Bei genauer Betrachtung ist die Metapher vom Umbaus des Sozialstaats eigentlich eher unangebracht, denn umgebaut wurde unser Sozialstaat schon seit je her. Jedoch soll heute mit „Umbau des Sozialstaats“ wahrscheinlich eher ausgedrückt werden, dass es nicht um kleine Korrekturen des Systems geht, sondern vielmehr um einschneidende Maßnahmen. Einigen in der Reformdebatte scheint es sogar nicht nur um die Veränderungen im System zu gehen, sondern vielmehr um eine Änderung des Systems. Bei den lautstarken Rufen von Seiten der Arbeitgeber ist sogar anzunehmen, dass ihrerseits versucht wird, die ungünstige Situation am Arbeitsmarkt auszunutzen. Die Frage an dieser Stelle ist jedoch, ob dies nicht die gesellschaftliche Integration durcheinander bringt. Es müssen also Gründe gefunden werden, die einen Umbau des Sozialstaats offensichtlich werden lassen, weitab von den Interessen von Verbänden.
Solche Gründe wären z. B. die demographische Struktur der Gesellschaft, die den Generationenvertrag ins Wanken bringt, und im Grunde, neben der Arbeitslosigkeit, Ursprung vieler Probleme ist. Ohne die Reform der Sozialversicherung, welche die Basis unseres deutschen Sozialstaats darstellt und welche uns in der ganzen Welt hat berühmt werden lassen, da sie lange Zeit das Positivste war, was unser Land vorzuweisen hatte, wird es mit dem Sozialstaat Deutschland langsam aber sicher bergab gehen.
„Die Versorgung Hilfsbedürftiger, Kranker, Siecher und Alter war für die menschliche Gesellschaft stets eine besondere Herausforderung. Die Natur hat für deren Bewältigung keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen. Das gilt noch weit mehr für die Teilhabe der generell Schwächeren am großen Kuchen - der Langsameren, Schwerfälligeren, Ungeschickteren, Ideenloseren oder Beziehungsärmeren.“1
Aber letztlich sind dies doch Eigenschaften und Merkmale von Entwicklung und zeichnen eine funktionierende Demokratie und Gesellschaft aus. Im Folgenden soll geklärt werden, was Sozialstaaten kennzeichnet, insbesondere den deutschen und wie sie entstanden sind. Weiterhin, was zur Krise des deutschen Sozialstaats beigetragen hat und es sollen Lösungen aufgezeigt werden, welche Wege aus dieser Krise führen bis hin zur Sicherung der sozialen Systeme.
Inhalt
0. Einleitung
I. Theoretische Grundlagen
I. 1. Definition Wohlfahrtsstaat und Sozialstaat
I. 2. Grundlagen, Strukturprinzipien und Funktionen des Sozialstaats
II. Geschichte des Sozialstaats
II. 1. Aufbau der Sozialversicherung im Wilhelminischen Kaiserreich
II. 2. Die Zeit der Weimarer Republik
II. 3. Die NS-Zeit
II. 4. Im Nachkriegsdeutschland
II. 5. Die Zeit der Großen Koalition
II. 6. Sozial-liberale Koalition
II. 7. Die Ära Kohl
II. 8. Die Agenda 2010
III. Typen des Sozialstaats
III. 1. Der deutsche Sozialstaat
IV. Krise und Kritik
IV. 1. Aushöhlung des Normalarbeitsverhältnisses
IV. 2. Auslösung der Normalfamilie
IV. 3. Globalisierung
V. Notwendige Reformen des Sozialstaats
V. 1. Reform der Allgemeinen Krankenversicherung
V. 2. Die Grundeinkommensversicherung
V. 2. 1. Renten
V. 2. 2. Arbeitslosengeld
V. 2. 3. Kindergeld
V. 2. 4. Erziehungsgeld
V. 2. 5. Krankengeld
V. 2. 6. Ausbildungsgeld
V. 2. 7. Grundsicherung
V. 3. Das Bürgergeld
V. 4. Subventionierung des Niedriglohnsektors
V. 4. 1. Lohnergänzende Zuschüsse
V. 4. 2. Subventionierung der Sozialversicherungsbeiträge
V. 4. 3. Reform der Sozialhilfe
V. 5. Senkung der Lohnnebenkosten
VI. Fazit
VII. Literaturverzeichnis
O. Einleitung
Bei genauer Betrachtung ist die Metapher vom Umbaus des Sozialstaats eigentlich eher unangebracht, denn umgebaut wurde unser Sozialstaat schon seit je her. Jedoch soll heute mit „Umbau des Sozialstaats“ wahrscheinlich eher ausgedrückt werden, dass es nicht um kleine Korrekturen des Systems geht, sondern vielmehr um einschneidende Maßnahmen. Einigen in der Reformdebatte scheint es sogar nicht nur um die Veränderungen im System zu gehen, sondern vielmehr um eine Änderung des Systems. Bei den lautstarken Rufen von Seiten der Arbeitgeber ist sogar anzunehmen, dass ihrerseits versucht wird, die ungünstige Situation am Arbeitsmarkt auszunutzen. Die Frage an dieser Stelle ist jedoch, ob dies nicht die gesellschaftliche Integration durcheinander bringt. Es müssen also Gründe gefunden werden, die einen Umbau des Sozialstaats offensichtlich werden lassen, weitab von den Interessen von Verbänden.
Solche Gründe wären z. B. die demographische Struktur der Gesellschaft, die den Generationenvertrag ins Wanken bringt, und im Grunde, neben der Arbeitslosigkeit, Ursprung vieler Probleme ist. Ohne die Reform der Sozialversicherung, welche die Basis unseres deutschen Sozialstaats darstellt und welche uns in der ganzen Welt hat berühmt werden lassen, da sie lange Zeit das Positivste war, was unser Land vorzuweisen hatte, wird es mit dem Sozialstaat Deutschland langsam aber sicher bergab gehen.
„Die Versorgung Hilfsbedürftiger, Kranker, Siecher und Alter war für die menschliche Gesellschaft stets eine besondere Herausforderung. Die Natur hat für deren Bewältigung keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen. Das gilt noch weit mehr für die Teilhabe der generell Schwächeren am großen Kuchen - der Langsameren, Schwerfälligeren, Ungeschickteren, Ideenloseren oder Beziehungsärmeren. “[1]
Aber letztlich sind dies doch Eigenschaften und Merkmale von Entwicklung und zeichnen eine funktionierende Demokratie und Gesellschaft aus.
Im Folgenden soll geklärt werden, was Sozialstaaten kennzeichnet, insbesondere den deutschen und wie sie entstanden sind. Weiterhin, was zur Krise des deutschen Sozialstaats beigetragen hat und es sollen Lösungen aufgezeigt werden, welche Wege aus dieser Krise führen bis hin zur Sicherung der sozialen Systeme.
I. Theoretische Grundlagen
I. 1. Definition Wohlfahrtsstaat und Sozialstaat
Sozialstaat, soziale Sicherung und Sozialpolitik haben zwar miteinander zu tun und gehören zusammen, sind jedoch nicht identisch. Sozialpolitik ist ein Mittel, um soziale Benachteiligung durch Politik auszugleichen und finanzielle Aufwendungen spielen hier eine Rolle, der Sozialstaat ist eine Zielprojektion und für den Schutz des Einzelnen zuständig und die soziale Sicherung stellt hierfür den institutionellen Rahmen zur Verfügung. Sozialpolitik schuf den Sozialstaat, wobei angemerkt werden muss, dass jeder moderne Nationalstaat Sozialpolitik betreibt, Qualität und Quantität dieser machen ihn jedoch erst zum Sozialstaat.[2] Also
„Sozialstaat bezeichnet nicht die ,Substanz’ des Staates oder ein Organisationsprinzip der Herrschaft durch den Staat, sondern nur die Regelungsform für einen Teilbereich, wenn auch einen zentralen.“[3]
Die Trennung der Begriffe Wohlfahrtsstaat und Sozialstaat ist sinnvoll, denn sie drückt aus, dass es sich um unterschiedliche Systeme sozialer Absicherung handelt, weiterhin drückt der Begriff Sozialstaat nicht ein „Organisationsprinzip der Herrschaft durch den Staat […] sondern nur die Regelungsform für einen wichtigen Teilbereich“[4] aus. Soziapolitik beschränkt sich auf einen bestimmten Bereich der Politik, was auf den Wohlfahrtsstaat nicht zutrifft.[5] Man kann sagen, dass der Begriff des Sozialstaats weiter gefasst ist und auch eindeutiger definiert wird, als der des Wohlfahrtsstaats. Weiterhin impliziert der Begriff des Sozialstaats nicht nur Sozialleistungen, sondern auch die rechtliche Einklagbarkeit von Ansprüchen, was den Einzelnen von der Willkür der Fürsorge befreit.[6] Nach Kaufmann sollte von einem Wohlfahrtsstaat erst dann gesprochen werden, wenn
„soziale Sicherungssysteme und soziale Dienstleistungen immer weitere Bevölkerungskreise und tendenziell die Gesamtbevölkerung […] erfassen und insoweit Arbeitnehmer staatlich gewährleistete Rechte einklagen können, die sie vor Ausbeutung im Arbeitsverhältnis schützen.“[7]
Bleibt zu sagen, dass der Sozial- und Wohlfahrtsstaat die Bürger gegen die größten Risiken schützt und ihnen Unterstützung zukommen lässt, durch einen gesellschaftlichen Konsens soll soziale Gleichheit sichergestellt werden.[8]
I. 2. Grundlagen, Strukturprinzipien und Funktionen des Sozialstaats
Auf die bürgerlichen Rechte im 18. Jahrhundert und die politischen Rechte im 19. Jahrhundert folgten im 20. Jahrhundert die sozialen Rechte. Sozialpolitik ist also ein Produkt der Moderne; wenn die Armen im Mittelalter auf karikative Zuwendung angewiesen waren, so wurden sie in der Moderne zu Adressaten politischer Eingriffe. Sozialpolitik bewirkte eine Modernisierung der Gesellschaft, denn sie schaffte Voraussetzungen für neue Produktionsformen, Lebensformen und neue Geschlechter- und Generationenverhältnisse. Somit ist sie als ein Fundament der modernen Gesellschaft zu betrachten. Sie ist somit auch nicht von den heutigen Verhältnissen zu trennen. Durch sie wird Arbeitskraft reproduziert und die Massen werden befriedigt. Sie stärkt also die Kontrolle des Kapitals über die Produktion (und so auch indirekt den Klassenkonflikt), aber sie stärkt ebenfalls die Position der Arbeiter und ermöglicht es ihnen sich dem Kapital zu widersetzen.
Sozialstaaten unterliegen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, sowie konjunkturellen Schwankungen. Gleichheit konnte der Sozialstaat bisher nie wirklich erreichen, aber er hat dazu beigetragen Ungleichheit abzubauen. Weiterhin verbindet der Sozialstaat Familie, Markt und Staat miteinander und bewirkt, dass sich der Kapitalismus entfalten kann, ohne sich der Verantwortung für die Schwachen und Benachteiligten zu entziehen; also wird keiner in seiner Existenz durch das Gewinnstreben des Anderen eingeschränkt oder gefährdet.[9]
II. Geschichte des Sozialstaats
II. 1. Aufbau der Sozialversicherung im Wilhelminischen Kaiserreich
Einen genauen historischen Startzeitpunkt für sozialstaatliche Tätigkeit gibt es eigentlich nicht, man kann jedoch sagen, dass sozialstaatliche Tätigkeit mit Beginn des Industriezeitalters an Dynamik gewann.[10] Davor, in der mittelalterlichen und feudalen Gesellschaft, waren die Menschen, wenn sie krank und alt waren, auf die Hilfe ihrer Familie, auf die kommunale Armenfürsorge, auf Sicherungseinrichtungen der Zünfte und Gilden oder auf kirchliche, betrieblich und genossenschaftliche Unterstützung angewiesen. Mit der Abschaffung der Leibeigenschaft, mit dem Machtverlust der Zünfte und mit der lohnabhängigen Arbeit war eine Veränderung der Sozialstruktur verbunden, was auch bedeutete, das traditionelle Sicherungsformen nicht mehr länger Bestand hatten und sich die Lage der Industriearbeiter verschlechterte; so reichte der Lohn der Arbeiter oft nicht aus, um die ganz Familie zu ernähren. Die Massenarmut sorgte auch für ein erhöhtes Konfliktpotential und eine staatliche Lösung war von Nöten. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen hatten jedoch auch unterschiedliche Lösungsansätze für die Probleme. Die erste konstruktive Idee, neben eher kurzsichtigen Vorschlägen, wie der Rückkehr zur Ständegesellschaft und der Repression der Arbeiterschaft, lieferte Lorenz von Stein, der auch zuerst den Begriff des Sozialstaats prägte. Er fürchtete Unruhen zwischen den Arbeitern und den Besitzenden der Gesellschaft und warnte vor einem Klassenkampf, wie es ihn in England und Frankreich gegeben hatte. Deshalb kam von ihm auch die Forderung nach staatlichem Eingreifen in den Konflikt.[11] Zunächst widmete sich der Staat dem Schutz von Kindern und Jugendlichen, so wurden Kinder- und Jungendschutzgesetzte erlassen, die Kinderarbeit einschränkten oder ganz untersagten. Später wurden auch erwachsenen Arbeitnehmern sozialstaatliche Gesetze zuteil, in Form der Gewerbeaufsicht, der Unfallversicherung und der Mitbestimmung. Es entstanden Selbsthilfekassen, die an Traditionen des Handwerks anknüpften und Arbeiter und Gesellen im Falle von Arbeitsunfähigkeit, Invalidität, Alter und Arbeitslosigkeit absichern sollten.[12]
1881 wurde in der Kaiserlichen Botschaft festgehalten, dass die Bevölkerung ein Anrecht auf materielle Absicherung hat, dies war die Gründung des Sozialstaats. Der Staat verpflichtete sich für die Versorgung der Untertanen Sorge zu tragen (man muss an dieser Stelle jedoch erwähnen, dass es maßgeblich die Angst vor dem sozialistischen Gedankengut war, die die Politik zu diesem Schritt veranlasste, um den Sozialismus zurückzudrängen). Unter dem damaligen Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck entstand die Sozialversicherung; es entwickelte sich die Krankenversicherung (1883), die Unfallversicherung (1884) und die Alters- und Invalidenversicherung (1889). Bismarcks Sozialgesetzgebung war jedoch auf Arbeitnehmer ausgelegt und grenzte jene aus, die nicht erwerbstätig waren, aus Gründen wie Krankheit und Alter. Die Versicherung, der jeder Arbeiter beitreten musste, zahlte auch nicht im Fall von Arbeitslosigkeit. Finanziert wurde die Versicherung durch Reichszuschüsse und den (weitaus höheren) Zahlungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber.[13]
II. 2. Die Zeit der Weimarer Republik
Mit der Weimarer Verfassung kam es zu einem deutlichen Qualitätssprung in der Sozialgesetzgebung, da diese in der Verfassung festgeschrieben wurde.[14] Jedoch kann man sagen, dass auf die Phase des Aufbaus (1918-1927), die Phase des Abbaus folgte. Unter der Weimarer Koalition (SPD, Zentrum und DDP) nahmen sozialstaatliche Maßnahmen zu, doch die Folgen des Krieges und die wirtschaftlich desolate Situation überforderten die Sozialkassen.[15] 1923/24 stand die Sozialversicherung vor dem Bankrott, auch wegen der hohen Inflation, die vor allem die Rentenversicherung stark belastete.[16]
Der Kreis der anspruchsberechtigten Personengruppen erweiterte sich, das Vorsorgeprinzip der Krankenversicherung schloss auch die Frauen und Kinder der Arbeitnehmer mit ein. Es wurde ein Gesetz über die Arbeitslosenversicherung verabschiedet, die jedoch mit der Weltwirtschaftskrise 1928/29 an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stieß. Das Sozialprodukt verringerte sich bis 1933 kontinuierlich, die Sozialleistungsnachfrage war jedoch hoch, was durch hohe Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne verstärkt wurde, da die noch Beschäftigten nicht mehr in einem so hohen Maße belastet werden konnten. Somit wurde das Sozialversicherungssystem unfinanzierbar.[17]
II. 3. Die NS-Zeit
Das Sozialversicherungssystem zur Zeit des Nationalsozialismus war zweigeteilt; zum einen erhielten deutsche Volksgenossen mehr Zuwendungen, zumindest bis der 2. Weltkrieg ausbrach, zum anderen erhielten Gegner des Regimes, wie Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten, weniger Zuwendungen. Menschen, die nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörten wurden ausgegrenzt. Die Probleme der Sozialversicherungen lösten sich durch steigende Wachstumsraten der Wirtschaft und durch sinkende Arbeitslosenzahlen. Die Konsolidierung der Kassen sorgte zudem für steigende Mitgliederzahlen. Trotzdem ging die Bedeutung der Sozialpolitik zurück und es wurde vermehrt Augenmerk auf die Rüstungs-, die Wirtschafts- und die Beschäftigungspolitik gelegt.[18] Überschüsse in der Arbeitslosenversicherung wurden in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gesteckt und Gelder aus der Rücklagenbildung flossen in die Rüstung.[19] Die Nationalsozialisten schafften die Selbstverwaltung der Sozialversicherung ab und schafften eigene Wohlfahrtsvereine, welche vor allem Linientreuen „Volksgenossen“ gewogen waren. Die Arbeitslosenversicherung wurde in ihrer ursprünglichen Form abgeschafft, so wurde das Versicherungsprinzip durch das Fürsorgeprinzip ersetzt, außerdem wurden die Anspruchsvoraussetzungen hier und auch in der Unfallversicherung verschärft.[20] Nach Ende des Krieges waren alle sozialstaatlichen Systeme bankrott, die Aufrechterhaltung in den Nachkriegsjahren war nur durch immense öffentliche Zuschüsse möglich.[21]
II. 4. Im Nachkriegsdeutschland
Das Wirtschaftswunder änderte die Ausgangslage der Sozialkassen völlig, Verteilungsspielräume wuchsen. Die Rentner bildeten eine stark gefährdete Gruppe, was sich jedoch 1956/57 mit der Rentengesetzgebung der „großen Sozialreform“ ändern sollte, denn der Lebensstandard sollte auch im Alter gesichert sein.[22] Finanziert wurde die Rentenreform durch den Generationenvertrag.[23] Von nun an waren die Sicherungssysteme nicht mehr statisch, sondern dynamisch (Anpassung an die Entwicklung der Bruttolöhne), das Prinzip der Beitragsgerechtigkeit wurde eingeführt und das Leistungsniveau wurde angehoben. Später wurde die Dynamisierung, die dafür gesorgt hatte, dass die Renten anstiegen, auch auf die Unfallversicherung und die Arbeitslosenversicherung übertragen.[24] 1961 folgte das Bundessozialhilfegesetz, welches ein menschenwürdiges Dasein garantieren sollte. Die damaligen wirtschaftlichen Begleitumstände ermöglichten den quantitativen und qualitativen Höhepunkt der Sozialversicherung und die Expansion derselben schien vertretbar.[25]
II. 5. Die Zeit der Großen Koalition
Während der Rezession der 1960er Jahre kam es durch Arbeitslosigkeit zu vermehrten Finanzierungsproblemen der Sozialversicherung; Beitragseinnahmen gingen zurück und der Anstieg der Senioren erforderte eine Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge, als Ausgleich die entstandenen Defizite. Weiterhin wurden Gesetze dahingehend verändert, dass die Privilegierung der Angestellten gegenüber Arbeitern abnahm.[26] Mit dem Stabilitätsgesetz von 1967 und dem Arbeitsförderungsgesetz von 1969 wurde Beschäftigungspolitik zur Aufgabe des Sozialstaats.[27]
II. 6. Sozial-liberale Koalition
Auch 1972 gab es eine umfassende Rentenreform, die eine Rente nach Mindesteinkommen, eine Expansion der Rentenversicherung, d.h. eine Öffnung der Rentenversicherung für Studenten, Hausfrauen, Selbständige und Behinderte, Vorverlegung der Rentenanpassung und die Einführung einer flexiblen Rentenaltersgrenze beinhaltete. Die Rezession von 1974/75 ließ die Zahl der Arbeitslosen steigen und die Einnahmen der Sozialversicherungen zurückgehen. Die ökonomische Belastbarkeit schien überschritten und mit dem Haushaltsstrukturgesetz von 1975 trat eine Kehrtwende, hin zu einer Sparpolitik, ein. Es wurde bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik, bei Weiterbildungsmaßnahmen, der Ausbildungsförderung, ein Jahr später auch bei der Renten- und Krankenversicherung gekürzt. So wurde die Rentenanpassung verzögert und von 1979-1981 sogar ganz ausgesetzt. Ebenfalls wurde bei der Arbeitslosenversicherung eingespart, sowie im Bereich des Kindergeldes, der Familienförderung und bei den Sozialleistungen. Gleichzeitig wurden Sozialbeiträge erhöht und die rechtlichen Voraussetzungen für das Beziehen von Leistungen wurden verschärft.[28]
II. 7. Die Ära Kohl
Die von der sozial-liberalen Koalition begonnen Maßnahmen wurden auch unter Kanzler Kohl fortgesetzt. Mit den Haushaltsbegleitgesetzten in den Jahren 1983 und 1984 sollten weitere Einsparungen im Bereich der Ausbildungsförderung, der Sozialhilfe, des Arbeitslosengeldes und der Rentenpolitik erfolgen. Jedoch wendete sich die Sozialpolitik den Familien zu, so wurden das Erziehungsgeld und der Erziehungsurlaub eingeführt; Frauen konnten sich die Erziehungszeiten auf die Rentenansprüche anrechnen lassen. Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse wurden flexibilisiert, mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz wurden befristete Arbeitsverhältnisse eingeführt. Eine weitere wichtige Reform war die Rentenreform von 1992, die sich mit der Umstrukturierung der Alterssicherung angesichts der veränderten Bevölkerungsstruktur befasste, Maßnahmen zur Sicherung der Renten wurden hiermit eingeleitet.[29]
[...]
[1] Miegel (2005: FAZ).
[2] Vgl. Butterwegge (1999: S. 11/12).
[3] Koch (1995: S. 43).
[4] Münch (1997: S. 14).
[5] Vgl. Münch (1997: S. 14).
[6] Vgl. Butterwegge (1999: S. 12/13).
[7] Kaufmann (1994: S. 31).
[8] Vgl. Butterwegge (1999: S. 15).
[9] Vgl. Butterwegge (1999: S. 15-18).
[10] Vgl. Döring (2004: S. 11).
[11] Vgl. Pilz (2004: S. 21-23).
[12] Vgl. Döring (2004: S. 12-16).
[13] Vgl. Pilz (2004: S. 24-26).
[14] Vgl. Schmidt (1998: S. 51).
[15] Vgl. Pilz (2004: S. 27/28).
[16] Vgl. Schmidt (1998: S. 48).
[17] Vgl. Pilz (2004: S. 28/29).
[18] Vgl. Pilz (2004: S. 30/31).
[19] Vgl. Döring (2004: S. 27/28).
[20] Vgl. Pilz (2004: S. 30-32).
[21] Vgl. Döring (2004: S. 28).
[22] Vgl. Döring (2004: S. 28/29).
[23] Vgl. Pilz (2004: S. 34).
[24] Vgl. Döring (2004: S. 29-31).
[25] Vgl. Pilz (2004: S. 35/36).
[26] Vgl. Pilz (2004: S. 36/37).
[27] Vgl. Döring (2004: S. 32).
[28] Vgl. Pilz (2004: S. 37-39).
[29] Vgl. Pilz (2004: S. 40/41).
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