Diese Arbeit behandelt den Zusammenhang zwischen der Metaethik Humes und seiner politischen Philosophie. Die Metaethik Humes stellt die Voraussetzung für seine politische Philosophie dar, insofern diese bestimmte Lösungen für Probleme der politischen Philosophie nahelegt.
Der Mensch ist nach Hume in moralischer Hinsicht ein nicht zuletzt von Affekten sowie Gefühlen bestimmtes Wesen. Seine natürliche Moralität führt ihn dazu, Freunde vor Fremden zu bevorzugen und insgesamt in seinem Handeln parteiisch, also ungerecht zu verfahren. Diese natürliche Moralität steht in einem Spannungsverhältnis zu jener Moralität, die für die Wertschätzung und Ausübung der künstlichen Tugenden wie der des Rechtssinns und der Untertanen- und Vertragstreue unabdingbar ist, welche das Herzstück der politischen Philosophie Humes darstellen. Aber trotz des Spannungsverhältnisses der künstlichen Tugenden zur natürlichen Moralität der Menschen sind sie doch auf diese angewiesen. Die künstlichen Tugenden haben ihr Fundament im natürlichen Vermögen der Menschen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die metaethischen Thesen Humes
2.1 Moralische Unterscheidungen entstammen nicht der Vernunft
2.2 Moralische Unterscheidungen entspringen einem moralischen Sinn
3. Der Zusammenhang zwischen der Humeschen Metaethik und der politischen Philosophie Humes
3.1 Humes Metaethik als Voraussetzung für die künstliche Tugend des Rechtssinns
3.1.1 Der Standpunkt des unbeteiligten Betrachters als Voraussetzung für die Entstehung und Existenz der künstlichen Tugend des Rechtssinns
3.1.2 Der moralische Sinn als Fundament der künstlichen Tugend des Rechtssinns
4. Die künstlichen Tugenden und die Verbindung zur Humeschen Metaethik
4.1 Der Rechtssinn
4.1.1 Der Rechtssinn und das Trittbrettfahrerproblem („free-rider-problem“)
4.1.2 Der Rechtssinn und dessen Verbindung zum moralischen Sinn
4.1.3 Die Regeln der Rechtsordnung und der moralische Sinn
4.2 Die Tugend der Vertragstreue („fidelity“)
4.3 Die Untertanentreue („allegiance“)
4.4 Der Zusammenhang zwischen der Humeschen Metaethik und der Ablehnung der Vertragstheorie durch Hume
5. Zusammenfassung
Literaturverzeichni
1. Einleitung
Diese Arbeit behandelt den Zusammenhang zwischen der Metaethik Humes und seiner politischen Philosophie. Die Metaethik Humes stellt die Voraussetzung für seine politische Philosophie dar, insofern diese bestimmte Lösungen für Probleme der politischen Philosophie nahelegt.
Der Mensch ist nach Hume in moralischer Hinsicht ein nicht zuletzt von Affekten sowie Gefühlen bestimmtes Wesen. Seine natürliche Moralität führt ihn dazu, Freunde vor Fremden zu bevorzugen und insgesamt in seinem Handeln parteiisch, also ungerecht zu verfahren. Diese natürliche Moralität steht in einem Spannungsverhältnis zu jener Moralität, die für die Wertschätzung und Ausübung der künstlichen Tugenden wie der des Rechtssinns und der Untertanen- und Vertragstreue unabdingbar ist, welche das Herzstück der politischen Philosophie Humes darstellen. Aber trotz des Spannungsverhältnisses der künstlichen Tugenden zur natürlichen Moralität der Menschen sind sie doch auf diese angewiesen. Die künstlichen Tugenden haben ihr Fundament im natürlichen Vermögen der Menschen.
Die Korrektur der natürlichen Moralität, die notwendig ist, um zu einer Konzeption der öffentlichen Moral1 zu gelangen, wie sie in den künstlichen Tugenden ihren Ausdruck findet, ist durch den unbeteiligten Betrachter gewährleistet, den Hume in seiner Metaethik entwirft. Nur unter der Voraussetzung der für die Metaethik Humes grundlegenden Konzeptionen des unbeteiligten Betrachters, der Handlungen und Charaktere von einem unbeteiligten Standpunkt aus beurteilt und so erst zu einer tatsächlichen moralischen Beurteilung von Handlungen und Charakteren gelangt, sowie unter Voraussetzung des moral sense, der das Vermögen des Menschen darstellt, Tugend und Laster unmittelbar voneinander unterscheiden zu können, lassen sich Antworten auf die folgenden bedeutenden Fragen der politischen Philosophie finden: Warum handeln denn Menschen überhaupt gerecht (d.h. hier den Gesetzen der Rechtsordnung entsprechend), obwohl dieses gerechte Handeln manchmal ihren eigenen, unmittelbaren Interessen zuwiderläuft? Weshalb sind Menschen bereit, eine Beschneidung ihrer eigenen Freiheit durch die Unterwerfung unter die Regierung zu akzeptieren, auch wenn das Handeln derselben nicht immer und nicht durchgehend mit ihren eigenen Interessen übereinstimmt? Warum halten Menschen sich an Verträge, obwohl sie nicht von vornherein gewiss sein können, dass sie selbst von der Vertragstreue ihrerseits profitieren? Antworten auf diese Fragen lassen sich nur unter Bezugnahme auf die Humesche Metaethik geben.
Das erste Kapitel dieser Arbeit behandelt die metaethischen Thesen Humes. Hier wird seine Argumentation analysiert, dass moralische Unterscheidungen nicht der Vernunft, sondern dem moralischen Sinn entspringen. Im zweiten Kapitel wird der Zusammenhang zwischen Humes Metaethik und seiner politischen Philosophie aufgezeigt. Zentrales Beispiel ist hier der Rechtssinn. Das dritte Kapitel leistet die Herstellung der Verbindung der künstlichen Tugenden wie der des Rechtssinns („justice“), der Untertanentreue („allegiance“) und der Vertragstreue („fidelity) mit der Metaethik Humes. Abschließend wird im dritten Kapitel der Zusammenhang zwischen der Metaethik Humes und der HUmeschen Ablehnung der Vertragstheorie, anknüpfend an den Aufsatz „Hume and the social contract“ von Paul F. Brownsey dargestellt und erörtert.
2. Die metaethischen Thesen Humes
Im ersten Teil seiner metaethischen Abhandlung vertritt Hume die negative These, die moralischen Unterscheidungen entstammten nicht der Vernunft. Um diese zu stützen, bezieht er sich auf das Arbeitsgebiet der Vernunft, das sich ihm zufolge auf das Vergleichen von Vorstellungen und das Schließen aus Tatsachen erstreckt.
Die etischen Rationalisten, gegen die Hume sich hier wendet, behaupten nämlich, dass das Wesen der Moralität in der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung mit der Vernunft liegt. Daraus folgern sie, das Wesen der Moralität bestünde in den vier philosophischen Beziehungen, die der Demonstration fähig sind.2 Das Wesen der Moralität bestünde allein in Tatsachen, die ausschließlich durch die Tätigkeit der Vernunft erkannt werden könnten.
Humes Hauptargument gegen die These, das Wesen der Moralität liege in diesen Beziehungen, lautet, diese Beziehungen gehörten genauso zur Materie wie zu den menschlichen Handlungen, Affekten und Wollungen. Bestünde das Wesen der Moralität aber tatsächlich in diesen Beziehungen, dann dürften diese nur zu den menschlichen Handlungen, Affekten und Wollungen gehören, da ja ausschließlich diese einer moralischen Bewertung unterzogen werden. Das Wesen der Moralität besteht nach Hume also in keiner der besagten Beziehungen und der Sinn der Moralität somit auch nicht in deren Entdeckung.
Dass das Wesen der Moralität aber auch nicht in Tatsachen besteht, die durch Vernunft allein entdeckt werden können, ist nach Hume dadurch zu begründen, dass man im Fall einer lasterhaften Handlung wie z. B. dem absichtlichen Mord keinen Bestandteil desselben findet (also keine Tatsache), der für sich betrachtet schon lasterhaft wäre. Daraus zieht Hume die Schlussfolgerung, dass das Wesen der Moralität auch nicht in Tatsachen besteht und somit die Unterscheidung zwischen der Tugend und dem Laster niemals Gegenstand der Vernunft allein sein kann.
Der zweite Teil der metaethischen Abhandlung Humes wird mit der These eingeleitet, die moralischen Unterscheidungen entstammten einem moralischen Sinn („moral sense“). Die moralischen Unterscheidungen sind damit Gegenstand des Gefühls und entstammten den Eindrücken („impressions“) und nicht den Vorstellungen („ideas“).
2.1 Moralische Unterscheidungen entstammen nicht der Vernunft
Seine Argumentation gegen die These, dass die moralischen Unterscheidungen der Vernunft entstammen, leitet Hume mit der Frage ein, ob die Unterscheidung zwischen Laster („vice“) und Tugend („virtue“) aufgrund bestimmter Eindrücke oder gewisser Vorstellungen getroffen wird. Da alle Tätigkeiten des Geistes unter den Begriff der Perzeption fallen, ist dieser auch auf die Urteile zu beziehen, durch die das sittlich Gute von dem sittliche Schlechten unterschieden wird.3 Perzeptionen4 sind in zwei Arten zu untergliedern, nämlich in Eindrücke („impressions“) und Vorstellungen („ideas“).5
Diejenigen Philosophen, die behaupten, dass das Wesen der Tugend in nichts anderem als in der Übereinstimmung mit der Vernunft besteht, vertreten dementsprechend auch die These, dass es ewig gültige Unterschiede des Seinsollenden und des Nichtseinsollenden in den Dingen gibt, die für jedes vernünftige Wesen, das über diese reflektiert, dieselben sind.6 Hieraus folgt, dass das Sittliche, genauso wie die (demonstrative) Wahrheitserkenntnis, aufgrund bloßer Vorstellungen sowie deren Gegenüberstellung und Vergleich erkannt wird. Gerade diese Voraussetzung aber bestreitet Hume. Dabei beruft er sich auf die gewöhnliche Unterteilung der Philosophie in die spekulative und die praktische.7 Indem die Moralität dem letzteren Aufgabengebiet zugerechnet werde, werde auch unterstellt, dass diese einen Einfluss auf die menschlichen Affekte und Handlungen ausübt – und somit über die ruhigen Urteile des Verstandes hinausgeht. Dass dies tatsächlich der Fall sei, zeige sich durch die Erfahrung. Denn diese beweise, dass Menschen häufig von ihren Pflichten beherrscht werden und von bestimmten Handlungen Abstand nehmen, da diese der Gerechtigkeit zuwiderlaufen, andere aber wiederum vollziehen, obwohl sie ungerecht sind, weil sie dazu verpflichtet sind.8
Insofern die Moralität also einen Einfluss auf die Handlungen und Affekte der Menschen ausübe, der Verstand hingegen alleine niemals einen solchen Einfluss entfalten könne, sei es unmöglich, dass die Moralität aus der Vernunft hergeleitet ist.9
Ein aktives Prinzip, wie es die Moralität ist, kann Hume zufolge niemals auf ein inaktives Prinzip, als diese für sich genommen niemals einen Willensakt oder eine Handlung auslösen kann.10 Da aber Vernunft an sich inaktiv ist, ist sie es auch in all ihren Erscheinungsformen, unabhängig davon, ob es sich bei ihren Gegenständen um natürliche oder moralische handelt.
Die Tätigkeit der Vernunft bezieht sich bei Hume auf die Erkenntnis von Wahrheit und Irrtum.11 Wahrheit und Irrtum beruhen aber wiederum auf der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung entweder mit den wirklichen Beziehungen der Vorstellungen oder mit dem wirklichen Dasein und den wirklichen Tatsachen. Und was zu einer solchen Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung nicht fähig ist, kann weder wahr noch falsch und somit auch niemals Gegenstand der Vernunft sein. Es ist Hume zufolge offensichtlich, dass Affekte, Wollungen und Handlungen einer solchen Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung mit den tatsächlichen Beziehungen der Vorstellungen oder aber mit Tatsachen nicht fähig sind.12 Schließlich sind diese in sich originäre Gegebenheiten. Das bedeutet, dass diese keinen Bezug zu anderen Affekten, Wollungen oder Handlungen besitzen. Daraus folgt, dass Affekte, Wollungen und Handlungen weder als richtig noch als falsch bezeichnet werden können und dass sie folglich auch nicht der Vernunft wider- oder ihr entsprechen können.13
Diese These Humes ist einleuchtend, denn: Affekte, Willensakte oder Handlungen können zwar angemessen oder unangemessen sein, je nachdem, ob sie als Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke geeignet sind oder eben nicht. Aber sie können nicht als wahr oder falsch bezeichnet werden, da sie keinen Bezug zu Objekten aufweisen, anhand derer sich ihre Wahrheit oder Falschheit bestimmen ließe.
Wenn eine Person z. B. den Affekt des Stolzes angesichts bestimmter Leistungen, die sie vollbracht hat, empfindet, dann mag dieser Affekt aus der Sicht anderer Personen unangemessen sein, weil diese die Art ihrer Leistungen nicht als etwas betrachten, das den Affekt des Stolzes rechtfertigt. Dennoch ist der entsprechende Affekt nicht als falsch zu bezeichnen, weil es kein objektives (d. h. allgemeingültiges) Kriterium gibt, aufgrund dessen bestimmt werden könnte, wann denn dieser Affekt gerechtfertigt ist. Dieser Affekt ist einfach eine Tatsache. Das Humesche Argument, demzufolge Affekte, Wollungen und Handlungen einer Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung mit den tatsächlichen Beziehungen der Vorstellungen oder aber mit Tatsachen nicht fähig und folglich in sich originäre Gegebenheiten sind, verweist auf zweierlei:
Erstens darauf, dass Handlungen ihren Wert nicht durch ihre Übereinstimmung mit der Vernunft erhalten. DA Handlungen in sich selbst vollendete Gegebenheiten sind, können sie der Vernunft weder wider- noch ihr entsprechen. Deswegen ist es auch nicht möglich, dass sie ihren Wert oder Unwert durch Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung mit der Vernunft erhalten.
Zweitens darauf, dass die Vernunft nicht der Ursprung der Begriffe des sittlich Guten und des sittlich Bösen sein kann. Denn sie kann durch ihre Zustimmung oder ihren Widerspruch niemals in direkter Weise eine Handlung hervorrufen oder verhindern, wohingegen das Bewusstsein des Wertes oder Unwertes von Handlungen diese Macht besitzt. Zwar kann der Wille oder die Handlung nicht unmittelbar im Widerspruch zur Vernunft stehen, aber ein Widerspruch zur Vernunft kann in den Ursachen oder Wirkungen der Handlung liegen.14
Die Vernunft in Humes Sinne kann das Handeln nur auf zweierlei Art beeinflussen: Sie kann einen Affekt zum Leben erwecken, indem sie den Handelnden über die Existenz eines seiner Natur entsprechenden Gegenstandes informiert. Und sie kann die Mittel aufzeigen, um irgendwelche Affekte hervorzurufen, indem sie den Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen erhellt.15
Dies sind nach Hume die einzigen Arten von Urteilen, welche die Handlungen begleiten können und von denen man behaupten kann, sie würden diese hervorrufen. Aber diese Urteile können häufig auch falsch sein. Es ist beispielsweise denkbar, dass jemand von einem Affekt ergriffen wird, weil er der Ansicht ist, das Objekt, auf das sein Affekt gerichtet ist, gewähre Schmerz oder Freude – aber in Wirklichkeit ist das Objekt überhaupt nicht dazu geeignet diese Empfindungen hervorzurufen. Außerdem besteht auch die Möglichkeit des Ergreifens falscher Mittel, um das ersehnte Ziel zu erreichen. Aber dadurch wird die Ausführung der Absichten verzögert statt beschleunigt. Von diesen falschen Urteilen kann man sagen, sie beeinflussten die mit ihnen in Verbindung stehenden Affekte und Handlungen. Folglich lässt sich im übertragenen Sinne auch hinsichtlich dieser Urteile sagen, dass sie die von ihnen geleiteten Affekte und Handlungen unvernünftig werden lassen. Diese Irrtümer sind aber niemals eine Quelle von Immoralität. Diejenigen Personen, die einem solchen Irrtum verfallen, laden also keinerlei moralische Schuld auf sich. Schließlich handelt es sich bei diesen Irrtümern um Irrtümer bezüglich einer Tatsache.
Solche haben die Moralisten niemals für verbrecherisch gehalten, weil deren Entstehung nicht vom Willen des handelnden Subjekts abhängig ist, argumentiert Hume. Wären aber die moralischen Unterscheidungen aus der Wahrheit bzw. Irrtümlichkeit von Tatsachenurteilen hergeleitet, dann müssten sie nach Hume immer gegeben sein, wenn etwas beurteilt wird. Schließlich mache es keinen Unterschied, ob es sich bei dem Urteil um einen besonders wichtigen Gegenstand oder aber um einen weniger wichtigen Gegenstand handelt. Also sei Unvermeidbarkeit bzw. Vermeidbarkeit des Irrtums auch gleichgültig. Wenn das Wesen der Moralität in der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung mit der Vernunft bestünde, dann seien die speziellen Umstände vollkommen gleichgültig – und könnten demnach niemals einer Handlung den Charakter des moralisch Guten oder des moralisch Bösen verleihen oder ihr diesen nehmen.
Da die Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung des moralischen Urteils mit der Vernunft ebenfalls keinerlei Abstufung zulasse, seien schließlich auch alle Tugenden und alle Laster von gleichem Wert. Denn es komme ja nur die Unterscheidung von Wahrheit und Falschheit in Frage, sodass die Bedeutung und der spezifische Charakter der einzelnen Tugenden gar nicht erfasst werden können. Das heißt, dass z. B. die Auswirkungen der einzelnen Tugenden und Laster auf die Mitmenschen bei der Bestimmung ihrer besonderen Bedeutung gar nicht berücksichtigt werden würden. Zweifellos ist dies aber ein wichtiges Kriterium, um die besondere Bedeutung einzelner Tugenden zu erfassen. Außerdem widerspricht es der alltäglichen Erfahrung, dass alle Tugenden und Laster gleichermaßen geachtet bzw. verurteilt werden – so werden beispielsweise diejenigen Laster, welche dazu tendieren, der Gesellschaft zu schaden, in moralischer Hinsicht stärker verurteilt als diejenigen Laster, die offensichtlich nur der jeweiligen Person selbst Schaden zufügen können.
Die These, gemäß der die Tugend bzw. das Laster in der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung mit der Vernunft besteht, widerspricht also der herrschenden Praxis der moralischen Beurteilung von Affekten und Handlungen und ist somit nicht plausibel. Schließlich werden diejenigen Tugenden, die der Gesellschaft nützen, in moralischer Hinsicht stärker gelobt als diejenigen Tugenden, die nur für die jeweilige Person selbst oder Personen ihres näheren Umkreises von Nutzen sind: Wenn man beispielsweise jemanden lobt, weil er ein gerechter Mensch ist, so wird dies als ein höherwertiges Lob aufgefasst, als wenn man jemanden deswegen lobt, weil er zuvorkommend und freundlich ist. Zwar sind sowohl Gerechtigkeit als auch Freundlichkeit soziale Tugenden, insofern das soziale Umfeld desjenigen, der diese Tugenden aufweist, von diesen profitiert. Aber die Tugend der Gerechtigkeit unterscheidet sich von der Tugend der Freundlichkeit darin, dass die Gerechtigkeit auch in politischer Hinsicht, also im Hinblick auf das Allgemeinwohl, von Bedeutung ist, während sich die Wirkung der Tugend der Freundlichkeit nur auf das nähere soziale Umfeld erstreckt und keine tragende Bedeutung für die Erhaltung des Staates besitzt.
Bestünde das Wesen der Tugend – bzw. des Lasters – aber in der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung mit der Vernunft, dann könnte es diesen Unterschied nicht geben. Es würde unter solchen Voraussetzungen beispielsweise Ungerechtigkeit als moralisches Laster im selben Maße getadelt werden wie Unfreundlichkeit. Aber der Grund dafür, dass einige Tugenden und Laster stärker gelobt bzw. getadelt werden als andere, besteht ja gerade nicht darin, dass die einen in größerem Maß der Vernunft entsprechen als die anderen. Die besagte Abstufung wäre auf diese Weise nicht möglich, da eine Handlung oder ein Charakter, folgt man der angeführten Theorie der ethischen Rationalisten, entweder der Vernunft ent- oder aber ihr widerspricht, es folglich keine Grade dazwischen gibt. Der Grund dafür, dass einige Tugenden stärker gelobt und gewisse Laster in höherem Maße getadelt werden, besteht darin, dass diejenigen Tugenden, die in größerem Ausmaß gelobt werden, eine stärkere sympathetische Lust bzw. ausgeprägtere sympathetische Unlust im unbeteiligten Betrachter der Handlung hervorrufen würden. Die Perspektive des unbeteiligten Betrachters ist eine soziale, insofern er die jeweiligen Handlungen nicht aus der persönlichen Perspektive betrachtet, sondern so, als würden seine individuellen Interessen davon gar nicht berührt. Dadurch erst gerät das Interesse des sozialen Umfelds in den Blickpunkt des unbeteiligten Betrachters und, wenn man die unbeteiligte Betrachtungsweise auf die gesellschaftliche Ebene überträgt, das Allgemeinwohl der Menschen. Dementsprechend verspürt der unbeteiligte Betrachter eine stärkere sympathetische Lust bei Handlungen, die dem Allgemeinwohl dienlich sind als bei solchen, die nur einigen wenigen Personen des näheren sozialen Umfeldes nützen.
Da die Unterscheidungen bezüglich des in moralischer Hinsicht Schlechten und des in moralischer Hinsicht Guten unbestreitbar einen Einfluss auf die Handlungen ausüben, können diese Unterscheidungen nicht der Tätigkeit der Vernunft entstammen. Die Vernunft allein ist nämlich nicht fähig, Einfluss auf die Handlungen auszuüben. Vernunft und Urteil mögen die mittelbare Ursache einer Handlung sein, indem durch diese der entsprechende Affekt gelenkt wird. Aber auch Urteilen dieser Art kann nach Hume weder Tugend- noch Lasterhaftigkeit zugeschreiben werden, unabhängig davon, ob sie wahr oder falsch sind.16
Wäre die Vernunft alleine fähig, zwischen dem im moralischen Sinne Guten und dem im moralischen Sinne Schlechten zu unterscheiden, müsste das Wesen der Tugendhaftigkeit oder der Lasterhaftigkeit in irgendwelchen Beziehungen der Objekte bestehen, die durch die Tätigkeit der Vernunft erkannt werden, oder es müsste sich dabei um eine Tatsache handeln, die durch die Tätigkeit der Vernunft entdeckt wird.17
Denn die Arbeitsweise des menschlichen Verstandes unterteilt sich in die folgenden zwei Arten: erstens den Vergleich von Vorstellungen, und zweitens das Schließen aus Tatsachen. Da es aber nur diese beiden Arbeitsweisen des menschlichen Verstandes gibt, müsste die Tugend- bzw. Lasterhaftigkeit durch eine dieser beiden Tätigkeitsweisen des Verstandes erkannt werden.
Gemäß der Ansicht jener Philosophen, die erklären, die Tugend bzw. das Laster bestehe in der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung mit der Vernunft und die Moralität sei der Demonstration (d. h. des Beweises) fähig, müsste die Tugend oder das Laster in gewissen Beziehungen liegen, da Tatsachen nicht der Demonstration fähig sind (d. h. nicht aus bloßer Vernunft bewiesen werden können), wie Hume schreibt:18
There has been an opinion very industriously propagated by certain philosophers, that morality is susceptible of demonstration; and tho‚ no one has ever been able to advance a single step in those demonstrations; yet ´tis taken for granted, that this science may be brought up to an equal certainty with geometry or algebra.19
Würde man die These zugrunde legen, das Wesen der Moralität bestünde in Beziehungen, die der Demonstration fähig sind, müsste man sich auf die folgenden vier philosophischen Beziehungen beschränken: 1) Ähnlichkeit, 2) Gegensätzlichkeit, 3) Grade der Beschaffenheit (= Qualität) und 4) Verhältnisse der Menge und Zahl (= Quantität).20 Aber die Schwierigkeit dieser These liegt darin, so Hume, dass die besagten Beziehungen genauso zur Materie gehören wie zu den menschlichen Handlungen, den Affekten und dem Willen. Daraus zieht Hume den Schluss, das Wesen der Moralität bestünde in keiner dieser Beziehungen und damit der Sinn der Moralität auch nicht in deren Entdeckung.21
Dem ist noch die These hinzuzufügen, dass von Objekten nicht so gesprochen wird, als seien sie der Tugend oder des Lasters fähig. Zieht man außerdem noch die Annahme hinzu, dass die Sprache das Denken widerspiegelt, folgt aus den beiden oben angeführten Annahmen, dass von Objekten auch gewöhnlicherweise nicht so gedacht wird, als seien sie der Tugend oder des Lasters fähig, was wiederum gegen die These spricht, dass das Wesen der Tugend und des Lasters in den vier besagten Beziehungen besteht. Das Wesen der Moralität kann erstens deswegen nicht in den vier oben angeführten Beziehungen bestehen, weil sich die Bestimmung des in moralischer Hinsicht Guten oder des in moralischer Hinsicht Schlechten auf die Bedürfnisse der Menschen und die Erfordernisse des menschlichen Zusammenlebens gründet. Bedürfnisse sind aber Tatsachen, die nicht auf dem Vorhandensein der vier genannten Beziehungen beruhen. Deswegen kann weder die Tugend noch das Laster in diesen Beziehungen bestehen.
Zweitens kann das Wesen der Moralität so nicht erfasst werden, weil andernfalls auch unbelebte Gegenstände oder Tiere der Tugend oder des Lasters fähig wären. Diese können nämlich genauso wie die Menschen in derartigen Beziehungen zueinander stehen. Die Moralität ist jedoch eine menschliche Angelegenheit, insofern die Bestimmung des Wesens der Moralität von der Beschaffenheit der menschlichen Natur abhängig ist, zu der eben auch – und dies nicht zuletzt – die entsprechenden Affekte gehören. Somit kann die Moralität gar keine abstrakt-rational zu bestimmende Angelegenheit sein. Wenn das Wesen der Moralität nämlich tatsächlich in Abhängigkeit zum Vorhandensein dieser vier Beziehungen zu bestimmen wäre, dann wäre auch sehr fraglich, wie Handlungen, die der Gesellschaft nützen oder schaden, überhaupt durch diese Beziehungen erfasst werden sollen. Denn es lässt sich ja nur durch Erfahrung und nicht abstrakt-rational bestimmen, welche Handlungen in gesellschaftlicher Hinsicht nützlich oder schädlich sind. Die Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit von Handlungen für die Allgemeinheit ist ein wesentliches Kriterium bei der Bestimmung der Moralität derselben – aber dieses kann nicht durch die Tätigkeit der Vernunft allein erfasst werden. Denn um die Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit von Handlungen im Hinblick auf die Gesellschaft zu bestimmen, ist Erfahrung notwendig, und etwas, das durch die Erfahrung bestimmt wird, wird wiederum auch durch Gefühle erfasst. Die Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit von Handlungen kann also durch die vier angeführten Beziehungen unmöglich erfasst werden, weil die oben angeführten Beziehungen keinerlei Kriterien beinhalten, anhand derer die moralische Qualität einer Handlung oder eines Charakters beurteilt werden könnte.
Diese vier Beziehungen können der Humeschen These zufolge auch deswegen niemals das Wesen der Tugend oder des Lasters ausmachen, weil es gemäß Hume das Motiv ist, welches einer Handlung den Charakter des Tugendhaften oder Lasterhaften verleiht. Denn erst das Motiv einer Handlung gibt Aufschluss über die entsprechenden Charaktereigenschaften und damit auch die zu der Handlung antreibenden Affekte. Da nach Hume Motive zu Handlungen letztlich Affekte sind,22 diese aber wiederum nichts repräsentieren, also auch nicht die vier angeführten Beziehungen, kann das Wesen der Tugend oder des Lasters gemäß der Humeschen Philosophie auch nicht in diesen vier Beziehungen bestehen.
Hume stellt zwei Bedingungen auf, die zu erfüllen sind, um die Richtigkeit der Theorie, gemäß der die sittlichen Unterscheidungen der Vernunft entstammen, durch Demonstration beweisen zu können. Erstens muss das Vorhandensein von Beziehungen aufgezeigt werden, die nur zwischen Affekten, Wollungen und Handlungen in Bezug auf äußere Objekte bestehen, die aber gleichzeitig nicht zwischen Affekten und Wollungen sowie zwischen äußeren Objekten untereinander vorkommen (Bed. A).23 Dies ist deshalb notwendig, weil nach Hume das moralisch Gute und das moralisch Schlechte nur in Handlungen des Geistes in Bezug auf äußere Objekte zu finden ist. Gehörten nämlich die jeweiligen Beziehungen zu inneren Handlungen für sich genommen, würde daraus folgen, dass Personen sich durch innere Handlungen der Verbrechen an sich selbst schuldig machen könnten.
Bestünden die Beziehungen zwischen äußeren Objekten untereinander, wären auch sie der Tugend und des Lasters fähig.24
Diese beiden Annahmen sind aber bereits insofern schon höchst unplausibel, als Moralität eine gesellschaftliche Angelegenheit ist und die Frage nach dem Wesen der Tugend oder des Lasters gar nicht der Erörterung bedürfte, wäre der Mensch kein soziales Lebewesen, das durch Affekte, Wollungen und Handlungen auf die gesellschaftliche Sphäre, in der er es lebt, einwirkt und damit auf andere Menschen. Die Moralität ist eine Angelegenheit, die sich auf das Verhältnis der Menschen untereinander bezieht. Sie besitzt eine soziale Funktion, insofern sie das Verhalten und das Handeln der Menschen untereinander reguliert, sowohl das zwischenmenschliche Verhalten als auch das gesellschaftliche Handeln. Ohne bestimmte, von Hume als natürlich eingestufte Tugenden, wie z. B. die Tugend des Wohlwollens („benevolence“), wären keine freundschaftlichen Verbindungen unter den Menschen denkbar. Aber ohne gewisse künstliche Tugenden, wie z. B. die Tugend des Rechtssinns („justice“) und die der Untertanentreue („allegiance“), wären bestimmte gesellschaftliche Institutionen, wie die des Eigentums und der Regierung nicht intelligibel, weil die Tugend des Rechtssinns das Handeln der Menschen in Übereinstimmung mit den Regeln der Rechtsordnung sicherstellt und die Tugend der Untertanentreue gewährleistet, dass die Untertanen gegenüber der Regierung Gehorsam üben. Ohne das Einhalten der Rechtsordnung – welches die Regierung sicherstellen sollte – könnte es keine Ordnung und keinen Frieden innerhalb der Gesellschaft geben.
Zweitens, so Hume weiter, muss demonstriert werden, dass die Wirkungen dieser Beziehungen notwendigerweise immer dieselben sind und deshalb in gleicher Weise den Willen der Gottheit leiten können wie den Willen der Menschen (Bed. B). Es sei folglich zu zeigen, dass die Wirkungen dieser Beziehungen im Fall aller rationalen Kreaturen die gleichen sind. Daher sei die Notwendigkeit des Bestehens der Verbindung zwischen den Beziehungen und dem Willen aufzuzeigen. Diese müsste nämlich in jedem vernünftigen Geist stattfinden und diesen beeinflussen können.25
Dem widerspricht aber die Erfahrung insofern, als sie zeigt, dass Menschen, die den gleichen Grad an Vernunft besitzen, dennoch in unterschiedlichem Maße motiviert sind, moralische Handlungen zu vollziehen bzw. nicht zu vollziehen. Bd. A ist deshalb nicht erfüllbar, weil keine Beziehung alleine jemals eine Handlung hervorrufen kann, so die Überlegung Humes. Und es ist auch unmöglich Bed. B zu erfüllen, da keine Verbindung von Ursache und Wirkung (also der Einfluss der Relationen auf die jeweiligen Handlungen) a priori, das heißt vor jeder Erfahrung, bewiesen werden kann.26
Um zu zeigen, dass das Wesen der Tugend und des Lasters nicht in irgendwelchen Beziehungen liegt, führt Hume das folgende Beispiel an: Ein unbeseeltes Objekt, hier eine kleine Eiche, wächst allmählich und zerstört dadurch den elterlichen Baum.27 In diesem Fall fehlt keine der Relationen, die auch beim Elternmord vorhanden sind. Der eine Baum ist die Ursache der Existenz des anderen und der letztere die Ursache der Zerstörung des ersteren. Zwar könnte man hier einwenden, dass hier der Wille fehlt, der dagegen beim menschlichen Elternmord vorhanden ist. Doch dieser Einwand ist irrelevant. Denn der Wille ruft im Fall des Elternmordes keine vom Eichenbeispiel unterschiedlichen Beziehungen hervor. Der Wille ist nur die Ursache, von welcher sich die Handlung herleitet – er produziert dieselben Beziehungen, die im Fall der jungen Eiche entstehen, nur eben aufgrund anderer Ursachen. Dieselben Beziehungen haben in den beiden Fällen aber unterschiedliche Ursachen: Beim Elternmord handelt es sich um einen Willensakt, der das Kind dazu bewegt, die Eltern umzubringen, wohingegen die Gesetze der Materie das kleine Bäumchen dazu bewegen, den elterlichen Baum zu zerstören. Die Vorstellung des Lasters haftet aber nur dem Elternmord an. Folglich wird diese Vorstellung nicht aufgrund der nach der These der ethischen Rationalisten notwendigerweise wirksamen Beziehungen hervorgerufen.28 Die genannte These wird also widerlegt.
Nach Hume besteht die Tätigkeit der Vernunft im Vergleichen von Vorstellungen und dem Schließen aus Tatsachen.29 Entscheidend im angeführten Beispiel sind aber nicht die Relationen (die sind nämlich dieselben), sondern ihre unterschiedlichen Charaktere, die nicht durch die Vernunft allein erfasst werden können. Also können die moralischen Unterscheidungen nicht der Tätigkeit der Vernunft allein entstammen. Aber das Wesen der Moralität besteht Hume zufolge auch nicht in Tatsachen:
Take any action allow´d tob e vicious: Wilful murder, for instance.
Examine it in all lights, and see if you can find the matter of fact, of real existence, which you call vice. In which-ever way you take it, you find only certain passions, motives, volitions and thoughts. There is no other matter of fact in the case. The vice entirely escapes you,as long as you consider the object. You never can find it, till you turn your reflexion into your own breast, and find a sentiment of disapprobation, which arises in you, towards this action. Here is a matter of fact; but ´tis the object of feeling, not of reason. It lies in yourself, not in the object.30
Wenn man eine lasterhafte Handlung wie den absichtlichen Mord von allen Seiten betrachtet, dann findet man an dieser nichts, was für sich selbst genommen schon lasterhaft ist.31 Es gibt hier also keinen Bestandteil der Handlung als Tatsache32 zu entdecken, deren Bestehen an sich schon dasjenige ausmacht, was lasterhaft genannt wird. Das Lasterhafte dieser Handlung kann nur derjenige erkennen, der sein Inneres betrachtet und ein Gefühl der Missachtung angesichts dieser Handlung verspürt. Dieses Gefühl ist zwar eine Tatsache, aber es handelt sich bei ihr um einen Gegenstand des Fühlens, nicht der Vernunft.33 Das Lasterhafte ist Hume zufolge also keine den Objekten intrinsische Qualität. Seine Argumentation verdeutlicht zudem, dass Tugend und Laster nicht unabhängig von der Natur des Menschen und den Normen der menschlichen Gesellschaft bestehen. So sind Tugend und Laster zwar etwas Objektives, aber dies sind sie eben nur relativ zum Menschen betrachtet.
Hume vergleicht die Tugend und das Laster mit Tönen, Farben, Hitze und Kälte, den sog. „sekundären Qualitäten“, die gemäß der modernen Philosophie keine Qualitäten der Objekte darstellen, sondern Bewusstseinsinhalte des Geistes.34 Sekundäre Qualitäten sind diejenigen Eigenschaften, die in bestimmter Abhängigkeit zu den primären Qualitäten stehen: Die primären Qualitäten sind dabei diejenigen Qualitäten des Körpers, die auf die Sinnesorgane einwirken und vom Körper selbst untrennbar sind, wie Festigkeit, Gestalt, Bewegung oder Ruhe.35 Sekundäre Qualitäten (Farben, Töne, Gerüche, Geschmack) kommen den Körpern selbst nicht zu. Sie existieren nur, sofern sie durch ein Subjekt wahrgenommen werden.36
Der Humesche Vergleich von Tugend und Laster mit sekundären Qualitäten37 bezieht sich sowohl darauf, dass Tugend und Laster keine Entitäten darstellen, die an sich bestehen – also bereits vor ihrem Wahrgenommen-Werden durch entsprechende Subjekte – als auch darauf, dass ihre Existenz nicht unabhängig von den Gefühlen, die im jeweiligen Betrachter angesichts tugendhafter oder lasterhafter Handlungen erweckt werden, gedacht werden kann. Erst das Wahrnehmen von durch Handlungen ausgelösten Gefühlen begründet ihre Tugend- oder Lasterhaftigkeit. Tugend und Laster bestehen also nur insofern, als bestimmte Affekte, Handlungen oder Charaktere von der jeweils beurteilenden Person als tugend- oder lasterhaft wahrgenommen und empfunden werden. Diese Empfindung, durch die das Tugend- oder Lasterhafte einer Handlung oder eines Charakters erkannt wird, bezieht sich aber nicht auf die vier angeführten Beziehungen oder die Bestandteile der Handlung als Tatsachen, da diese durch die Empfindung gar nicht erfasst werden können, sondern auf die Affekte als Motive der Handlung, die ein dauerhafter Bestandteil des Charakters derjenigen Person sind, deren Handlung beurteilt wird.38
Das von Hume angeführte Beispiel des absichtlichen Mordes zeigt, dass die moralische Beurteilung von Handlungen eine Angelegenheit ist, die von der Beschaffenheit der menschlichen Natur abhängt.39 Moralische Urteile können daher gar nicht von rein rationalen Wesen, die keine Gefühle besitzen, vorgenommen werden – denn das Wesen der Moralität besteht weder in bestimmten Beziehungen noch in Tatsachen. Die unmittelbare moralische Bewertung entsteht durch das Gefühl. Aber es gibt nach Hume auch eine durch die Vernunft gelenkte Beurteilung der Handlungen. Seiner Theorie zufolge existieren auch moralische Vorstellungen, die aber wiederum auf moralischen Eindrücken beruhen.40
Dass das Wesen der Moralität weder in Beziehungen besteht noch durch die Vernunft erkannt werden kann, ergibt sich als Konsequenz aus der Humeschen Kritik an denjenigen Moralsystemen, die ein Sollen bzw. Nicht-Sollen aus einem Sein ableiten (d.h. Werte aus der Existenz von Tatsachen herleiten). Das Sollen stellt nach Hume nämlich eine neue Beziehung dar. Der Wechel vom Sein zum Sollen sei unmerklich, aber von höchster Bedeutung. Da das Sollen bzw. Nicht-Sollen eine neue Beziehung darstellt, müsse sie erklärt werden. Diese neue Beziehung sei unbegreiflich, und deswegen müsse ein Grund dafür gegeben werden, wie sie von anderen Beziehungen abgeleitet werden kann, die sich von ihr unterscheiden. Das Sollen stellt eine Beziehung dar, aber da das Wesen der Moralität nicht in Beziehungen besteht, ist das moralische Sollen undenkbar und der unmerkliche Wechsel vom Sein zum Sollen auch nicht intellegibel.41 Sollenssätze können also nicht aus Seinssätzen abgeleitet werden.42
Hume kritisiert im Folgenden die Vorgehensweise derjenigen Philosophen, die Moralsysteme aufstellen, in denen zuerst die Existenz Gottes festgestellt wird, oder Beobachtungen über menschliche Angelegenheiten gemacht werden, also Seinssätze postuliert werden, aus denen dann ohne jeden Übergang (also ohne Einfügung einer Zwischenthese) Sollenssätze deduziert (abgeleitet) werden. Dieser Übergang muss Hume zufolge genau beachtet und erklärt werden. Schließlich muss erklärt werden, wie das Sollen, das eine neue Beziehung ausdrückt, eine Deduktion von anderen Beziehungen sein kann, die sich gänzlich von der Beziehung, die durch den Begriff des Sollens ausgedrückt wird, unterscheiden.
I cannot forbear adding to these reasonings an observation, which, perhaps, be found of some importance. In every system of morality, which I habe hitherto met with, I have always remark‚d, that the author proceeds for some time in the ordinary way of reasoning, and establishes the being of a God, or makes observations convering human affairs; when of a sudden I am surpriz‚d to find, that instead of the usual copulations of propositions, is, and is not, I meet with no proposition that is not connected with an ought, or ought not. This change is imperceptible; but, is however, of the last consequence. For as this ought, or ought not, expresses some new relation or affirmation, ‚tis necessary that it shou‚d be observ‚d and explain‚d; and at the same time that a reason should be giben, for what seems altogehter inconseivable, how this new relation can be a deduction from others, which are entirely different from it. But as authors do not commonly use this precaution, I shall presume to recommend it tot he readers; and am persuaded, that this small attention wou‚d subvert all the vulgar systems of morality, and let us see, that the distinction of vice and virtue is not founded merely on the relations of objects, nor is perceiv‚d by reason.43
Diese Kritik Humes steht insofern im Zusammenhang mit dem weiter oben angeführten Beispiel des absichtlichen Mordes, als dieser ja auch eine Tatsache ist, die festgestellt wird. Die Behauptung, der Mord solle nicht sein, kann aber erst nach der unmittelbaren affektiven Bewertung getroffen werden. Letztere erst lässt den Mord als etwas Lasterhaftes erscheinen und schafft die Grundlage für die Bewertung, dass Mord nicht sein soll. Dasjenige, was nicht sein soll, wird folglich durch das Gefühl begründet und nicht durch die Tätigkeit der Vernunft. Die moralischen Unterscheidungen gründen sich nicht auf Tatsachen, deren Bestehen durch die Vernunft entdeckt werden kann. Im Fall des absichtlichen Mordes kann eben kein Werturteil unmittelbar aus dem Tatsachenurteil, dass ein Mord begangen wurde, abgeleitet werden. Um die Schlussfolgerung ziehen zu können, dass Mord nicht sein sollte, müsste hier z. B. eine zweite Prämisse eingeführt werden, die erklärt, warum Vernunft allein die Behauptung getroffen werden, dass der Mord nicht sein sollte. Denn heir handelt es sich ja um eine Annahme, die eine Bewertung darstellt, die dem Mord also einen bestimmten moralischen Wert beimisst. Die Bewertung, die in dieser Behauptung zum Ausdruck kommt, kann aber nur durch das Gefühl vorgenommen werden und nicht durch die Tätigkeit der Vernunft.44 Dies betont auch Streminger, wenn er zu „Is-Ought-Passage“ schreibt:
In dieser Sein-Sollen-Dichotomie ist nochmals Humes Kritik an der These, daß aus Tatsachen Werte ableitbar seien, zusammengefaßt: Weil unsere Sinne von keinen Werten berichten, enthält eine Beschreibung der Welt auch keine normativen Anleitungen über menschliches Verhalten.45
Übertragen auf das Beispiel des absichtlichen Mordes bedeutet diese Überlegung, dass die Sinne, vermittels derer der Mord überhaupt als solcher wahrgenommen wird, nicht für die Bewertung des Mordes als lasterhaft verantwortlich sind. So ist auch die Humesche Behauptung zu verstehen, dass es im Fall des absichtlichen Mordes keine Tatsache zu entdecken gibt, in der das Laster besteht. Denn es gibt keinen Bestandteil des Mordes, der nur vermöge der Sinneswahrnehmung als Tatsache festgestellt und gleichzeitig in moralischer Hinsicht bewertet werden könnte.
2.2 Moralische Unterscheidungen entspringen einem moralischen Sinn
Tugend und Laster sind nicht durch die Vernunft allein entdeckbar. Die Unterscheidungen bezüglich der Moralität sind Perzeptionen (Bewusstseinsinhalte). Wie im ersten Teil der von Hume durchgeführten Untersuchung gezeigt worden ist, sind die moralischen Unterscheidungen nicht auf Vorstellungen („ideas“) zurückzuführen, daher gibt es nur noch die Möglichkeit, dass diese den Eindrücken („impressions“) entspringen. Hume behauptet, die moralischen Unterscheidungen seien Gegenstände des Gefühls und nicht der Vernunft.46 So wird die Moralität vermittels eines moralischen Sinnes der Menschen viel eher gefühlt als beurteilt. Folglich ist die Moralität nichts, was sich vor jeder Erfahrung durch die bloße Vernunft bestimmen ließe. Da dieses Gefühl aber gewöhnlicherweise sehr ruhig ist, wenn es auftritt, neige man dazu, dessen Auftreten mit der Tätigkeit der Vernunft47 zu verwechseln.
Die Ausgangsfrage Humes hinsichtlich dieser Eindrücke ist, welcher Art sie sind und wie sie auf den menschlichen Geist wirken.48 Der Eindruck, aufgrund dessen die Tugend festgestellt wird, ist ihm zufolge ein angenehmer Eindruck. Dagegen ist der Eindruck, anhand dessen das Laster entdeckt wird, als unangenehm zu bezeichnen. Die unterscheidenden Eindrücke, deren Bestehen die Erkenntnis des Wesens von Tugend und Laster erst ermöglicht, sind nichts anderes als spezifische Unlust- oder Lustempfindungen („particular pains or pleasures“).49 Indem man einen Grund für das spezifische Lust- bzw. Unlustempfinden angibt, das man in Anbetracht eines Charakters oder einer Handlung verspürt, erkläre man das Wesen der Tugend bzw. des Lasters in hinreichender Weise, urteilt Hume. Hier ist allerdings zu fragen, ob es nicht noch weitere Kriterien geben müsste, aufgrund derer das spezifisch moralische Lust- bzw. Unlustempfinden von dem Lust- oder Unlustempfinden angesichts von unbelebten Gegenständen zu sondern ist. Denn es ist ja nicht offensichtlich, inwieweit sich die moralischen Lust- bzw. Unlustempfindungen von den nichtmoralischen Lust- bzw. Unlustgefühlen unterscheiden, das heißt, worin genau die moralischen Lust- und Unlustgefühle bestehen. Eine exaktere Differenzierung zwischen diesen verschiedenen Arten von Lustgefühlen nimmt Hume nicht vor.50
Das Tugend- bzw. Lasterhafte einer Handlung, eines Gefühls oder eines Charakters besteht Hume zufolge in der Erweckung eines besonderen Gefühls im Betrachter. Es ist dieses unmittelbare Gefühl, welches die moralische Anerkennung erzeugt. Die Menschen fragen nicht weiter nach den Gründen dieses Gefühls – indem sie dieses spezifische Gefühl empfinden, fühlen sie gleichzeitig das Vorhandensein der Tugendhaftigkeit der fraglichen Handlung oder des jeweiligen Charakters.51
Gegen die Humesche These, dass es ein Fundierungsverhältnis zwischen Tugend und Laster sowie bestimmten Lust- und Unlustgefühlen gibt, nämlich derart, dass sich unter der Voraussetzung einer unparteiischen Betrachtungsweise auf die jeweilige Handlung die spezifisch moralischen Lust- bzw. Unlustgefühle einstellen, lässt sich einwenden, dass jeder Gegenstand, ob beseelt oder unbeseelt, in moralischer Hinsicht gut oder schlecht ist, wenn dieser nur die entsprechenden Eindrücke von Lust oder Unlust hervorzurufen geeignet ist.52 Da Hume – im Gegensatz etwa zu Hutchenson – keinen spezifischen moralischen Sinn annimmt, wird dieser Einwand noch verstärkt.53
Hume jedoch entkräftet diese Argumentation, indem er darauf verweist, dass man unter dem Begriff der Lust Empfindungen zusammenfasst, die nur eine so geringe Ähnlichkeit aufweisen, dass es gerade noch möglich ist, diese unter demselben Begriff zusammenzufassen.
A good compostion of music and a bottle of good wine equally produce pleasure; and what s more, their goodness is determin‚d merely by the pleasure. But shall we say upon that account, that the wine is harmonious, or the music of a good flavour? In like manner an inanimat object, and the character oft he sentiments of any person may, both of them, give satisfaction; but as the satisfaction is different, this keeps our sentiments concerning them from being confounded, and makes us ascribe virtue tot he one, and not to the other.54
Zwar kann das Gefühl der Lust („pleasure“) genauso aufgrund der Betrachtung unbelebter Objekte wie durch den menschlichen Charakter im Betrachter erweckt werden. Aber der entscheidende Unterschied zwischen diesen Empfindungen der Lust liegt in ihrem grundsätzlich anderen Wesen: Dem menschlichen Charakter schreibt man die Eigenschaft der Tugend zu, wohingegen man dies beim Gegenstand, auch in Anbetracht der Lustgefühle, die aufgrund desselben erzeugt werden, nicht tut.
Dieses Argument Humes ist überzeugend, denn handelte es sich im Fall dieser unterschiedlichen Lustgefühle nicht um grundsätzlich verschiedene Arten der Lust, so wäre es ja absurd, dem entsprechenden Gegenstand in einem Falle die Eigenschaft der Tugend zuzuschreiben, sie ihm aber im anderen Falle abzusprechen. Die Praxis des Sprechens ist ebenfalls ein Hinweis darauf, dass es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Lustgefühlen, die in Anbetracht von unbelebten Objekten entstehen (also den Gefühlen ästhetischer Lust), und den moralischen Lustgefühlen gibt: Es wird in ganz anderer Weise von den Qualitäten gesprochen, die unbelebte Objekte aufweisen, als von denjenigen Eigenschaften, die nur Menschen zukommen. Dies lässt wiederum die Humesche Behauptung, der zufolge es einen Unterschied zwischen nichtmoralischen und moralischen Lust- und Unlustgefühlen gibt, anderen Falle plausibel erscheinen. Das spezifisch moralische Gefühl stellt sich nur unter bestimmten Bedingungen ein, wie Hume beschreibt:
Tis only when a character is considered in general, without reference to our particular interest, that it causes such a felling or sentiment, as denominates it morally good or evil.55
Einen Charakter oder eine Handlung in moralischer Hinsicht zu bewerten, heißt also, diesen unabhängig von persönlichen Interessen zu beurteilen, indem man ihn aus einer neutralen Perspektive betrachtet. Erst dadurch ist es möglich, dass Menschen überhaupt über moralische Fragen miteinander kommunizieren können. Andernfalls gäbe es nämlich keinen gemeinsamen Standpunkt, auf den sich all diejenigen beziehen können, die moralische Urteile treffen. Diese unbeteiligte Betrachtungsweise, die nach Hume erfüllt werden muss, um berechtigterweise von moralischen Gefühlen und moralischen Urteilen sprechen zu können, ist eine soziale, insofern erst durch die Einnahme des Standpunkts des unbeteiligten Betrachters die Beziehungen der Menschen untereinander und die darauf bezüglichen Handlungen im Zentrum der Aufmerksamkeit und der moralischen Beurteilung stehen können. Aufgrund des Prinzips der Sympathie ist der unbeteiligte Betrachter nämlich in der Lage, sich in fremde Personen hineinzuversetzen und sich ihre Interessen zu vergegenwärtigen, sodass er die jeweiligen Handlungen aus einer sozialen Perspektive beurteilt und eben nicht aus einer bloß individuellen Sichtweise. Das heißt, der unbeteiligte Betrachter wird erst durch diesen Perspektivenwechsel, der Bedingung einer Existenz ist, befähigt zu erkennen, was im Sinne des Allgemeinwohls nützlich oder schädlich ist. Erst durch ihn ist er in der Lage, sich und andere Menschen nicht aus einer rein egozentrischen Perspektive zu betrachten, sondern sich und die anderen als Mitglieder eines größeren Ganzen, einer Gemeinschaft, zu begreifen und zu bewerten. Denn die Moralität von Charakteren oder Handlungen ist nur unter Bezugnahme auf die Beziehungen der Menschen untereinander bestimmbar.
Hier stellt sich die Frage, wessen Interessen durch die Einnahme des Standpunkts des unbeteiligten Betrachters ins Blickfeld geraten. Indem man einen Charakter oder eine Handlung ohne Bezugnahme auf persönliche Interessen beurteilt, werden erstens die Interessen derjenigen Personen deutlich, die von der jeweiligen Handlung oder dem Charakter einer Person betroffen sind, wie z. B. der Freunde und Kollegen der jeweils beurteilen Person.56 Zweitens beurteilt man – vermöge der Einnahme des Standpunkts des unbeteiligten Betrachters – die Eigenschaften einer Person nach den gewöhnlichen Wirkungen dieser Eigenschaften (d. h. nach ihrer Tendenz), und nicht nach ihren tatsächlichen Wirkungen in dieser oder jener Situation.57
Man beurteilt den Charakter oder die Handlung anhand allgemeiner Regeln, wie Hume es nennt. Weitergedacht bedeutet dies, dass aus der Perspektive des unbeteiligten Betrachters Allgemeinwohl und gesellschaftliche Interessen im Zentrum der Bewertung stehen, wenn die unbeteiligte Betrachtungsweise sich nämlich erweitert und sich auf die Beurteilung gesellschaftlicher und politischer Entscheidungen bezieht. Daher werden aus der Perspektive des unbeteiligten Betrachters die Handlungen oder Charakters insofern als tugendhaft oder lasterhaft eingeschätzt, soweit sie dem Allgemeinwohl dienlich sind oder eben nicht.58 So erklärt sich auch die besondere Bedeutung der künstlichen Tugenden59 aus dieser metaethischen Bestimmung Humes. Insbesondere die künstlichen Tugenden erfordern einen hohen Grad an Unparteilichkeit der moralischen Bewertung. Denn nicht jede Handlung, die beispielsweise der künstlichen Tugend des Rechtssinns entspricht, ist auch unmittelbar vorteilhaft für die Allgemeinheit bzw. den Einzelnen (im Gegensatz zu Handlungen, die z. B. der natürlichen Tugend der „benevolence“ entsprechen). Erst das gesamte System derjenigen Handlungen, die den künstlichen Tugenden entsprechen, ist für den Einzelnen und die Allgemeinheit von Vorteil.
Aber der Standpunkt des unbeteiligten Betrachters ist auch vernunftgelenkt und künstlich. Denn der Mensch tendiert Hume zufolge im gewöhnlichen Leben nicht dazu, einen Charakter oder eine Handlung im Allgemeinen zu bewerten, d. h. ohne Bezugnahme auf die jeweiligen persönlichen Interessen des Beurteilenden. Das heißt schließlich, dass der Standpunkt des unbeteiligten Betrachters, den Hume in seiner Metaethik annimmt, den künstlichen Tugenden entspricht. Diese zeichnen sich nämlich ebenfalls dadurch aus, dass deren Ausübung und moralische Wertschätzung in höherem Maße als die Ausübung und Wertschätzung der natürlichen Tugenden entsprechende Handeln und die jeweilige Wertschätzung derselben ein hohes Maß an Abstraktion von den jeweiligen persönlichen Interessen verlangt.
Drittens sind Tugend und Laster dadurch charakterisiert, dass sie die indirekten Affekte des Stolzes, der Niedergedrücktheit, der Liebe und des Hasses erwecken. Diese Affekte werden immer dann hervorgerufen, wenn jemandem etwas präsentiert wird, das eine Beziehung zum Objekt des Affektes besitzt 8das eigene Selbst oder dasjenige anderer Personen, die einem nahestehen) und eine vom jeweiligen Affekt unabhängige Empfindung hervorruft. Dies trifft Hume zufolge bei der Entdeckung von Tugend und Laster ein. Tugend und Laster liegen entweder in uns selbst oder in anderen, sie erregen entweder Lust oder Unbehagen und müssen aufgrund dessen einen dieser vier indirekten Affekte zum Leben erwecken.60 Darum sind die Lust- und Unlustgefühle, die durch die Betrachtung eines Charakters entstehen, grundlegend von denjenigen verschieden, die in Anbetracht unbelebter Objekte entstehen.61 Diese Wirkung der Tugend und des Lasters auf den menschlichen Geist betrachtet Hume als von höchster Bedeutung. Die Affekte der Liebe und des Hasses, die in Anbetracht von Tugend und Laster erregt werden, wirken nämlich handlungsmotivierend. Gemäß der Motivationstheorie Humes verhält es sich nämlich so, dass der Verstand allein ohne die entsprechende Arbeit der Affekte die Menschen niemals zum Handeln bewegen kann:
Reason is, and ought only tob e the slave oft he passions, and can never pretend to any other office than to serve and obey them.62
Dass die Vernunft die Sklavin der Affekte ist und es auch sein sollte, bedeutet für die Humesche Philosophie, dass die Frage nach der Moralität von Handlungen oder Charakteren eine praktische ist. Die Affekte sind Hume zufolge die treibende Kraft der Handlungen, ihre Angemessenheit bzw. Unangemessenheit entscheidet über den moralischen Wert einer Handlung oder eines Charakters. Da die handlungsmotivierende Kraft der Affekte im Zentrum der Humeschen Philosophie steht, beschäftigt sich seine Philosophie vorwiegend mit der Frage der moralischen Motivation zu moralischen Handlungen sowie dem Zusammenhang zwischen Moralität und Politik.63 Hume erörtert die Fragen nach dem Wesen der Moralität unter dem Gesichtspunkt, dass die Menschen Handelnde innerhalb der Gesellschaft sind.
Der Zusammenhang zwischen Moralität und Politik besteht bei Hume insofern, als die Ausübung und moralische Wertschätzung der künstlichen Tugenden, die das Herzstück der politischen Philosophie Humes bilden, ihr natürliches Fundament in den moralischen Gefühlen haben, aber gleichzeitig ohne die Einnahme des Standpunkts des unbeteiligten Betrachters nicht denkbar wären.
Schließlich stellt Hume die für seine Philosophie grundlegende Frage nach den Prinzipien, von denen sich die spezifisch moralischen Gefühle herleiten. Es sei absurd anzunehmen, dass diese Gefühle in jedem Fall durch eine originäre Qualität und ursprüngliche Beschaffenheit hervorgerufen werden. Denn die Zahl der entsprechenden Pflichten ist nahezu unbegrenzt:
For as the number of our duties is, in a manner, infinite, ‚tis impossible that our original instincts should extend to each oft hem, and from our first infancy impress on the human mind all that multitude of precepts, which are contain‚d in the compleatest system of ethics.64
Da es Tugenden gibt, die künstlich sind, wie z. B. der Rechtssinn oder die Untertanentreue, ist es nicht plausibel anzunehmen, dass ihr Bestehen auf Instinkte der Menschen zurückgeht.65
Hume beruft sich in seiner Ablehnung einer ursprünglichen Beschaffenheit und primären Gemütsverfassung der menschlichen Natur, aus der die Lust- und Unlustgefühle hervorgehen, durch die das in moralischer Hinsicht Schlechte von dem in moralischer Hinsicht Guten unterscheiden wird, auf die gewöhnliche Verfahrensweise der Natur. Denn die Natur verfährt im Großen und Ganzen so, dass aus wenigen Prinzipien die ganze Mannigfaltigkeit der verschiedenen Erscheinungen im Universum hervorgeht.66 Es gehört zur Methode der Humeschen Philosophie, die unterschiedlichen Erscheinungsweisen eines Phänomens auf ein generelles Prinzip zurückzuführen:
‚Tis necessary, therefore, to abridge these primary impulses, and find some more general principles, upon which our notions of morals are founded.67
Zum Ende seiner metaethischen Abhandlung kehrt Hume zu der für seine Ethik grundlegenden Frage nach den fundamentalen Prinzipien der Moral zurück: So fragt er danach, warum ein Charakter oder eine Handlung, wenn man den Charakter oder die Handlung aus einer unbeteiligten Perspektive betrachtet, ein bestimmtes Gefühl der Befriedigung oder des Unbehagens hervorruft. Es komme ganz auf die Beantwortung dieser Frage an, denn dann müsse zur Erklärung von Moralität nicht erst nach unverständlichen Beziehungen und Eigenschaften gesucht werden, die weder in der Natur noch in der Vorstellung jemals existiert haben.68
Es ist Hume also darum zu tun, das Wesen der Moralität im Hinblick auf dessen Bedeutung für den Menschen und das Allgemeinwohl zu erfassen. Denn die oben angeführte Frage lässt sich nur im Hinblick auf den Nutzen bzw. die Schädlichkeit bestimmter Handlungen oder Charaktere für den Menschen und die Gemeinschaft der Menschen und damit unter Bezugnahme auf Erfahrung und nicht abstrakt beantworten.69 Das generelle Prinzip der Moralität, auf welches sich die Unterscheidungen zwischen dem in sittlicher Hinsicht Guten und dem in sittlicher Hinsicht Schlechten gründen, ist nach Hume das Prinzip der Sympathie.
[...]
1 Vgl. Pauer-Studer, Herlinde: David Hume. Über Moral, S. 320.
2 Diese vier philosophischen Beziehungen sind: 1) Ähnlichkeit, 2) Gegensätzlichkeit, 3) Grade der Beschaffenheit und 4) Verhältnisse der Menge und Zahl.
3 Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 456.
4 Gemäß Hume zerfallen alle Perzeptionen (Bewusstseinsinhalte) in zwei verschiedene Arten, nämlich in erstens Eindrücke („impressions“) und zweitens Vorstellungen („ideas“). Diejenigen Perzeptionen, die mit größter Leichtigkeit auf den Geist einwirken, nennt Hume Eindrücke. Unter den Begriff des Eindrucks werden alle Sinneswahrnehmungen, Affekte („passions“) und Emotionen eingeordnet, wenn sie zum ersten Mal in der Seele entstehen (vgl. ebd., S. 1). Unter den Begriff der Vorstellungen („ideas“) werden die Kopien der Eindrücke subsumiert, wie sie im Prozess des Denkens auftreten (vgl. ebd., S. 1). Eindrücke unterscheiden sich von Vorstellungen aufgrund der ihnen eigenen größeren Stärke und Lebendigkeit, mit der sie in der Seele auftreten (vgl. ebd., S. 2). Weiter unterscheidet Hume zwischen Eindrücken der Sinneswahrnehmung („impressions of sensation“) und Eindrücken der Selbstwahrnehmung („impressions of reflection“). Die Eindrücke der Sinneswahrnehmung entstehen in der Seele aus unbekannten Ursachen. Die Eindrücke der Selbstwahrnehmung unterteilt Hume in ruhige Eindrücke der Selbstwahrnehmung und heftige Eindrücke der Selbstwahrnehmung. Zu den ruhigen Eindrücken der Selbstwahrnehmung gehören die Eindrücke der Tugend und des Lasters („The reflective impressions may be divided into two kinds, viz. The calm and the violent. Oft he first kind ist he sense of eauty and deformity in action, composition, and external objects. Oft he second are the passions of love and hatred, grief and joy, pride and humility“ (ebd., S. 276).
5 Ebd., S. 456.
6 Vgl. ebd., S. 456. Hier handelt es sich um eine Kritik Humes an den rationalistischen Naturrechtstheoretikern, die behaupten, dass das Richtige oder Falsche eine erkennbare objektive Eigenschaft der Dinge darstellt. Vgl. Pauer, Studer, Herlinde: David Hume. Über Moral, S. 325.
7 Vgl. Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 457.
8 „And this is confirm`d by common experience, which informs us, that men are often govern`d by their duties, and are deter`d from some actions by the opinion of injustice, and impell`d to others by that of obligation.“ (Ebd., S. 457).
9 „Morals excite passions, and produce or prevent actions. Reason of itself is utterly impotent in this particular. The rules of morality, therefore, are not conclusions of our reason.“ (Ebd., S. 457).
10 „In ordert to show the fallay of all this philosophy, I shall endeavour to prove first, that reason alone can never be a motive to any action oft he will; and secondly, that it can never oppose passion in the direction of the will.“ (Ebd., S. 413).
11 „Truth or falsehood consists in an agreement or disagreement either tot he real relation of ideas, or to real existence and matter of fact.“ (Ebd., S. 458).
12 Kritisch dazu: Vgl. Broiles, R. David: The moral philosophiy of David Hume, S. 72-74.
13 „Now ´tis evident our passions, volitions and actions are not susceptible of any such agreement; being original facts in themselves, and implying no reference to other passions, volitions and actions.` ´Tis impossible, therefore, they can be pronounced either true or false, and be either contrary or conformable to reason.“ (Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 458).
14 „But perhaps it may be said, that tho` no will or action can be immediately contradictory to reason, yet we may find such a contradiction in some oft he attendants oft he action, that is, in ist causes or effects.“ (Ebd., S. 459).
15 Vgl. ebd., S. 459, siehe auch für das Folgende.
16 „Thus upon the whole, ´tis impossible, that the distinction betwixt moral good and evil, can be made by reason, since this distinction has an influence upon our actions, of which reason alone is impossible. Reason and judgement may indeed, be the mediate cause of an action, by prompting or by directing a passion. But it is not pretended, that a judgement of this kind, either in ist truth or falsehood, is attended with virtue or vice.“ (Ebd., S. 462).
17 Vgl. ebd., S. 463.
18 Hier bezieht sich Hume auf die Position des ethischen Rationalismus von John Locke und Samuel Clarke, derzufolge die Moralität eine Sache von Ableitungen ist (vgl.: Pauer-Studer, Herlinde: David Hume. Über Moral, S. 244).
19 Hume, David: A Treatis of Human Nature, S. 463.
20 Vgl. ebd., S. 464. Wenn der ethische Realismus Recht hätte und die Moral abgeleitet werden könnte, dann kämen für solche Ableitungen nur die vier oben genannten philosophischen Beziehungen in Frage (vgl. Pauer-Studer, Herlinde: David Hume. Über Moral, S. 244).
21 Vgl. Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 464.
22 Vgl. Heuer, Ulrike: Gründe und Motive, S. 25.
23 Vgl. Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 464f.
24 Vgl. ebd., S. 465.
25 Vgl. ebd., S. 465.
26 Vgl. ebd., A Treatis of Human Nature, S. 463.
27 Vgl. ebd., S. 467, siehe auch für das Folgende.
28 Kritisch dazu: Mounce, H. O.: Hume`s Nature, S. 463.
29 Vgl. Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 463.
30 Ebd., S. 468-469.
31 Vgl. ebd., S. 468.
32 Vgl. Glathe, Alfred B.: Hume´s Theory of Passions and of Morals, S. 94.
33 Vgl. Hume, David: A Tretise of Human Nature, S. 469.
34 Vgl. ebd., S. 469.
35 Vgl. Pauer-Studer, Herlinde: David Hume. Über Moral, S. 326. Hier nimmt Hume Bezug auf die Lockesche Konzeption der sekundären Qualiäten. Locke unterscheidet zwischen primären und sekundären Qualitäten. (Vgl. ebd., S. 326).
36 So schreibt Rolf W. Puster in seinem Aufsatz „John Locke. Die Idee des Empirismus“ zum Begriff der sekundären Qualitäten bei Lo>
37 Vgl. Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 469.
38 „If any action be either virtuous or vicious, `tis only a signo f some quality or charcter. It must depend upon durable principles oft he mind, which extend over the whole conduct, and enter into the personal character. Actions themselves, not proceeding from any constant principle, have no influence on love or hatred, pride or humility; and consequently are never consider`d in morality.“ (Ebd., S. 575).
39 Vgl. auch: Norton, David Fate: Hume, human nature and the foundations of morality, S. 159-160.
40 Dass es auch moralische Vorstellungen gibt, die Kopien der moralischen Eindrücke darstellen, zeigt die folgende Feststellung Humes: „For if nature did not aid us in this particular, t`twou`d be in vain for politicians to talk of honourable or dishounorable, praiseworthy or blameable. These words wou`d be perfectly unintelligible, and woz`d no more have any idea annex`d tot hem, than if they were of a tongue perfectly unknown to us.“ (Vgl. Hume, David: A treatise of Human Nature, S. 500).
41 Vgl. ebd., S. 68.
42 Vgl. ebd., S. 68. Kritisch dazu: MacIntyre, A. C.: Hume on „Is“ and „Ought“, S. 252ff.
43 Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 469.
44 Vgl. Foot, Philippa: Hume on Moral Judgement, S. 79.
45 Vgl. Streminger, Gerhard: David Hume. Sein Leben und sein Werk, S. 213.
46 Morality, therefore, is more properly felt than judg`d of; tho ´tis feeling is commonly so soft and gentle, that we are apt to confound it with an idea, according to our common custom of taking all things fort he same, which have any near resemblance to each other.“ (Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 470).
47 Vgl. ebd., S. 470. Da Hume die Begriffe Vernunft und Verstand sysonym verwendet, werden sie auch in dieser Arbeit synonym verwendet.
48 „Here we cannot remain in long suspense, but most pronounce the impression arising from virtue, to be agreeable, and that proceeding from vice tob e uneasy.“ (Ebd., S. 471).
49 „An action, or sentiment, or character is virtuous or vicious; why? Because it`s view causes a pleasure or uneasiness of a particular kind. In giving a reason, therefore, for the pleasure or uneasiness, we sufficiently explain the vice or virtue. To have the sense of virtue, is nothing but to feel a satisfaction of a particular kind from the contemplation of a charcter.“ (Ebd., S. 471).
50 Kritisch dazu: Boatright, John R.: „Hume`s account of moral sentiment“, S. 82f.
51 „Weg o no farther; nor do we inquire into the cause oft he satisfaction. We do not infer a character tob e virtuous, because it pleases: But in feeling, that it pleases after such a particular manner, we in effect feel, that it is virtuous.“ (Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 471)
52 Vgl. ebd., S. 471.
53 Vgl. Klemme, Heiner F.: David Hume zur Einführung, S. 122f. Die grundlegende Differenz zwischen dem von Hutcheson entworfenen moral sense und demjenigen von Hume konzipierten besteht in dem Verzicht Humes darauf, den moral sense analog zu den anderen Sinnen des Menschen zu begreifen. (Vgl. Schrader, Wolfgang: Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung. Der Wandel der moral-sense-Theorie von Shaftesbury bis Hume, S. 172)
54 Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 472.
55 Ebd., S. 472. Nach Hume handelt es sich nur dann um ein moralisches Urteil, wenn die beurteilende Person einen Charakter oder eine Handlung unabhängig von ihren individuellen Interessen beurteilt (vgl. ebd., S. 472). Dies wird im Folgenden mit dem Begriff des „unbeteiligten Betrachters“ bezeichnet.
56 Vgl. ebd., S. 582.
57 Vgl. Korsgaard, Christine M.: The sources of normativity, S. 55.
58 So erklärt auch Hume: „Most people will readily allow, that the useful qualities oft he mind are virtuous, because of their utility. […] Virtue is consider`d as means to an end. Means to an end. Means to an end are only valued so far the end is valued.“ (Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 618-619). Die meisten Menschen würden bereitwillig zugeben, dass die nützlichen Eigenschaften des Geistes tugendhaft sind, weil sie nützlich sind. In Verbindung mit der obengenannten metaethischen Bestimmung ergibt diese substantielle ethische Bestimmung, dass bestimmte Handlungen aufgrund ihrer Folgen als im moralischen Sinne gut oder schlecht beurteilt werden. Die Tugend wird als Mittel zum Zweck begriffen und dabei wird das Mittel zum Zweck nur insoweit geschätzt, als der Zweck auch geschätzt wird. Wenn die Tugend aber als Mittel zum Zweck geschätzt wird, dann konstituiert ihre Nützlichkeit im Hinblick auf einen bestimmten Zweck das Wesen der Tugend. Somit legt diese metaethische Bestimmung in Zusammenhang mit dieser substantiell ethischen Bestimmung eine bestimmte Art des Utilitarismus in der politischen Philosophie Humes nahe. Vermöge der Einnahme des Standpunkts des unbeteiligten Betrachters wird die Bedingung dafür geschaffen, dass genau diejenigen Eigenschaften als tugendhaft eingeschätzt werden, die dem Interesse der Gesellschaft nützlich sind (was sich eben durch die Einnahme dieses Standpunkts ermitteln lässt), wie beispielsweise die Tugend des Rechtssinns. Diese Tugend ist als Mittel zu einem Zweck, nämlich dem Nutzen der Gesellschaft, zu begreifen, da grundsätzlich alle Mitglieder der Gesellschaft von der Ausübung dieser Tugend profitieren.
59 Die künstlichen Tugenden sind diejenigen Tugenden, die Konventionen und Institutionen voraussetzen.
60 „Pride and humility, love and hatred are excited, when there is any thin presented to us, that both bears a relation tot he objecft of the passion, and produces a separate sensation of the passion. Now virtue and vice are attended with these circumstances.“ (Ebd., S. 473).
61 Vgl. ebd., S. 473.
62 Ebd., S. 415. Hier ist allerdings zu betonen, dass der Vernunft, obwohl sie gemäß der Humeschen Philosophie eine Sklavin der Affekte ist, eine durchaus bedeutende Rolle im Hinblick auf die Entwicklung von Affekten zukommt. So kann die Vernunft Affekte („passions“) oder Begehrungen („desires“) beeinflussen, den Willen auf indirekte Weise verändern und Affekte und Gefühle korrigieren. (Vgl. Norton, David Fate: „David Hume“, S. 126). Wenn der Verstand durch das Verlangen nach dem Objekt D aktiviert wird, und der Verstand dann entdeckt, dass es kein Objekt von der Art D gibt, oder aber, dass das fragliche Objekt tatsächlich gefährlich oder unerreichbar ist, dann wird das entsprechende Begehren aufgrund der Tätigkeit des Verstandes modifiziert oder ausgelöscht (oder es kann zumindest modifiziert oder ausgelöscht werden). (Vgl. ebd., S. 127). Hume sagt, dass die Vernunft den Willen nicht in direkter Weise beeinflusst. Die Vernunft kann aber Begehrungen („desires“) beeinflussen oder modifizieren, die infolgedessen die Impulse des Willens bestimmen (vgl. ebd., S. 128). Hume behauptet, dass die moralischen Gefühle nur dann hervorgerufen werden, wenn man Charaktere oder Handlungen aus einer unbeteiligten Perspektive beurteilt. Die unbeteiligte Sichtweise kann aber nur mit Hilfe der Vernunft erzielt werden, da nur so egoistsich motivierte Reaktionen auf bestimmte Handlungen oder Charaktere unterschieden werden können. (Vgl. ebd., S. 130).
63 Vgl. Capaldi, Nicholas: Hume`s Place in Moral Philosophy, S. 23, siehe auch für das Folgende.
64 Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 473.
65 Vgl. Schrader, Wolfgang H.: Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung, S. 73.
66 Vgl. Hume, David: A Treatise of Human Nature, S. 473.
67 Ebd., S. 473.
68 Vgl. ebd., S. 475f.
69 Vgl. Kuypers, Mary Shaw: Studies in the Eigghteenth Century Empiricism, S. 97.
- Citation du texte
- Caroline Boller (Auteur), 2010, Zusammenhang zwischen der Metaethik David Humes und seiner politischen Philosophie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/703331
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