Wie verhalten sich die Figurenkonzeptionen von Koeppen und Böll zueinander und in welchem Verhältnis stehen die Figuren und die Handlung der Werke zueinander? Welche unterschiedlichen Strategien haben die beiden Autoren bei der Entwicklung ihres Personaltableaus verfolgt und zu welchem Ergebnis hat dies geführt? Die Handlung der Romane soll lediglich knapp zusammengefasst werden, denn der Fokus dieser Arbeit liegt auf den Romanfiguren. Es gilt zuerst herauszuarbeiten welche Methode zur Analyse der Figuren ein geeignetes Mittel für die Erschließung des jeweiligen Textes darstellt. Im nächsten Schritt soll die für geeignet befundene Methode angewandt und deren Ergebnisse dargestellt werden. Abschließend steht der Vergleich dieser Ergebnisse für beide Texte.
Der Vergleich ist insofern spannend, als beide Werke eher schwach rezipiert wurden und sich beide kritisch mit ereignisreichen Phasen der Bundesrepublik auseinandersetzen. Koeppen beschreibt die Zeit des Wiederaufbaus, der Neugründung, Böll hingegen kämpft mit den Folgen dieser auf den Nazi-Ruinen und mit Nazi-Personal wieder errichteten Republik.
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
II Das Treibhaus, Wolfgang Koeppen
Rezeptionsgeschichte und Inhalt
Angewandte Methoden zur Analyse
Die Figurenkonstellation
III Zwischenfazit
IV Frauen vor Flusslandschaft, Heinrich Böll
Rezeptionsgeschichte und Inhalt
Strukturierung der Figuren bei Böll
Die Figurenkonstellation
V Zwischenfazit
VI Schluss
VII Literatur
I Einleitung
Der Vergleich der beiden vorliegenden Werke soll sich im wesentlichen auf eine grundlegende Analyse ihrer Figurenkonstellationen stützen. Beide Romane spielen in Bonn und setzen sich mit dem politischen Geschehen ihrer Entstehungszeit auseinander. Beide Autoren bestreiten Schlüsselromane verfasst zu haben, dies soll hier nicht geprüft werden, auch wenn von einem der beiden Texte das Gegenteil schon hinreichend bewiesen ist.[1]
Das erste Werk ist 1953 zum ersten Mal veröffentlicht worden, es lässt sich annehmen, dass der Verfasser des zweiten Romans, Heinrich Böll, jenen ersten, „Das Treibhaus“ von Wolfgang Koeppen, kannte. Es ist ein moderner Roman, gestaltet durch collagenartige Reihungen und Bewusstseinsströme. Der jüngere Text, „Frauen vor Flusslandschaft“ von Heinrich Böll hingegen, ist eher konventionell erzählt, fällt jedoch beinahe aus der Kategorie Roman, da er nahezu ausschließlich in direkter Rede „in Dialogen und Selbstgesprächen“ verfasst ist.[2]
Die Fragen, der diese Arbeit nachgehen möchte, sind: wie verhalten sich die Figurenkonzeptionen von Koeppen und Böll zueinander und in welchem Verhältnis stehen die Figuren und die Handlung der Werke zueinander? Welche unterschiedlichen Strategien haben die beiden Autoren bei der Entwicklung ihres Personaltableaus verfolgt und zu welchem Ergebnis hat dies geführt? Die Handlung der Romane soll dabei lediglich knapp zusammengefasst werden, denn der Fokus dieser Arbeit liegt auf den Romanfiguren. Es gilt zuerst herauszuarbeiten welche Methode zur Analyse der Figuren ein geeignetes Mittel für die Erschließung des jeweiligen Textes darstellt. Im nächsten Schritt soll die für geeignet befundene Methode angewandt und deren Ergebnisse dargestellt werden. Abschließend steht der Vergleich dieser Ergebnisse für beide Texte.
Es ist zu vermuten, dass bei politischen Romanen parteipolitische oder soziale Konflikte auftreten, die sich im Zusammenspiel der Figuren äußern. Gleichzeitig kann man erwarten, dass sich die unterschiedliche literarische Form, die einerseits Koeppen und andererseits Böll angewandt haben, ebenfalls in diesem - eng gesetzten - Vergleich niederschlägt.
Der Vergleich ist insofern spannend, als beide Werke eher schwach rezipiert wurden und sich beide kritisch mit ereignisreichen Phasen der Bundesrepublik auseinandersetzen. Koeppen beschreibt die Zeit des Wiederaufbaus, der Neugründung, Böll hingegen kämpft mit den Folgen dieser auf den Nazi-Ruinen und mit Nazi-Personal wieder errichteten Republik.
II Das Treibhaus, Wolfgang Koeppen
Rezeptionsgeschichte und Inhalt
Als „Das Treibhaus“ zum ersten Mal veröffentlicht wurde, war die Aufnahme durch die Kritik alles andere als wohlwollend. Karl-Heinz Götze schreibt der Kritik sogar eine lähmende Wirkung auf Koeppens weiteres Schaffen zu: „und so sind denn die deutschen Verhältnisse, die sich nur allzu genau in der zeitgenössischen Kritik reproduzieren, gewiß nicht unschuldig daran, daß Koeppens Romanproduktion nach dem „Tod in Rom“ jahrzehntelang stockte.“[3]
In der Folgezeit stieg die Bedeutung Koeppens und seiner Werke stetig, eine Rezension zu einer Wiederauflage aus dem Jahr 2004 beschreibt das Treibhaus als: „einen Roman, der mit seinem virtuos komponierten Geflecht der Erzählstränge, Sprechformen und literarischen Anspielungen die Unter- und Zwischentöne scheinbar banaler Existenzen auslotet“[4] und schließlich wird im Jahr 2006 der 100. Geburtstag Wolfgang Koeppens im Greifswalder Koeppenhaus und von der Internationalen Wolfgang-Koeppen-Gesellschaft besonders feierlich begangen.
Der Roman behandelt den Fall des Bundestagsabgeordneten Keetenheuve, der sich als einziger Abgeordneter gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland stellt, und letztlich durch Selbstmord sein Scheitern an der restaurativen Nachkriegs-Politik und der eigenen Unfähigkeit, Alternativen vorzudenken oder auch nur privat zu leben, besiegelt.
Koeppen zeichnet ein düsteres Bild einer Nachkriegsgesellschaft, deren einziges Heil im Konsum liegt – selbst die zwischenmenschlichen Beziehungen sind wahlweise von Konsum/Prostitution[5] oder Machtinteressen geprägt. Dabei ist der nicht einmal zweihundert Seiten lange Text von einer Vielzahl von Figuren bevölkert. Mehr als sechzig Namen tauchen auf. Dennoch oder gerade darum verschwindet die Kommunikation: Verständnis für einander haben eher die Feinde als die Partei- oder Bettgenossen.
Die Gesellschaft ist faul und dünstet aus: „Der Geruch der Verwesung füllt das Treibhaus bis in den letzten Winkel.“[6]. Antimilitarismus hat hier keinen Platz, in einem Moloch von Stammtischen, selbst die Jugend der Ära Adenauer ist schon „fleißig wie der Kanzler“[7], in ihr liegt für Koeppen keinerlei Hoffnung.
Angewandte Methoden zur Analyse
Wolfgang Koeppens Avantgardismus und unüberschaubare Anzahl von Figuren machen es schwer, eine Struktur in der Figurenkonstellation zu finden. Die Methoden, die Manfred Pfister[8] für dramatische Texte entwickelt, greifen nur teilweise, dennoch kann man mit einigen grundlegenden Fragen auch Koeppens Personal ordnen. Koeppen führt Namen ebenso abrupt ein, wie er sie wieder fallen lässt, denn er achtet „die Grenzen zwischen Erzähler und Figuren nicht“[9]. Es ist schwer Figuren zu erkennen, denn einige wie Herr Possehl[10] erscheinen nur als Erinnerung, andere tauchen nur in einem einzigen Satz als Assoziation auf, wie die Mädchen in Bayreuth.[11] Ein Beispiel:
„Frost-Forestier unterstrich den Namen. Er unterstrich ihn mit dem roten Stift.
General Yorck schloß die Konvention von Tauroggen.“[12]
Nur durch einen Absatz getrennt stehen zwei Figuren im gleichen Modus und Tempus nebeneinander, die Figur des Frost-Forestier ist hierbei wichtig für die Handlung, General Yorck dagegen lediglich Gedankenblitz Keetenheuves oder des Erzählers.
Es hilft, die Frage zu stellen, ob eine Figur häufiger auftaucht. Diese Quantifizierung kann als erster Schritt zum Einteilen in wichtige und weniger wichtige Figuren dienen; so tritt General Yorck nicht mehr weiter auf und ist für die Romanhandlung unwichtig.
Eine Ordnung über die Konfigurationsstruktur herzustellen oder gar eine Konfigurationstabelle aufzuzeichnen, wie es Pfister vorschlägt[13], ist für „Das Treibhaus“ schier unmöglich, weder sind Auftritte klar, noch kann man etwa bei Elke von An- oder Abwesenheit sprechen, hier greifen die dramatischen Kategorien nicht. Es ist aber möglich, die Figuren eines jeden einzelnen Abschnitts zu zählen und zu einer Auflistung der Figuren für jedes Kapitel zu kommen. Allein für das zweite, schwach bevölkerte Kapitel kommt man so auf insgesamt zehn Figuren, von denen sechs handlungsrelevant sind.
Für den Vergleich mit Heinrich Bölls „Frauen vor Flusslandschaft“ genügt es jedoch folgende Methode anzuwenden: Die für die Handlung entscheidenden Figuren lassen sich leicht herausfiltern, sie gilt es zunächst zu charakterisieren. Alle andern Figuren sind mit diesen verknüpft. Die Verknüpfung der Figuren hinsichtlich ihrer verwandtschaftlichen und sozialen Beziehungen dient als erstes Kriterium für die Auseinandersetzung mit den Nebenfiguren; ein zweites Kriterium bilden die Berufe und der soziale Status der Figuren. Es gibt zwei politische Parteien, „die vierte Macht“ (Journalisten) und andere Bevölkerungsgruppen. So ergibt sich schließlich eine Ordnung und eine beschreibbare Figurenkonstellation, wie sie im Folgenden näher erläutert wird.
Die Figurenkonstellation
Im Zentrum der Handlung steht eindeutig Keetenheuve – Abgeordneter der SPD im Bundestag, der auf beinahe jeder Seite des Romans vorkommt. Auch wenn im Text keine Parteinamen vorkommen, so wird deutlich, dass die beiden Parteien SPD und CDU sind. Keetenheuves Selbstzweifel werden ausgedrückt indem Koeppen ihn immer neu definiert: von „Keetenheuve Abgeordneter des Bundestags“ über „Keetenheuve Führer“, bis zu „Keetenheuve der alte Oger“.[14] Götze spricht Keetenheuve ab ein Charakter zu sein; dass er in Bezug auf seine Taten ständig neue Metamorphosen annehme, erzeuge eine „nicht integrale Identität“[15]. Dem kann man entgegnen, dass Keetenheuve zwar eine nicht leicht erschließbare Figur ist, da er viele verschiedenen Merkmale aufweist, dies aber nimmt ihm nicht die Eigenschaften eines Charakters, sondern macht ihn lediglich zu einer mehrdimensionalen Figur. So wird er einerseits als ewiger Flüchtling,[16] der sich verweigert und nicht kämpft, andererseits aber auch als Jasager[17], dargestellt. Darüber hinaus ist er nicht auf bestimmte Merkmale festgelegt, sondern verändert sich im Verlauf des Romans. Man kann Keetenheuve somit als zugleich mehrdimensionalen und offenen Charakter beschreiben.
Elke tritt nur im ersten Drittel des Romans auf, hier wird ihre Geschichte in einer Rückschau geschildert. Sie ist verstorben und Keetenheuve kommt zu Beginn des Romans gerade von ihrer Beerdigung. Doch Keetenheuves rastlose Gedanken kreisen immer wieder um seine tote Frau. Ihr Tod wirkt stark auf Keetenheuve und ist letztlich auch ein Grund für seinen Selbstmord. Obwohl er sie vernachlässigt hat, war Elke Keetenheuves Lebensinhalt: „Ein Mensch genügte, dem Leben Sinn zu geben. Die Arbeit genügte nicht. Die Politik genügte nicht.“[18]. Als Keetenheuve kurz vor seinem Todessprung steht, denkt er noch einmal daran, wie es mit Elke hätte besser gehen können: „Warum war er nicht mit Elke an die Ahr gewandert?“[19], „In der Tasche trug er Elkes Bild[...]“[20]. Mit dem Auftreten von Gerda und Lena beginnt die letzte Episode des Romans. Wie zwei Todesengel wieder Willen begleiten sie Keetenheuve bis zu seinem Ende.
Elke bleibt blass, sie ist schwach und wird von ihren Gefühlen und Treiben geleitet. Ihre Sexualität lockt den intellektuellen Keetenheuve „sie rief: »Nimm mich! Nimm mich!«“[21],sie ist triebhaft und wird Keetenheuve untreu. Keetenheuve kann damit nicht umgehen, er sieht sich als Gegenentwurf zum triebhaften Konsum und ist gerade darum von Elke ebenso fasziniert wie er es später von Lena sein wird. Elke flieht, diese „entsetzliche, die bedrückende, fließende, springende, nie zu fassende Intellektualität Keetenheuves […]“[22] kann sie nicht aushalten. Sie sucht ihr Heil im Alkohol und lesbischen Kreisen und geht daran zu Grunde.
Neben Keetenheuves verstorbenen Ehegattin ist sein direktes politisches Gegenüber, Korodin, die zweite Figur im Zentrum. Korodin ist Keetenheuves Gegenpart in jeder Hinsicht, er sitzt mit Keetenheuve im Wohnungsbau-Ausschuss, vertritt dort als CDU-Anhänger aber grundsätzlich andere Meinungen. Korodin glaubt an Gott, glaubt an „die Freuden der Unsterblichkeit“[23]. Keetenheuve treibt sogar seiner Frau den Glauben aus: „»Es ist kein Gott da«, sagte Keetenheuve und er nahm ihr den letzten Trost, den Glauben […]“[24]. Korodin ist der einzige der politischen Opposition, der als Charakter mit Ängsten und Zweifeln erscheint. Die anderen Abgeordneten mit ihrem Motto „Christ und Vaterland“[25] oder „Sicherheit für alle Frauen“[26] bleiben Abziehbilder, auch der Kanzler wirkt wie ein Schauspieler[27]. Korodin betet, Korodin hadert mit seinen Entscheidungen, mit seiner Doppelmoral und kasteit sich immer wieder selbst durch kleine, nichts sagende Gesten: Er fährt Bus anstatt Limousine,[28] er öffnet das Fenster trotz seiner Angst vor Gewittern.[29]
[...]
[1] Vgl. Karl-Heinz Götze: Wolfgang Koeppen. „Das Treibhaus“. München. 1985. S. 101 und z.B. S. 49, 58.
[2] Böll, Heinrich: Frauen vor Flusslandschaft. Köln, 1985. S. 3
[3] Götze: S. 130.
[4] Stefan Lüddemann: Der Moralist bleibt ohne Chance. Neue Osnabrücker Zeitung. 23.10.2004 .
[5] Vgl. Götze: S. 63.
[6] Götze: S. 86.
[7] Koeppen: Das Treibhaus. In: ders. Gesammelte Werke. Band 2. Frankfurt 1986. S. 255.
[8] Manfred Pfister. Das Drama. München. 11. Auflage 2001.
[9] Götze: S. 99.
[10] Koeppen: S. 224f.
[11] Ebd., S. 237.
[12] Ebd., S. 244.
[13] Vgl. Pfister: S. 237.
[14] Zit. nach Götze: S. 116ff.
[15] Götze: S. 116.
[16] Vgl. Koeppen: S. 298.
[17] Vgl. ebd., S. 266.
[18] Ebd., S. 310.
[19] Ebd., S. 382.
[20] Ebd., S. 382.
[21] Ebd., S. 231.
[22] Koeppen: S. 234.
[23] Ebd., S. 261.
[24] Ebd., S. 236.
[25] Ebd., S. 371
[26] Ebd., S. 369.
[27] Ebd., S. 367.
[28] Ebd., S. 257.
[29] Ebd., S. 352.
- Arbeit zitieren
- Jens-Florian Groß (Autor:in), 2005, Wolfgang Koeppen 'Das Treibhaus' und Heinrich Böll 'Frauen vor Flusslandschaft' - ein Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71874
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