Deutschland als Vorreiter im Anglisierungsprozess
Aussagen wie diesen ist methodisch fast nicht nachzukommen, da sie nach zuverlässigen Statistiken verlangen, die keiner liefern kann. In einem Artikel in der Muttersprache von 2004 legt Adler eine Studie offen, die schwedische und deutsche Tageszeitungen miteinander vergleicht. Dabei ergeben sich eine etwa gleiche Anzahl von Anglizismen und nur minimale Unterschiede in der Art der Entlehnung. Derartige Untersuchungen können jedoch nicht für Allaussagen missbraucht werden, denn sie unterliegen unterschiedlichen Einschränkungen und Annahmen. Dies betrifft vor allem den Untersuchungsgegenstand, der, um eine Aussage wie in Punkt 1 überhaupt treffen zu können, gerade auch die gesprochene Sprache mit einbeziehen muss. Diese wird aber weder durch Wörterbücher noch durch Zeitungen, Zeitschriften oder andere Schriftstücke vollständig repräsentiert (zur Problematik von Wörterbüchern, die nur Einheiten der langue wiedergeben, siehe Niehr). Das beste Beispiel hierfür ist Frankreich: Obwohl die Wörterbücher keine Anglizismen aufführen und es auch keine englischsprachigen Ausdrücke in den Zeitungen gibt, ist die Realität in der Gemeinsprache eine andere. Die Tatsache, dass Anglizismen in französischen Publikationen bei Geldstrafe verboten sind, bedeutet mitnichten, dass es in Frankreich keine Anglizismen gibt.
Weiterhin sind Statistiken für einige Störfaktoren anfällig, wie etwa die stark differierenden Definitionen von Anglizismen, Fremdwörtern und Lehnwörtern. Unterschiede entstehen vor allem da, wo Wörter bereits mehrere Sprachen durchlaufen oder sich stark verändert haben und somit etymologisch nicht mehr eindeutig klassifizierbar sind. Hinzu kommen die individuelle Auswahl der Kriterien für die Analyse (werden so genannte ‚Scheinentlehnungen’ auch mitgezählt?) und teilweise fehlende Angaben über die Worthäufigkeit und damit über die Type-Token-Relation. Gravierend scheint auch die Frage nach der Größe von Sprechergemeinschaft und Gesamtwortschatz, ist es doch überaus wichtig, die Anzahl der Fremdwörter damit in Relation zu setzen. 4500 Anglizismen innerhalb der deutschen Sprechergemeinschaft wären beispielsweise relativ weniger als 4500 in der dänischen.
Der Verein Deutsche Sprache kritisch betrachtet
Einleitung
Sprachkritische Themen der Gegenwart sind nach Schiewe die Verwissenschaftlichung der Alltagssprache, die phrasenhafte Sprache in der Politik, die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie internationale Plastikwörter im Sinne Pörksens. Nicht selten bauen diese Themen auf einem allgemeinen Pessimismus auf, aus dem sich auch der Topos des Sprachverfalls herausgebildet hat. Schon seit dem 16. Jahrhundert gibt es Sprachpuristen, die für ein reines Deutsch in der Gemein- und Wissenschaftssprache kämpfen. Abhängig von der jeweiligen Epoche und der damit zusammenhängenden politischen sowie wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage Deutschlands, wehrten sie sich gegen griechische, lateinische und französische Einflüsse.
Mittlerweile haben wir uns an die Entlehnungen aus alten Zeiten gewöhnt und wenden uns der nächsten Fremdwortflut, den Anglizismen, zu. Die Gründe für das Englische als lingua franca liegen auf der Hand: Die Vormachtstellung Amerikas und sein Einfluss auf sämtliche Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens.
Kritisiert wird diese Entwicklung vor allem von dem Verein Deutsche Sprache (VDS), der seit 1997 in dieser Form existiert und vehement gegen die sog. ‚überflüssigen’ Anglizismen argumentiert. Der Verein setzt sich hauptsächlich aus linguistischen Laien zusammen und untermauert seine Glaubwürdigkeit mit einem wissenschaftlichen Gremium, das gelegentlich scheinbar wissenschaftliche Überlegungen veröffentlicht. Laut Aussage des Vereins sind einige dieser Argumentationen, die in früheren Arbeiten von Sprachwissenschaftlern als nicht wissenschaftlich entlarvt wurden, inzwischen hinfällig und durch neue ersetzt worden (vgl. Zabel). Der aktuellste Stand ist demnach auf der Internetseite des Vereins, auf die ich mich im Folgenden beziehen werde, nachzulesen. Es gilt zu überprüfen, ob diese überarbeiteten Aussagen mittlerweile einer sprachwissenschaftlichen Analyse standhalten und tatsächlich an Beweiskraft gewonnen haben. Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht ein frei zusammengestellter Auszug aus den Leitlinien und der Gründungserklärung des VDS:
1) Die Anglisierung und Amerikanisierung ist in den deutschsprachigen Ländern weiter fortgeschritten als in anderen.
2) Es gibt derzeit mehr angloamerikanische Fremdwörter als damals lateinische oder französische.
3) Anglizismen behindern die Verständigung und diskriminieren somit Menschen mit schlechten Englischkenntnissen (namentlich Ostdeutsche und alte Menschen). Dies widerspricht dem Gedanken der Demokratisierung.
4) Die Veränderungen betreffen mittlerweile auch die Grammatik und Wortbildung.
Zu Punkt 1: Deutschland als Vorreiter im Anglisierungsprozess
Aussagen wie diesen ist methodisch fast nicht nachzukommen, da sie nach zuverlässigen Statistiken verlangen, die keiner liefern kann. In einem Artikel in der Muttersprache von 2004 legt Adler eine Studie offen, die schwedische und deutsche Tageszeitungen miteinander vergleicht. Dabei ergeben sich eine etwa gleiche Anzahl von Anglizismen und nur minimale Unterschiede in der Art der Entlehnung.
Derartige Untersuchungen können jedoch nicht für Allaussagen missbraucht werden, denn sie unterliegen unterschiedlichen Einschränkungen und Annahmen.
Dies betrifft vor allem den Untersuchungsgegenstand, der, um eine Aussage wie in Punkt 1 überhaupt treffen zu können, gerade auch die gesprochene Sprache mit einbeziehen muss. Diese wird aber weder durch Wörterbücher noch durch Zeitungen, Zeitschriften oder andere Schriftstücke vollständig repräsentiert (zur Problematik von Wörterbüchern, die nur Einheiten der langue wiedergeben, siehe Niehr). Das beste Beispiel hierfür ist Frankreich: Obwohl die Wörterbücher keine Anglizismen aufführen und es auch keine englischsprachigen Ausdrücke in den Zeitungen gibt, ist die Realität in der Gemeinsprache eine andere. Die Tatsache, dass Anglizismen in französischen Publikationen bei Geldstrafe verboten sind, bedeutet mitnichten, dass es in Frankreich keine Anglizismen gibt.
Weiterhin sind Statistiken für einige Störfaktoren anfällig, wie etwa die stark differierenden Definitionen von Anglizismen, Fremdwörtern und Lehnwörtern. Unterschiede entstehen vor allem da, wo Wörter bereits mehrere Sprachen durchlaufen oder sich stark verändert haben und somit etymologisch nicht mehr eindeutig klassifizierbar sind. Hinzu kommen die individuelle Auswahl der Kriterien für die Analyse (werden so genannte ‚Scheinentlehnungen’ auch mitgezählt?) und teilweise fehlende Angaben über die Worthäufigkeit und damit über die Type-Token-Relation.
Gravierend scheint auch die Frage nach der Größe von Sprechergemeinschaft und Gesamtwortschatz, ist es doch überaus wichtig, die Anzahl der Fremdwörter damit in Relation zu setzen. 4500 Anglizismen innerhalb der deutschen Sprechergemeinschaft wären beispielsweise relativ weniger als 4500 in der dänischen.
Zu Punkt 2: Mehr Anglizismen als Gallizismen oder Latinismen
Auch hier drängt sich wieder die Frage auf, wie sich eine solche Aussage methodisch belegen lässt. Wie eben schon gesehen, helfen Statistiken nicht weiter, denn wenn man die Anzahl der Anglizismen in der deutschen Sprache nicht zuverlässig bestimmen kann, so auch nicht die der Gallizismen oder Latinismen. Untersuchungen wie die von Kirkness (2001), in denen sich je nach Wörterbuch entweder das Griechische oder das Englische als dominante Gebersprache herausstellt, sind daher wiederum mit Vorsicht zu genießen.
[...]
- Quote paper
- M.A. Emily Nestler (Author), 2005, Der 'Verein Deutsche Sprache' kritisch betrachtet, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70503