Die Regierungszeit des letzten deutschen Kaisers endete im ersten Weltkrieg und die politischen Fehlurteile, u. a. der Reichskanzler, sind im weitesten Sinne erforscht, aber die Gestalt des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II schien schon den eigenen Zeitgenossen eine schillernde Widersprüchlichkeit gewesen zu sein und lässt sich somit auch in kein Schema pressen. Sein Leben und Wirken bot genug Material für zahlreiche Biographien oder Aufsätze, um „das Fabeltier unserer Zeit“ 2 zu skizzieren. In dieser Arbeit möchte ich näher auf den Charakter des Kaisers eingehen, da diese eigenartige Persönlichkeit ein Rätsel für sich darstellt. Hierbei steht für mich nicht der “politische“ Wilhelm im Vordergrund, sondern die Entwicklung seines Charakters bis zur Thronbesteigung. Wer war die Person, die im Jahre 1888 mit erst 29 Jahren den Thron erbte und sich selbst als Kanzler von Gottes Gnaden bezeichnet hat? Immerhin hat er 30 Jahre lang über den mächtigsten Staat Europas regiert und während seiner Amtszeit eine entscheidende Rolle in der Weltpolitik gespielt.
In der Literatur wird er als gefühlskalt, selbstbezogen und arrogant dargestellt. Er neigte dazu, seine eigenen Fähigkeiten zu überschätzen und alle Dinge und Menschen lediglich von seinem persönlichen Standpunkt aus zu betrachten und zu beurteilen. Selbst seine eigene Mutter fragte sich, wie es sein kann, dass jemand „so jede Dimension verliert und die phantastischsten Dinge erzählt und sie selbst glaubt? In einem gewissen Augenblick ist eben völlig Schluss beim Kaiser, da hört sein Blick für jede Wirklichkeit auf und dann glaubt er an die unmöglichsten Zusammenhänge.“ 3 Welche Auswirkungen hatte die Erziehung seiner Eltern, Vater Kronprinz Friedrich Wilhelm und Mutter Prinzessin Viktoria auf sein despotisches Auftreten? Welche anderen Faktoren wie Lebensumstände oder Umwelt, beeinflussten seine Charakterentwicklung? [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das elterliche sowie das schulische Umfeld
2.1.Vorstellung der Eltern
2.2 Die Geburt und die daraus resultierenden Folgen
2.3 Die Hinzpetersche Erziehungsmethode
2.4 Die schulische Laufbahn sowie die Liebe zum Militär
3. Die „Mentoren“ Wilhelms, Kaiser Wilhelm I und Fürst Bismarck
4. Die Thronbesteigung
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturangabe
„ Regis voluntas suprema lex!“[1]
1. Einleitung
Die Regierungszeit des letzten deutschen Kaisers endete im ersten Weltkrieg und die politischen Fehlurteile, u. a. der Reichskanzler, sind im weitesten Sinne erforscht, aber die Gestalt des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II schien schon den eigenen Zeitgenossen eine schillernde Widersprüchlichkeit gewesen zu sein und lässt sich somit auch in kein Schema pressen. Sein Leben und Wirken bot genug Material für zahlreiche Biographien oder Aufsätze, um „das Fabeltier unserer Zeit“[2] zu skizzieren.
In dieser Arbeit möchte ich näher auf den Charakter des Kaisers eingehen, da diese eigenartige Persönlichkeit ein Rätsel für sich darstellt. Hierbei steht für mich nicht der “politische“ Wilhelm im Vordergrund, sondern die Entwicklung seines Charakters bis zur Thronbesteigung. Wer war die Person, die im Jahre 1888 mit erst 29 Jahren den Thron erbte und sich selbst als Kanzler von Gottes Gnaden bezeichnet hat? Immerhin hat er 30 Jahre lang über den mächtigsten Staat Europas regiert und während seiner Amtszeit eine entscheidende Rolle in der Weltpolitik gespielt.
In der Literatur wird er als gefühlskalt, selbstbezogen und arrogant dargestellt. Er neigte dazu, seine eigenen Fähigkeiten zu überschätzen und alle Dinge und Menschen lediglich von seinem persönlichen Standpunkt aus zu betrachten und zu beurteilen. Selbst seine eigene Mutter fragte sich, wie es sein kann, dass jemand „so jede Dimension verliert und die phantastischsten Dinge erzählt und sie selbst glaubt? In einem gewissen Augenblick ist eben völlig Schluss beim Kaiser, da hört sein Blick für jede Wirklichkeit auf und dann glaubt er an die unmöglichsten Zusammenhänge.“[3] Welche Auswirkungen hatte die Erziehung seiner Eltern, Vater Kronprinz Friedrich Wilhelm und Mutter Prinzessin Viktoria auf sein despotisches Auftreten? Welche anderen Faktoren wie Lebensumstände oder Umwelt, beeinflussten seine Charakterentwicklung?
2. Das elterliche sowie das schulische Umfeld
2.1 Vorstellung der Eltern
101 Kanonenschüsse kündigten am 27. Januar 1859 an, dass Friedrich Wilhelm Victor Albert, kurz „Wilhelm“ genannt, im Kronprinzenpalais in Berlin zur Welt kam. Die Eltern des Kindes waren der damals 28- jährige Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen (später Kaiser Friedrich III, auch bekannt als der 99- Tage- Kaiser) und die damals 18- jährige Prinzessin Victoria, die in Hofkreisen auch Prinzessin Friedrich Wilhelm oder Vicky genannt wurde. Sie war die älteste Tochter der seit 1837 regierenden Königin von Großbritannien und Irland, Victoria I.[4] Somit entstammte Wilhelm der hoch- und uradeligen deutschen Herrscherdynastie der Hohenzollern und war Anwärter auf die Königskrone. Wohl selten ist eine Verbindung, die aus politischen Gründen geplant war, zu einer so reinen Liebesheirat geworden.
Der Vater, Kronprinz Friedrich Wilhelm, war Soldat und galt als sanft und schüchtern, zudem mochte er den Drill nicht. Er behandelte seine Frau wie eine Gleichrangige, welches damals in Berlin ziemlich ungewöhnlich war. Durch diese enge Vertrautheit wird sie schnell erkannt haben, dass ihr Gemahl bei höchstem dynastischem Selbstgefühl ein schwacher und bestimmbarer Mann von mittlerer Begabung war.[5]
Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen verliebte sich in Prinzessin Victoria, als er sie bei der Weltausstellung in Paris zum ersten Mal sah und wurde mit der nun 14- Jährigen im Sommer 1855 verlobt; die Hochzeit fand drei Jahre später statt. Prinz Albert, Vickys Vater, bewunderte seine Tochter für ihre innige Liebe zu dem Prinzen und erhoffte sich durch diese Verbindung, dass seine Tochter einerseits eine glückliche Ehe führen werde und andererseits eine historische Rolle in der Weltpolitik spielen werde. Schließlich baute er darauf, dass sich Preußen selbst nach dem Muster der konstitutionellen englischen Monarchie reformiert und mit Victoria als zukünftiger Königin würde sich das neue Deutschland mit Großbritannien friedlich zusammenfinden.[6]
Dazu muss erwähnt werden, dass dieser Glaube Alberts an die (intellektuellen) Fähigkeiten seiner Tochter schon seit Kindheitstagen an bestand und er einen großen Einfluss auf sie ausübte. Er führte sie bewusst in die Politik ein und war stets die letzte Person, die ihre Ansichten beurteilte. Diese tiefe Verbundenheit wurde noch einmal deutlich bei der Hochzeit in England, als Prinzessin Victoria zu ihrer Mutter sagte: „Ich glaube, es bringt mich um, wenn ich Abschied vom Vater nehmen muss.“[7]
Die Prinzessin hatte es anfangs in ihrer neuen Heimat etwas schwer, da sie in Intellektuellenkreisen verkehrte, wissenschaftliche und mathematische Privatstunden nahm und natürlich auch politisches Interesse zeigte. Dieses war in Preußen für eine Frau recht ungewöhnlich, da man der Ansicht war, dass sich Frauen um ihre Männer und Kinder zu kümmern hatten und weniger um das weltpolitische Geschehen. Otto von Bismarck, der in den Revolutionstagen von 1848 die preußische Vorherrschaft in Deutschland verteidigte und dadurch öffentlich bekannt wurde, befürchtete, dass Prinzessin Victoria aufgrund ihrer englischen Herkunft dieses gefährden könnte. Daher schrieb er einem Freund: „Gelingt es der Prinzessin, die Engländerin zu Hause zu lassen und Preußin zu werden, so wird sie ein Segen für dieses Land sein.“[8]
Die Feindseligkeit gegenüber England, nicht nur seitens Bismarcks, rührte in erster Linie daher, dass Preußen vor noch nicht allzu langer Zeit während des Krimkrieges stärker mit Russland gegen England sympathisierte.[9] Zudem spielte die Abneigung gegen den britischen Liberalismus eine Rolle, da befürchtet wurde, dass dieser den Untergang der herrschenden Klasse herbeiführen würde. Die Idee, dass das Deutsche Reich ein fortschrittliches Regiment nach englischem Vorbild haben sollte, führte in Preußen- Deutschland zur zunehmenden Isolierung des Kronprinzenpaares; dieses geschah nicht ohne kräftiges Zutun Bismarcks, der nicht ohne Recht seine politische Stellung gefährdet sah. Die „politischen Differenzen“ zwischen Otto von Bismarck und der Prinzessin sollten später noch für weitere Probleme zwischen Victoria und ihrem Erstgeborenem Wilhelm sorgen.
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[1] „Der Wille des Königs ist oberstes Gebot“ Diesen Satz schrieb Wilhelm II am achten September 1891 in das Goldene Buch der Stadt München. Als hierüber in der Presse großer Lärm entstand, bemerkte er, dass er dadurch doch nur die Stellung des damaligen Prinzregenten Luitpold Prinz von Bayern heben wolle.
[2] Titel des 1936 von Chamier veröffentlichen Werks über Kaiser Wilhelm II
[3] Röhl, 1987, S.21
[4] Vgl. Gutsche, 1991, S. 13
[5] Vgl. Schüssler, 1962, S.14
[6] Vgl. Cowles, 1963, S. 8-9
[7] Vgl. ebd. S. 11
[8] Cowles, 1963, S.16
[9] Vgl. ebd.
- Quote paper
- Sandra Hein (Author), 2005, Kaiser Wilhelm II - Als Despot geboren oder zum Despoten gemacht?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71341
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