg bei deinen Unternehmungen.
Mein lieber Freund,
natürlich beglückwünsche ich deinen Versuch, „Leben“ in die ergraute Theorie zu bringen und deine Erfahrungen auch deinen zukünftigen Schülern zukommen zu lassen.
Aber ich will dir ja von meinen, wenn auch enttäuschenden Versuchen berichten. Auf der Suche nach einer Mehrheit bin ich natürlich zu den verschiedensten Parteien gegangen, auf der Suche nach Anhängern meiner Theorie einer wissenschaftlich fundierten Politik. Der demokratischen Logik entsprechend habe ich mein Glück bei den Volksparteien gesucht, da meine Idee von Politik Allgemeingut werden soll. Mit einer wissenschaftlichen Distanz und Akribie habe ich jeden einzelnen Programmpunkt auseinander genommen und festgestellt, dass vielleicht eine geschickte Symbiose verschiedener Elemente der Programme für unser Land im höchsten Maße positiv wäre. Leider ließ sich keiner der Parteiführer auf meinen Vorschlag ein, zu Gunsten des Fortschritts veraltete, norm- und klientelgebundene Punkte fallen zu lassen und eine Ausgewogenheit herzustellen. Verteilungslogik auf der einen, Manchesterkapitalismus auf der anderen Seite.
Zum Verzweifeln. Schließlich musste ich mich um der Sache willen für eine der beiden Parteien entscheiden, nicht aber ohne den Hintergedanken, so schnell wie möglich die verkrusteten Strukturen aufzubrechen und selbst über Programmatik zu entscheiden. Der Wähler wird wissen, wem er folgt, wenn er weiß, dass die Politiker den richtigen Weg kennen.
Von meinen Versuchen werde ich dir natürlich weiterhin berichten und hoffe von dir schnellstmöglich Antwort zu erhalten.
Meinen Gruß zuvor!
Mich erfreuen deine Versuche der politischen Betätigung, lass dich nicht von einigen Parteibonzen entmutigen.
Ich wünschte meine Versuche wären so von Erfolg gekrönt, wie die deinigen. In zunehmendem Maße blicke ich kritischer auf meine eigene Vergangenheit. Sind wirklich alle politischen Entscheidungen immer völlig dem Guten, dem Richtigen geschuldet gewesen oder habe ich nur versucht, möglichst meine eigenen Anhänger zufrieden zu stellen? Die immer mehr zunehmende Distanz zur praktischen Politik zeigt mir die Fehler auf, die im System an sich liegen, aber auch meine eigenen. Meine wissenschaftlichen Arbeiten lassen sich kaum noch in Übereinstimmung bringen, mit dem, was ich jahrzehntelang erlebt habe. Meine Skripte und Bücher werden als wissenschaftlich kaum verwertbar eingestuft. Zu viel eigene Meinung, zu wenig kritische Distanz, werfen mir meine Kollegen vor. Aber die Praxis ist doch die Grundlage der Theorie. Wozu sollte man etwas wissenschaftlich verarbeiten, das so in der Realität nicht mehr vorhanden ist. So wie ich mir stets die Ratschläge von Fachexperten zu eigen und mehrheitsfähig gemacht habe, so kann man doch meine Erfahrung verwerten.
In der Hoffnung, dass sich alles zum Besseren wendet und du mir bald wieder antwortest, verbleibe ich.
Meinen Gruß zurück !
Deine Probleme hören sich, mit Verlaub, an wie Banalitäten, im Gegensatz zu meinen Konflikten, die ich täglich mit meinen Parteifreunden (siehe Steigerung: Freund, Feind, Parteifreund) auszufechten habe. Um in der Hierarchie voranzukommen, habe ich mich vor kurzem für ein Parteiamt zur Verfügung gestellt, natürlich musste ich einige Positionen den Gegebenheiten des Mehrheitswahlrechts anpassen, aber wenigstens, so hoffte ich, könnte ich jetzt handeln. Schön wäre es gewesen, aber statt mich nun dem Wähler zuwenden zu können, verbringe ich meine Zeit in Parteiausschüssen und –versammlungen, um mich zu rechtfertigen. Je mehr ich versuche mir Sympathie und Mehrheiten zu erarbeiten, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich mein Verständnis für kritische Distanz verliere. Um den Preis der gewonnenen Wahl, vertrete ich veraltete Ideen, die ich schon vor einem Jahrzehnt als veraltet angeprangert habe. Wohin soll das führen habe ich mich gefragt. In der Politik voranzukommen ist für einen Kenner der Materie ein leichtes Unterfangen, aber nur unter Aufgabe seiner Wissenschaftlichkeit. Wer, wenn nicht ich, kann den Politikern neue Wege aufzeigen. Was ist praktisches Handeln ohne einen Plan wert. Hat Argamenon Troja etwa ohne einen Plan erobert?
In Anbetracht derartiger Ignoranz betrachte ich meinen Versuch der Verbesserung der Welt als gescheitert und kehre in meinen Hörsaal zurück, um genau das zu kritisieren und zu verarbeiten, was ich in „deinem“ Metier erlebt habe. Ich denke dennoch, dass ich vieles von meinen Erfahrungen in meine zukünftigen Werke einbringen kann.
Mit Gruß, dein Professor!
Mein lieber Professor,
ich betrachte deinen Rückzug aus der Politik nicht als Scheitern, sondern eher als Bestätigung des Sprichwortes „Was Hänschen nicht gelernt hat, lernt Hans nimmermehr“. Ähnlich blicke ich nun auf meine vergangene Karriere in der Veränderung der Hochschullandschaft zurück. Glücklicher als mit stupider Betrachtung und vor allem Kritisierung von politischen Entscheidungen bin ich, so glaube ich, mit dem Umsetzen meiner Wertvorstellungen und Idealen in der Praxis, selbst, wenn einige von euch Bewohnern des berühmten Elfenbeinturms anders darüber denken. Mein Lebensweg wird jedenfalls von der nächsten Wahl vorgegeben, zu der ich meine ganz und gar wertgebundenen Ideen zur Abstimmung stelle.
Vielleicht mit einem etwas differenzierteren Blick als vorher. Ein Hineindenken in die Vorstellungen des politischen Feindes, oh verzeih, Gegners kann schließlich nur von Vorteil sein.
Mit Gruß, dein Politiker.“
Nachdem ich die Briefe der beiden gestandenen Männer gelesen und hoffentlich verstanden habe, vermute ich der Lösung des Problems ein Stück weit näher gekommen zu sein. Vorweg zu nehmen ist, dass Platon Recht hatte, wenn man den Ausspruch wie folgt geschildert interpretiert. Eine Theorie aufzustellen, ohne, dass es einen praktischen Bezug gibt, macht zumindest in der noch erklärbaren Wissenschaft (höhere Physik ausgenommen) keinen Sinn. Wozu benötigt man Grammatik ohne eine Sprache zu haben? Wozu schematisiert man Demokratie als politisches System, wenn es nicht existent oder erstrebenswert wäre. Kurzum: Theorie braucht Praxis als Grundlage.
Die andere Seite ist, dass ohne das vorherige Berechnen und Analysieren unzählige Fehler gemacht würden, die dadurch vermeidbar sind. Ein Haus ohne Kenntnis der Statik wird vielleicht nicht in sich zusammenfallen? Und vielleicht ist ein politisches System ohne Volksvertretung langfristig stabil, die Geschichte zeigt eher nicht. Die Erfahrungen aus denen Theorien gebildet werden kommen letztlich der Praxis selbst zu gute. A posteriorie, durch Versuch und Irrtum zum Ziel. Fehler der Vergangenheit werden analysiert, bewertet und dienen hoffentlich den Handelnden zum Vorbild.
Um sich wieder dem Wortlaut anzunähern: Wissenschaftler werden ohne Erfahrungen mit der praktischen Politik kaum in der Lage sein, Politik zu verstehen. Wie will man ohne Verständnis für ein Problem, das Problem der Herstellung allgemeiner Verbindlichkeit, Theorien entwickeln und Fehler aufzeigen. Die folgende Frage ergibt sich daraus zwangsläufig: Wie will man aus falschen Theorien gültige, praxisverwertbare Handlungsanweisungen, die höchste Form der Wissenschaft formulieren?
Zudem, wer entscheidet was, wie Platon formulierte, richtig ist? Doch wohl der, der die Folgen trägt: das Volk. Demokratie als pluralistisches System, sprich als System a posteriorie, ist die Klammer der Überlegung. Der Wissenschaftler ist letztlich nur seinen wissenschaftlichen Grundsätzen verpflichtet und stellt Theorien auf, die als praktische Handlungsanweisungen zu verstehen sind. Der Politiker greift die Vorstellungen des Wissenschaftlers auf und er kann entweder die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen oder er wird nicht gewählt. Das System Demokratie wird über kurz oder lang Fehler und falsche Überlegungen erkennen und zurückweisen. Aber die Summen der Fehler werden wesentlich reduziert, wenn von vornherein praxisbezogene Theorien aufgestellt und Politiker Wissenschaft als Hilfe nicht als Konkurrenz ihrer Überzeugungen sehen. Platon hatte Recht, ein Politiker ohne die Fähigkeit zur kritischen Distanz ist ebenso erfolglos, wie ein Wissenschaftler, der auf dem Elfenbeinturm verschanzt bleibt.
- Arbeit zitieren
- cand. paed. Martin Johannes Gräßler (Autor:in), 2005, 'Bevor nicht die Politiker Wissenschaftler werden oder die Wissenschaftler Politiker, wird in der Politik nichts richtiges zustande kommen!' Hatte Platon wohl Recht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72014
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