Das Burgfräulein ist empört. Die Hände Arme wütend in die Hüfte gestützt sieht sie hinab auf den Bauarbeiter, der mit einer Spitzhacke ein großes Loch in die Wände ihres Turmes geschlagen hat und sich nun anschickt, mit den heraus gebrochenen Ziegelsteinen ein neues Haus zu bauen. „Nationalismus“ steht auf dem ersten Mauerstück, das er gerade um einen weiteren Stein erweitert. Den beschädigten Turm dagegen hat Karikaturist Burkhard Mohr mit dem Wort „Europa“ beschriftet. Seine Zeichnung ziert einen kleinen Sammelband mit dem Titel „Nation – Nationalismus – Nationale Identität“, herausgegeben von Dorothea Weidinger. Die enthaltenen Texte befassen sich mit der Frage, welche Rolle die Nation für die Menschen, für den Staat und für die europäische Einigung hat. Mohrs Karikatur auf dem Titel mag auf den ersten Blick komisch erscheinen, dennoch illustriert sie recht anschaulich die Sprengkraft, die dem Begriff der Nation innewohnen kann, wenn er zur politischen Forderung wird, vor allem dann, wenn sie mit einer bestehenden Ordnung oder einem Herrschaftsapparat wie dem Staat in Konkurrenz tritt. Denn auch wenn die Begriffe Nation und Staat im Volksmund gerne synonym verwandt werden, ist das Wort „Nationalstaat“ keineswegs als Tautologie zu begreifen; im Gegenteil, streng genommen beschreibt der Begriff des Nationalstaates die Kongruenz von Nation und von Staatsvolk (im juristischen Sinne) – ein Zustand, der in der Realität keineswegs selbstverständlich ist und eben deswegen sogar ein Grund für das Zerfallen von Staaten und für Kriege sein kann.
Im Titel dieses Essays wird die Geschichte zwischen Staat und Nation als spannungsvoll bezeichnet. Dies gilt keineswegs nur für die Geschichte, sondern auch und vielleicht gerade für das hier und heute, wie im Folgenden gezeigt werden wird. Dazu sollen zunächst die Begriffe Staat und Nation näher untersucht werden, um anschließend der Frage nachzugehen, wo die Ursachen für die Spannungen liegen und ob die Kongruenz von Staatsgrenzen und Nationen-Grenzen (zumindest theoretisch) eine Möglichkeit zur Lösung des Problems wären.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Begriffsherkunft und Bedeutungswandel
III. Bedeutung der Nation heute
IV. Jeder Nation ihren Staat?
V. Zusammenfassung
VI. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Das Burgfräulein ist empört. Die Hände Arme wütend in die Hüfte gestützt sieht sie hinab auf den Bauarbeiter, der mit einer Spitzhacke ein großes Loch in die Wände ihres Turmes geschlagen hat und sich nun anschickt, mit den heraus gebrochenen Ziegelsteinen ein neues Haus zu bauen. „Nationalismus“ steht auf dem ersten Mauerstück, das er gerade um einen weiteren Stein erweitert. Den beschädigten Turm dagegen hat Karikaturist Burkhard Mohr mit dem Wort „Europa“ beschriftet. Seine Zeichnung ziert einen kleinen Sammelband mit dem Titel „Nation – Nationalismus – Nationale Identität“, herausgegeben von Dorothea Weidinger (Weidinger 2002). Die enthaltenen Texte befassen sich mit der Frage, welche Rolle die Nation für die Menschen, für den Staat und für die europäische Einigung hat. Mohrs Karikatur auf dem Titel mag auf den ersten Blick komisch erscheinen, dennoch illustriert sie recht anschaulich die Sprengkraft, die dem Begriff der Nation innewohnen kann, wenn er zur politischen Forderung wird, vor allem dann, wenn sie mit einer bestehenden Ordnung oder einem Herrschaftsapparat wie dem Staat in Konkurrenz tritt. Denn auch wenn die Begriffe Nation und Staat im Volksmund gerne synonym verwandt werden, ist das Wort „Nationalstaat“ keineswegs als Tautologie zu begreifen; im Gegenteil, streng genommen beschreibt der Begriff des Nationalstaates die Kongruenz von Nation und von Staatsvolk (im juristischen Sinne) – ein Zustand, der in der Realität keineswegs selbstverständlich ist und eben deswegen sogar ein Grund für das Zerfallen von Staaten und für Kriege sein kann.
Im Titel dieses Essays wird die Geschichte zwischen Staat und Nation als spannungsvoll bezeichnet. Dies gilt keineswegs nur für die Geschichte, sondern auch und vielleicht gerade für das hier und heute, wie im Folgenden gezeigt werden wird. Dazu sollen zunächst die Begriffe Staat und Nation näher untersucht werden, um anschließend der Frage nachzugehen, wo die Ursachen für die Spannungen liegen und ob die Kongruenz von Staatsgrenzen und Nationen-Grenzen (zumindest theoretisch) eine Möglichkeit zur Lösung des Problems wären.
II. Begriffsherkunft und Bedeutungswandel
Wie eingangs bereits angedeutet werden Begriffe Staat und Nation im Deutschen gerne synonym verwandt. Deutlich wird dies etwa bei der Bezeichnung inter national wenn eigentlich inter staatlich gemeint ist oder wenn nach der Nationalität gefragt wird, gemeint ist aber eigentlich die Staatsangehörigkeit. Dies mag zum einen an einer generellen Unschärfe der Umgangssprache liegen, denn beide Begriffe sind zudem längst nicht nur politikwissenschaftlicher Natur. Der Suchalgorithmus der Suchmaschine Google findet allein im deutschsprachigen Internet rund 4,4 Millionen Webseiten, die das Wort „Staat“ enthalten, bei „Nation“ sind es immerhin noch rund zwei Millionen (Suche jeweils am 21.02.2007). Darunter auch so seltsame Seiten wie „Muntermacher der Nation“, eine Mittelstandsinitiative oder eine Fanpage zu einer englischen Gothic-Band namens „VNV Nation“. Dabei sind sowohl das Wort „Staat“ als auch das Wort „Nation“ in ihrem heutigen Sinne noch verhältnismäßig jung. Das etymologische Lexikon der deutschen Sprache datiert etwa die Entstehung des Wortes „Staat“ auf das 14. Jahrhundert. Als Wortherkunft wird einerseits das lateinische stare, also stehen, andererseits das französische les états, übersetzt: die Stände, genannt. Gemeint wurde ursprünglich der Rang einer Person oder aber der Zustand eines Vermögens (was durchaus miteinander korrelieren konnte). Auch heute ist das englische state nicht nur mit einer politischen Bedeutung behaftet, sondern kann auch mit dem deutschen Wort „Zustand“ übersetzt werden (etwa als state of mind = Gemüts- oder Geisteszustand).
Die politische Bezeichnung Staat, nämlich zur Beschreibung eines Herrschaftsverbandes, findet sich erstmals im 16. Jahrhundert in den Schriften Niccolô Machiavellis (italienisch: lo stato). Heute wird die Bezeichnung „Staat“ gerne rückwirkend auf alle möglichen Herrschaftsgebilde verwandt wird, vom Stadtstaat der Antike bis zum heutigen, modernen (Territorial-)Staat im Weber’schen Sinne (bürokratischer Anstaltsbetrieb mit Verwaltungsstab, erfolgreiche Beanspruchung des Gewaltmonopols; vgl. Weber 2006: 63). Der Umstand, dass hier ein und dieselbe Bezeichnung für eine ganze Reihe teils sehr unterschiedlicher Herrschaftsgebilde verwandt wird, soll an dieser Stelle zunächst einmal unberücksichtigt bleiben. Entscheidend für dieses Essay ist vor allem die territoriale Begrenztheit sowie der Alleinherrschaftsanspruch des Staates auf seinem Staatsgebiet.
Noch jünger als die Bezeichnung „Staat“, zumindest was die heutige Bedeutung angeht, ist der Begriff der „Nation“. Ursprünglich vom lateinischen nasci kommend, also geboren werden, meinte Nation zunächst die gleiche Abstammung einer Gruppe von Menschen von einem tatsächlichen oder fiktiven Ahnen. Häufig wurde nation jedoch auch weitaus rigoroser verwandt, etwa um einen „Stamm“ (etwa aus römischer Sicht zum Beispiel die Germanen) oder aber schlicht eine Gemeinschaft mit gleichen oder ähnlichen Bräuchen und Sitten zu bezeichnen. Im Mittelalter taucht der Begriff der Nation schließlich an den Universitäten wieder auf, wo er als grobe Herkunftsbezeichnung für Studenten und Professoren verwandt wurde.
Politisch bedeutsam wurde der Begriff erst in der frühen Neuzeit und vor allem in der französischen Revolution, wo mit dem Nationsgedanken der Anspruch auf politische Mitbestimmung verknüpft wurde. Auf den Punkt gebracht hat es wohl der französische Abt Emmanuel Joseph Sieyés, der 1789 unter eine Kampfschrift mit dem Titel Qu'est-ce que le Tiers État? (Was ist der Dritte Stand) veröffentlichte:
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- Citation du texte
- Felix Neubüser (Auteur), 2007, Nation und Staat - Eine spannungsvolle Beziehung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71496
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