Die Abschlussarbeit untersucht, inwiefern Bildschirmspiele ein Konkurrent zum Bücherlesen bei Jungen sind. Basierend auf dem bisherigen Forschungsstand soll weiterhin folgenden Fragen nachgegangen werden: Wie hängt die Nutzung von Bildschirmspielen bei Jungen mit ihren Lesegewohnheiten sowie ihrer Leselust zusammen? Welchen Stellenwert hat das Spielen von Bildschirmspielen verglichen mit dem Bücherlesen für Jungen? Was fasziniert sie an Bildschirmspielen gegenüber dem Lesen von Büchern? Um diese Fragen beantworten zu können, wird einerseits das Thema Jungen und Lesen/Bildschirmspiele fachwissenschaftlich beleuchtet. Andererseits wurden Interviews mit Jungen durchgeführt und ausgewertet.
Die Studienergebnisse der Schulleistungsstudie PISA aus dem Jahre 2000 sorgten im gesellschaftlichen Diskurs für Aufruhr und führten zum PISA-Schock, da laut der Ergebnisse circa ein Viertel der getesteten 15-jährigen Schülerinnen und Schüler gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit nur mit minimalen Lesefähigkeiten ausgestattet waren. Das Thema Geschlecht und Lesen erhält seit jeher vermehrte Aufmerksamkeit, da der Leseleistungstest unzureichende Lesekompetenzen und eine fehlende Lesemotivation seitens der Jungen offenlegte. Ähnlich wie in PISA zeigt sich auch in JIM 2017, dass der Stellenwert des Lesens in der Freizeit bei Jungen deutlich geringer ausfällt als bei Mädchen: Lediglich 32% aller getesteten Jungen lesen täglich beziehungsweise mehrmals pro Woche Bücher.
Demgegenüber ist der Anteil an männlichen Nichtlesern mit 24% mehr als doppelt so hoch wie bei Mädchen. Ganz anders sieht das Mediennutzungsverhalten von Jungen im Bereich der Bildschirmspiele aus: Insgesamt 83% der Jungen gaben an, täglich beziehungsweise mehrmalig pro Woche über den Computer oder über tragbare oder stationäre Konsolen wie etwa dem Smartphone oder Tablet zu spielen. Anders gesagt, spielen vier von fünf Jungen, aber nur zwei von fünf Mädchen täglich oder mindestens mehrmals pro Woche Bildschirmspiele.
Diese Befunde legen nahe, dass Bildschirmspiele zunehmend in den Alltag der Jungen integriert sind und im Gegensatz zum Bücherlesen eine große Rolle in ihrer Freizeit spielen. Somit verweisen die Ergebnisse in PISA in Verbindung mit den Befunden der JIM-Studie auf die Problematik hin, dass Jungen in der Regel nicht nur weniger lesekompetent sind, sondern sich in ihrer Freizeit auch lieber Bildschirmspielen statt Printmedien zuwenden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Jungen und Lesen
2.1 Geschlechterdifferenzen beim Lesen
2.2 Lesekrise in der Pubertät im Zusammenhang mit dem Einfluss der peers
2.3 Erklärungsansätze für das Leseverhalten von Jungen
2.3.1 Feminisierung der Lesesozialisation
2.3.2 Mediensozialisation – Veränderungen im Medienangebot
3 Jungen und Bildschirmspiele
3.1 Was sind Bildschirmspiele? – Definition und Klassifizierung
3.2 Nutzungsverhalten in der Freizeit und Spielvorlieben
3.3 Faszination an Bildschirmspielen
4 Forschungsdesign
4.1 Erhebungsmethode: Leitfadeninterview mit Audioaufzeichnung
4.2 Pretest und Fallauswahl
4.3 Untersuchungsverlauf: Interviewumstände und -bedingungen
4.4 Auswertungsmethode: Rekonstruktiver Fallanalyse
5 Auswertung der Interviewstudie
5.1 Bens Medienportrait: „Lesen ist ein wichtiger Teil meines Lebens“
5.2 Marcels Medienportrait: „Wenn ich lese, prahle ich schon damit herum“
5.3 Nicks Kurzportrait „Ich bin nicht so der Lesetyp“
5.4 Toms Kurzportrait „So normal lese ich nicht so viel“
5.5 Queranalyse aller vier Fälle
6 Schlussbetrachtung
7 Literaturverzeichnis
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur
8 Anhang
1 Einleitung
Im Jahr 2000 wurde erstmals die Schulleistungsstudie PISA (Programme for International Student Assessment) von der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) durchgeführt, die im Dreijahresrhythmus unter anderem die Lesekompetenzen im internationalen Vergleich misst. Die Studienergebnisse sorgten im gesellschaftlichen Diskurs für Aufruhr und führten zum „PISA-Schock“, da laut der Ergebnisse circa ein Viertel der getesteten 15-jährigen Schülerinnen und Schüler1 „[…] gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit nur mit minimalen Lesefähigkeiten ausgestattet“ waren (Garbe 2005: 9).
Das Thema Geschlecht und Lesen erhält seit jeher vermehrte Aufmerksamkeit, da der Leseleistungstest offenlegte, „[…] dass es mit der Lesekompetenz und der Lese-motivation von Jungen nicht zum Besten steht“ (Garbe 2014: 4): In allen Teilneh-merstaaten erwiesen sich die Mädchen als lesekompetenter, da sie im Vergleich zu den Jungen im Bereich „Lesekompetenz“ – die Fähigkeit, „ […] geschriebene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, ihren Absichten und ihrer formalen Struk-tur zu verstehen und in einen größeren sinnstiftenden Zusammenhang einordnen zu können, sowie in der Lage zu sein, Texte für verschiedene Zwecke sachgerecht zu nutzen“ (Baumert et al. 2001: 290) – deutlich bessere Testergebnisse und einen Leistungsvorsprung von etwa einer halben Kompetenzstufe erzielten (vgl. Weißen-burger 2009: 8; Garbe 2003b: 14).
Diesen „Gender-Gap“ (Garbe 2014: 4) bestätigt auch die letzte PISA-Studie mit dem Schwerpunkt Lesekompetenz aus dem Jahr 2009, da in allen 65 Ländern, die an der Studie teilgenommen haben, weiterhin die Mädchen wesentlich höhere Le-seleistungen erreichten. Dieser Leistungsunterschied von durchschnittlich 39 Punk-ten Vorsprung für die Mädchen kommt einem Lernfortschritt von circa einem Schuljahr gleich und korreliert mit der Tatsache, dass der Anteil an schwachen Le-sern, deren Ergebnisse unterhalb des Minimalstandards der Stufe zwei liegen, in Deutschland mit 24% unter den Jungen in etwa doppelt so hoch ist wie bei den Mädchen (12,9%). Besonders groß ist der Leistungsrückstand der Jungen dabei im Bereich der kontinuierlichen Texte – also bei reinen Fließtexten – in Verbindung mit komplexeren Aufgabenstellungen, in denen beispielsweise etwas textgebunden reflektiert und bewertet werden soll (vgl. Garbe 2003b: 14; Garbe 2005: 10). Dem-zufolge sind die Jungen im Vergleich zu den Mädchen auf den unteren Kompetenzstufen unverkennbar stark vertreten, auf den oberen wiederum unver-hältnismäßig wenig (vgl. Garbe 2003b: 15). Dies hat sich auch neun Jahre später in der PISA-Studie von 2009 nicht sonderlich verändert; die Werte sind weitestgehend konstant geblieben (vgl. Garbe 2014:4).
Ähnlich problematische Testergebnisse konnten mit Blick auf die Lesemotiva-tion, „[…] also das Ausmaß, der Tätigkeit des Lesens nachgehen zu wollen“ (Phi-lipp 2011: 3) – festgestellt werden, die in der PISA-Studie in die drei Indikatoren „Leseverhalten“, „Lesefreude“ und „Vielfalt der gelesenen Texte“ (vgl. ebd.) un-terteilt wird. Hinsichtlich der Lesefreude – also der Frage danach, welche emotio-nalen Bedeutung das Lesen für die befragten SuS hat – gaben im Vergleich zu PISA 2000 im Jahr 2009 nach wie vor 41% der SuS an, gar nicht gerne zu lesen. Von diesen 41% aller befragten Jugendlichen wiederum sagten 67% der Jungen, aber nur 33% der Mädchen, dass sie in ihrer Freizeit – die Zeit, die den Jugendlichen zur freien Verfügung steht und selbstständig gestaltet werden kann (Berndt 2005: 95) – nicht zum Vergnügen lesen.
Mit Blick auf das Leseverhalten, dazu zählt beispielsweise die Lesehäufigkeit der Jugendlichen in ihrer Freizeit, zeigt sich in puncto „Viellesen“ der gegensätzli-che Trend: 70% der Mädchen und nur 30% der Jungen gaben an, dass sie täglich mindestens zwei Stunden lesen würden (vgl. ebd.).
Diese markanten Ergebnisse lassen zum einen deutlich werden, dass scheinbar bei einer Vielzahl von Jungen keine stabilen Lesegewohnheiten existieren, ein ge-ringes Interesse am Lesen besteht und Leselust, Leseverhalten und Lesekompetenz miteinander zusammenhängen (vgl. Weißenburger 2009: 10).
Zum anderen führen diese Befunde aber im gesellschaftlichen Diskurs rasch dazu, dass die biologischen Geschlechter tendenziell generalisiert und Jungen als Bildungsverlierer und Risikogruppe beim Lesen vereinheitlicht werden (vgl. Phi-lipp 2015a: 461). Dementsprechend weist Maik Philipp, Professor für Deutschdi-daktik an der Pädagogischen Hochschule Zürich, in seinem Beitrag „Lesen und Ge-schlecht 2.0“ unter Bezugnahme auf internationale Studien darauf hin, dass PISA nicht die einzige Studie sei, die das Leseverstehen der SuS untersuche und sich diese enormen Geschlechterunterschiede in PISA nicht ausnahmslos so feststellen ließen (vgl. 2011: 2). Jungen seien mehr als nur ein Geschlechtswesen (ebd.: 20) und vorrangig „[…] ein Individuum mit einer ganz besonderen Biografie, besonde-ren Eigenschaften, Fähigkeiten und Vorlieben […]“ (Garbe 2014: 5).
Demnach kann allein aufgrund des männlichen Geschlechts im Hinblick auf das Leseverstehen nicht pauschal von einem Risikofaktor gesprochen werden. Aller-dings liefern die PISA-Ergebnisse deutliche Hinweise darauf, dass gerade das männliche Geschlecht im Zusammenhang mit der sozialen Herkunft die Leistungs-schere im Bereich Lesekompetenz öffnet (vgl. Philipp 2013: 298, 310f.; Philipp 2011: 17). Infolgedessen wiesen vor allem getestete Jungen mit Migrationshinter-grund und/oder aus bildungsfernen Sozialschichten Defizite in ihren Leseleistungen auf (vgl. Garbe 2014: 4).
Diese Befunde spiegeln sich auch in den JIM-Studien (Jugend, Information und (Multi)-Media) wider, die jährlich in Deutschland vom Medienpädagogischen For-schungsverbund herausgegeben werden und das Medien- und Freizeitverhalten von Jugendlichen im Alter von zwölf bis 19 Jahren messen. Ähnlich wie in PISA 2000 und 2009 zeigt sich auch in JIM 2017, dass der Stellenwert des Lesens in der Frei-zeit bei Jungen deutlich geringer ausfällt als bei Mädchen: 49% aller getesteten Mädchen, aber lediglich 32% aller getesteten Jungen lesen täglich bzw. mehrmals pro Woche Bücher. Demgegenüber ist der Anteil an männlichen Nichtlesern mit 24% mehr als doppelt so hoch wie bei Mädchen, von denen 11% angaben nie zu lesen (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2017: 14, 20).
Ganz anders sieht das Mediennutzungsverhalten von Jungen im Bereich der Bildschirmspiele aus: Insgesamt 83% der Jungen gaben an, täglich bzw. mehrmalig pro Woche „[…] über den Computer […] [oder] über tragbare oder stationäre Kon-solen […]“ (ebd.: 48) wie etwa dem Smartphone oder Tablet sowohl Online- als auch Offlinespiele zu spielen. Bei Mädchen fällt der Anteil deutlich geringer aus und beläuft sich auf 41%. Anders gesagt, spielen vier von fünf Jungen, aber nur zwei von fünf Mädchen täglich oder mindestens mehrmals pro Woche Bildschirm-spiele (vgl. ebd.).
Diese Befunde legen nahe, dass Bildschirmspiele zunehmend in den Alltag der Jungen integriert sind und im Gegensatz zum Bücherlesen eine große Rolle in ihrer Freizeit spielen. In diesem Zusammenhang spricht Dr. Christine Garbe – Professo-rin am Institut für deutsche Sprache und Literatur II an der Universität zu Köln – von einer „geschlechterspezifischen Polarisierung“ und einem „medialen Substitu-tionsphänomen“ seitens der Jungen. Sie ist der Ansicht, dass die Beliebtheit des Lesens bei den Mädchen mit wachsender Tendenz der Beliebtheit von Bildschirm-spielen bei den Jungen entspreche (vgl. 2003b: 25f.).
Somit verweisen die Ergebnisse in PISA in Verbindung mit den Befunden der JIM-Studie auf die Problematik hin, dass Jungen in der Regel nicht nur weniger lese-kompetent sind, sondern sich in ihrer Freizeit auch lieber Bildschirmspielen statt Printmedien zuwenden.
Dies ist insofern beunruhigend, da Lesen eine entscheidende Schlüsselqualifika-tion im gesellschaftlichen Leben darstellt. Durch das Lesen werden einerseits „[…] sprachliche und begriffliche Kompetenzen, Differenzierungen von Perspektiven, emotionale Beteiligung und Konzentration auf das Verstehen ein[ge]übt“ (Hurrel-mann 1994: 21). Andererseits regt das Lesen zum gesellschaftlichen Austausch an. Auch ist der Erwerb von Lesekompetenzen für selbstständiges Lernen, die Aneig-nung von Wissen und Informationen sowie der Meinungsbildung unerlässlich. Le-sen ist somit eine zentrale Kulturtechnik, aber auch Bildungsvoraussetzung für den schulischen Erfolg und beruflichen Werdegang (vgl. Weißenburger 2009: 1, 11; Gattermaier 2003: 66).
Da die Problematik, dass Jungen Printmedien offensichtlich durch digitale Bild-schirmspiele ersetzen, bislang noch nicht eigens untersucht wurde und sich aktuelle empirische Forschungsbefunde überwiegend auf die theoretische Beschreibung dieses Phänomens mithilfe von Leseleistungsstudien sowie Studien zur Nutzung von Bildschirmspielen stützen, soll diese Masterarbeit an dieser Stelle ansetzen.
Vor dem Hintergrund, dass Jungen anscheinend eine große Affinität für Bild-schirmspiele besitzen und das Spielen von Bildschirmspielen dem Lesen von Bü-chern bevorzugen, ist die zentrale Fragestellung, inwiefern Bildschirmspiele ein Konkurrent zum Bücherlesen bei Jungen sind. Basierend auf dem bisherigen For-schungsstand soll weiterhin den Fragen nachgegangen werden, wie die Nutzung von Bildschirmspielen bei Jungen mit ihren Lesegewohnheiten sowie ihrer Leselust und allgemeinen Lesesozialisation zusammenhängt, welcher Stellenwert das Spie-len von Bildschirmspielen verglichen mit dem Bücherlesen für Jungen hat und was sie an Bildschirmspielen gegenüber dem Lesen von Büchern fasziniert.
Um diese Fragen zu beantworten, ist die Masterarbeit zweiteilig aufgebaut: Zu-nächst wird im theoretischen Teil die Thematik Jungen und Lesen (Kapitel 2) sowie Jungen und Bildschirmspiele (Kapitel 3) fachwissenschaftlich näher beleuchtet. Dabei werden die Geschlechterunterschiede beim Lesen mit dem Fokus auf das männliche Geschlecht vorgestellt. Weiterhin wird die Lesekrise in der Pubertät im Zusammenhang mit dem Einfluss der peer group (Gleichaltrigen-Gruppen mit gleichen Interessen) vorgestellt sowie zweierlei Erklärungsansätze, anhand derer sich die Lesegewohnheiten sowie -lust und das vermeintliche Ersetzungsphänomen der Printmedien durch Bildschirmspiele bei Jungen begründen lassen.
Mit Blick auf die Bildschirmspiele soll zunächst definiert und klassifiziert wer-den, was unter Bildschirmspielen zu verstehen ist. Mithilfe aktueller empirischer Befunde wird daraufhin näher auf das freizeitliche Nutzungsverhalten von Jungen sowie deren Spielvorlieben und Ursachen für ihre Faszination an Bildschirmspielen eingegangen.
Im zweiten, empirischen Teil wird das Forschungsdesign sowie die Erhebungs-und Auswertungsmethode vorgestellt. Darauf werden in Kapitel 5 die Fallstudien der 16-jährigen Jugendlichen Ben2 und Marcel in einem ausführlichen Medienpor-trait rekonstruiert. Die Fälle der 16-jährigen Jungen Tom und Nick werden aus Ka-pazitätsgründen in Form von Kurzportraits vorgestellt und anschließend gemein-sam mit den Fallstudien von Ben und Marcel einer Queranalyse hinsichtlich Ge-meinsamkeiten und Unterschiede unterzogen. Die Rekonstruktionen und Falldar-stellungen erfolgen mithilfe von vorab geführten Leitfadeninterviews, in denen die Jungen unter anderem nach ihrem Medien- und Freizeitverhalten befragt werden.
Abschließend werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung im Schluss-kapitel unter Berücksichtigung der Forschungsfragen diskutiert und zusammenge-fasst.
2 Jungen und Lesen
Dieses Kapitel beschäftigt sich wie soeben in der Einleitung erläutert wurde mit den theoretischen Hintergründen zur Thematik Jungen und Lesen und präsentiert Erklä-rungsansätze für den festgestellten Gender-Gap.
2.1 Geschlechterdifferenzen beim Lesen
Die bereits angedeuteten Geschlechterunterschiede zwischen Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern beim Lesen lassen sich anhand der 2007 aufgestellten „fünf Achsen der Differenz“ (vgl. Garbe 2014: 5; Philipp 2011: 2) nach Philipp und Garbe beschreiben. Da Philipp 2011 versucht hat, diesen Achsen eine kritische Revision zu unterziehen, spricht er eher von den „fünf (vermeintlichen) Achsen der Differenz“ (ebd.). Seine Korrektur ist vor allem darauf zurückzuführen, dass wie in der Einleitung beschrieben, die Rede über Geschlechterunterschiede zwischen Mädchen und Jungen beim Lesen seiner Meinung nach zu voreiligen Generalisie-rungen führt, wodurch „die Jungen“ als gefährdete Risikogruppe betrachtet werden.
Diese Achsen untergliedern sich in: 1. Lesefreude und -neigung, 2. Leseweisen und Lektüremodalitäten, 3. Lesequantität und -frequenzen, 4. Lesestoffe und Lek-türepräferenzen sowie 5. Lesekompetenz (vgl. Philipp 2011: 2).
Im Grunde wurden die einzelnen Achsen der Geschlechterdifferenzierung, wenn auch nicht namentlich genannt, mit Ausnahme von „Lesestoffe und Lektürepräfe-renzen“ sowie „Leseweisen und Lektüremodalitäten“ schon in der Einleitung auf-gegriffen. Dementsprechend werden die Achsen unter Berücksichtigung der Revision Philipps nur kurz vorgestellt, um ein näheres Verständnis für die Thematik Jungen und Lesen zu erlangen.
Die Achse „Lesekompetenz“ wurde in Bezug zu den vorgestellten Ergebnissen der PISA-Studie sowie Philipps dazugehörigen Anmerkungen bereits ausreichend in der Einleitung thematisiert. Fest steht nach wie vor: „Die Leseleistungsstudien der vergangenen Jahre zeigen, dass Mädchen besser lesen als Jungen. Speziell bei anspruchsvolleren Aufgaben schneiden sie besser ab“ (ebd.).
In puncto „Lesefreude und -neigung“ stellten Garbe und Philipp heraus, dass Jungen dem Lesen weniger abgewinnen können und sich im Gegensatz zu Mädchen in ihrer Freizeit lieber mit anderen Medienangeboten als dem Lesen von Print-medien, insbesondere Büchern, beschäftigen (vgl. Philipp 2011: 2; Garbe 2015: 5). Auch dieser Aspekt wurde schon in der Einleitung unter Zuhilfenahme der PISA-sowie JIM-Ergebnisse aufgegriffen, die gleichermaßen zeigen, dass der Stellenwert des Bücherlesens bei Jungen deutlich geringer ausfällt als bei Mädchen und sich Jungen in ihrer Freizeit offenbar viel eher mit anderen Medien, wie digitalen Bild-schirmspielen, beschäftigen. Philipps rät in seinem Revisionsbeitrag dennoch da-von ab, verallgemeinernde Aussagen darüber zu treffen, dass Mädchen prinzipiell lieber lesen würden als Jungen. Die Forschungsbefunde aus verschiedenen interna-tionalen Studien zur Lesemotivation – die sich in PISA unter anderem in den hier zu thematisierenden Aspekt „Lesefreude“ ausdifferenzieren lässt – seien diesbezüg-lich nicht eindeutig genug (vgl. Philipp 2011: 7).
Die „Leseweisen- und Lektüremodalitäten“ unterscheiden sich zwischen Jungen und Mädchen insofern, als dass beide Geschlechter anders lesen: Entsprechend der jeweilig bevorzugten Genres lesen Jungen eher sachbezogen und distanziert, Mäd-chen wiederum empathisch sowie gefühlsmäßig involviert (vgl. ebd.: 2; Garbe 2014: 5). Maik Philipp zeigt anhand einer Studie von Werner Graf aus dem Jahr 2007 auf, dass der Lesemodus „intimes Lesen“, bei dem es sich um eine „emotional hoch involvierte, stark auf Identifikation abzielende Form der Lektüre“ (2011: 7) handelt, nicht bei den männlichen Sachtextlesern festgestellt werden konnte und eher mit dem weiblichen Geschlecht assoziiert wird. Demgegenüber trifft der Le-semodus „Konzeptlesen“ – also das Lesen zur Informations- und Bildungsbeschaf-fung – vor allem auf Jungen zu. Anhand dieser Befunde betont Philipp, dass sich zwar Geschlechterdifferenzen feststellen lassen, diese sich aber aufgrund der gerin-gen Anzahl bisheriger existierender Studien nicht zweifelsfrei bestätigen lassen. Mit Ausnahme des „intimen Lesen“ ließen sich das eben genannte „Konzeptlesen“ und alle anderen von Graf genannten Modi sowohl beim männlichen als auch beim weiblichen Geschlecht feststellen – es existieren somit durchaus auch Gemeinsam-keiten hinsichtlich der Leseweisen und Lektüremodalitäten von Jungen und Mäd-chen (vgl. ebd.).
Anknüpfend daran beschreibt die Achse „Lesestoff und Lektürepräferenzen“, dass Jungen und Mädchen unterschiedliche Bücher lesen. Demzufolge tauchen Jun-gen gerne in fremde Welten ein und lesen Fantasy-, Science-Fiction- und Helden-geschichten. Sie präferieren zudem Spannung und Action, Comics, Abenteuer und Kampf sowie äußere Handlungen. Mädchen hingegen favorisieren vor allem realis-tische und problemorientierte Geschichten mit einer inneren Handlung, die einen Bezug zu ihrem eigenen Leben haben. Dazu zählen beispielsweise Ratgeberbücher und Geschichten mit Beziehungsthemen. Ebenso lesen sie fiktionale Literatur wie etwa Romane (vgl. ebd.: 13; Philipp 2013: 456; Garbe 2008: 311; Garbe 2014: 5; Eggert und Garbe 2003: 78f.). Philipp unterstreicht die Tatsache, dass Mädchen scheinbar eine große Vorliebe für fiktionale Literatur haben, relativiert aber, dass die Genrepräferenzen beider Geschlechter in erster Linie individuellen Lesevorlie-ben unterliegen. Ebenso belegt er anhand verschiedener Studien, dass in den Klas-senstufen vier bis sechs auch Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern beste-hen, die sich in der gemeinsamen Vorliebe für Abenteuerliteratur und Science-Fiction ausdrücken. In einem neueren Beitrag mit dem Titel „Geschlecht und Lesen“ zeigt er mithilfe einer Studie aus dem Jahr 2008 ebenfalls auf, dass sich von 30 verschiedenen Periodika lediglich bei zehn auffällige Geschlechterdifferenzen fest-stellen ließen und die Unterschiede zwar bestehen, aber nur auf einen kleinen Teil der Lesestoffe zutreffen (vgl. Philipp 2013: 455f.).
Nicht zuletzt gibt es Geschlechterunterschiede im Bereich der „Lesequantität und -frequenz“: Demnach lesen Jungen weitaus seltener, aber auch zeitlich kürzer ver-glichen mit Mädchen. Dementsprechend fällt das Leseverhalten der Jungen quanti-tativ deutlich geringer aus (vgl. ebd.: 2; Garbe 2014: 4). Dies gilt besonders für den Bereich der fiktionalen Genres, die wie bereits in der Achse zuvor erläutert nicht von Jungen präferiert werden. Obgleich Philipp auch dieser Achse eine Revision unterzieht, kommt er zu dem Entschluss, dass die Forschungslage hinsichtlich der Zuwendung zu Printmedien konsistent sei und die vorgestellten Studienbefunde be-legen, dass Mädchen häufiger lesen als Jungen. Nichtsdestotrotz wendet er ein, dass „[...] die Betrachtung einzelner Medien vermutlich zu kurz greift“ (Philipp 2011: 11) und die Zugehörigkeit des Geschlechts zu Mediennutzungsgruppen lediglich ein möglicher Unterscheidungsaspekt von vielen sei. Demgegenüber hätten sozio-demografische, soziale sowie individuelle Merkmale ein stärkeres Gewicht (vgl. ebd.).
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Philipps revidierte Anmerkungen begründet sind und die Ergebnisse seiner Revision „[…]an einigen Stellen zu Differenzierun-gen ein[laden], [aber] an dem Gesamtbild nichts Wesentliches [verändern]“ (Garbe 2014: 5), sodass die fünf Achsen der Geschlechterdifferenzen beim Lesen, wenn auch nicht generalisierbar, bestehen.
2.2 Lesekrise in der Pubertät im Zusammenhang mit dem
Einfluss der peers Wie aus den eingangs referierten Befunden hervorgeht, lesen Jungen in der Regel weitaus weniger bzw. seltener als Mädchen. Ergänzend dazu konnte in einer Viel-zahl von Untersuchungen nachgewiesen werden, dass die Lesehäufigkeit und -in-tensität in den höheren Altersgruppen abnimmt. Dies bedeutet, dass „[…] je älter die […] Schülerinnen und Schüler sind, desto häufiger geben sie an, sehr selten oder nie zu lesen“ (Garbe 2005: 18).
So geht aus der Studie der Bertelsmann-Stiftung mit dem Titel „Öffentliche Bib-liotheken und Schule“ hervor, dass in den Klassenstufen eins und zwei noch etwa 80% der SuS den Leseindex „hoch“ oder „sehr hoch“ aufweisen und demnach häu-fig lesen. In den Stufen drei bis sechs liegt der Prozentsatz immerhin noch bei 55% und sinkt in den Klassenstufen sieben bis zehn auf etwa 30% ab, was einer Verdrei-fachung im Rückgang der Lesehäufigkeit und -intensität entspricht.
Dieser sogenannte „Leseknick“ – also der Leseeinbruch im Übergang von der Kindheit zur Pubertät – betrifft beide Geschlechter im Alter von zwölf bis 14 gleichermaßen. Von diesem Rückgang sind aber vor allem Jungen betroffen: Ab der siebten Klasse gehört fast jeder fünfte Junge, aber nur jedes 20. Mädchen der Leseindexkategorie „sehr niedrig“ an und verfällt in eine motivationale Krise, in der das Interesse sowie die Freude am Lesen deutlich nachlässt (vgl. ebd.: 16ff.; Garbe 2014: 18; Weißenburger 2009: 30; Garbe 2010: 204).
Vor dieser Motivationskrise ereilt die SuS bereits mit dem Eintritt in die Schule in etwa mit Beginn der zweiten Klasse eine erste Lesekrise: Zu diesem Zeitpunkt befinden sich die SuS in puncto Lesen an einer Schnittstelle zwischen „Anfangsun-terricht“ und „weiterführendem Lesen“ (ebd.: 29), in der es zu einer Diskrepanz zwischen den „[…] literarischen Kompetenzen […], die durch Vorleseerfahrungen oder Medienrezeption bereits relativ weit entwickelt sind, und den anfangs be-schränkten technischen Lesefähigkeiten bei der Dekodierung von schriftlichen Tex-ten“ (ebd.) kommt. Indem die SuS von der Schule, insbesondere aber von der Fa-milie als primäre Sozialisationsinstanz – damit sind Personen gemeint, welche die sozialen Lernprozesse eines jeden Individuums beeinflussen – in ihrer literarischen Entwicklung durch ein entsprechendes Leseklima innerhalb der Familie, Anlässen zum Führen von Anschlusskommunikationen über das Gelesene sowie Leseanre-gungen und -angebote unterstützt werden –, wird die Krise nach dem vollständigen Erwerb der Schriftsprache erfolgreich überwunden. Darauf begeben sich die SuS in der Regel in die Phase der „lustvollen Kinderlektüre“, in der mit Lust und Begeis-terung zur Befriedigung der kindlichen Phantasien gelesen wird (vgl. ebd.; Garbe 2013: 30).
Im Gegensatz zu dieser ersten Krise im Grundschulalter, die aufgrund eines Missverhältnisses zustande kommt, ereilt die zweite Lesekrise – als „Literarische Pubertät“ bekannt – die SuS in der Pubertät im Zuge entwicklungspsychologischer Veränderungen und damit einhergehender neuer Entwicklungsaufgaben. Zu diesem Zeitpunkt entwickeln die Jugendlichen andere Interessen wie etwa am anderen Ge-schlecht oder an Partys, die nun vermehrt in ihren Interessensmittelpunkt gelangen. Dies wirkt sich auch auf ihren bisherigen Lesemodus aus, da die vorherigen Lese-stoffe, die lustvoll rezipiert wurden, langweilig werden und an Reiz verlieren (vgl. Weißenburger 2009: 30; Garbe 2010: 204f.; Garbe 2013: 31). Dementsprechend ist die Transformation des Lesemodus‘ eine der zentralen Ent-wicklungsaufgaben für die weitere Leseentwicklung, „[…] sodass auch unter ver-änderten psychischen Bedingungen und bei höher entfalteten literarischen Kompetenzen weiterhin Lesegenuss möglich ist“ (Garbe 2013: 31f.). Somit ent-scheidet der Verlauf dieses Transformationsprozesses darüber, ob die Lesekrise am Ende der Kindheit überwunden wird und die Jugendlichen ihren bisherigen Lese-modus einem Wandel unterziehen. Gelingt ihnen diese Transformation nicht, mün-det die Lesekrise darin, dass sie keine stabilen Lesegewohnheiten entwickeln und das Lesen nur noch funktional, beispielsweise für die Schule in Form der „Pflicht-lektüre“ einsetzen oder gar komplett aufgeben (vgl. Eggert und Garbe 2003: 128; Garbe 2013: 32).
Zusätzlich zur Verlagerung ihrer Interessen werden die Freizeitaktivitäten und somit auch die Rolle des Lesens nun zunehmend von den personalen Einflüssen der peers beeinflusst (vgl. Rosebrock 2004: 256). Im Zusammenhang mit der inneren Ablösung von den Eltern als eine der zentrale Entwicklungsaufgaben im Jugendal-ter löst die peer group die Familie als primäre Sozialisationsinstanz ab (vgl. Eggert und Garbe 2003: 128). Dementsprechend wird das Leseverhalten nicht mehr maß-geblich vom Elternhaus geprägt und auch die Institution Schule verliert in diesem Kontext an Bedeutung.
Diese Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Leseaktivitä-ten der Jugendlichen im pubertären Alter abnimmt, lässt die Vermutung zu, „[…] dass die Lesegewohnheiten von Jugendlichen und die Lesekultur der peer group, der sie angehören, in einem deutlich wechselseitigen Verhältnis zueinander stehen“ (Rosebrock 2004: 262). Das bedeutet, dass sich in der peer group bestimmte Stile der Mediennutzung konstituieren, die von jedem einzelnen Gruppenmitglied mit-beeinflusst und zugleich übernommen werden (vgl. ebd.). Die peers üben also einen großen Einfluss auf die Auswahl der Lektürestoffe sowie Lesemotivation der ein-zelnen Jugendlichen aus. Weiterhin entscheiden sie im hohen Maße mit darüber, ob innerhalb der Gruppe gelesen wird oder ob anstelle von Büchern lieber andere Me-dien, wie etwa Bildschirmspiele, konsumiert werden.
Für die vorgestellte Leseproblematik bei Jungen bedeutet dies dementsprechend, dass sich ihr häufig fehlendes Interesse am Bücherlesen zusätzlich negativ verstär-ken kann, wenn der Freundeskreis ebenso wenig lesebegeistert ist. Gegensätzlich dazu kann sich ihr Nutzungsverhalten von Bildschirmspielen im positiven Sinne verstärken, insofern sich auch die übrigen Mitglieder der peer group in einem Groß-teil ihrer Freizeit mit diesem Medium beschäftigen.
Grundsätzlich zeigt sich in Studien zum Thema Lesen, in denen ein Bezug zur peer group hergestellt wird, dass sich die erläuterten Geschlechterdifferenzen zwischen Jungen und Mädchen auch in den Freundesgruppen widerspiegeln: Das Lesen nimmt in männlichen peer groups einen deutlich geringeren Stellenwert ein als in weiblichen Gruppen. Gleiches gilt für die Weitergabe von Lesemedien in der Gruppe und dem Führen von Anschlusskommunikationen über das Gelesene: Dem-nach tauschen Mädchen häufiger Lesemedien untereinander aus und sprechen auch öfter mit ihren Freundinnen über Bücher als Jungen (vgl. Philipp 2015b: 407f.).
2.3 Erklärungsansätze für das Leseverhalten von
Jungen Im Folgenden werden zwei aktuelle Erklärungsansätze vorgestellt, anhand derer sich das Leseverhalten von Jungen unter Berücksichtigung der vorgestellten Ge-schlechterunterschiede erklären lässt. Beide Erklärungsversuche stammen aus der (Medien-)Sozialisationsperspektive und gehen davon aus, dass Umweltbedingun-gen ursächlich für die Geschlechterunterschiede sind. Der erste Ansatz geht von einer Feminisierung der Lesesozialisation aus, während der zweite Veränderungen im Medienangebot in den Mittelpunkt stellt.
Im Zuge einer kritischen Auseinandersetzung mit beiden Ansätzen sind an dieser Stelle Maik Philipps Äußerungen aus seinem 2015 erschienenen Beitrag „Ge-schlecht und Lesen“ zu erwähnen. Unter Berücksichtigung seiner Anmerkungen bezüglich der „fünf (vermeintlichen) Achsen der Differenz“ kommt er zu dem Fa-zit, dass „[…] elaboriertere lesesozialisatorische Erklärungsansätze nötig [sind] als die derzeitig vorliegenden“ (Philipp 2015a: 463).
2.3.1 Feminisierung der Lesesozialisation
Bevor genauer erläutert wird, was unter diesem Ansatz verstanden wird, ist es zu-nächst erforderlich zu definieren, was überhaupt unter der Begrifflichkeit der „Le-sesozialisation“ verstanden wird: Lesesozialisation meint im Wesentlichen […] den Prozess der Aneignung der Kompetenzen zum Umgang mit Schriftlichkeit in Medienangeboten unterschiedlicher technischer Provenienz (Printmedien, audiovisu-elle Medien, Computermedien) und unterschiedlicher Modalität (fiktional-ästhetische und pragmatische Texte) (Hurrelmann 1999: 112).
Hierbei geht es darum, dass sowohl die notwendigen Fähigkeiten zur Dekodierung schriftlicher Texte, aber auch Kommunikationsinteressen und kulturelle Haltungen erworben werden (vgl. ebd.). Häufig wird in diesem Zusammenhang auch der Be-griff „literarische Sozialisation“ angeführt. Dieser versteht sich jedoch als „[…] Er-werb der Kompetenzen zur Rezeption und Verarbeitung von fiktional/ästhetischen Texten in unterschiedlichen Präsentationsformen“ (ebd.: 113). Mit den Präsentati-onsformen seien hierbei schriftsprachliche Formen, aber auch Aufführungsformen (wie etwa Lesungen oder Musik-, Film- und Theaterstücke) gemeint. Beide Be-griffe sind dementsprechend nicht als Synonyme zu verwenden, obgleich sich der Begriff „Lesesozialisation“ als Oberbegriff gefestigt hat (vgl. ebd.:113; Garbe 2010: 170).
Dieser Ansatz geht davon aus, dass die Lesesozialisation einer Feminisierung unterliegt und Jungen dadurch in einen inneren Konflikt mit den Anforderungen der männlichen Geschlechterrolle geraten (vgl. Garbe 2008: 304f.). Dies lässt sich darauf zurückführen, dass das Lesen in der Gesellschaft weitläufig als eine „femi-nin-kulturelle“ Tätigkeit perzipiert wird (vgl. Garbe 2003a: 46; Garbe 2008: 305). Schon seit dem 19. Jahrhundert spielen weitestgehend Frauen die wichtigste Rolle in der literarischen Sozialisation von Kindern. So sind es in der Familie häufig die Mütter, die ihren Kindern etwas vorlesen, im Kindergarten und in der Grundschule wiederum wird die literarische Sozialisation in der Regel von Erzieherinnen und Lehrerinnen fortgeführt (vgl. Garbe 2003b: 23; Garbe 2008: 305; Garbe 2014: 5).
Diese „weibliche Medienpraxis“ (Garbe 2008: 304) bringt die Problematik mit sich, dass alle genannten weiblichen Sozialisationsinstanzen unbewusst vorwie-gend Themen, Texte und Genres auswählen, die eher den Interessen von Mädchen entsprechen. Demzufolge bekommen Jungen meist Lesestoffe vorgesetzt, die sie als unattraktiv empfinden, da sie nicht ihren Lektürepräferenzen sowie Interessen und Vorlieben entsprechen. Diese fehlende Text-Leser-Passung zeigt sich vor allem häufig in der Schule: Es werden Klassenlektüren angeschafft, die eine eher schwa-che und sensible Hauptfigur anstelle eines selbstständigen, mutigen und heldenhaf-ten Protagonisten aufweisen. Gerade letztere „männliche“ Eigenschaften finden sich heutzutage vor allem in Büchern für Mädchen wieder, wodurch Jungen sich in ihrer männlichen Selbstfindung „bedroht“ fühlen und die Ausbildung einer männ-lichen Geschlechtsidentität infrage stellen (vgl. ebd.: 305f.; Garbe 2014: 5).In die-sem Zusammenhang ist es also wenig verwunderlich, dass verstärkt Jungen am Ende ihrer Kindheit und mit Beginn der Pubertät in die Lesekrise fallen.
2.3.2 Mediensozialisation – Veränderungen im Medienangebot
Der zweite Erklärungsansatz für das schwindende Interesse am Lesen seitens der Jungen leitet sich aus dem ersten Ansatz ab: Die logische Konsequenz der fehlen-den Text-Leser-Passung ist, dass sich Jungen anderen Medien zuwenden, in denen sie ihre Themenvorlieben und „männliche“ Helden vorfinden. Bei den Jungen über-wiegt dementsprechend eine Mediensozialisation, in der vorwiegend Bildschirm-medien genutzt werden (vgl. Garbe 2008: 306).
Der Begriff „Mediensozialisation“ meint den „[…] adäquaten Umgang mit Me-dien zur Information, Bildung, kulturellen Entfaltung und Unterhaltung […]“ (Süss 2004: 65). Zugleich kann die Mediensozialisation auch als Sozialisation – hiermit ist der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung gemeint, der sich in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen sowie materiellen Um-welt vollzieht (vgl. Hurrelmann 1999: 105) – definiert werden. Dadurch, dass Print-medien einen Bestandteil der Medien ausmachen und sowohl in audiovisuellen als auch digitalen Medien Schriftsprache genutzt, aber auch Literatur gezeigt wird, stellt die Lesesozialisation sowie literarische Sozialisation eine Teilkomponente der Mediensozialisation dar (vgl. Garbe 2013: 25f.).
Gemäß diesem Erklärungsansatz, ist der zunehmende Ersatz der Printmedien durch Bildschirmmedien mitunter auf den Wandel des Medienangebots zurückzu-führen. Dieses hat sich im Laufe der Zeit stark verändert, sodass zu den klassischen Printmedien (beispielsweise Kinder- und Jugendliteratur und Zeitschriften) auch auditive Medien (zum Beispiel Hörbücher und CDs), audiovisuelle Medien (wie etwa Fernseher, Videos und Filme) und insbesondere digitale Medien (darunter Bildschirmspiele) hinzugekommen sind (vgl. Garbe 2008: 304). Von diesen ver-schiedenen Medien greifen vor allem Jungen mit steigender Tendenz auf digitale Medien zurück.
Als Grund dafür werden in erster Linie die Aspekte „Macht, Kontrolle und Herr-schaft“ (vgl. ebd.: 306) als auschlaggebende Motive für die Zuwendung von Jungen zu Bildschirmspielen genannt. Im Hinblick auf die bereits mehrfach aufgegriffene Genderthematik wird deutlich, dass diese Motive in erster Linie dem Bild der in der Gesellschaft existierenden „männlichen“ Geschlechterrolle zugeschrieben werden können. Obgleich also die Literarität durch „Weiblichkeit“ geprägt ist, dominiert die „Männlichkeit“ in den fiktiven digitalen Welten auf dem Bildschirm: Dort zäh-len laut Garbe die Tugenden der Selbstbehauptung und Meisterung von Herausfor-derungen, nicht aber Empathie und Einfühlung sowie die Versprachlichung von Gefühlen – alles Aspekte, die in der „weiblichen“ Medienpraxis überwiegen (ebd.: 307).
So wenden sich Jungen sehr häufig von den Printmedien ab und den Bildschirm-medien zu, da sie in abenteuerlichen oder heldenhaften Spielen das vorfinden, was sie thematisch interessiert und zudem in eine andere, fremde und gegebenenfalls fantastische Welt eintauchen können. Zugleich ist die Machart der Computer- und Konsolenspiele ein weiterer ausschlaggebender Punkt, der sie zum Spielen moti-viert: In den meisten Bildschirmspielen können die Spieler das Level und damit den Schwierigkeitsgrad und die Spielanforderungen frei wählen. Dadurch mündet das Spielerlebnis nicht in Überforderung und/oder Frustration und es werden Erfolgs-erlebnisse erzielt.
Letzterer Aspekt ist besonders wichtig, da sich diese Erlebnisse gerade bei un-geübten Lesern, deren Lesefertigkeiten einem niedrigen Niveau angehören, beim Lesen nicht einstellen. Letztlich fehlen den Jungen in dieser Hinsicht meist die grundlegenden kognitiven Voraussetzungen, um eine Lesemotivation zu entwi-ckeln und das Lesen mit Vergnügen assoziieren zu können (vgl. ebd.: 307, 309f.).
Anhand dieser Ausführungen kann festgehalten werden, dass „[d]ie aktuelle Ge-samtsituation einer geschlechterspezifischen Mediensozialisation […] die Lesekar-riere von Mädchen [begünstigt]“ und die Interessen der Mädchen im Bereich der Printmedien besser abgedeckt werden als die der Jungen (ebd.: 307). Folglich ist die fehlende Leselust und festgestellte Leseschwäche von Jungen eine Auswirkung dieser vorgestellten Erklärungsansätze.
3 Jungen und Bildschirmspiele
Nachdem im vorherigen Kapitel theoriegeleitet über das Verhältnis von Jungen zum Lesen gesprochen wurde, befasst sich dieses Kapitel näher mit der Thematik von Jungen und Bildschirmspielen.
Diesbezüglich wird anhand bereits generierter empirischer Befunde ausführli-cher auf das Nutzungsverhalten von Bildschirmspielen sowie die damit verbunde-nen Spielvorlieben von Jungen eingegangen. Im Zuge dessen wird ebenso über die Faszinationskraft von Bildschirmspielen gesprochen. Obwohl davon ausgegangen werden kann, dass eine gewisse Vorstellung darüber existiert, was Bildschirmspiele sind, soll dieser Begriff jedoch vorab definiert und klassifiziert werden.
3.1 Was sind Bildschirmspiele? – Definition und Klassifizierung „Bildschirmspiele“ ist ein verallgemeinernder Oberbegriff für „[…] alle Formen des elektronischen Spiels, die ihr Geschehen über einen Bildschirm als Projektions-fläche darbieten“ (Kyriakidis 2005: 2). Dabei dienen Bildschirme (Monitore oder Fernseher) als visuelle Ausgabegeräte. Die akustischen Effekte werden gegebenen-falls zusätzlich über separate Lautsprecher ausgegeben.
Alle Bildschirmspiele haben ähnliche technische Voraussetzungen: Der Hand-lungsstrang des jeweiligen Spiels wird stets anhand eines Computerprogramms festgelegt und per Datenträger, beispielsweise in Form einer CD-ROM, DVD oder Festplatte, mit dem Computer oder der Spielekonsole verbunden (vgl. Fritz 1997a: 81). Heutzutage werden Bildschirmspiele in der Regel auch online vertrieben und können über Vertriebsplattformen wie „Origin“ oder „Steam“ oder als mobile Spieleversion in diversen Appstores (Vertriebsplattformen für Anwendungssoft-ware) erworben werden.
Zum Spielen sind darüber hinaus gewisse Eingabegeräte wie etwa Computer-maus und -tastatur, Lenkräder oder andere Controller notwendig, durch deren Ver-wendung die Spieler Einfluss auf den Spielverlauf nehmen und die jeweiligen Ge-schehnisse bzw. elektronische Spielfigur im Spiel steuern können (vgl. Fritz 1995: 19f.; Fritz 1997a: 81; Fritz 2014: 404, 406). In den letzten Jahren sind zudem be-wegungsorientierte Steuerungsgeräte hinzugekommen, bei denen beispielsweise die Bewegungen des Spielers per Kamera erfasst werden und in die Bewegungen der Spielfigur im Bildschirmspiel umgewandelt werden.
Die Eingabe- und Steuerungsmöglichkeiten der einzelnen Bildschirmspiele un-terscheiden sich hinsichtlich der jeweiligen Plattform, auf der die Spiele gespielt werden. Weiterhin hängt die Wahl der Plattform auch zum Teil mit dem bevorzug-ten Spielgenre zusammen, sodass die Spieler bei der Anschaffung ihrer Spielgeräte im Hinterkopf haben müssen, welches jeweilige Genre sich am besten auf welcher Plattform spielen lässt (vgl. Kyriakidis 2005: 55f.). Folglich kann „[b]ereits die Hardwareausstattung [ein, Erg. d. Verf.] Indikator für die Ausrichtung der Spiel-vorlieben der jeweiligen Nutzer werden“ (ebd.: 56). Diese Thematik soll hier aber nicht weiter vertieft werden, da die Spielvorlieben erst im nachfolgenden Kapitel-abschnitt thematisiert werden. Bezogen auf die Hardware kann zwischen PC-Spie-len, Konsolenspielen, Spielen für sogenannte „Handhelds“ (ebd.), auch „Hand-Hold-Games“ (Berndt 2005:36) genannt, und Automatenspiele in Spielehallen unterschieden werden (vgl. ebd.: 34ff.; Kyriakidis 2005: 56). Letzterer sind in der heutigen Zeit weniger interessant, sodass in der nachfolgenden Ausführung nicht näher darauf eingegangen wird.
PC-Spiele sind Bildschirmspiele, die am PC (Personal Computer) gespielt wer-den. Die Steuerung erfolgt hier in erster Linie über Computermaus und Tastatur (vgl. ebd.).
Konsolenspiele werden auf Konsolen – also Computer, die lediglich zum Spie-len gedacht sind und an den Fernseher angeschlossen werden (vgl. Schlütz 2002: 13) – gespielt. Gesteuert werden diese Spiele mittels Controller, die meist eigens für die jeweilige Konsole entwickelt wurden (vgl. Kyriakidis 2005: 56).
Handhelds bzw. Hand-Hold-Games sind handlich-kompakte, tragbare Spiele-konsolen (vgl. ebd.; Berndt 2005: 36). Ihre Namensgebung ist darauf zurückzufüh-ren, dass diese Geräte „[…] in ihrer Ganzheit in den Händen gehalten werden kön-nen […]“ (Kyriakidis 2005: 56). Das Steuerungselement (oft ein Joystick) ist dabei gemeinsam mit dem Bildschirm bereits in das Gerät integriert. Im Zuge der sich stetig weiterentwickelnden Mobilfunktechnologie zählen auch Mobiltelefone, ins-besondere Smartphones, zu den Handhelds (vgl. Berndt 2005: 36f.), deren Steue-rung per Touch-Funktion erfolgt.
In Zeiten des Internets und Wi-Fi‘s (Wireless Local Area Network) können Bild-schirmspiele auch online über eine bestehende Netzwerkverbindung gespielt wer-den. Bei Online-Spielen kann zwischen sogenannten „Browsergames“ und „client-basierten“ Spielen unterschieden werden, die entweder mit oder gegen andere menschliche Spieler gespielt werden: Erstere Spiele werden im Internet mittels Web-Browser, wie zum Beispiel Mozilla, aufgerufen. Hierfür ist es nicht notwen-dig, die Spielinhalte vollständig auf der entsprechenden Plattform zu installieren. Vielmehr können die Spieler „[…] von jedem PC-Gerät, egal wo, in das Spiel ein-steigen und auf die zuletzt gespeicherten Nutzer- und Spieldaten zugreifen“ (Sören 2013: 262, zit. nach Nguyen-Khac/Brasch 2007: 40). Clientbasierte Online-Spiele erfordern hingegen, dass die Spielinhalte vorab vollständig auf dem jeweiligen Ge-rät installiert sind und eine Verbindung zum Internet besteht (vgl, Sören 2013: 262; Wimmer: 2013: 15).
3.2 Nutzungsverhalten in der
Freizeit und Spielvorlieben Wie in der Einleitung beschrieben, scheinen Bildschirmspiele einen großen Stel-lenwert in der Freizeit von Jugendlichen, insbesondere von Jungen, zu haben. So geht aus der JIM-Studie 2017 hervor, dass Jungen nicht nur doppelt so häufig täg-lich bzw. wöchentlich Bildschirmspiele spielen wie Mädchen, sondern auch, dass Jungen in der Woche mit etwa 124 Minuten auch dreimal so lange spielen wie Mäd-chen (42 Minuten) (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2017: 50f.)
Dass Jungen weitaus regelmäßiger und länger Bildschirmspiele in ihrer Freizeit spielen und häufiger zu den „Vielspielern“ (Salisch, Kirsten und Oppl 2007: 2) bzw. „Intensivspielern“ (ebd.: 7) zählen, ist kein neuer Entwicklungstrend und konnte nicht nur in den JIM-Studien festgestellt werden: Zahlreiche andere Studien der vergangenen Jahre belegen, dass die Nutzungshäufigkeit elektronischer Spiele beim männlichen Geschlecht deutlich höher ist als bei Mädchen. Schon die im Jahr 2000 veröffentlichte Studie unter dem Titel „Computerspiele in der Kinderkultur“, in der Jungen im Alter von sieben bis 14 Jahren befragt wurden, zeigt, dass „[…] fast 40% der Jungen [an]geben […], täglich zu spielen. Unter den Mädchen liegt der entsprechende Anteil nur bei 12,4%“ (Vollmer 2000: 29). Ähnliche Befunde liefert eine 2005 erschienene Studie aus den USA: Nachweisbar verbrachten Jungen im Alter von acht bis 18 Jahren im Vergleich zu Mädchen im Durchschnitt täglich mehr als doppelt so viel Zeit mit dem Spielen von Videospielen (vgl. Salisch, Kirs-ten und Oppl 2007: 3).
Mit Blick auf die verschiedenen Spielplattformen zeigt sich in der JIM-Studie 2017, dass das Handy/Smartphone insgesamt von Jugendlichen beider Geschlech-ter mit 42% am häufigsten zum Spielen genutzt wird. Die zweitgrößte Verbreitung haben Onlinespiele – Konsolen-, Tablet sowie Offline-Computerspiele sind dage-gen für die befragten Jugendlichen weniger relevant. Insbesondere die letzteren bei-den genannten digitalen Spielformen sind bei den zwölf- bis 19-Jährigen weniger verbreitet. Der prozentuale Anteil an Nichtnutzern, die angaben, nie diese Spiel-plattformen zu verwenden, liegt hier bei 55% (Offline-Computerspiele) bzw. 66% (Tabletspiele) (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2017: 48f.,51).
Geschlechterspezifisch betrachtet, nutzen Jungen am häufigsten Computer und Laptops zum Spielen digitaler Bildschirmspiele: Mit einem Anteil von 35% spielt nahezu jeder dritte Junge am Computer/Laptop (vgl. ebd.: 50; Medienpädagogi-scher Forschungsverbund Südwest 2016: 44). Auf dem zweiten Platz landen feste Spielekonsolen mit 31%. Das Handy/Smartphone liegt mit 28% auf dem dritten Platz. Ähnlich wie in der Gesamtanschau beider Geschlechter fällt auch der Anteil an regelmäßigen Tabletspielern bei den Jungen gering aus. Demnach nutzen nur vier Prozent der befragten Jungen regelmäßig Tablets zum digitalen Spielen. Die tragbaren Spielekonsolen (Handholds) werden mit Abstand am wenigsten genutzt (zwei Prozent). Diese „[…] spielen offenbar im Smartphone-Zeitalter eine eher ne-bensächliche Rolle“ (ebd.). Besonders bei diesen Spielgeräten ist die Alterskompo-nente zusätzlich ein bedeutender Faktor, da die Handys/Smartphones und tragbaren Spielekonsolen mit zunehmenden Alter immer seltener als Spielplattform verwen-det werden (vgl. Wolling 2008: 81).
Hinsichtlich der Orte, an denen vorzugsweise gespielt wird, ergibt sich in der 2005 erschienenen Studie „Fun anyone? Jugendliche Sozialisation und die Faszi-nationskraft von Video- und Computerspielen“, dass nahezu die Mehrheit der be-fragten Jugendlichen (beider Geschlechter) angibt, zuhause zu spielen. Als ein wei-terer Spielort kommt das Spielen bei Freunden infrage. In diesem Zusammenhang zeigen sich jedoch deutliche Geschlechterunterschiede, da Mädchen diese Möglich-keit viel häufiger wahrnehmen als Jungen (vgl. Kyriakidis 2005: 99). Zusätzlich belegen Befunde aus den JIM-Studien 1998 bis 2005, dass die Bedeutung des ge-meinsamen Computerspielens rückläufig ist. Dementsprechend steigt die Anzahl an Einzelspielern. Dies trifft sowohl auf Mädchen als auch auf Jungen zu, allerdings ist diese Entwicklungstendenz bei Jungen etwas ausgeprägter. Naheliegende Gründe dafür sind, dass Jugendliche heutzutage einen eigenen Computer besitzen und nicht mehr zu Freunden gehen müssen, um spielen zu können. Gerade in Zeiten der Online-Spiele findet das Zusammen- bzw. Gegeneinanderspielen in erster Linie über das Internet statt, denn die Anzahl der Onlinespieler ist im besagten Zeitraum (1998 bis 2005) um nahezu 500% angestiegen (vgl. Wolling 2008: 77, 79).
Bezüglich der Spielanlässe von Jugendlichen konnte in der bereits aufgegriffe-nen Studie „Computerspiele in der Kinderkultur“ festgestellt werden, dass häufig aufgrund von Langeweile gespielt wird. Diesbezüglich schreibt Johannes Fromme (vgl. 2000: 49) – Professor für Erziehungswissenschaftliche Medienforschung und Medienbildung –, dass Bildschirmspiele als „Lückenfüller“ dienen und bei-spielsweise gespielt würden, wenn andere Freizeitmöglichkeiten momentan nicht zur Verfügung stünden oder der Freund oder die Freundin (noch) nicht da sei, um einer anderen Freizeitbeschäftigung nachgehen zu können. Folglich wird diesbe-züglich davon gesprochen, dass Bildschirmspiele Freizeitmöglichkeiten „zweiter Wahl“ darstellen (vgl. Fritz und Misek-Schneider 1995: 89). Weitere Spielanlässe resultieren daraus, dass die Jugendlichen nach Ablenkung suchen, um etwa alltäg-liche Probleme vergessen zu können. In diesem Zusammenhang werden Bild-schirmspiele häufig gespielt, um Stress oder angestaute Emotionen wie Wut ab-bauen zu können (vgl. Wegge, Kleinbeck, Quäck 1995: 214; Schlütz 2002: 93).
Wie bereits aufgegriffen wurde, spielen peers im Jugendalter eine große Rolle und üben einen wesentlichen Einfluss auf das Freizeitverhalten von Jugendlichen aus. Dies wirkt sich nicht nur auf den Bereich Lesen, sondern auch auf Bildschirm-spiele aus. Das Spielen von Bildschirmspielen ist häufig in das soziale Umfeld ein-gebettet, sodass sich bildschirmspielbegeisterte Jugendliche vor allem in Freundes-gruppen, in denen das Spielen von Bildschirmspielen als Freizeitbeschäftigung ei-nen hohen Stellenwert einnimmt, bewegen (vgl. Kürten und Mühl 2000: 142; Fromme 2000: 63). Daher spricht Fromme auch davon, dass die „Computerkultur“ eine Kultur der peer group sei, in der Eltern und/oder andere Erwachsene kaum beteiligt sind (ebd.).
Um im nachfolgenden Kapitel verstehen zu können, worin die Faszinations-kraft der Bildschirmspiele sowie Spielmotivation von Jungen liegt, ist es zu-nächst entscheidend zu wissen, welche Spielvorlieben Jungen haben. An dieser Stelle wird entsprechend des Altes der Interviewprobanden (16 Jahre) auch le-diglich auf die Bildschirmspielpräferenzen von Jugendlichen eingegangen. Die-ser Aspekt ist wichtig zu erwähnen, schließlich können die Spielvorlieben je nach Altersstufe variieren und Bildschirmspielpräferenzen stabilisieren sich weitestgehend erst mit dem Übergang von der Kindheit in die Pubertät. So konnte in dem Beitrag „Mädchen, Jungen und die Entwicklung ihrer Vorlieben bei Computerspielen“ von Maria von Salisch, Astrid Kristen und Caroline Oppl unter Bezugnahme der KUHL-Studie (Kinder, CompUter, Hobby und Lernen) festgestellt werden, dass „[…] Mädchen und Jungen offenbar am Beginn ihrer Computerspielkarriere eine Orientierungs- und Experimentierphase [durchlau-fen], bevor sie sich in ihrer Vorliebe auf ein einzelnes Genre festlegen“ (2007: 24). Nachdem diese Phase abgeschlossen ist, kristallisiert sich heraus, dass Jungen sich insbesondere für actionreiche Spiele, die Wettbewerbs- und Kampfszenarien beinhalten, interessieren (vgl. ebd.: 5; Vollmer 2000: 40). Demnach spielen Jungen vor allem Spiele, die dem Genre „Shooter“ und „Action-Adventure“ angehören.
Bei ersteren Spielgenre geht es darum, in eine direkte Konfrontation mit der geg-nerischen Spielfigur zu treten und diese durch beabsichtigten Gewalteinsatz zu be-kämpfen (vgl. Kyriakidis 2005: 105; Salisch, Kirsten und Oppl 2007: 15; Bär und Brehm 2013: 262). Dieses Genre lässt sich noch weiter ausdifferenzieren und es kann zwischen „Ego-Shooter“, „Third-Person-Shooter“, „Taktik-Shooter“ und „Online-Shooter“ unterschieden werden: „Ego-Shooter“ werden aus der Egoper-spektive, also aus der Perspektive der Spielfigur gespielt, woraufhin der Spieler de-ren Sicht auf die jeweilige Gegend übernimmt und zudem eine Waffe in den Hän-den hält. In „Third-Person-Shooter“ sehen die Spieler ihre eigene Spielfigur und die jeweilige Umgebung, da sich die Kamera hinter der Spielfigur befindet. „Tak-tik-Shooter“ werden in der Regel im Team gespielt. Dabei steht ein geplantes und taktisches Vorgehen im Vordergrund. So geht es anders als in „Ego-Shootern“ we-niger um Reaktionsschnelligkeit, denn „Schießen ist zwar eine Option, sollte aber zugunsten ‚leiser‘ Lösungen nicht dominiert eingesetzt werden“ (Salisch, Kirsten und Oppl 2007: 15). „Online-Shooter“ werden mit einem Internetzugang gespielt, sodass die Spieler in diesem Fall nicht gegen computergesteuerte Gegner antreten, sondern die Figuren andere menschliche Mitspieler bekämpfen (vgl. ebd.: 16).
Bei Spielen des Genres „Action-Adventure“ handelt es sich um Actionabenteuer mit Kampfszenarien, in denen die Spielfigur beispielsweise abenteuerliche Aufga-ben im Dschungel, in Katakomben oder Verliesen zu meistern hat.
Ebenso beliebt sind Sportspiele – speziell Spiele zum Thema Fußball –, Simula-tionsspiele (zum Beispiel Autorennen oder Städtebausimulationen) und das Genre „Echtzeit-Strategie“ (vgl. ebd.: 4; Kyriakidis 2005: 106). In derartigen Strategie-spielen geht es um die Führung von (epochalen) Kriegen sowie Schlachten und da-mit einhergehend um den Aufbau und Einsatz von Armeen, sodass der jeweilige Gegner gestürzt werden kann. Dabei entsteht eine besondere Spieldynamik dadurch, dass diese Schlachten in Echtzeit geführt werden und alle Spieler bzw. Kontrahenten gleichzeitig agieren. Diese „Echtzeit-Strategiespiele“ sind stets mit einer gewissen Komplexität verbunden, die eine langfristige taktische sowie strate-gische Vorgehensweise des Spielers erforderlich machen (vgl. ebd.).
Entsprechend dieser Spielvorlieben und der Tatsache, dass alle hier genannten Spielgenre auch online gespielt werden können bzw. einige davon nur online bespielbar sind (zum Beispiel „Online-Shooter“), ist es weniger verwunderlich, dass Jungen überwiegend den Computer als Spieleplattform nutzen. Gerade beim Spielgenre „Shooter“ eignet sich die Steuerung über Tastatur und Maus, da die Spieler eine Vielzahl an Steuerungsoptionen mehrfach in Echtzeit ausführen müs-sen, um die Kontrolle über das Spiel zu behalten (vgl. Kyriakidis 2005: 56).
3.3 Faszination an Bildschirmspielen
Die große Faszinationskraft für Bildschirmspiele – besonders bei Jungen – lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass diese Spiele „[…] von den Aktivitäten des Spielers [leben] und […] diese explizit [einfordern] – die Handlung ‚Spiel‘ ist ohne eine aktiv handelnde Person nicht möglich“ (Wünsch und Jenderek 2008: 49). Mit anderen Worten tritt ohne das aktive Handeln und die Eigenleistung der Spieler – ihre Eingabe- und Steuerungsversuche – kein Spielprozess ein. Bildschirmspiele erfordern demnach einen hohen Grad an Aufmerksamkeit und sind interaktiv, denn die Handlungen, die vom Spieler getroffen werden, haben einen direkten und so-fortigen Einfluss auf das weitere Spielgeschehen (vgl. ebd. 50; Jöckel 2018: 112; Scholz und Heinz 2015: 20). Die Autorin Daniela Schlütz (vgl. 2002: 195) spricht in diesem Zusammenhang von einem „immanenten Tätigkeitsaspekt“, da die Spieler am Spielerlebnis teilnehmen und nicht nur zuschauen.
Durch diese aktive Spieltätigkeit entsteht eine Verbundenheit zwischen dem Spieler und seiner jeweiligen Spielfigur. Dabei kommt es zu einer virtuellen Perso-nifizierung mit dieser, da der Spieler durch sein eigenes Handeln im Spiel die Ver-antwortung für die Figur und somit für sich selbst übernimmt (vgl. Fritz 2014: 410). Diese Personifizierung führt letztlich zur Selbstidentifikation, da die Spieler sich mit den jeweiligen Leistungen identifizieren, die sie eigens durch das Spielen ihrer elektronischen Figur hervorgebracht haben (vgl. ebd.: 412).
Daraus resultiert auch Erfolg als weiterer Faktor – der bereits in Kapitel 2.3.2 aufgegriffen wurde – für die Faszinationskraft von Bildschirmspielen. So bieten Bildschirmspiele Erfolgserlebnisse, da die Spieler sich die Spielinhalte sowie den Schwierigkeitsgrad (Level) selbst aussuchen können (vgl. Fritz 1997a: 82). Für den Fall, dass die Spieler in einem Level scheitern, besteht die Möglichkeit, es zu wie-derholen, bis die „Stelle des Scheiterns“ überwunden wurde. Dementsprechend können sich zwar Misserfolge einstellen, sie sind aber nur von kurzer Dauer (vgl. Kyriakidis 2005: 49). Gelingt es den Spielern letztlich, „[…] den Spielanforderun-gen zu genügen, stellen sich meist Gefühle des Stolzes und der Zufriedenheit mit der eigenen Leistung ein“ (Fritz 1997b: 190). Somit fühlen sich die Spieler kompe-tent sowie leistungsfähig und der Spielprozess wird als belohnend wahrgenommen (vgl. Fritz et al. 1995: 238; Jöckel 2018: 113; Wünsch und Jenderek 2008: 49).
Dieser Spielerfolg wirkt sich insbesondere auf die Nutzungsdauer der Bild-schirmspiele aus. Diese wird dabei umso umfangreicher, je anregender und positi-ver die Spielerlebnisse empfunden werden (vgl. Schlütz 2002: 193). Folglich tragen Erfolgserlebnisse maßgeblich dazu bei, dass sich der Spieler mit dem Spiel immer wieder für einen längeren Zeitraum intensiv beschäftigt und in die virtuelle Welt des Bildschirmspiels und deren zu erzählende Geschichte abtaucht. Die Spieler ha-ben dabei die Möglichkeit, in alternative Rollen zu schlüpfen und sich in diesen auszuprobieren, da ihnen eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten zur Verfü-gung stehen. Zudem können sich die Spieler mit Thematiken wie dem Kämpfen mit Waffen beschäftigen, die in der realen Welt gesetzwidrig oder völlig realitätsfern sind (vgl. Kyriakidis 2005: 46; Scholz und Heinz 2015: 21).
Indem die Spieler in eine andere Welt abtauchen, tritt das sogenannte „Präsenz-Erleben“ ein, durch das die Spieler das Gefühl erhalten, in einer fremden Welt zu sein, die es zu erkunden gilt (vgl. Jöckel 2018: 113; Berndt 2005: 157). Verstärkt wird dieses Erleben und so auch die Faszination an Bildschirmspielen vor allem durch die Präsentation heutiger Spiele: Sie haben eine hohe Grafikauflösung und die dargestellten Spielwelten wirken sehr realitätsgetreu. Gleiches gilt auch für die Figuren, durch deren Körperbewegungen sowie Mimiken und Gestiken Emotionen transportiert werden können (vgl. Scholz und Heinz 2015: 21).
Ein derartig intensives Spielen führt häufig dazu, dass sich bei den Spielern „flow-Erlebnisse“ einstellen. Dabei „verschmelzen“ sie mit den Inhalten des jewei-ligen Spieles und ihre Aufmerksamkeit ist im Spiel „gefangen“. Sie vergessen alles andere um sich herum, sodass sich beim Spielen ein Gefühl von Zeitverlust ein-stellt, da es den Spielern so vorkommt, als ob die Zeit schneller vergehen würde (vgl. Wünsch und Jenderek 2008: 49, 51; Schlütz 2002: 89).
Ein weiterer Grund für die Faszination an Bildschirmspielen ist, dass die Spieler in ihrer Rolle als aktive Spielteilnehmer Macht und Herrschaft durch die Kontrolle über das Spiel ausüben können (vgl. ebd.: 195; Fritz 1997a: 82). Auch diese Fakto-ren wurden bereits im Kapitel 2.3.2 angeschnitten: Gerade in bei den Jungen sehr beliebten Bildschirmspielen des Genres „Shooter“ spielt machtmotiviertes Handeln im Zusammenhang mit Kampfbereitschaft und Durchsetzungsvermögen eine große Rolle (vgl. Kyriakidis 2005: 143). Das Gefühl von Macht und Herrschaft im Spiel wird insbesondere durch das zur Verfügung stehenden Waffenrepertoire symboli-siert und ist eng an den Faktor Erfolg geknüpft (vgl. Wimmer 2013: 50).
Entsprechend dieser Zuwendungsmotive (Macht, Kontrolle und Herrschaft), die in der Gesellschaft in erster Linie als „männlich“ erachtet werden, dominieren in Bildschirmspielen vor allem „männlich“ konnotierte Inhalte. Diese Tatsache lässt sich anhand verschiedener Inhaltsanalysen mit Blick auf die Spielfiguren bestäti-gen, da „[…] die meisten Hauptfiguren nach wie vor in der Tendenz männlich sind“ (Salisch, Kirsten und Oppl 2007: 8). Hinsichtlich der Faszinationskraft von Bild-schirmspielen bei Jungen ist dieser Aspekt nicht zu vernachlässigen, da Jungen die in den Büchern oft fehlenden Heldenfiguren in Bildschirmspielen finden.
Nicht zuletzt wird die Faszination für Bildschirmspiele dadurch ausgelöst, dass vor allem in Online-Bildschirmspielen Kommunikationsräume geschaffen werden (vgl. Wimmer 2013: 10). Laut Fritz (vgl. 2014: 413) stelle der soziale Bezug das stärkste Zuwendungsmotiv dar, denn in Online-Spielwelten verbinde sich der Spiel-spaß in Form des gemeinschaftlichen Erlebens und des Wettstreites mit anderen mit der Attraktivität virtueller Sozialkontakte (vgl. Scholz und Heinz 2015: 21; Fritz 2008: 137). So besteht einerseits die Möglichkeit, gegen Freunde oder andere Spieler aus aller Welt zu spielen. Anderseits können sich die Spieler über Softwarepro-gramme wie „Teamspeak“ im Chat und/oder via Mikrofon mit ihren Mit-/Gegen-spielern unterhalten und beispielsweise über ihre nächsten gemeinsamen Spielzüge (im Team) austauschen.
4 Forschungsdesign
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zu untersuchen, inwiefern Bildschirmspiele ein Konkurrent zum Bücherlesen bei männlichen Jugendlichen sind. Aus dieser For-schungsfrage ergibt sich das methodische Vorgehen dieser Arbeit, das im Folgen-den näher erläutert wird.
4.1 Erhebungsmethode: Leitfadeninterview mit
Audioaufzeichnung Im Zentrum dieser Forschung steht die Erfassung der Lese- und Mediensozialisa-tion der vier Jugendlichen Tom, Nick, Marcel und Ben. Dementsprechend bietet es sich an, qualitativ vorzugehen, und gegenstandsorientierte Leitfadeninterviews mit den vier Jungen zu führen, um einen verstehenden Zugang zu ihren subjektiven Sichtweisen zu erhalten (vgl. Helfferich 2011: 21; Schmidt 2016a: 23). Die Forschung erfolgt dabei Hypothesen generierend und zielt auf die theoretische Ver-allgemeinerung der soeben genannten Einzelfälle ab.
Der Forschungsauftrag liegt dabei auf Seiten des (Fremd-)Verstehens: Die ver-balen Daten der Jugendlichen, die im Interview gewonnen und per Tonbandaufnah-men aufgezeichnet wurden, sollen verstanden und nachvollzogen werden können (vgl. ebd.; Helfferich 2011: 21, 23, 84; Mayring 2016: 32). Die erhobenen Inter-viewdaten dienen letztlich dazu, die Inhalte, Formen sowie Motive ihres Lese- und Medienverhaltens in Form von Medienportraits zu rekonstruieren, um ihre Hand-lungen und Erfahrungen mit Medien nachvollziehen zu können.
Der Begriff Leitfadeninterview bezeichnet zunächst einmal einen Oberbegriff für eine spezielle Vorgehensweise der Interviewführung. Dabei wird die „[…] In-terviewkommunikation […] mit Hilfe eines vorbereiteten Leitfadens strukturiert, der durch offene, erzählgenerierende Fragen gegliedert ist“ (Schmidt 2016b: 51). Der Interviewleitfaden (siehe Anhang) ist dabei in verschiedene Fragehorizonte und Themenfelder unterteilt, die an die Alltagswelt der Jungen angeknüpft sind und im Interview angesprochen werden sollen (vgl. Mayring 2016: 146). Demzufolge dient der Leitfaden als eine Art Gerüst (vgl. Schmidt 2016b: 51). Die im Interview ge-stellten Fragen haben letztlich die Funktion, „[…] zu Erzählungen bzw. Äußerun-gen zu motivieren und so die Kommunikation aufrecht zu erhalten und Interesse und Verstehen zu zeigen“ (Helfferich 2011: 102). Dabei erfolgt die Fragefolge so-wie -formulierung dennoch flexibel und ergibt sich aus der spontan produzierten Gesprächssituation sowie der Gesprächshaltung der Interviewerin als aktive Zuhö-rerin. So steht im gesamten Gesprächsverlauf die Erzählungen des jeweiligen Jun-gen im Vordergrund und die Forschende nimmt sich in ihren Kommentaren zurück, sodass die größtmögliche Offenheit besteht und das Interview zwar durch den Leit-faden in gewisser Weise gelenkt, aber der Gesprächsfluss nicht eingeengt wird (vgl. ebd.: 24, 180, 91; Schmidt 2016a: 27; Schmidt 2016b: 52).
Folglich handelt es sich hierbei um ein teilstrukturiertes Interview, in dem ein Abweichen vom Fragebogen möglich ist, wenn sich beispielsweise zusätzliche Fra-gen ergeben, die bisher noch unbeantwortet geblieben sind. Der Interviewleitfaden wurde daher übersichtlich gestaltet und in tabellarischer Form angelegt, sodass die-ser während der Interviewsituationen flexibel zum Einsatz kommen kann und die Fragen nicht bloß abgelesen, sondern passend in das Gespräch eingebettet werden (vgl. Schmidt 2016b: 54).
Auch wenn es sich bei den Interviews um asymmetrische Kommunikationssituati-onen handelt (Schmidt 2016a: 24), liegt der Vorteil von Leitfadeninterviews darin, dass die Sichtweisen der Jungen offen erhoben werden, aber dennoch nur Themen angesprochen werden, die für die Forschung von Relevanz sind. Zudem stellt der Leitfaden sicher, dass während des Erhebungsprozesses alle relevanten Themen an-gesprochen werden, wodurch eine Vergleichbarkeit der Interviews möglich ist (vgl. ebd.: 57).
Damit einhergehend ergeben sich zugleich Erkenntnisgrenzen, die es zu berück-sichtigen gilt: Die ausgewählten Leitfragen basieren auf dem Vorwissen der Stu-dierenden, das im Theorieteil dargelegt wurde. Daher werden durch die ausgewähl-ten Leitfragen Themenschwerpunkte gesetzt, wodurch der Untersuchungsgegen-stand eingegrenzt wird. Das führt dazu, dass bestimmte Themenbereiche möglich-erweise unberücksichtigt bleiben (vgl. ebd.).
Zusätzlich zum Leitfaden wurde eine Checkliste zum Medienbesitz und zur -nutzung (siehe Anhang) erstellt, in der während des Interviews wichtige Fakten, beispielsweise zur Medienausstattung, durch einfaches Ankreuzen festgehalten werden können. Die ebenso relevanten soziodemographischen Daten, darunter Alter, Klassenstufe und Schulform, werden mithilfe eines kurzen Fragebogens (siehe Anhang) erfasst, den die Jungen vor Interviewbeginn ausfüllen sollen.
4.2 Pretest und Fallauswahl
Da die Qualität der Daten sich aus der Qualität der Gesprächskommunikation wäh-rend des Interviews ergibt, war es erforderlich, den Leitfaden vorab einem Testlauf zu unterziehen: Der entworfene Interviewleitfaden wurde vorab (Ende April 2018) mit einem 15-jährigen computerspielebegeisterten Jungen aus der Nachbarschaft der forschenden Studierenden durchgesprochen. Anhand dieser Pretestung sollte zunächst überprüft werden, ob die Fragen verständlich, altersangemessen und wei-testgehend offen formuliert wurden.
Die Testung ergab, dass keine Veränderungen in der Struktur sowie Formulie-rung des Leitfadens mehr vorgenommen werden mussten, da darauf geachtet wurde, dass Suggestivformulierungen vermieden werden, damit keine Antwortver-zerrungen eintreten. Die Durchführungsdauer von circa 30 Minuten erwies sich ebenso als angemessen.
Die Fallauswahl dieser Studie ergibt sich aus zweierlei Samples: Zunächst konn-ten die 16-jährigen Jugendlichen Tom und Nick für das Forschungsvorhaben aus dem Freundeskreis der 16-jährigen Schwester der Studierenden gewonnen werden. Dadurch, dass ihre Schwester selbst regelmäßig am Computer spielt und viele männliche Freunde besitzt, mit denen sie häufig gemeinsam online spielt, bot es sich an, Interviewprobanden aus ihrem Bildschirmspiel-Freundeskreis zu akquirie-ren. Auf Tom und Nick fiel die Wahl eher zufällig, da sie sich als erstes freiwillig auf die Interviewanfrage ihrer Schwester zurückmeldeten.
In vorab geführten kurzen Gesprächen mit den Jungen stellte sich heraus, dass weder Tom noch Nick viel in ihrer Freizeit lesen. Damit die Studie also nicht von vornherein verzerrt wird und einseitige Ergebnisse liefert, war es wichtig, im zwei-ten Sample Jungen auszuwählen, die in ihrer Freizeit Bildschirmspiele spielen und häufig bzw. regelmäßig Bücher lesen: Die Auswahl fiel hierbei auf die 16-jährigen Jungen Marcel und Ben, die sich ebenso freiwillig dazu bereit erklärten, bei diesem Forschungsprojekt mitzuwirken. Der Kontakt wurde durch Dr. Bartholomäus Figa-towski, dem Deutschlehrer der Jungen, hergestellt, der die Jungen eigens ausge-wählt hat. Er ist zugleich ein Jurorkollege aus der boys&books-Jury von Dr. Christine Garbe, Prüferin dieser Masterarbeit, die netterweise seine Kontaktdaten zur Verfügung gestellt hat.
Dass alle vier Interviewprobanden im Alter von 16 Jahren sind, wurde bewusst so gewählt: Zum einen konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden, dass die Bildschirmspielnutzung am stärksten bei Jugendlichen von 13 bis 17 Jahren ist (vgl. Kyriakidis 2005: 2) und dass sie zu diesem Zeitpunkt, wie bereits angeführt, gefestigte Spielpräferenzen entwickelt haben. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Jungen entsprechend ihres Alters den sogenannten „Leseknick“ bereits hinter sich gelassen haben. Unter diesem Gesichtspunkt ist es von Interesse zu sehen, in-wiefern ihnen der Transformationsprozess gelungen ist und ob sich stabile Lesege-wohnheiten entwickelt haben. Zum anderen lassen sich die Einzelfälle besser mit-einander vergleichen, sodass eine aussagekräftigere theoretische Verallgemeine-rung möglich ist.
4.3 Untersuchungsverlauf: Interviewumstände und -bedingungen Die Interviews mit Marcel und Ben fanden an ihrer Gesamtschule in Bonn-Bad Godesberg in einem ungenutzten Klassenraum statt. Beide Interviews wurden Ende Mai 2018 hintereinander, während der vierten und fünften Unterrichtsstunde, ge-führt. Die Länge beider Interviews beläuft sich auf circa 23 und 30 Minuten. Die Interviews mit Nick und Tom fanden ebenso Ende Mai 2018 statt, wurden allerdings bei den Jungen zuhause, in ihren jeweiligen Kinderzimmern, geführt. Die Interviewlängen variieren etwas und liegen bei etwa 28 und 41 Minuten.
Folglich fanden alle Interviews an einem für die Interviewprobanden vertrauten Ort statt. Dies zeigte sich vor allem dadurch, dass alle vier Jungen sowohl vor als auch während der Durchführung einen relativ gelassenen und entspannten Eindruck machten. Auffällig war dennoch, dass Ben und Tom, deren Interviews mit 30 bzw. 42 Minuten am längsten dauerten, während der gesamten Zeit Blickkontakt zur Stu-dierenden hielten, während Nick und Marcel, deren Interviews den geringeren Re-deumfang umfassen, dies nicht taten.
4.4 Auswertungsmethode: Rekonstruktiver Fallanalyse
Grundlage zur Rekonstruktion der Medienportraits sind die mündlichen Erzählun-gen der Jungen, die per Tonaufnahme aufgenommen wurden. Diese wurden in Form von Memos innerhalb des tabellarischen Leitfadens zusammenfassend und protokollarisch verschriftlicht, wobei einige prägnante Aussagen wortwörtlich transkribiert wurden. Zur besseren Lesbarkeit wurde dabei darauf verzichtet, Füll-laute und -wörter wie „ähm“, „hm“, „ja“ oder „halt“ mit zu transkribieren.
Ebenso wie die Erhebung folgt auch die Auswertung der verbalen Daten dem Prinzip der Offenheit und dem des methodisch kontrollierten Fremdverstehens. Demnach versucht die Forschende, die Äußerungen der Jungen aus deren Perspek-tive zu verstehen und ihnen Sinn zu verleihen, „[…] d.h. sie interpretiert. Mit ande-ren Worten: Von der erfassten Sprache der Befragten wird auf ihr Denken geschlos-sen“ (Schmidt 2016b: 56). Dabei wurde im Sinne des qualitativen Forschungsinte-resses zur Auswertung auf das Instrument der medienbiografischen Fallrekonstruk-tion nach Silvia Schoett zurückgegriffen, das ursprünglich im Rahmen der soziolo-gischen Biografieforschung von Gabriele Rosenthal und Wolfram Fischer-Rosent-hal zur biografischen Fallrekonstruktion entwickelt wurde (vgl. Schoett 2009: 55). Das Instrument lässt sich jedoch nicht eins zu eins auf dieses Forschungsvorhaben anwenden, da Schoett ihre Daten mittels narrativer Interviews anstelle von Leitfa-deninterviews erhoben hat. Zudem folgt die Methode einer Biografiekonzeption, sodass neben der erlebten und erzählten Mediengeschichte auch die erlebte und er-zählte Lebensgeschichte der Interviewprobanden sowie deren wechselseitiges Ver-hältnis analysiert wird. Zwar orientiert sich die forschende Studierende an Schoetts Auswertungsschritten,3 geht dabei aber folgendermaßen vor: Grundsätzlich werden alle wesentlichen Fakten aufgeführt, woraufhin die Deutungen sowie subjektiven Äußerungen der Studierenden im Sinne ihres Eigenverständnisses folgen. Als erstes werden alle gelebten biografischen und medienbiografischen Daten der Jungen ge-nannt. Diese umfassen Fakten des soziodemographischen Fragebogens sowie ihre Äußerungen zur allgemeinen Medienausstattung und Nutzungspräferenzen. Mit-hilfe der im Anschluss folgenden thematischen Feldanalyse werden die Inter-viewmemos in sinnvolle Einheiten (Sequenzen) unterteilt, deren und die Analyse systematisch von einer Einheit zur nächsten erfolgt (vgl. Mayring 2016: 146). Die verschiedenen Sequenzen ergeben sich dabei aus den Themenwechsel während der Interviews und orientieren sich an den vorab formulierten Fragehorizonten des In-terviewleitfadens. Auch hierbei wird zunächst die erlebte Geschichte anhand von Fakten, die gegebenenfalls durch zusätzliche Gegenstandsanalysen der Studieren-den ergänzt werden, erzählt. In einem zweiten Schritt wird die erzählte Medienge-schichte der Jungen – also beispielsweise die Art und Weise, wie sie über die je-weiligen Fakten sprechen und was sie diesbezüglich zu erzählen haben – in Augen-schein genommen. Die beiden letzteren Schritte werden in einem kontrastiven Ver-gleich einander gegenübergestellt, um mögliche Diskrepanzen zwischen den Fak-ten und der erzählten Selbstdarstellung der Jungen aufzudecken. An dieser Stelle wird auch auf die biografischen sowie medienbiografischen Daten Bezug genom-men.
Die Falldarstellungen folgen dabei einem integrierenden Fokus und erfassen alle wesentlichen Aspekte der Mediennutzung des jeweiligen interviewten Jungen, die zur Beantwortung der Forschungsfrage(n) relevant sind.
Entlang dieses methodischen Vorgehens wird den befragten Jungen Ben und Marcel im nachfolgenden Kapitel jeweils ein ausführliches Einzelportrait gewid-met, da es sich hierbei um zwei kontrastive Fälle handelt. Aus platzökonomischen Gründen werden die Fälle von Tom und Nick in Form von Kurzportraits dargestellt. Im Anschluss erfolgt eine systematische Queranalyse aller vier vorgestellten Fälle, in der diese gegenübergestellt und miteinander verglichen werden.
5 Auswertung der Interviewstudie
Im nachfolgenden Kapitel folgt die Auswertung der Interviewstudie. Interviewme-mos (siehe Anhang) dienen dabei im gesamten Kapitel als Primärtext.
5.1 Bens Medienportrait: „Lesen ist ein wichtiger
Teil meines Lebens“ Ben ist zum Interviewzeitpunkt 16 Jahre alt und besucht die zehnte Klasse einer Gesamtschule in Bonn-Bad Godesberg. Er wurde in Deutschland geboren und wächst gemeinsam mit seinem Bruder bei seinen Eltern in einem deutschsprachigen Haushalt auf. Sein Vater ist als Hausmeister tätig; seine Mutter arbeitet beim DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst).
Ben besitzt einen eigenen Fernseher, CD-Player und Computer, eine eigene Spielekonsole (Playstation), ein Smartphone sowie circa 40 Bücher. Er schätzt, dass seine Familie insgesamt im Besitz von mehr als 100 Büchern sei.
Orientiert an den genannten Medien, die in der Checkliste vermerkt wurden, er-hält Ben die Aufgabe, diese – gemessen an seiner persönlichen Relevanz – in eine Reihenfolge zu bringen. Dazu nummeriert er die Medien in folgender Reihenfolge durch: 1. Computer, 2. Smartphone, 3. Bücher, 4. Konsole, 5. CD-Player und 6. Fernseher. Daraus ergibt sich das Präferenzbild, dass Ben in seiner Freizeit am liebsten seinen Computer sowie sein Smartphone nutzt. Sein Fernseher hat für ihn nur einen geringen Stellenwert. Dementsprechend liest er lieber Bücher oder spielt an der Playstation, bevor er sich vor den Fernseher setzt.
Lebenswelt und Freizeitinteresse
In seiner Freizeit hält sich Ben gerne gemeinsam mit Freunden draußen, beispiels-weise im Garten oder in den Rheinauen, auf. In den Abendstunden liest er häufig Bücher, zum Zeitpunkt des Interviews die Schullektüre „Numbers – Den Tod im Blick“4, und spielt Computerspiele.
Für ihn ist es typisch, dass er am Abend für etwa zwei Stunden liest und für ein bis drei Stunden am Computer spielt, obgleich er am Vortag des Interviews auf-grund des schönen Wetters weniger Zeit am Computer verbracht hat als sonst. Grundsätzlich spielt Ben meist, wenn ihm langweilig ist, er nichts anderes zu tun hat oder wenn seine Freunde ebenfalls spielen: „Abends […] spiele ich dann manchmal [online, Erg. d. Verf.] mit meinen Freunden [...] zwei, drei Stunden […], um den Tag ausklingen zu lassen“ (Anhang: 72).
Die Tatsache, dass er angibt, abends häufig entweder alleine oder online mit Freunden Bildschirmspiele zu spielen, deutet darauf hin, dass er regelmäßig spielt. Da er erklärt, häufig aus Langeweile zu spielen, sind Bildschirmspiele für ihn an-scheinend „Lückenfüller“, etwa um Zeit zu überbrücken, wenn ihm andere Freizeit-möglichkeiten gerade nicht zur Verfügung stehen. Dass er im Zusammenhang mit seinen Spielgewohnheiten von „[…] den Tag ausklingen lassen“ (ebd.) spricht, lässt sich so verstehen, dass das abendliche Spielen für ihn offenbar zu einer Art Routine geworden ist und er Entspannung damit assoziiert.
Seine Aussage, dass er am Vortag des Interviews weniger Zeit vor dem Computer verbracht hat, da das Wetter gut war, lässt darauf schließen, dass er bei schlech-tem Wetter mehr Zeit am Computer verbringt und das Spielen von Bildschirmspie-len eine Alternative für seine Outdoor-Aktivitäten darstellt. Diese Annahme spie-gelt sich auch in Bens Präferenzbild wider, da er angibt, dass der Computer sein liebstes Medium sei.
Mediennutzung – Fernsehen, Videos und Serien
In seiner Freizeit sieht Ben nur selten Fernsehen und hat sich zuletzt vor zwei Wo-chen einen Film angesehen, an dessen Titel er sich nicht mehr erinnern kann. Zwar verfolgt seine Familie während des gemeinsamen Abendessens häufig die Nach-richten im Fernsehen, dennoch meint Ben, dass er selbst häufig nur beiläufig zu-schaue und sich hin und wieder ausschließlich Filme ansehen würde.
Demgegenüber schaut sich Ben regelmäßig Videos auf YouTube und/oder Se-rien auf Netflix über seinen Computer an. Zuletzt hat er sich am Vorabend des Interviews ein Reaktionsvideo, das die gefilmte Reaktion von Personen bzw. Perso-nengruppen auf bestimmte Dinge zeigt, auf YouTube angesehen. Grundsätzlich schaut sich Ben auf YouTube lediglich Videos an, die sich in den Trends (eine Liste mit angesagten Videos) befinden. Auf der Streamingplattform Netflix schaut er sich Science-Fiction-Mystery-Serien wie „Stranger Things“5 oder Action-Drama-Serien wie „Leathal Weapon“ 6 an. Generell bevorzugt Ben spannende Serien, dennoch hat er keine bestimmten Vorlieben, nach denen er die Serien auswählt. Er erzählt: „Bei Serien mag ich mehr so die realistischen Serien; also ich mag jetzt nicht so Animes. […] Ich mag mehr so […] Kriminalsachen […], dass es dann […] um Polizisten geht.“ (ebd.: 74).
Diese Aussage steht zunächst im Widerspruch dazu, dass er sich die Serie „Stranger Things“ angesehen hat, da es sich hierbei um keine rein realistische Serie handelt, weil sie sowohl Science-Fiction- als auch Mysterieelemente enthält. Wird der Fokus in seiner Aussage wiederum auf die von ihm genannten Animes (in Japan produzierte Zeichentrickfilme) gerichtet, lassen sich seine Ausführungen so deuten, dass er Serien in Realverfilmung, wie etwa „Stranger Things“ oder „Lethal Wea-pon“, bevorzugt. Obwohl er angibt, keine speziellen Genrepräferenzen zu haben, lässt sich anhand seiner Äußerung, dass er „Kriminalsachen“ in Serien möge, ab-leiten, dass er eine Vorliebe für das Genre Krimi besitzt oder sich zumindest ten-denziell gerne kriminalistische Serien ansieht, in denen es beispielsweise um Poli-zisten (wie in „Lethal Weapon“) geht.
Insbesondere dadurch, dass sich Ben weder an den Titel des zuletzt gesehenen Films erinnern kann, noch näher in Worte fassen kann, welche Art von Filmen er sich grundsätzlich gerne anschaut, wird deutlich, dass Ben nur selten Fernsehen schaut. Dies betont er auch, indem er erzählt, dass er viel häufiger am Computer sitzen würde. Daher ist es kaum verwunderlich, dass er dem Fernseher in seinem Präferenzbild im Kontrast zum Medium Computer (Platz eins) die geringste Rele-vanz zuschreibt und auf dem letzten Platz aufführt.
Mediennutzung – Computer, Smartphone und Hörmedien
Wie bereits im Zuge der Mediennutzung von Serien und Videos dargelegt wurde, nutzt Ben seinen Computer unter anderem, um sich Videos auf YouTube oder Se-rien auf Netflix anschauen zu können. Hin und wieder hört er sich am Computer auch Musik über Spotify – einen digitalen Streamingdienst für Hörmedien – an. Dennoch meint Ben, dass er am Computer, den er nahezu täglich benutzt, überwie-gend Online-Computerspiele spiele. Während er „zockt“, unterhält er sich häufig über die Sprach- und Textchat-Software Discord, die speziell für „Gamer“ entwi-ckelt wurde, via Headset mit seinen Freunden (Mit- bzw. Gegenspielern).
[...]
1 Im Folgenden mit SuS abgekürzt.
2 Namen aller Jugendlichen geändert.
3 1. Analyse der medien-biographischen Daten, 2. Text- und thematische Feldanalyse, 3. Rekon-struktion der Fallgeschichte, 4. Feinanalyse der ausgewählten Interviewpassagen, 5. Kontrastiver Vergleich der erlebten mit der erzählten Lebens- und Mediengeschichte. vgl. Schoett 2008: 69.
4 Wards, Rachel (2010): Numbers – Den Tod im Blick. Hamburg: Carlsen. Die Lektüre wird im Zusammenhang mit der Sequenz „Lesen in der Freizeit und Lieblingsbuch“ sowie „Leseklima in der Familie, Leseverhalten der peers und Lesen in der Schule“ näher thematisiert.
5 Stranger Things, Regie: Matt und Ross Duffer, Vereinigte Staaten 2015.
6 Lethal Weapon, Regie: Steve Boyum und McG., Vereinigte Staaten 2016. Die Serie basiert auf die gleichnamige vierteilige Filmreihe, deren Filme in den Jahren 1987, 1989, 1992 und 1998 veröf-fentlicht wurden.
- Citar trabajo
- Kim Packroß (Autor), 2018, Bildschirmspiele als Konkurrent zum Lesen von Büchern? Fallstudien zur Lese- und Mediensozialisation bei männlichen Jugendlichen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/704369
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