„Wie mag es in diesen Legionären aussehen? Sind diese aus allen Ländern zusammengelaufenen Burschen, die bereit sind, ihr Blut für Frankreichs Größe unter fremder Sonne zu vergießen, Landsknechte oder wirkliche Soldaten? Armseliges, gepresstes Kriegsvolk? Oder ein strenger Orden, der seinen eigenen ethischen Gesetzen folgt?“1 fragte sich der deutsche Generalkonsul in Algerien, Siegfried von Nostitz, 1961 angesichts in Algerien eingesetzter Legionäre deutscher Herkunft. Im Zeitalter der Nationalarmeen war die Légion Etrangère, die französische Fremdenlegion, ein Kuriosum, das das Ausland zwar mit Respekt, aber auch mit Misstrauen beäugte. Gleiches galt für die ihr dienenden Männer – den Söldnern begegnete man mit Verwunderung, mit ein wenig Angst und ein wenig Herablassung: sie galten als Abenteurer, Kriminelle und Asoziale oder auch als Helden des ewigen Krieges, doch im Grunde wusste man wenig über sie.
Soldaten, die in Nationalarmeen kämpfen, kämpfen für ihr Land, ihre Heimat, befinden sich, wenn auch nicht zu Hause, sondern in die Welt des Krieges geworfen, doch in mehr oder weniger bekannter Umgebung, da doch wenigstens ihre Kameraden die gleiche Sprache sprechen und wenn nicht aus der selben Gegend, so doch aus dem selben Land stammen. Die Umgebung des Legionärs hingegen ist ihm fremd, auch befindet er sich fern seiner Heimat, die er während der fünf Jahre seines „engagements“ nicht wird besuchen dürfen, während er andererseits von der zivilen Welt abgeschottet und oft verachtet wird.
GLIEDERUNG DER ARBEIT
1. Einleitung
2. Exkurs zur „Kriegserfahrung“
3. Die Deutschen und die Fremdenlegion 1831 – 1954
3. 1. Von den Anfängen bis 1945
3. 2. 1945 – 1962: Indochina und Algerien
4. Analyse eines Fallbeispiels: Hans E. Bauers „ Verkaufte Jahre “
4. 1. „Verkaufte Jahre“
4. 2. Zum Autor
4. 3. Historischer Rückblick
4. 3. 1. Der Indochinakrieg
4. 3. 2. Die Fremdenlegion im Indochinakrieg
4. 4. Analyse
4. 4. 1. Der Blick nach „innen“ – Kameradschaft
4. 4. 2. „Außen“: Zivilisten und militärischer Gegner
5. Schlussfolgerung
6. Auswahlbibliographie
1. EINLEITUNG
„Wie mag es in diesen Legionären aussehen? Sind diese aus allen Ländern zusammengelaufenen Burschen, die bereit sind, ihr Blut für Frankreichs Größe unter fremder Sonne zu vergießen, Landsknechte oder wirkliche Soldaten? Armseliges, gepresstes Kriegsvolk? Oder ein strenger Orden, der seinen eigenen ethischen Gesetzen folgt?“[1] fragte sich der deutsche Generalkonsul in Algerien, Siegfried von Nostitz, 1961 angesichts in Algerien eingesetzter Legionäre deutscher Herkunft. Im Zeitalter der Nationalarmeen war die Légion Etrangère, die französische Fremdenlegion, ein Kuriosum, das das Ausland zwar mit Respekt, aber auch mit Misstrauen beäugte. Gleiches galt für die ihr dienenden Männer – den Söldnern begegnete man mit Verwunderung, mit ein wenig Angst und ein wenig Herablassung: sie galten als Abenteurer, Kriminelle und Asoziale oder auch als Helden des ewigen Krieges, doch im Grunde wusste man wenig über sie.
Soldaten, die in Nationalarmeen kämpfen, kämpfen für ihr Land, ihre Heimat, befinden sich, wenn auch nicht zu Hause, sondern in die Welt des Krieges geworfen, doch in mehr oder weniger bekannter Umgebung, da doch wenigstens ihre Kameraden die gleiche Sprache sprechen und wenn nicht aus der selben Gegend, so doch aus dem selben Land stammen. Die Umgebung des Legionärs hingegen ist ihm fremd, auch befindet er sich fern seiner Heimat, die er während der fünf Jahre seines „engagements“ nicht wird besuchen dürfen, während er andererseits von der zivilen Welt abgeschottet und oft verachtet wird.
Wie werden solche Erlebnisse in Sprache umgesetzt? Wie kann ein Veteran der Legion mit den ihn treffenden Vorurteilen umgehen, auf welche Art versucht er, dem Erlebten, seiner Erinnerung, Sinn zu geben? Dargestellt wird der Umgang mit der „Erfahrung Legion“ an dem Erinnerungsbericht eines ehemaligen deutschen Fremdenlegionärs, der Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts in Nordafrika und Indochina gedient hat. Diese Arbeit lenkt den Blick auf zwei der Welt des Krieges inhärente und in der Legion besonders stark ausgeprägte Konzepte: „Innen“ und „Außen“, also auf die Truppe selbst und die in ihr entstehenden kameradschaftlichen Beziehungen zwischen Soldaten, sowie auf die Außenwelt der Zivilisten und des militärischen Gegners.
Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile. Zuerst wird das Konzept „Kriegserfahrung“ näher erläutert und kritisch beleuchtet werden: was bedeutet der Begriff in der Geschichtswissenschaft? Woher stammt er und welches ist seine heutige Verwendung? Der zweite Teil der Arbeit wendet sich der Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschen und Fremdenlegion zu, bildet also den Hintergrund für den dritten Teil, der sich der Analyse des Fallbeispiels widmet. Es wird kurz die Geschichte des Buches und seines Autors geklärt, die Rolle der Fremdenlegion im Indochinakrieg, an dem der Autor teilgenommen hat, erläutert und dann die Analyse der Ebenen „Innen“ und „Außen“ an einer Reihe von Zitaten vorgenommen.
2. EXKURS ZUR KRIEGSERFAHRUNG
Durch die Alltagsgeschichte fand der Erfahrungsbegriff[2] in den späten 70er Jahren Eingang in die Geschichtswissenschaft. Innerhalb einer Forschungsrichtung, die mit Feldpost, Tagebüchern, literarischen Texten und Bildquellen eine Quellenbasis ins Blickfeld der Wissenschaft gerückt hat, die auf die „Deutung und Verarbeitung von Krieg ausgerichtet ist“[3], wurde diesen Quellen privater Natur ein hohes Niveau von Authentizität zugesprochen, da sie Einblicke in die „alltägliche Erfahrungsebene“ des Krieges zu versprechen schienen.[4] Der Begriff blieb aber wenig reflektiert, verwies meist auf ähnliche Kategorien wie „Erlebnis“ oder „Wahrnehmung“ und wurde dem subjektiven Bereich zeitgenössischer Selbstdeutung zugeordnet, während das mit der Erfahrung verbundene Handeln der Akteure und seine Verbindung zu der sie umgebenden Sozialstruktur nicht in Betracht gezogen wurden.
Im Gegensatz zu diesem Zugang stand der 1980 publizierte Sammelband „Kriegserlebnis“, dessen Autoren versuchten, die Strukturen der Deutungen, Wahrnehmungen und Orientierungsmuster historischer Akteure zu analysieren.[5] Abstand genommen von der Frage nach dem „authentischen Kriegserlebnis“ wurde in der historischen Forschung trotz dieser Studie aber erst in den 90er Jahren:[6] über die Erfahrung des Individuums hinaus wurde „der Bogen geschlagen zu den Vorprägungen des sozialen Bewusstseins“[7]. Der Erfahrungsbegriff wurde aber zumeist dazu benutzt, nach individuellen Gefühlen und Wahrnehmungen, kollektiven Mentalitäten, sozialen Bewusstseinslagen oder Lebenswelten zu fragen. Die unterschiedlichen Theorieangebote zum Erfahrungsbegriff, die in der philosophischen Hermeneutik und der Wissenssoziologie entwickelt worden waren, blieben in den meisten Ansätzen unberücksichtigt.
Hier setzte die Kritik Klaus Latzels an, der versuchte, dem Erfahrungsbegriff einen theoretisch und methodisch fundierten Rahmen zu geben. Vor allem kam es ihm darauf an, eine systematische Unterscheidung zwischen Erlebnis und Erfahrung einzuführen: Latzel versteht jedes Individuum als in einem permanenten Strom äußerer und innerer Impulse lebend, die durch die selektive Wahrnehmung in wichtige und unwichtige sortiert werden. Das Resultat dieser Abgrenzung ist das Erlebnis; dieses wird nun mit den Erwartungsfiltern[8] des gesellschaftlichen Wissens, die sich das Individuum durch primäre und sekundäre Sozialisation[9] erworben hat, abgeglichen. Gelingt diese Sinnstiftung, ist aus dem Erlebnis eine Erfahrung geworden. Die gesammelten Erfahrungen gruppieren sich im Laufe des Lebens zu größeren Erfahrungszusammenhängen, die „in ihrer Gesamtheit Gedächtnis und persönliche, aber gesellschaftlich vermittelte Identität bilden“.[10]
Wirklichkeit wird also als Produkt eines permanenten sozialen Kommunikationsprozesses begriffen. Während Wahrnehmung, Deutung und Handeln, miteinander koordiniert, als akteursspezifische Dimension der Erfahrung betrachtet werden, liefern Sprache, Institutionen und Tradition die „soziokulturell objektivierten Rahmenbedingungen, die der subjektiv erfahrenen Wirklichkeit vorgelagert sind.“[11] Gleichfalls wird die Erfahrung, begriffen als sich im Spannungsfeld von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont befindend, als wandelbar erkannt und somit als Prozess analysierbar.[12] Neben diesen „rezeptiven“ Komponenten enthält Erfahrung auch eine auf Handlung gerichtete Dimension: Erfahrungen „entwerfen sich als handlungsstrukturierende Erwartungen in die Zukunft hinein“[13]. Ein so gefasster Erfahrungsbegriff erlaubt es, das Verhältnis von Akteur und Gesellschaft, subjektiven und objektiven Faktoren menschlicher Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen.[14]
Wirklichkeit – Erfahrung – ist also gesellschaftlich konstruiert: sie ist stets im Kontext der Ideen einer Gesellschaft über „Person und Selbst […] Gesellschaften und Gemeinschaften“[15] zu betrachten. Diese gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit ist aufs Engste mit der Sprache verbunden: sie liefert die „soziokulturell objektivierten Rahmenbedingungen“ innerhalb derer Erfahrung überhaupt erst gemacht und vermittelt werden kann. Oder anders: außerhalb der Sprache ist Erfahrung nicht möglich. Der Mensch lebt und erlebt innerhalb des Korsetts der Sprache und in den „Netzen des Verstehens“[16], die sie ihm aufzwingt.
[...]
[1] Siehe S. v. Nostitz: Algerisches Tagebuch, Düsseldorf/Wien 1971, S. 92.
[2] Zur Geschichte des Erfahrungsbegriffs siehe N. Buschmann/H. Carl: Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges, in: Dies. (Hrsg): Die Erfahrung des Krieges: Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn/München/Wien/Zürich 2001, S. 16f.
[3] Siehe K. Latzel: Kriegserlebnis, S. 12.
[4] Siehe: P. Knoch: Feldpost – eine unentdeckte historische Quellengattung, in: Geschichtsdidaktik 11, 1986, Hft. 2, S. 155.
[5] K. Vondung (Hrsg): Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980. In diesem Kontext prägte Paul Fussell den Begriff der „kulturellen Paradigmen“, die bestimmen, was von den „objektiven Phänomenen in die Erfahrung des Einzelnen dringt“; vgl. P. Fussell: Der Einfluss kultureller Paradigmen auf die literarische Wiedergabe traumatischer Erfahrung, in: K. Vondung (Hrsg): Kriegserlebnis, S. 18.
[6] R. Koselleck: Der Einfluss der beiden Weltkriege auf das soziale Bewusstsein, in: W. Wette: Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München/Zürich 1992, S. 326.
[7] Siehe N. Buschmann, H. Carl: Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges, in: Dies. (Hrsg) : Die Erfahrung des Krieges, S. 14.
[8] Zu den Filtern R. Koselleck: Der Einfluss der beiden Weltkriege, S. 326. Koselleck zählt als sozialisierende Bedingungen: 1. die Zugehörigkeit zu einer Sprach- oder Dialektgemeinschaft; 2. weltanschauliche Selbstdeutung, religiöse Gewissheiten, ideologische Entwürfe; 3. Zugehörigkeit zu einer politischen Handlungseinheit (Staat, Verbände usw.); 5. Geschlecht und Familie; 6. Klassen und Schichten.
[9] Die Soziologie versteht „primäre Sozialisation“ als Prägung durch die Familie und signifikante Gruppen, während „sekundäre Sozialisation“ die weitere Prägung durch Institutionen wie Schule oder Universität, den Arbeitsplatz oder „totale Institutionen“ wie das Militär und, als deren krasseste Ausformung, das Konzentrationslager, bezeichnet.
[10] Siehe K. Latzel: Vom Kriegserlebnis zur Kriegserfahrung. Theoretische und methodische Überlegungen zur erfahrungsgeschichtlichen Untersuchung von Feldpostbriefen, in: MGM 56 (1997), S. 13f.
[11] Siehe N. Buschmann, H. Carl: Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges, in: Dies. (Hrsg): Kriegserfahrung, S. 18.
[12] „Erfahrung ist gegenwärtige Vergangenheit, deren Ereignisse einverleibt worden sind und erinnert werden können. Sowohl rationale Verarbeitung wie unbewusste Verhaltensweisen, die nicht oder nicht mehr im Wissen präsent sein müssen, schließen sich in der Erfahrung zusammen. Ferner ist in der je eigenen Erfahrung, durch Generationen oder Institutionen vermittelt, immer fremde Erfahrung enthalten oder aufgehoben.“; siehe R. Koselleck:, „ Erfahrungsraum“, S. 354.
[13] Siehe N. Buschmann, H. Carl: Zugänge, in: Dies (Hrsg): Die Erfahrung des Krieges, S. 20.
[14] „Erfahrung beschreibt also nicht die subjektive Innenseite einer gleichsam objektiv gegebenen äußeren Wirklichkeit, sondern ist in soziale Prozesse eingebunden und an kulturelle Rahmenbedingungen geknüpft. Insofern beruht Erfahrung immer auf Voraussetzungen, die dem individuellen Bewusstsein vorgelagert sind.“; siehe N. Buschmann, H. Carl: Zugänge, in: Dies (Hrsg): Die Erfahrung des Krieges, S. 21.
[15] Siehe T. Kühne : Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, S. 16.
[16] J. Baberowski: Der Sinn der Geschichte. Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault, München 2005, S. 194.
- Arbeit zitieren
- Anne Krier (Autor:in), 2006, Deutsche in der französischen Fremdenlegion nach 1945, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71628
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