„Politik der Freundschaft“ beinhaltet Auseinandersetzungen mit philosophischen, politischen und literarischen Texten, die sich allesamt mit den Begriffen des Politischen und der Freund- bzw. Feindschaft beschäftigen. Das Werk ist vor allem eine Auseinandersetzung mit den kanonisierten abendländischen politischen und philosophischen Diskursen über Freundschaft. Derrida zeigt auf, dass in unserer Tradition die Begriffe Freund und Feind und der Begriff des Politischen letztlich auf einen fragwürdigen Schematismus der Abstammung, d.h. Herkunft, Geschlecht, Art, Blut, Natur und Nation zurückgreifen. Peter Zeillinger stellt fest, dass nicht Freundschaft als Freundschaft das eigentliche Thema sei, sondern eher ihr Bezug zu verschiedenen Formen der Politik. So ist etwa bei Carl Schmitt das Politische an die Unterscheidung von Freund und Feind gebunden. Derrida versucht diese Bindung zu überschreiten, und das scheint ein Grund dafür zu sein, weshalb Derrida Schmitt insgesamt drei Kapitel in „Politik der Freundschaft“ widmet.
In dieser Hausarbeit werde ich versuchen, Derridas Schmitt-Lektüre anhand ausgewählter Aspekte zu folgen. Im Zentrum meiner Untersuchung steht vor allem Derridas Auseinandersetzung mit dem Gegensatz von öffentlich und privat, der Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung abstützt. Neben der Diskussion um die Trennung vom Öffentlichen/Privaten soll auf die damit verbundene Frage des Affekts und der Rolle der Frau in Schmitts Theorie eingegangen werden. Ich werde versuchen, die zentralen Aussagen Derridas in diesem Zusammenhang darzulegen und seine Argumentationsstruktur – soweit das möglich ist – zu erläutern. Derridas Aussagen werden dann mit Hilfe der Originaltexte von Schmitt überprüft. In einem ersten Schritt werden dazu die wesentlichen Thesen Schmitts aus „Der Begriff des Politischen“ wiedergegeben. Im Hauptteil folgen die Besprechungen der einzelnen ausgewählten Themen aus den relevanten Kapiteln. Begonnen wird mit der Frage nach dem Verlust des Politischen und der damit verbundenen Frage einer Repolitisierung der Dinge. Darauf folgen die Besprechungen über den Gegensatz Öffentlich/Privat, den Affekt, und die Rolle der Frau. Der Schlussteil stellt den Versuch einer Stellungnahme dar.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Begriff des Politischen
3 Feinde, es gibt keinen Feind
4 Realität, Möglichkeit, Vorhandenheit
5 Der Gegensatz: Öffentlich / Privat
5.1 Platons Politeia und die Unterscheidung von stasis und polemos
5.2 Affekt
6 Die Schwester
7 Schluss
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Jacques Derridas voluminöses und komplexes Buch „Politik der Freundschaft“ beinhaltet Auseinandersetzungen mit philosophischen, politischen und literarischen Texten, die sich allesamt mit den Begriffen des Politischen und der Freund- bzw. Feindschaft beschäftigen. Das Werk ist vor allem eine Auseinandersetzung mit den kanonisierten abendländischen politischen und philosophischen Diskursen über Freundschaft (von Platon bis Montaigne, Aristotelis bis Kant, Nietzsche, Schmitt ,Hegel und Blanchot). Derrida zeigt auf, dass in unserer Tradition die Begriffe Freund und Feind und der Begriff des Politischen letztlich auf einen fragwürdigen Schematismus der Abstammung, d.h. Herkunft, Geschlecht, Art, Blut, Natur und Nation zurückgreifen. So sei Nietzsche etwa, auch wenn er sonst dieser Tradition sehr kritisch gegenüber stand, dem familiären Schema gefolgt, welches die Gestalt des Bruders bevorzugt.[1]. Das Buch wird von dem Vokativ „O meine Freunde, es gibt keinen Freund“ eröffnet, ein Satz von Montaigne, der über Diogenes Laertius auf Aristoteles zurückgehen soll. Auch wenn dieser Satz als Leitmotiv durch den gesamten Text zitiert wird, „wäre es verfehlt, wenn man meinte, dass die Geschichte der mit diesem Satz verbundenen Zitatenkette oder das Thema der Freundschaft bereits den Kern des Buches ausmache.“[2] Denn der französische Originaltitel spricht vielmehr von Politiques, d.h. von Politik(en) im Plural. Peter Zeillinger stellt fest, dass nicht Freundschaft als Freundschaft das eigentliche Thema sei, sondern eher ihr Bezug zu verschiedenen Formen der Politik.[3] So ist etwa bei Carl Schmitt das Politische an die Unterscheidung von Freund und Feind gebunden. Derrida versucht diese Bindung zu überschreiten, und das scheint ein Grund dafür zu sein, weshalb Derrida Schmitt insgesamt drei Kapitel in „Politik der Freundschaft“ widmet.
In dieser Hausarbeit werde ich versuchen, Derridas Schmitt-Lektüre anhand ausgewählter Aspekte zu folgen. Im Zentrum meiner Untersuchung steht vor allem Derridas Auseinandersetzung mit dem Gegensatz von öffentlich und privat, der Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung abstützt. Neben der Diskussion um die Trennung vom Öffentlichen/Privaten soll auf die damit verbundene Frage des Affekts und der Rolle der Frau in Schmitts Theorie eingegangen werden. Ich werde versuchen, die zentralen Aussagen Derridas in diesem Zusammenhang darzulegen und seine Argumentationsstruktur – soweit das möglich ist – zu erläutern. Derridas Aussagen werden dann mit Hilfe der Originaltexte von Schmitt überprüft. In einem ersten Schritt werden dazu die wesentlichen Thesen Schmitts aus „Der Begriff des Politischen“ wiedergegeben. Im Hauptteil folgen die Besprechungen der einzelnen ausgewählten Themen aus den relevanten Kapiteln. Begonnen wird mit der Frage nach dem Verlust des Politischen und der damit verbundenen Frage einer Repolitisierung der Dinge. Darauf folgen die Besprechungen über den Gegensatz Öffentlich/Privat, den Affekt, und die Rolle der Frau. Der Schlussteil stellt den Versuch einer Stellungnahme dar.
2 „Der Begriff des Politischen“
In „Der Begriff des Politischen“ versucht Carl Schmitt, Begriffe bzw. Kriterien zu bestimmen, die das Feld des Politischen kennzeichnen, um es etwa somit von anderen Feldern oder Bereichen wie dem Ökonomischen oder dem Ethischen abzugrenzen. Diese Kriterien findet er in der Unterscheidung von Freund und Feind. Folglich wäre die Politik der Bereich, in dem zwischen Freund und Feind unterschieden wird. Dabei ist diese Unterscheidung unabhängig von moralischen oder ästhetischen Kriterien, d.h. „die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existenziellen Sinn zu nehmen, [...] nicht abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen.“[4] Die Unterscheidung definiert das Politische, indem sie „den äußersten Intensitätsgrad einer [...] Assoziation oder Dissoziation [...]“[5] bezeichnet. Damit werden im extremen Fall Konflikte mit dem Fremden möglich, wenn er „in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist.“[6] So definiert Schmitt Feindschaft dann auch als die „seinsmäßige Negierung eines anderen Seins.“[7] Für Schmitt ist der Gegensatz von Freund und Feind für jedes politisches Volk als reale Möglichkeit gegeben.[8] Die politische Einheit eines Volkes sei die höchste Seinsform, und diese wird vom Feind negiert. Im Konfliktfall stehen sich also zwei politische Existenzen gegenüber – diese können entweder zwei als politische Einheiten organisierte Völker, aber auch Teile ein und desselben Volkes sein: Das wäre dann die Situation eines Bürgerkrieges. Schmitt unterscheidet somit den Krieg zwischen zwei organisierten Entitäten vom Bürgerkrieg innerhalb einer organisierten Einheit. Eine Einheit negiert die andere, und diese Negation kann die Form eines Krieges annehmen. Krieg ist nach Schmitt „die äußerste Realisierung der Feindschaft.“[9] Auch wenn sich diese Einheiten nicht ständig bekämpfen müssen, „muss [der Krieg] als reale Möglichkeit vorhanden bleiben, solange der Begriff des Feindes seinen Sinn hat.“[10] Die politische Unterscheidung – nicht im Sinne eines Urteils in der Justiz – wer Freund und wer Feind ist, und ob der Feind bekämpft wird, wird vom Staat getroffen. Der Souverän entscheidet somit im und über den Ausnahmezustand.
Die Freund-Feind-Unterscheidung manifestiert sich im Krieg oder in der Revolution, der Begriff des Feindes führt die im Bereich des realen liegende Eventualität eines Kampfes mit sich. Dabei erhalten die Begriffe Freund und Feind ihren realen Sinn dadurch, dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten. Ein Volk muss jederzeit bereit sein, diese Unterscheidung zwischen Freund und Feind zu treffen. Ist es dazu nicht in der Lage oder gewillt, sieht es zwangsläufig seinem Ende entgegen – da hört die politische Einheit auf, eine politische Einheit zu sein. „Dadurch, dass ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk.“[11] Ein Verzicht auf die Freund-Feind-Unterscheidung (und die damit verbundene Todes- und Tötungsbereitschaft) lässt nicht den Feind verschwinden, sondern führt nur dazu, dass das auf diese Unterscheidung verzichtende Volk dem Feind keinen Widerstand mehr leisten können wird. Daraus folgt, dass alle Völker auf der Erde auf die Unterscheidung verzichten müssten, um in einer vollends befriedeten Welt zu leben. Eine solche Welt wäre, meint Schmitt, „[...] ein endgültig pazifierter Erdball, eine Welt ohne die Unterscheidung von Freund und Feind und infolgedessen eine Welt ohne Politik. “ Denn für Schmitt ist das Politische nicht denkbar ohne den Bezug auf die reale Möglichkeit der Freund – und Feindgruppierung; ohne diesen Bezug gäbe es „sinnvollerweise keinen Gegensatz, auf Grund dessen von Menschen das Opfer ihres Lebens verlangt werden könnte und Menschen ermächtigt werden, Blut zu vergießen und andere Menschen zu töten.“[12] Einen solchen 'Weltstaat' ohne Freund-Feind-Gruppierung kann es auch deshalb nach Schmitts Theorie nicht geben, weil sich ein Volk, wenn es sich als politische Einheit konstituiert, dies immer im Gegensatz zu einer anderen solchen Einheit tut, also schon durch die Konstitution einer politischen Einheit die Möglichkeit der Feindschaft und folglich des Krieges gegeben ist. Außerdem gebe es in einer solchen Welt weder Staat noch Politik, das heist nur noch Kultur, Zivilisation, Wirtschaft, Moral etc. . Für Schmitt stellt ein solcher „idylischer Endzustand einer restlosen und endgültigen Entpolitisierung“ eine „unehrliche Fiktion“ dar.[13] Schmitt zufolge kann dann auch kein Krieg im Namen der Menschheit geführt werden, d.h. wenn ein Krieg im Namen der Menschheit geführt würde, dann handele es sich um die Okkupation eines universalen Begriffs, und zwar mit dem Ziel, diesen Begriff gegen den Kriegsgegner politisch zu instrumentalisieren. Die Begriffe der Menschheit und der Universalität sind für Schmitt entpolitisierte Begriffe. So wertet Schmitt etwa den Völkerbund als Ideal einer globalen Organisation als „die utopische Idee völliger Entpolitisierung.“
[...]
[1] Derrida, Jacques: Politik der Freundschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2002, S. 95ff.
[2] Zeillinger, Peter: Nachträgliches Denken. Skizze eines philosophisch-theologischen Aufbruchs im Ausgang von Jacques Derrida. Münster: Lit 2002, S. 140.
[3] Ebenda.
[4] Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien.
Berlin: Dunker & Humblot, 2002, S. 28.
Schmitt unterscheidet zwischen dem privaten und dem öffentlichen Feind als politischen Begriff. Während man den privaten Gegner hassen kann, sind Antipathiegefühle für den Feind im politischen Sinne nicht angebracht. Auf diese Unterscheidung wird noch im Verlauf dieser Arbeit ausführlich eingegangen.
[5] Ebenda, S. 27.
Diese Textstelle in Schmitts Schrift stellt eine Abkehr von der Gebiets-Konzeption dar, die noch in der ersten Auflage der Schrift von 1927 das Politische selbst ausdrücklich als Gebiet neben anderen bestimmt. Diese Konzeption wird fünf Jahre später durch das Intensitätsmodell ersetzt, welches Schmitt erlaubt, den Bürgerkrieg in seiner Theorie zu erfassen, denn nun kann das Politische von jedem Sachgebiet aus erreicht werden.
[6] Ebenda.
[7] Ebenda, S. 33.
[8] Ebenda, S. 29.
[9] Ebenda, S. 33.
[10] Ebenda.
[11] Ebenda, S. 54.
[12] Ebenda, S. 36.
[13] Ebenda, S. 54.
- Citation du texte
- Hauke Filmer (Auteur), 2007, Derridas Kritik an Carl Schmitts Begriff des Politischen in "Politik der Freundschaft", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71545
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