In inhaltlicher und formaler Hinsicht erweisen sich die beiden Gedichte 8, 36 und 8, 39 als eng zusammengehörig, so dass sich eine gemeinsame Interpretation der beiden Epigramme Martials anbietet.
Die ersten beiden Kapitel dieser Arbeit liefern jeweils zunächst eine Übersetzung der beiden Kaisergedichte 8,36 und 8,39 und beschäftigen sich im Anschluß daran eingehend mit Inhalt, Form und Aufbau der recht kunstvoll gestalteten Kaisergedichte des Martial. Dabei werden Auffälligkeiten im Bereich der Wortwahl und der Satzstellung mit in die Deutungen einbezogen, da man annehmen kann, daß diese Dinge von Martial bewußt in dieser Weise gestaltet worden sind. Es soll jedoch auch die Betrachtung der Struktur der beiden Gedichte nicht vernachlässigt werden.
Aufgrund einiger auffälliger Ähnlichkeiten lohnenswert ist im Anschluß an die Interpretation dieser beiden Gedichte ein vergleichender Blick auf Statius´ Silven (Silvae 4, 2), mit denen sich der letzte Teil der vorliegenden Arbeit beschäftigt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitende Bemerkungen
2 Zu 8,
2.1 Übersetzung
2.2 Interpretation
3 Zu 8,
3.1 Übersetzung
3.2 Interpretation
4 Vergleich mit Statius, Silvae 4,
5 Literaturverzeichnis
Texte und Kommentar:
Sekundärliteratur:
1 Einleitende Bemerkungen
Aufgrund der gleichen Thematik lassen sich die beiden Martial-Gedichte 8,36 und 8,39 als eng zusammengehörig auffassen: Sowohl 8,36 als auch 8,39 beschäftigen sich mit der Domus Augustana, dem Kaiserpalast des Domitian, der auf der östlichen Seite des Palatin entstand und um 92 n.Chr. fertiggestellt worden sein dürfte[1]. Auch in anderer Hinsicht weisen die beiden Gedichte Parallelen auf, die die These stützen, daß es sich bei ihnen um Komplementärgedichte handelt: Es liegt in beiden Fällen das gleiche Versmaß vor, ein daktylischer Hexameter, und auch die Länge ist mit zwölf bzw. sechs Versen ist recht ähnlich. Auf weitere formale Übereinstimmungen innerhalb der Gedichte wird in der detaillierten Analyse von 8,36 und 8,39 noch eingegangen werden.
Die beiden folgenden Kapitel dieser Arbeit werden jeweils zunächst eine Übersetzung der beiden Kaisergedichte 8,36 und 8,39 liefern und sich im Anschluß daran eingehend mit Inhalt, Form und Aufbau der recht kunstvoll gestalteten Kaisegedichte des Martial beschäftigen. Dieser kunstvolle Aufbau verlangt eine Interpretationsmethode, die auch kleinere Auffälligkeiten im Bereich der Wortwahl und der Satzstellung mit in die Deutungen einbezieht, da man annehmen kann, daß diese Dinge von Martial bewußt in dieser Weise gestaltet worden sind. Dabei soll jedoch auch die Betrachtung der Struktur der beiden Gedichte nicht vernachlässigt werden.
Aufgrund einiger auffälliger inhaltlicher und formaler Ähnlichkeiten lohnenswert ist im Anschluß an die Interpretation dieser beiden Gedichte ein vergleichender Blick auf Statius´ Silven (Silvae 4, 2), mit denen sich der letzte Teil der vorliegenden Arbeit beschäftigt.
2 Zu 8,36
2.1Übersetzung
Lache, Caesar, über die königlichen Wunder der Pyramiden! Schon schweigt das barbarische Memphis über das morgenländische Werk: Der wievielte Teil des parrhasischen Palastes ist die mareotische Arbeit! Nichts Prächtigeres sieht der Tag im ganzen Erdkreis: Man könnte glauben, es erhöben sich gleichsam sieben Hügel, niedriger trug Ossa den thessalischen Pelion. So dringt er in den Äther vor, daß die heitere Spitze, verborgen von strahlenden Sternen, donnert, wobei die Wolke unter ihm hängt, und gesättigt wird durch das geheimnisvolle Wirken des Phoebus, bevor Circe das Angesicht ihres Vaters sieht, wenn er aufzugehen beginnt. Dieses Haus, Augustus, das mit seinem Giebel an die Sterne stößt, ist zwar dem Himmel gleich, aber kleiner als sein Herr.
2.2Interpretation
Bei der Betrachtung der in 8,36 verwendeten Tempora fällt das Überwiegen des Präsens auf: „tacet“ (v. 2), „est“ (vv. 3 und 12), „videt“ (vv. 4 und 10), „intrat“ (v. 7), „tonet“ (v. 8), „satietur“ (v. 9), „pulsat“ (v. 10). Diese Beobachtung ist ein wesentliches Indiz dafür, daß es sich bei dem vorliegenden Text um einen deskriptiven Text handelt; genauer liegt hier eine Ekphrasis vor, also eine „kunstvolle Schilderung von Personen und Dingen“[2]. Insbesondere stellt die vorliegende Beschreibung direkt zwar die Beschreibung eines Palastes dar, die in diesem Zusammenhang gemachten Aussagen müssen jedoch immer auch auf den Kaiser als Bewohner dieses Palastes metonymisch übertragen werden. Dominant in diesem Gedicht ist also das Präsens, nur an einer Stelle wird das Perfekt verwendet: „tulit“ in v. 6 verortet innerhalb der Erwähnung eines mythologischen Sachverhaltes den dargestellten Vorgang eindeutig in den Zeitraum der Vergangenheit, während sich das Gedicht ansonsten mit der Darstellung eines gegenwärtig vorhandenen Objekts, des Kaiserpalastes und damit indirekt auch des Kaisers, beschäftigt.
Innerhalb dieser Ekphrasis sind mehrere Dinge auffällig, jedoch stets für die zugrundeliegende literarische Untergattung der Panegyrik typisch: Die Häufung geographischer Eigennamen, wie „Memphis“ (v. 2), „Parrhasiae“ (v. 3), „Mareoticus“ (v. 3), „Thessalicum“ (v. 6) oder „Ossa“ (v. 6) sowie die Bezugnahme auf mythologische Begebenheiten und damit die Verwendung von Namen aus dem Bereich der Mythologie; als Beispiele seien hier etwa „Phoebus“ (v. 9) und „Circe“ (v. 10) genannt. Der Versuch, die Stilebene des Textes genauer zu erfassen, führt zu der Erkenntnis, daß zahlreiche Elemente eines hohen, dichterischen Sprachgebrauchs vorliegen: „Eoum“ (v. 2)[3], „Mareoticus“ (v. 3), „aether“ (v. 7). Die genannten Auffälligkeiten verleihen dem vorliegenden Epigramm einen würdigen Charakter, was im übrigen ganz im Sinne des ersten Gedichtes im 8. Buch von Martials Epigrammen ist, wo sich Martial für die folgenden Gedichte bewußt von dem bisher immer wieder praktizierten erotischen Schreibstil abwendet, um in seinen Lobgedichten auf den Kaiser einen Stil zu wählen, der der feierlichen Panegyrik eher angemessen ist: „Nuda recede Venus; non est tuus iste libellus“[4].
Wie das eben genannte Zitat zeigt, ist der gegenüber den früheren Büchern Martials bewußte Wechsel im Schreibstil vom Autor durchaus gewollt; an die Stelle von obszönen und erotischen Elementen treten Feierlichkeit, Würde, geradezu Religiosität. Dennoch sollte an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß in verschiedenen Gedichten des 8. Buches Einschränkungen gemacht werden müssen, zu denen sich Martial ebenfalls programmatisch in der Praefatio geäußert hat. Denn: „Dass sich der liber octavus von den früheren Büchern, in denen gerade Obszönitäten und Scherze die wichtigste Rolle spielten, unterscheiden soll, ist offensichtlich.“[5] Dieser Verzicht auf einen obszönen Sprachgebrauch bedeutet jedoch nicht, auch auf unterschiedliche Sprachebenen zu verzichten und damit eine gewisse Komik zu erzeugen; so äußert Martial in der Praefatio zum 8. Buch die Absicht, Epigramme zu verfassen, die bei aller Feierlichkeit und Würde hin und wieder durch Scherze aufgelockert sind: „quam quidem subinde aliqua iocorum mixtura variare temptavimus“[6].
So pflegt Martial letztlich einen Schreibstil, der das leistet, was Lorenz (2002) als „Integration Domitians in eine humorvolle Panegyrik“[7] bezeichnet. Der Beginn von 8,36 allerdings verzichtet auf den Einbau solch humorvoller Elemente.
Gleich am Anfang des Epigramms wird ein intertextueller Bezug zu einem anderen Martial-Epigramm, nämlich dem ersten Gedicht des „liber spectaculorum“, deutlich[8] ; dort heißt es: „barbara pyramidum sileat miracula Memphis, | Assyrius iactet nec Babylona labor“. Martial liefert zu diesen Versen im 8. Buch eine Variation, die Weinreich (1929) folgendermaßen charakterisiert hat: „Von den drei ausgeschiedenen Worten des alten Verses [sp. 1, 1] übernimmt er [d.h. Martial] zwei wörtlich in den neuen Pentameter [8,36,2]“ – es handelt sich um „pyramidum“ an exponierter Stelle vor der Penthemimeres des Hexameters bzw. der Zäsur des Pentameters, und „miracula“ – „und ersetzt das Prädikat [„sileat“] durch ein Synonym [ „tacet“]“[9]. Dabei ist ein Unterschied nennenswert: Durch „sileat“ wird Memphis angesprochen und zum Schweigen aufgefordert, das Epigramm 8,36 dagegen nimmt sich die Freiheit, in „ride“ (v. 1) den Kaiser selbst anzusprechen, während in der Parallelform „tacet“ ein Sachverhalt objektiv festgestellt wird. Das für die ersten beiden Vers angewandte vergleichende Verfahren läßt sich auch für den nächsten Vers fortsetzen, wo „wir in labor Mareoticus die Transformation aus Assyricus labor von sp. 1,2“[10] beobachten können.
Im übrigen ist deutlich darauf hinzuweisen, daß auch das Ziel seiner Huldigungen jeweils unterschiedlich ist: Während im „liber spectaculorum“ die zitierten Verse dazu gebraucht werden, das Colosseum zu loben, werden in der eben kurz dargelegten Form in unbekümmerter Weise ähnliche Worte verwendet, um den Kaiserpalast und damit auch den Kaiser selbst zu preisen: „Das für das Colosseum schon einmal benutzte Klischee wird ohne weiteres verwendet, aber“, wie sich bereits an den ersten beiden Versen von 8,36 zeigen läßt, „nur zum Teil“[11]. Die physikalische Überhöhung des Palastes in den folgenden Versen stellt eine Fortsetzung von
spect. 1,5 f. dar, allerdings mit dem Unterschied, daß die Überhöhung in der Parallelstelle durch einen rein verbalen Akt – die „inmodicae laudes“ – geschieht, während sie in 8,36 als physikalische Tatsache geschildert wird[12].
Auf den ersten Blick erscheint es als ein Paradox, die ägyptische Stadt Memphis, den Hort der ägypischen Weisheit, mit dem Attribut „barbara“ zu versehen, welches grundsätzlich einen pejorativen Charakter besitzt. Seine Verwendung an der vorliegenden Stelle wird jedoch verständlich, wenn man annimmt, Martial bezwecke damit „über die topographische Angabe [...] hinaus die Abwertung der Pyramiden im Vergleich zur Kaiserresidenz“[13]. Die Zuschreibung einer abwertenden Eigenschaft an Memphis durch das Attribut „barbarus“ existiert also nicht an sich, sondern muß immer im Zusammenhang mit dem Vergleich von Pyramiden und Kaiserpalast (und damit auch Kaiser) gesehen werden.
Die Wahl des Adjektivs „Mareoticus“ (v. 3) fällt in den Rahmen des dichterischen Sprachgebrauchs, der sich in diesem Martial-Epigramm noch an anderen Stellen nachweisen läßt; so bezeichnet das Attribut von „labor“ zunächst „die nach dem Ort Marea [...] benannte Gegend [...] und wird in der Dichtung bisweilen für „ägyptisch“ gebraucht“[14], was ohne Zweifel auch auf den vorliegenden Zusammenhang zutreffen kann. In diesem Sinne aufgefaßt, bezeichnet die Wortverbindung „labor Mareoticus“ wiederum die Pyramiden, deren Pracht nur einen Bruchteil der Pracht des Kaiserpalastes ausmacht. Ebenfalls Ergebnis der Bemühung Martials um einen dichterischen Sprachgebrauch ist „Parrhasia“, das „gerade in der lateinischen Literatur und vor allem bei Ovid als Synonym für Arkadien“[15] verwendet wird. Am Aufbau des Verses ist auffällig, daß beide Wörter, die das im Vergleich unterliegende Bauwerk der Pyramiden bezeichnen, erst nach der Penthemimeres genannt werden und von den beiden Entsprechungen für den kaiserlichen Palast in Form eines Chiasmus umrahmt werden, so daß „Parrhasiae“ bereits vor der Zäsur auf ein Bezugswort vorausdeutet, mit dem es bei Martial
noch öfter verwendet wird[16] ; es entsteht also zu Beginn des Verses eine Spannung, die der aufmerksame Leser noch vor der eigentlichen Auflösung aufheben kann.
Mit Vers 4 beginnt, da ein neuer Vergleichspunkt genannt wird, ein neuer Abschnitt von 8,36. Hier laufen also offenkundig innere und äußere Gliederung auseinander: Durch die Verwendung des elegischen Distichons ist eine äußere Struktur vorgegeben, der sich jedoch offenkundig die innere Struktur insofern nicht fügt, als der erste Vergleich nicht, wie zu erwarten wäre, ein Distichon beansprucht, sondern zusätzlich den darauffolgenden Hexameter. Dies hat nun zur Folge, daß der in Vers 4 beginnende zweite Vergleich in einem Pentameter einsetzt und sich, analog zum vorausgehenden Vergleich, über drei Verse erstreckt, also mit dem nächsten Pentameter in Vers 6 zum Abschluß kommt. Der Vergleich wird in diesem Falle ausdrücklich durch einen Komparativ eingeleitet, während er in den bisherigen Versen des Epigramms nur implizit ausgedrückt war. Allzuviel Information bietet jedoch die erste Hälfte von v. 4 bis zur Zäsur nicht: Lediglich die Eigenschaft, durch die ein Herausragen gegeben ist, wird genannt sowie durch „in toto“ mit einem Anspruch auf Absolutheit ausgestattet; ausgespart dagegen bleibt vorläufig insbesonderenoch der Bezugsrahmen des Vergleichs, „orbe“. Semantisch ist der Vers durchaus ergiebig: „Raffiniert ist das Spiel mit der versumrahmenden Kontrastierung von dies [...] und clarius, das sonst oft eigentliches Epitheton des Tageslichts ist.“[17]; erwähnenswert ist für den Vers außerdem die Personifikation von „dies“.
Für die Beschreibung der ungeheuren Ausdehnung des Kaiserpalastes bedient sich Martial im folgenden einer im Potentialis formulierten Leseransprache („credas“ in v. 5); das in diesem Vers einleitend gebrauchte Numerale „septeni“, an dieser Stelle poetische Variante einer Kardinalzahl, spielt am wahrscheinlichsten auf die sieben Hügel Roms an[18].
[...]
[1] vgl. Platner (1929), http://www.lib.uchicago.edu/cgi-bin/eos/eos_page.pl?DPI=100&callnum=DG16.P72&object=184 ff.
[2] Schöffel (2002), S. 327
[3] vgl. Schöffel (2002), S. 330
[4] Martial 8,1,3
[5] Lorenz (2002), S. 168
[6] Martial 8, praef. 3
[7] Lorenz (2002), S. 171
[8] vgl. Schöffel (2002), S. 329
[9] Weinreich (1929), S. 9
[10] Weinreich (1929), S. 9
[11] Weinreich (1929), S. 9
[12] vgl. Weinreich (1929), S. 11
[13] Schöffel (2002), S. 330
[14] Schöffel (2002), S. 331
[15] Schöffel (2002), S. 331
[16] vgl. Schöffel (2002), S. 331
[17] Schöffel (2002), S. 332
[18] vgl. Schöffel (2002), S. 332
- Citation du texte
- Mark Möst (Auteur), 2004, Marcus Valerius Martialis Epigrammata: Zu den Kaisergedichten 8,36 und 8,39, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71703
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