Der Zweck der Arbeit sollte darin bestehen, auf Grundlage aktueller Literaturrecherchen und empirischer Studien den Zusammenhang zwischen den drei Konzepten herauszuarbeiten. Um den Blick noch stärker auf den Schulsport zu lenken, wurde zum einen eine Lehrplananalyse des Lehrplan Sport Rheinland-Pfalz hinzugezogen. Zum anderen wurde durch gute Kontakte zur schulischen Praxis die Idee geboren, anhand von Interviews die Situation der in der Arbeit behandelten Problematiken direkt von den Lehrkräften zu erfahren und dieses Expertenwissen in die Arbeit einfließen zu lassen.
Anhand von leistungsthematischen Situationen des Sportunterrichts sollen stellvertretend für unzählige andere alltägliche Situationen aufgezeigt werden, wie sich Sportunterricht abspielen kann: z.B. hier der „unmotivierte“ Schüler, dort volle Leistungsbereitschaft beim Leistungskurs, usw. Es gibt viele Aspekte, die sich aus verschiedenen Unterrichtsszenen herausstellen lassen: zum einen Motivationsaspekte, zum anderen Leistungsaspekte, oder, auch im Hinblick auf die Prüfung in der Oberstufe und anhand der Zielsetzung in unteren Klasse, Benotungsaspekte und somit in gewisser Weise auch Lehrplanvorgaben.
Die vorliegende Staatsexamensarbeit mit dem Titel „Leisten, Leistung und Leistungsmotivation im Sportunterricht – Eine Analyse didaktischer Konzepte und der empirischen Forschungslage unter besonderer Berücksichtigung des Lehrplans Sport Rheinland-Pfalz“ soll einige Aspekte davon aufgreifen. Ziel ist es, anhand von Literaturrecherchen die Bedeutung der drei im Titel genannten Konzepte für den Schulsport herauszustellen, bzw. deren Nutzen und Einfluss für den Sportunterricht zu untersuchen und so festzustellen, inwieweit diese im Lehrplan, in den didaktischen Konzepten und in den Studien zum Schulsport verankert sind.
Abschließend folgt eine empirische Pilotstudie, in der anhand qualitativer Lehrerinterviews versucht werden soll aufzuzeigen, wie LehrerInnen im Schulalltag tatsächlich mit diesen drei Konzeptionen umgehen. Ein Fazit für den Schulsport soll die Darstellungen in dieser Arbeit abrunden.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anhangsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung und allgemeine Problemstellung
1.1 Organisation und begriffliche Einordnung des Schulsports
1.2 Didaktische Konzepte des Schulsports
2. Die Perspektiven des Sports in der Schule
2.1 Die pädagogischen Perspektiven im Lehrplan Sport von Rheinland-
Pfalz
2.2 Bedeutung der Perspektiven für den Sportunterricht
3. Theoretische Grundlagen zu Leisten, Leistung und Leistungsmotivation
3.1 Leisten
3.2 Leistung
3.2.1 Perspektiven des Leistungsbegriffs
3.2.2 Messen und Bewerten von Leistung
3.3 Leistungsmotiv und -motivation
3.3.1 Bedingungen leistungsmotivierten Handelns
3.3.2 Motivspezifische Komponenten
3.3.2.1 Hoffen auf Erfolg vs. Furcht vor Misserfolg
3.3.2.2 Kausalattribuierung
3.3.2.3 Die multithematischen Anreize
3.3.3 Das Prozessmodell der Leistungsmotivation
3.4 Der inhaltliche Zusammenhang zwischen Leisten, Leistung und
Leistungsmotivation
4. Aktueller Stand der fachdidaktischen Diskussion bezüglich des
Schulsports
4.1 Theoretische Aspekte
4.2 Empirischer Forschungsstand
4.3 SPRINT-Studie
4.3.1 Kernaussagen der SPRINT-Studie
4.3.2 Leisten, Leistung und Leistungsmotivation in der
SPRINT-Studie
4.4 AOK-DSB-WIAD-Studie I und II
4.4.1 Kernaussagen der AOK-DSB-WIAD-Studien
4.4.2 Leisten, Leistung und Leistungsmotivation in den
AOK-DSB-WIAD-Studien
4.5 Augsburger Studie zur Situation des Schulsports in Bayern
4.5.1 Kernaussagen der Augsburger Studie
4.5.2 Leisten, Leistung und Leistungsmotivation in der
Augsburger Studie
4.6 Weitere Studien zur Situation des Schulsports
5. Beispiele zur Förderung der drei Konzepte
5.1 Bundesjugendspiele
5.2 Jugend trainiert für Olympia
5.3 Interventionen zur Leistungsmotivationsförderung
6. Eine empirische Pilotstudie: Qualitative Lehrerinterviews
6.1 Konkrete Problemstellung
6.2 Untersuchungsmethodik
6.3 Ergebnisse und Interpretation
7. Diskussion der Ergebnisse im Lichte der Konzepte, des Lehrplans und .. der Studien
8. Zusammenfassung und Ausblick: Perspektiven für den Schulsport
Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anhangsverzeichnis
Interview L1
Interview L2
Interview L3
Interview L4
Interview L5
Interview L6
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungen:
Abb. 1: Allgemeine Aufgaben des Bildungswesens (Söll, 2000, S. 6)
Abb. 2: Systematisierung der Sportarten im Sportartenkonzept (Söll, 2003,
S. 37)
Abb. 3: Die sechs Sinnrichtungen aus dem neuen Lehrplan „Lehrmittel“ der
Schweiz (modifiziert nach Kurz, 2000, S. 73)
Abb. 4: Pädagogische Perspektiven auf den Sport in der Schule (Kurz,
2000, S. 74)
Abb. 5: Die Pädagogischen Perspektiven im Lehrplan Sport Rheinland-Pfalz
(MfBWW, 1998 a, S. 10)
Abb. 6: Die Kurve aufsuchender Leistungsmotivation im Risikowahlmodell
(Rheinberg, 2004, S. 72)
Abb. 7: Faktoren der Kausalattribuierung (Gabler, 2000, S. 216)
Abb. 8: Faktoren der Kausalattribuierung im Sport (Gabler, 2000, S. 216)
Abb. 9: Prozessmodell der Leistungsmotivation (Gabler, 2000, S. 211)
Abb. 10: Zusammenhang zwischen Leisten, Leistung und Leistungs-
motivation
Abb. 11: Beurteilung der wichtigsten Ziele des Sportunterrichts laut Aussagen
der Schulleiter (DSB, 2006, S. 113)
Abb. 12: Leistungsprofil nach Schulen und Geschlecht (WIAD, 2000, S. 27)
Abb. 13: Vergleichende Motivstruktur für Sport in Verein, Schule und Freizeit
(WIAD, 2000, S. 19)
Abb. 14: Angaben zur Einhaltung des Lehrplans aus Sicht der Lehrer
Altenberger, 2005, S. 75)
Abb. 15: Angaben zur Einhaltung des Lehrplans aus Sicht der Schüler
Altenberger, 2005, S. 76)
Abb. 16: Einschätzung der Lehrkräfte zur Umsetzung sportdidaktischer
Theorien im Sportunterricht (Altenberger, 2005, S. 83)
Abb. 17: Angaben der Lehrkräfte zur Jahrgangsstufe, die die geringsten
Schwierigkeiten im Basissportunterricht bereitet (Altenberger, 2005,
S. 87)
Abb. 18: Angaben der Lehrkräfte zur Jahrgangsstufe, die die größten
Schwierigkeiten im Basissportunterricht bereitet (Altenberger, 2005,
S. 88)
Abb. 19: Prozentualer Anteil der Schülerinnen und Schüler (n=1651), denen
die Abschaffung des Sportunterrichts egal ist bzw. die das prima
finden in Abhängigkeit von Altersstufe und Geschlecht (Wydra,
2000, S. 22)
Abb. 20: Ausprägung der verschiedenen Motivbündel (Wydra/Förster, 2000,
S. 92)
Abb. 21: Schematische Darstellung des Trainingskonzeptes (Weßling-
Lünnemann, 1985, S. 34)
Tabellen:
Tab. 1: Die pädagogischen Perspektiven mit ihrem subjektiven Sinn und ihrer
pädagogischen Bedeutung (vgl. Kurz, 2004)
Tab. 2: Anforderungsbereiche der Leistungsbeurteilung im Sportunterricht
(MfBWW, 1998a, S. 15)
Tab. 3: Beurteilungskriterienliste für den Sportunterricht (gekürzte Darstellung
nach Kolb/Siegmon, 1997, S. 44)
Tab. 4: Explizite Nennung der drei Ziele: Anzahl der Lehrpläne in %;
durchschnittliche Anzahl der aufgeführten Ziele pro Lehrplan in %
(DSB, 2006, S.35)
Tab. 5: Ziele des Sportunterrichts laut Aussagen der Schüler (DSB, 2006,
S. 120)
Tab. 6: Ziele des Sportunterrichts aus Lehrersicht – Zustimmung in Prozent
(drei mögliche Nennungen) (DSB, 2006, S. 164). ..
Tab. 7: Die Ziele des Sportunterrichts laut Aussagen der Schüler, Lehrer und
Schulleiter (DSB, 2006, S. 120) .
Vorwort
Da es sich bei dieser Arbeit um eine Staatsexamensarbeit für das Lehramt an Gymnasien handelt, ist auch der primäre Anlass darin begründet, mit dieser Arbeit den ersten Prüfungsteil der Staatsexamensprüfung im Fach Sport zu absolvieren. Es war naheliegend für den Lehramtsabschluss auch ein Thema zu wählen, das sich mit dem Schulsport beschäftigt. Der Grund, im Fach Sport den Bereich der Sportpsychologie auszuwählen, beruhte zunächst auf einem sehr lehrreichen und interessanten Seminar in der Sportpsychologie zum Thema „Psychologische Aspekte des Schulsports“ im SS 2005. Nach dem Erstkontakt bei Junior-Prof. Dr. Oliver Höner bezüglich eines Themas konnten wir uns zu Beginn des SS 2006 auf das Thema „Leisten, Leistung und Leistungsmotivation im Schulsport“ einigen. Der Zweck der Arbeit sollte darin bestehen, auf Grundlage aktueller Literaturrecherchen und empirischer Studien den Zusammenhang zwischen den drei Konzepten herauszuarbeiten. Um den Blick noch stärker auf den Schulsport zu lenken, wurde zum einen eine Lehrplananalyse des Lehrplan Sport Rheinland-Pfalz hinzugezogen. Zum anderen wurde durch gute Kontakte zur schulischen Praxis die Idee geboren, anhand von Interviews die Situation der in der Arbeit behandelten Problematiken direkt von den Lehrkräften zu erfahren und dieses Expertenwissen in die Arbeit einfließen zu lassen.
Ich möchte an dieser Stelle auch die Möglichkeit nutzen allen Personen zu danken, die mich bei der Entstehung dieser Arbeit unterstützt haben. Besonders hervorzuheben ist an erster Stelle mein betreuender Dozent dieser Arbeit, Junior-Prof. Dr. Oliver Höner, der zu jeder Zeit ein offenes Ohr für meine Fragen hatte mich bei auftretenden Problemen vorbildlich unterstützt hat. Weiterhin möchte ich mich bei allen Lehrerinnen und Lehrern bedanken, die mir für die Testfragen und die Durchführung der Interviews zur Verfügung standen und sich die Zeit genommen haben mir geduldig und konstruktiv Rede und Antwort zu stehen. Zuletzt möchte ich noch meiner Mutter für das geduldige Korrekturlesen danken.
1. Einleitung und allgemeine Problemstellung
Szene 1: Sportunterricht in einer 6. Klasse. Thema der Stunde: Springen am Kasten. Der Lehrer erklärt zu Beginn, dass es das Ziel sei, am Ende der Unterrichtsreihe eine Hocke zu springen. Die Jungen und Mädchen haben nun zuvor die Möglichkeit, im freien Üben an verschieden hohen Längs- und Querkästen, an Pferd und Bock, auf beliebige Art und Weise verschiedene Sprünge auszuprobieren: Aufhocken in den Stand oder in den Kniestand, Grätschsprünge, Durchhocken, etc. Kinder, die gerade nicht üben, beteiligen sich mit dem Lehrer beim Helfen und Sichern. Alle Kinder sind fleißig am Üben und probieren ständig neue und schwierigere Sprungformen an den unterschiedlichen Stationen aus. Lukas versucht sich zunächst am Aufhocken an einem mittelhohen Kasten. Doch auf Grund seiner körperlichen Vorraussetzungen hat er deutliche Schwierigkeiten auf den Kasten zu kommen. Nach wenigen Versuchen stellt er seine Bemühungen mit dem Kommentar ein: „Ich schaffe es ja sowieso nicht später eine Hocke zu springen, ich habe keine Lust mehr, Sport ist ja sowieso doof“, und setzt sich auf die Bank. Der Lehrer versucht ihn zu überreden doch weiter zu machen, und an einen tieferen Kasten zu gehen und es dort zu versuchen. Nur mit größter Mühe gelingt es ihm Lukas zum weiteren Üben zu bewegen. Doch schon bald stellt Lukas, obwohl er nun mittlerweile ein gutes Aufhocken schafft und vom Lehrer auch gelobt wird, auch hier fest: „Ich bin aber immer noch der schlechteste.“ Er bricht seine Versuche erneut ab, woraufhin der Lehrer ihn auffordert, doch etwas motivierter zu sein.
Szene 2: Sportunterricht im Leistungskurs Sport der 12. Klasse. Turnen: die Schülerinnen und Schüler beherrschen die Hocke am Kasten und die meisten den Handstützüberschlag am Boden. Ein paar Schüler wollten den Handstützüberschlag am Kasten erlernen, da ihnen die anderen Übungen zu langweilig geworden sind. Einige Schüler, darunter auch gestandene Turner, sind mit Feuereifer bei der Sache, einige andere sind allerdings etwas vorsichtiger. Der Lehrer fordert auch die schwächeren Schüler auf sich an den Übungsreihen (z.B. Handstützüberschlag auf den Mattenberg) zu beteiligen. Dies tun sie dann auch, weil sie es toll finden, dass diese Übungen mal gemacht werden, andererseits sagen sie: „Das brauche ich für die Prüfung doch sowieso nicht.“ Dies tut dem Unterrichtsgeschehen jedoch keinen Abbruch, da trotzdem alle Schüler fleißig mitarbeiten.
Diese beiden leistungsthematischen Situationen des Sportunterrichts sollen stellvertretend für unzählige andere alltägliche Situationen zeigen, wie sich Sportunterricht abspielen kann: hier der „unmotivierte“ Schüler, dort volle Leistungsbereitschaft beim Leistungskurs, usw. Es gibt viele Aspekte, die sich aus diesen beiden Unterrichtsszenen herausstellen lassen: zum einen Motivationsaspekte, zum anderen Leistungsaspekte, oder, auch im Hinblick auf die Prüfung in der Oberstufe und anhand der Zielsetzung der 6. Klasse, Benotungsaspekte und somit in gewisser Weise auch Lehrplanvorgaben.
Die vorliegende Staatsexamensarbeit mit dem Titel „Leisten, Leistung und Leistungsmotivation im Sportunterricht – Eine Analyse didaktischer Konzepte und der empirischen Forschungslage unter besonderer Berücksichtigung des Lehrplans Sport Rheinland-Pfalz“ soll einige Aspekte davon aufgreifen. Ziel ist es, anhand von Literaturrecherchen die Bedeutung der drei im Titel genannten Konzepte für den Schulsport herauszustellen, bzw. deren Nutzen und Einfluss für den Sportunterricht zu untersuchen und so festzustellen, inwieweit diese im Lehrplan, in den didaktischen Konzepten und in den Studien zum Schulsport verankert sind. Außerdem soll der inhaltliche Zusammenhang zwischen Leisten, Leistung und Leistungsmotivation herausgearbeitet werden. Die Arbeit lässt sich in vier große Abschnitte gliedern: nach einleitenden Worten zu den gängigsten didaktischen Konzepten des Schulsports folgt mit den pädagogischen Perspektiven nach Kurz der erste Themenblock. Dabei wird auch dem rheinland-pfälzischen Lehrplan für Sport eine besondere Bedeutung zukommen. Danach sollen die theoretischen Grundlagen zu den Konzepten Leisten, Leistung und Leistungsmotivation erläutert werden und anschließend auf inhaltlicher Ebene zusammengeführt werden. Der dritte Abschnitt befasst sich mit dem aktuellen Stand der theoretischen Diskussion des Schulsports. Auch hier folgen zunächst einige theoretische Aspekte, bevor mit der SPRINT-Studie, der Augsburger Studie und den AOK-WIAD-Studien auf den empirischen Forschungsstand eingegangen wird. Bei der Analyse der Studien soll stets die Berücksichtigung der drei Konzeptionen im Mittelpunkt stehen. Im letzten Block werden Unterrichtsbeispiele vorgestellt, in denen die drei Konzepte gefördert werden. Abschließend folgt eine empirische Pilotstudie, in der anhand qualitativer Lehrerinterviews versucht werden soll aufzuzeigen, wie LehrerInnen im Schulalltag tatsächlich mit diesen drei Konzeptionen umgehen. Ein Fazit für den Schulsport soll die Darstellungen in dieser Arbeit abrunden.
1.1 Organisation und begriffliche Einordnung des Schulsports
Wenn in der späteren Arbeit vom Sport in der Schule die Rede ist, dann muss zuvor kurz geklärt werden, was sich alles unter dem Begriff Schulsport zusammenfassen lässt. Schulsport ist zunächst die Gesamtheit aller schulischen Formen des Sporttreibens. Die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen unterrichtlichem (Sportunterricht) und außerunterrichtlichem Sport (vgl. Röthig/Prohl, 2003). Dabei ist besonders der Sportunterricht herauszuheben, der zum einen an allen Schulen und in allen Schulstufen für alle Schüler[1] Pflichtunterricht ist. Die Rahmenvorgabe liegt hier bei 2-3 Wochenstunden (MfBWW, 1998 a). Zum anderen wird er sowohl als Wahlpflichtfach, z.B. im Sport Leistungskurs der Oberstufe und als Sportförderunterricht angeboten. Aufgrund der „komplexen Zielsetzung des Leistungsfaches Sport“ (MfBWW, 1998 b, S. 97) wird hier siebenstündig unterrichtet. Die Teilnahme am außerunterrichtlichen Sport ist hingegen freiwillig.
In der Regel wird in der Arbeit, falls nicht anders betont, meist von Schulsport im Allgemeinen die Rede sein. In Kapitel 2.2. werden die Sinnperspektiven allerdings besonders für den Sportunterricht herausgestellt. Kapitel 4 befasst sich in den Studien mit der gesamten Situation des Schulsports, wobei in der SPRINT-Studie auch einige Aspekte des außerunterrichtlichen Sports thematisiert werden. In Kapitel 5 stehen mit den Bundesjugendspielen (BJSp) und dem Wettbewerb „Jugend trainiert für Olympia (JtfO)“ zwei Arten von Schulsportwettkämpfen im Blickpunkt, die dem außerunterrichtlichen Sport zugezählt werden.
1.2 Didaktische Konzepte des Schulsports
Wirft man einen Blick in die Literatur über die Theorie des Lehrens und Lernens im Schulsport, sei es ältere oder neuere, so wird man geradezu mit fachdidaktischen Konzeptionen zum Sport in der Schule überschwemmt. Gerade die Sportpädagogik hat hierzu einen sehr großen Beitrag geleistet. In diesem Kapitel sollen einleitend die wichtigsten aktuellen didaktischen Konzepte des Schulsports beschreibend vorgestellt werden, die sich seit Ende der 90er Jahre und Anfang 2000 in der Diskussion um den Schulsport entwickelt und mehr oder weniger bewährt haben. Nach einer Übersicht von Hildebrandt- Stramann (2005) zählen hierzu:
- Das Sportartenkonzept nach Söll (2000, 2003),
- Das Konzept eines mehrperspektivischen Unterrichts nach Ehni (2000, 2004),
- Das erfahrungsorientierte Bewegungskonzept nach Funke- Wieneke (2001, 2004),
- Das Konzept der Bewegten Schule nach Stibbe (2004 b), und
- Das Konzept der Sinnperspektiven, bzw. der pädagogischen Perspektiven nach Kurz (u.a. 2000). Dies wird unter dem besonderen Aspekt der Leistung in Kapitel 2 ausführlich thematisiert und hier deshalb nicht mehr detaillierter behandelt.
Die in der aktuellen Literatur teilweise heftig geführte Diskussion um die Frage, welches der Konzepte das Beste, Richtige, oder Zeitgemäßeste für den Schulsport darstellt, soll in Kapitel 7 angesprochen werden.
Das Sportartenkonzept[2] nach Söll
Das Sportartenkonzept dient als Grundlage für eine eigenständige Begründung des Schulsports. Es wurde entwickelt, um einer möglichen Instrumentalisierung, d.h., Verzweckung aus ideologischen, gesellschaftspolitischen und sozialpädagogischen Gründen zu begegnen (Söll, 2003).
Zu dem Bereich, der in der heutigen Kultur und Gesellschaft als Sport (oder auch als Körper- oder Bewegungskultur) bezeichnet wird, gibt es zwei Zugänge. Zum ersten den „gymnastischen“ Zugang, bei dem die „Verbesserung der Körperlichkeit“ des Menschen im Mittelpunkt stand und auf Fitness, Wohlbefinden und Gesundheit abzielte (Söll, 2003). Der, auch in der zeitlichen Abfolge, zweite Zugang war der „turnerisch-sportliche“ Zugang. Dabei war es das Ziel des Turnens durch Bewegung den Körper zu beherrschen. Beide Zugangsformen stellen kein getrenntes Nacheinander dar, sondern schlagen sich im Zugang des „Sports“ nieder, der am deutlichsten von der Bewegung ausgeht, indem er das „Leisten durch Sich-Bewegen“ (Söll, 2003, S. 31) in den Vordergrund stellt (z.B. als Zeit- und Distanzoptimierung oder Gegnerüberwindung in den Sportspielen).
Ausgehend von dieser historischen Darstellung kann man nun auf die didaktische Sichtweise überleiten. So ergibt sich aus dem „gymnastischen Zugang über den Menschen“ die Körperbildung und aus dem „turnerisch-sportlichen Zugang über die Bewegung“ die Bewegungsbildung. Nach Söll (2003) zeigt sich anhand dieser beiden Begriffe sehr deutlich, worum es im Schulsport geht: „Körperbildung und Bewegungsbildung sind die beiden didaktischen Zielbereiche des Schulsports“. Die Körperbildung zielt dabei eher auf die Entwicklung und Verbesserung von körperlichen Fähigkeiten ab, während sich die Bewegungsbildung in der Vermittlung grundlegender Bewegungsfertigkeiten konkretisiert, auf denen die Fähigkeiten aufbauen (vgl. Söll, 2000). Diese beiden Dimensionen lassen sich allerdings in der Praxis gar nicht und analytisch nur schwer trennen. Abbildung 1 soll zeigen, dass Körper- und Bewegungsbildung immer mit den allgemeinen, gesellschaftlichen Aufgaben des Bildungswesens im Zusammenhang gesehen werden müssen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Allgemeine Aufgaben des Bildungswesens (Söll, 2000, S. 6)
Der an die Schule gerichtete Bildungsauftrag lässt somit kurz gefasst drei Dimensionen erkennen (Söll 2000, 2003):
- Ausbildung im Hinblick auf den Erwerb von lebensnotwendigen Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten.
- Persönlichkeitsbildung als Entwicklung bestimmter Haltungen und Einstellungen durch Auseinandersetzung mit geistigen, kulturellen und ethischen Grundlagen der Gesellschaft.
- Erziehung als Eingliederung in die soziale Umwelt/Gesellschaft.
In diesem, vor allem in der Realität, schwer zu entwirrenden Beziehungsgeflecht zeigt sich, dass Bildung auch im physisch-motorischen Bereich zum Ausbildungs- und Erziehungsauftrag der Schule gehört.
Als nächster Schritt lässt sich aus diesen Vorüberlegungen auf die grundsätzlichen Orientierungen des Schulsports hinweisen. Für den eigenen Wert, den eigenen Sinn und damit auch für die eigenständige Begründung des Schulsports dürften nach Söll (2000) zwei Aspekte unwidersprochen bleiben:
- Nur der Schulsport in Form des obligatorischen Sportunterrichts kann alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig von ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit, von Alter, Geschlecht und Herkunft, erfassen.
- Nur der Sportunterricht kann verhindern, dass die Kinder und Jugendlichen vorzeitig und einseitig auf bestimmte sportliche Aktivitäten festgelegt werden.
Damit leistet der Schulsport etwas, was andere Instanzen (Vereine oder kommerzielle Sportanbieter) nicht leisten können. Aus diesen beiden Aspekten ergeben sich folgende Grundpositionen für die Auswahl der Inhalte und Gegenstände des Sportunterrichts (Söll 2000, 2003):
- Zentrale Aufgabe des (obligatorischen) Sportunterrichts ist die Sicherstellung einer allgemeinen, vielseitigen und grundlegenden körperlich-sportlichen Ausbildung.
- Der Sportunterricht sollte sich auf das Einfache und Elementare konzentrieren und nur in ausgewählten Teilbereichen darüber hinausgehen.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Sportunterricht „leicht“ und „anspruchslos“ wird. Beispielsweise ist das Fangen und Werfen eines Balles in der Bewegung unter Zeit- und Wettkampfdruck zwar elementar, aber für Kinder aus einer bewegungsarmen Umwelt nicht leicht. Nur mit der „ernsthaften und nachdrücklichen Auseinandersetzung mit der Sache“ (Söll, 2003, S. 34) kann allerdings der Kernpunkt von pädagogischer Einwirkung erreicht werden. Gerade im körperlichen Bereich ereignen sich Bildung und Erziehung nicht von selbst, sondern man muss schon etwas dafür tun.
Für die Strukturierung der Ausrichtung von körperlicher Bildung und Erziehung lassen sich zwei (konkurrierende) Modelle unterscheiden:
- das Modell „Bewegungspädagogik“ und
- das Modell „Schulsport“.
Das Modell der „Bewegungspädagogik“ führt zu „einer geradezu maßlosen Ausweitung in Richtung auf alles Denkbare und Machbare (…)“ (Söll, 2000, S. 34f). Es würde letztendlich „eine recht künstliche Konstruktion bleiben, (…) ohne konkreten Realitätsbezug (Söll, 2003, S. 6).“
Für das Modell „Schulsport“ spricht die Anknüpfung an die Bewegungsumwelt der Kinder und Jugendlichen, die heutzutage im Wesentlichen vom Sport geprägt ist (z.B. in Verein, Freizeit und Fernsehen). Zugleich gibt diese Anbindung an sportliche Grundmuster eine erste didaktische Orientierung. Das Problem eines solchen „Sportartendenkens“ kann allerdings leicht zu einer Addition von unverbunden nebeneinander existierenden Sportarten führen (vgl. Söll, 2003).
Um die Probleme beider Modelle in den Griff zu bekommen, bietet sich ein mittlerer Weg an, der sich in einem „integrativen, durch das umfassende Band der Körperbildung zusammengehaltenen Schulsportmodell (Söll, 2003)“ niederschlägt. Damit folgt nun der Kernpunkt dieses Sportartenprogramms, den Söll (2000) wie folgt skizziert:
„Sport konkretisiert sich in den Sportarten; sie sind die maßgeblichen Funktions- und Bedeutungsträger des Kulturbereichs „Sport“; sie sind es, die in ihren Handlungs- und Leistungszielen die typischen Verhaltensweisen, Haltungen und Einstellungen sozusagen zum Abnehmer transportieren. Wer Sport treiben will, muss sich einer oder mehreren Sportarten zuwenden“ (a. a. O., S. 4).
Aus der theoretisch und praktisch unbegrenzten Zahl sich daraus ergebender sportlicher Bewegungsprobleme muss es die Aufgabe der Sportdidaktik sein, eine didaktisch begründete Auswahl vorzunehmen und die Sportarten in ein Ordnungssystem zu bringen. Bei dem Überblick über die „Auseinandersetzung mit der Bewegung“ lassen sich drei typische Verhaltensweisen oder „Grundmuster sportlichen Verhaltens“ erkennen, die nach Söll (2003) in Abbildung 2 dargestellt werden können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Systematisierung der Sportarten im Sportartenkonzept (Söll, 2003, S. 37)
Dies ist zum einen in der Mitte das, was „im engsten Sinne“ (Söll, 2003, S. 37) Sport ist: repräsentiert durch z.B. Leichtathletik, wobei es um die Optimierung der Bewegung geht. Dies kann geschehen durch Verbesserung der Technik oder der physischen Leistungsfaktoren wie Kraft, Schnelligkeit oder Ausdauer. Die Strukturformel in diesem Fall für die Leichtathletik, aber auch für die anderen Sportarten in diesem Bereich (Rudern, Sportschwimmen, Gewichtheben), besteht darin körperliche Leistungsfähigkeit möglichst verlustfrei in messbare Leistung umzusetzen.
Auf der linken Seite schließt sich der sportlich-künstlerische Bereich mit den Kunstsportarten an, der dann in den außersportlichen Bereich der Bewegungskunst übergeht. In diesem Bereich, z.B. im Gerätturnen, liegen die Leistungsziele in der Bewegung selbst: Es geht darum Bewegungsvielfalt, -schwierigkeit und -qualität unter einen Hut zu bringen. Dadurch, dass bei der Bewertung die ästhetische Komponente den Ausschlag gibt, wird Gerätturnen zu einer Kunstsportart.
Stellt man sich diese Grundmuster sportlichen Verhaltens als Kontinuum vor, so gelangt man von der Kunst über den Sport zum Spiel (und auf der Rückseite auch wieder vom Spiel zur Kunst zurück) auf der anderen Seite.
Beim Spiel bilden die kleinen Spiele den Übergang zum außersportlichen Bewegungsspiel. Im Zentrum des sportlich-spielerischen Bereichs stehen die Sportspiele, die auf den direkten Vergleich mit einem unmittelbaren Gegenüber gerichtet sind. Dabei unterliegt das Sportspiel dem Gebot der Effektivität in der Anwendung sowohl technischer als auch taktischer Mittel (vgl. Söll 2003).
Während Hildebrandt-Stramann (2005) das wesentliche Anliegen des Sportartenkonzepts folgendermaßen sieht: „Ziel des Sportartenprogramms ist es, die Schüler unterschiedliche Sportarten (…) im Sportunterricht sachgemäß zu lehren“ (a. a. O., S. 163), lassen sich nach Söll (2003) die folgenden Kernthesen des Schulsportmodells ableiten:
1. Die drei Sportartengruppen (Sport-Sportarten, Kunst- und Spielsportarten) sind gegenseitig nicht austauschbar. Nur in ihrer Gesamtheit können sie das Ganze unserer Bewegungskultur wiedergeben und als Bildungsgut weitergeben.
2. Jede Sportart besitzt eine eigene, aus den Bedingungen der übergeordneten Strukturgruppe abzuleitende Grundstruktur und muss entsprechend den ihr immanenten Zielen unterrichtet werden.
All diese Überlegungen laufen auf die Frage hinaus, welches nun die richtigen Schulsportarten seien. Die obige Strukturanalyse des Sports kann den Rahmen für die Bestimmung von Schulsportinhalten geben, offen bleibt jedoch das Problem der konkreten inhaltlichen Auswahl. Seitens der Sportpädagogik, bzw. der Sportdidaktik ist es noch nicht gelungen hierzu konkrete, objektive und allgemein anerkannte Kriterien bereitzustellen. Deshalb sei an dieser Stelle zumindest noch auf den Versuch von Söll (2000, 2003) hingewiesen, diese Entscheidung zumindest einzugrenzen und zu erleichtern. Demnach ist eine Sportart dann als Schulsportart geeignet, wenn sie:
- „möglichst vielseitige, aber für jeden Schüler zumutbare körperliche Anforderungen stellt,
- ein möglichst breites und differenziertes Spektrum an Bewegungsmöglichkeiten und sportlichen Handlungsmöglichkeiten bietet, aber dennoch einen möglichst leichten Zugang für alle gewährleistet.
Außerdem sollte sie keine zu speziellen materiellen Vorrausetzungen erfordern, in größeren Gruppen unterrichtet werden können, keine unvertretbaren Risiken enthalten, möglichst umweltverträglich sein und sich einer gewissen Bekanntheit erfreuen“ (Söll, 2003, S. 38f).
Nach der Strukturierung der Sportarten könnten drei dieser Sportarten (eine Sport-Sportart, eine Kunst- und Spielsportart) für eine „vollständige“ körperlich-sportliche Ausbildung und Erziehung ausreichen. Dabei fällt unter der Berücksichtigung des Kriterienkataloges der Blick auf die Sportarten, die sich als Grundsportarten bezeichnen, nämlich Leichtathletik, Gerätturnen und ein Spiel, das mit der Hand gespielt wird. Damit man aber nicht an einem Drei-Sportarten-Modell hängen bleibt, kann man den genannten Hauptsportarten noch eine Nebensportart zuordnen (Bsp.: Leichtathletik/Schwimmen, Gerätturnen/Gymnastik, Volleyball/Fußball). Darüber hinaus sollte im Rahmen des pädagogischen Freiraums noch Zeit für eine Trendsportart oder die Wahl von Lehrern und Schülern sein (vgl. Söll, 2000, 2003).
Das Konzept eines mehrperspektivischen Unterrichts nach Ehni
Der Ansatz eines mehrperspektivischen Unterrichts wurde von Ehni (1977) in sportdidaktischer Hinsicht entwickelt und später weiter modifiziert. Als Hinführung zu dem Konzept dienen einige kurze Anmerkungen zu den Sinngebungen und Sinnerörterungen, die der Autor dieses Konzepts dem Sport beimisst. Eine wichtige Frage, die sich für Ehni stellt, ist die Frage nach dem Sinn des Schulsports. Für die Sinngebung des Schulsports ist seiner Meinung nach die Sportdidaktik zuständig (vgl. Ehni, 2000). Sie gibt, nimmt und erörtert den Sinn, der im Schulsport ist. Was ist allerdings nun der Sinn des Schulsports? Ehni (2000) schreibt dazu: „…, dass der Sinn des Sports und des Schulsports darin liegt, dass man ihn macht und seinen Wert dabei zugleich sinnlich erlebt“ (a. a. O., S. 28). An selbiger Stelle betont er auch worum es bei dieser Frage genauer geht: „Mir geht es weniger darum, dem Sport den Sinn zu geben, der in ihm bzw. im Menschen ist, als vielmehr darum, den Sinn zu erörtern, der im Handeln erzeugt wird“ (a. a. O., S. 28). Dabei nimmt er für seine Überlegungen nicht den Menschen oder die „Sache Sport“ als Ausgangpunkt, sondern das Handeln und das Erleben.
Was hat es mit diesen beiden Perspektiven auf sich? Das Handeln bezieht sich eher auf das Machen; wobei der Mensch die Wirklichkeit aktiv und willentlich gestaltet. Dagegen zielt das Erleben eher auf das Lassen: hier muss der Mensch die Wirklichkeit geschehen lassen, er kann sie erfahren und sinnlich empfinden. Das Handeln kann man planen und steuern, das Erleben hingegen nicht. Beide Perspektiven bedingen sich wechselseitig und das eine kann ohne das andere nicht existieren. Aber gerade das Erleben ist das, warum sich der Mensch spielerisch und sportlich bewegt: hier kann er z.B. mit allen Sinnen spüren, dass sein Handeln begrenzt ist, weil z.B. Können fehlt; hier kann er seinen Körper in besonders intensiver Weise wahrnehmen (z.B. in Können, Anstrengung, Wohlbefinden, Kooperation oder Konkurrenz) (vgl. Ehni, 2004). Aus dem Zusammenspiel von Handeln und Erleben leitet Ehni (2004) zwei sportdidaktische Regeln ab, die sich gegenseitig ergänzen und korrigieren:
1. „Die Regel aus der Perspektive des Handelns heißt: Mache den Sportunterricht so, dass er Erlebnisgehalte freisetzt und eine erfüllte Gegenwart ermöglicht!
2. Die Regel aus der Perspektive des Erlebens heißt: Lasse dich in das Geschehen ein und nutze sein Erleben für das Handeln auf ein zukünftiges Ziel!“ (a. a. O., S. 44).
Damit die Schüler aber auch das Erziehungsziel des Konzeptes, nämlich das des „mündigen Schülers, der den Sport selbstbestimmt ausüben, aber es auch lassen kann“ (Hildebrandt-Stramann, 2005), erreichen, müssen die obigen Regeln noch ergänzt werden. Hinzu kommt ein weiteres wichtiges Ziel des Ansatzes, nämlich die Handlungsfähigkeit. Hierbei unterscheidet Ehni (vgl. 1977) zwischen einer „allgemeinen“ und einer „spezifischen Handlungsfähigkeit“:
- „In der „spezifischen Handlungsfähigkeit“ geht es darum, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln“ (Ehni, 1977, S.107). Der Unterricht soll deshalb stattfinden, um diese spezifische Handlungsfähigkeit zum Üben, zum Wettkämpfen, oder Spielen zu erwerben (vgl. Ehni, 2004) und um Sport in kompetenter Weise ausüben zu können (vgl. Hildebrandt-Stramann, 2005).
- „In der „allgemeinen Handlungsfähigkeit“ geht es darum, das (…) Handeln (…) auf seine Bedingungen und auf seinen Sinn hin einzusehen; es geht um eine Sinnerörterungsfähigkeit“ (Ehni, 1977, S. 108). Diese kommt nur indirekt dort ins Spiel, wo der Unterricht gestört wird. Sie geht über das kompetente Sporttreiben hinaus (Hildebrandt-Stramann, 2005).
Das sinngeleitete Handeln und das Ziel der Handlungsfähigkeit, das die Mündigkeit zum Ziel hat, konkretisieren sich nun nach ihren „realen und möglichen Bedeutungs- und Sinndimensionen in einem mehrperspektivischen Unterricht (…)“ (Ehni, 1977, S. 108). Ehni (1977) versteht unter mehrperspektivischem Unterricht „ganz allgemein die Rekonstruktion von Wirklichkeit unter verschiedenen Perspektiven“ (a. a. O., S.108). Diese einzelnen Perspektiven, die eine umfassende Handlungsfähigkeit ausmachen, sieht Ehni (2004) in den Fähigkeiten zum:
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Das Charakteristische dieser Perspektiven lässt sich in Anlehnung an Ehni (2004) wie folgt kurz beschreiben:
a) Dem Erkunden liegt das Neugiermotiv zugrunde, das dazu führt, dass der Mensch in einer ihm noch unbekannten und fremden Welt nach Sicherheit strebt. Erkundendes Handeln ist geprägt von Spannung, Überraschungen, aber auch Gefahren und stellt immer ein Wagnis dar. Die Welt von Spiel, Sport und Bewegung zeigt sich hier durch das Anvertrauen von Fremden und der Verfremdung von Vertrautem, also in den beiden didaktischen Richtungen des Erkundens. „Erkundungsfähig ist ein Mensch, der neugierig offen ist (…)“ (Ehni 2004, S. 48). Der Sinn des Erkundens lässt sich u.a. als Herausforderung sich auf etwas Unbekanntes einzulassen erleben und bleibt als positives oder negatives Erlebnis haften.
b) Beim Üben geht es um den Erwerb bzw. die Sicherung oder Perfektionierung eines Könnens. Die Art der Wiederholungshandlung setzt voraus, dass man sich auf eine Sache konzentriert und diese verfolgt, wenn man diese, und damit auch sich selbst, beherrschen will. Wenn man Sport, Spiel und Bewegung richtig kennen lernen, d.h., ein Können erwerben will, muss man sich auf den Weg des Übens einlassen. Die Fähigkeit des Übens ermöglicht es, dass man prinzipiell alles, was man noch nicht kann, durch üben erreichen kann. Allerdings muss schon die Einstellung zur Anwendung der Übungsfähigkeit vorhanden sein. Mit entsprechender Geduld lässt sich die Entwicklung vom Noch-Nicht-Könner zum Könnenserleben in der Erkenntnis und dem Erlebnis fassen, dass man nun durch Üben etwas kann, das man vorher nicht konnte.
c) Das Trainieren geht über das Üben hinaus und ist von dem Ziel bestimmt Leistungen im Sport zu erbringen und diese zu verbessern. Mit Hilfe der sportwissenschaftlichen Erkenntnisse schafft man durch das Training von Kraft, Schnelligkeit oder Ausdauer die Vorraussetzung für oben genanntes Ziel. Eine Sinnerweiterung hat das Trainieren dadurch erfahren, dass auch körperliche Gesundheit, Fitness und Schönheit gezielt realisierbar sind. Durch Anwendung der Gesetzmäßigkeiten des Trainings ist man auch trainingsfähig. Erfahrbar wird das Trainieren im Wechsel von Belastung und Erholung und später auch zum messbaren Erlebnis, z.B. in der Verbesserung von persönlichen Bestzeiten beim Laufen.
d) Das offensichtlich Wichtigste im Sport wird durch das Wettkämpfen erzeugt; nämlich: Siege und Niederlagen, Bestleistungen, Spannungen, Überraschungen, oder Enttäuschungen. Beim Wettkämpfen gilt es, das durch Üben erlangte Können und die durch Training verbesserte Leistungsfähigkeit genau am Punkt X abzurufen. Gleiche Bedingungen, Chancengleichheit und die Gunst des Augenblicks sollen den Ausgang des Wettkampfs offen halten. Wettkampffähig ist derjenige, der sich an die Regeln des Wettkampfes hält. Nur dann kann das Wettkämpfen von innen (als körperliche Zumutung an der Grenze der Leistungsfähigkeit) und von außen (als spannendes Vergnügen) erlebt werden.
e) Beim Spielen steht im Unterschied zum Erkunden (offen, unsicher und unbekannt) die gewonnene Sicherheit und das Suchen der Offenheit des Ausgangs im Vordergrund. Dabei entwickelt sich die Lust am Spielen durch das Vertrauen auf Bekanntes und Gekonntes. Lässt man sich auf die spannungsreichen Gegensätze (Angreifen/Verteidigen, Gewinnen/Verlieren, Fangen/Fliehen) des Spiels zwischen Ernst und Heiterkeit ein, so erlebt man die Spielfähigkeit als ein erfülltes Gegenwartserleben, das als Erlebnis haften bleibt, in dem man die Zeit vergessen kann.
f) Zuletzt wird das Geschehen im Sport und Sportunterricht erst durch das Umsetzen in die Sprache diskutier- und verstehbar. Nur dadurch erfährt das Handeln auch seinen subjektiven Sinn bzw. seine Intentionalität und wird damit kommunikativ austauschbar. Der Sprache und dem Sprechen kommt deshalb im Sport auch eine so große Bedeutung zu, weil Sinn im Sportunterricht im Allgemeinen und der besondere Sinn ausgewählter Handlungen erst durch das „Darüber reden“, also das Reflektieren, greifbar gemacht wird (vgl. Ehni, 2004).
Für Ehni (2000) hießt Mehrperspektivität allerdings nicht den Sport unter diesen Perspektiven quasi als Summenformel zu vermitteln, sondern „durch mehrere verschiedene Handlungen die Sache Sport mit ihrem subjektiven Sinn und intersubjektiven Sinn zu machen“ (a. a. O., S. 32). Wie sich dies im Unterricht konkret darstellen lässt und somit auch das Ziel einer differenzierten und umfassenden Handlungsfähigkeit erreicht werden kann, soll an nachfolgendem Beispiel gezeigt werden.
So kann mehrperspektivischer Sportunterricht (MPU) so gestaltet werden, dass derselbe Inhalt in den sechs genannten Perspektiven zum Thema gemacht wird. Ehni (2004) stellt dies exemplarisch am Beispiel des Hochspringens dar:
- Möglichkeiten und Formen des Hochspringens erkunden.
- Eine erkundete Form und z.B. die etablierte Technik des Flops üben.
- Die Sprungkraft für ein besseres hochspringen können trainieren.
- Im Hochspringen einen Wettkampf durchführen.
- Mit dem im Hochspringen erworbenen Können und Wissen und den eingeübten Formen spielen.
- Über das, was wir gerade machen, sprechen und in zwei Richtungen reflektieren: hat unser Handeln unsere Gegenwart erfüllt? Was kann man in Zukunft besser machen?
Neben diesen unterrichtlichen Inszenierungen von Sportunterricht können auch bei der außerunterrichtlichen Inszenierung von Schulsport die verschiedenen Perspektiven erlebt werden. So könnte bei den Bundesjugendspielen der Sinn des Wettkämpfens erlebt werden. Auf Skireisen, und immer wenn man die vertraute Umgebung der Sporthalle verlässt, steht beispielsweise das Erkunden im Mittelpunkt. Im Theoriefach Sport hingegen kommt dem Sprechen eine noch stärkere Bedeutung zu, da dieses im praktischen Unterricht oft zu kurz kommt.
Mit all den oben erläuterten Perspektiven und Kompetenzen der Schüler kann der „erlebte Sportunterricht reflektiert und die sportunterrichtliche Handlungsfähigkeit von Schülern (…) auf ein Besseres hin gedacht und gemacht werden“ (Ehni, 2004, S. 55).
Das erfahrungsorientierte Bewegungskonzept nach Funke- Wieneke
Zu dem erfahrungsorientierten Bewegungskonzept zählen nach der Übersicht von Hildebrandt-Stramann (2005) eine Vielzahl didaktischer Ansätze, wie z.B. der problemorientierte, der genetisch strukturierte, der offene oder der dialogische Bewegungsunterricht. Die detaillierteren Ausführungen lassen sich stellvertretend für all diese Ansätze am bewegungspädagogischen Konzept von Funke-Wieneke (2001, 2004) aufzeigen. Das Gemeinsame dieser Ansätze ist nämlich eine kritische Stellung gegenüber dem Sport und dessen unkritische Übernahme in den Sportunterricht (Hildebrandt-Stramann, 2005). Funke-Wienecke (2001) schreibt, dass das Sich Bewegen eines Menschen einem funktionellen Sinn folgt, der darin liegt, dass es einen Bezug zu etwas außerhalb der Bewegung liegendem gibt. Im Hinblick auf eine vollständige Wahrnehmung der Bewegung in der alltäglichen Umwelt werden von Funke-Wieneke (2001) vier Verhältnisse (Funktionen) des Sich-Bewegens unterschieden und auch für einen Bewegungsunterricht in der Schule für notwendig erachtet. Dies sind:
1. Instrumentelle Funktion/Werkzeugfunktion des Sich-Bewegens
2. Soziale Funktion/Beziehungsfunktion des Sich-Bewegens
3. Symbolische Funktion des Sich-Bewegens
4. Sensible Funktion/Eigen- oder Wahrnehmungsfunktion des Sich-Bewegens
Jeder dieser vier Bereiche hat ein anderes Ziel für den Unterricht und erfordert ein jeweils anderes spezifisches Sich-Bewegen. Bei der instrumentellen Funktion geht es um das Erlangen geschickter, ökonomischer, absichts- und wirkungsvoller Fertigkeiten im Umgang mit Sachen und Räumen. Die soziale Funktion soll dafür sorgen, dass sich nicht verbal, sondern in der Aktion verständigt werden kann, sodass immer anspruchsvollere und komplexere Bewegungsbeziehungen des Gegen- und Miteinanders realisiert werden können. Bewegungskoordination und –synchronisation müssen hier gelernt werden. Mit seinen Bewegungen etwas Nachzuahmen, Empfundenes und Gedachtes verständlich auszudrücken, ist bei der Erfüllung der Symbolfunktion entscheidend. Bei der sensiblen Funktion geht es darum immer feinere und genauere Selbstwahrnehmungsmöglichkeiten auszubilden. Das Sich-Bewegen soll als ein auf sich selbst und die Lebensumstände gerichtetes Spüren und Fühlen entwickelt werden (vgl. Funke-Wieneke, 2001).
Bezüglich der Inhalte im Sportunterricht ist es nach Funke-Wieneke (2001) angesichts zunehmender Internationalisierung und Kommerzialisierung unmöglich, alle von der zeitgenössischen Bewegungskultur zur Verfügung gestellten Bewegungspraktiken im Unterricht zu lehren. Diese kaum noch zu überblickende Vielfalt der Inhalte kann aus pädagogischer Sicht dem Sportunterricht nicht als Orientierung dienen. Deshalb sollen verschiedene Grundthemen des Sich-Bewegens den Ausgangspunkt für inhaltliche Entscheidungen geben, die wiederum im Rahmen der vier Grundfunktionen unterschiedlich sind und eine andere nachweisbare Bedeutung haben (Funke-Wieneke, 2001).
Somit kommen für die Werkzeugfunktion die Grundbedeutungen der Bewegungsbeziehung zur sachlichen und räumlichen Umwelt in Betracht. Räume und Dinge werden in der Aktion als etwas zum Springen, Laufen, Schaukeln, Klettern, Rollen, Rutschen, Werfen, Fangen, Schießen, Schwimmen, usw. erkannt. Innerhalb der Beziehungsfunktion werden die Grundbedeutungen des bewegten Umgangs mit anderen Menschen thematisiert. Hierzu zählen u.a. Fliehen und Nachlaufen, Angreifen und Ausweichen, etc. Wie schon oben erwähnt, geht es in der Symbolfunktion um „Nachahmen, Darstellen und Ausdrücken. In der Eigen- oder Wahrnehmungsfunktion werden bewegtes Spüren, Fühlen, Atmen sowie Spannen und Entspannen wichtig“ (Funke-Wienecke, 2001, S. 50). Die konkreten Inhalte können dann auch unter verschiedenen Thematisierungen auftauchen; z.B. derselbe Inhalt einmal unter instrumenteller, oder einmal unter sozialer Perspektive.
Da Bewegungslernen immer in Auseinandersetzung mit der Sache geschieht, gelingen gehaltvolle Lernprozesse nur, wenn es dem Lehrer gelingt, die Bedürfnisse und Interessen der Kinder mit dem Eigenwert der Sache (des Unterrichtsinhalts) in ein Gleichgewicht zu bringen, wenn er zwischen Kind und Sache vermittelt (vgl. Funke-Wieneke, 1995). Das zweite Prinzip, das also neben diesem Vermitteln noch die Umgangsform eines zeitgemäßen Sportunterrichts kennzeichnet, ist das Sich-Verständigen. In der Verständigung als methodisches Leitprinzip der unterrichtsmethodischen Umgangsformen werden die Ansprüche des Schülers und die Ansprüche des Lehrers offenbart und zum Ausgleich und zur Entscheidung gebracht (vgl. Funke-Wieneke, 2001). Zeitgemäßer Sportunterricht ist nach diesem Verständnis bildungs- und erziehungstheoretisch betrachtet Bewegungsunterricht und sollte auch diese Bezeichnung tragen.
Das Konzept der Bewegten Schule nach Stibbe
Der Ausgangspunkt für das Konzept der Bewegten Schule war die Frage: Wohin soll sich der Schulsport konkret entwickeln? Stibbe (2004 b) beantwortet diese Frage ziemlich eindeutig: „Schulen sollen sich zu bewegten Schulen entwickeln und dies auch in ihren Schulprogrammen festschreiben“ (a. a. O., S. 263). In den letzten Jahren konnte sich ein solches Konzept zwar als fachliches Leitbild für Schulentwicklung etablieren, jedoch ist dieses Leitbild nicht einheitlich (vgl. Hildebrandt-Stramann, 2005). Zunächst lässt sich aber dennoch sagen, dass die Idee einer bewegten Schule darauf abzielt, „das Lehren und Lernen insgesamt bewegter zu gestalten“ (Stibbe, 2004 b, S. 263). Gleichzeitig wird an selber Stelle aber auch hierbei betont, dass es noch kein einheitliches, schultheoretisches Konzept gibt, an dem sich die Schulen orientieren können. Um dieses Dilemma beheben zu können, ist es notwendig, sich über die grundsätzliche pädagogische Ausrichtung einer bewegten Schule klar zu werden. Unter Berücksichtigung der sportdidaktischen Theoriebildung lassen sich nach Stibbe (2004 b) zwei Hauptrichtungen der bewegten Schule erkennen. Sie lassen sich nach der jeweils vorherrschenden Zielsetzung unterscheiden und sollen nachfolgend erläutert werden.
1. „Die kompensatorische Position der Motorikschule“
2. „Die schulreformerische Position der Bewegungsraumschule“
Die erstgenannte Ausprägung der bewegten Schule dient besonders dem Ausgleich gesundheitlicher Defizite der Schüler. Dabei wird der „haltungsabnorme, motorisch defizitäre Schüler zum Ausgangspunkt von Schul- bzw. Unterrichtsgestaltung genommen“ (Hildebrandt-Stramann, 2005, S. 165). Ziel ist es dann, Kinder und Jugendliche zu befähigen, „in unergonomischen, körperfeindlichen Rahmenbedingungen adäquat, d.h., selbstregulierend (körperfreundlich) zu handeln“ (Stibbe, 2004 b, S. 263). Mit anderen Worten heißt das, es soll im schulischen Alltag möglichst viele Bewegungsgelegenheiten zum einen zur Haltungsschulung und zum anderen zur Förderung der motorischen Leistungsfähigkeit geben. Die Bewegung wird also als Kompensationsmedium zum Ausgleich gesundheitlicher Defizite gesehen. Weiterhin zielt dieses Erziehungsverständnis auch auf den Ausgleich einseitig kopfgesteuerter Lernprozesse: mit Hilfe der Bewegung soll die Konzentrationsfähigkeit der Schüler weiter mobilisiert werden. In dieser Funktion dient Bewegung als Instrument auch der Unterstützung von Wissensvermittlung (vgl. Hildebrandt-Stramann, 2005). In den Unterricht kommt somit Bewegung (z.B. in Form von Bewegungspausen und Übungen, wie man sie aus der funktionalen Gymnastik kennt), aber an der Art des Unterrichtens ändert sich nichts.
In der anderen Ausprägungsform wird die bewegte Schule als Element der Schulreform gesehen, wobei „Bewegung als anthropologische Konstante schulischer Bildungsprozesse“ (Stibbe, 2004 b, S. 263) gilt. Als Rahmen dient ein bewegungspädagogisches Gesamtkonzept, in dem Bewegung als Medium einer innovativen Unterrichts- und Schulgestaltung auftreten soll und damit ein grundlegendes Element der Schulentwicklung darstellt. Die Schule wird als Bewegungsraum interpretiert – d.h., Schule wird aus der Bewegungsperspektive als Erfahrungs- und Lebensraum gestaltet (vgl. Stibbe, 2004 b). In einer solchen Schule geht es nicht um Mobilisierungsinitiativen oder Kompensation von Defiziten der Schüler. Ausgehend von einem erweiterten Bewegungsverständnis geht es vielmehr um:
- eine Rhythmisierung des Schulalltags mit Zeiten der An- und Entspannung, der Ruhe und Bewegung, der Stille und des Redens,
- Körper- und Haltungsthemen und damit um bewusstes Bewegungslernen im mobilen Klassenzimmer oder der Sporthalle,
- das Erlernen von Anspannungs- und Entspannungsübungen und
- das Aufmerksamwerden auf innere und äußere Bewegung, d.h., erfahrungsoffenes, verständigungsorientiertes und reflexives Bewegungslernen im Sportunterricht (vgl. Hildebrandt-Stramann, 2005).
Somit wird hier also aus einer schulpädagogischen Perspektive gedacht, die das Sich-Bewegen in das schulische Gesamtkonzept einbindet: die ganze Schule soll also erziehen; der Anspruch der Bewegungsraumschule ist der, Schule neu zu denken (vgl. Stibbe, 2004 b).
Zusammenfassend führt Stibbe (2004 b) an, dass trotz dieser beiden nun vorherrschenden Konzepte die bewegte Schule noch immer den Charakter einer „Grundschulspezifik“ besitzt. Und obwohl die Fachdiskussion mittlerweile von dem Grundschulbereich auf die Sekundarstufe I ausgedehnt wurde, glaubt Balz (1999), dass die Fachdidaktik es bislang versäumt hat, überzeugende Konzepte und Modifikationen einer bewegten Schule für diese Jahrgangstufen zu entwerfen.
2. Die Perspektiven des Sports in der Schule
Als einer der Grundsteine dieser Arbeit sollen zunächst die Sinnperspektiven des Sportunterrichts nach Kurz (1990) vorgestellt werden. Ausgehend von seinen ersten Entwürfen, die zu den Sinnperspektiven führten, wird dieses Kapitel über die später immer wieder revidierten Darstellungen zu den pädagogischen Perspektiven letztlich den aktuellen Stand zu den Perspektiven des Schulsports nach Kurz (1992, 2000 a) aufzeigen.
Die Ausgangsüberlegungen gestalteten sich folgendermaßen: Ziel der Leibeserziehung sollte es sein, wenn diese mit unterschiedlichen Sinnorientierungen belegt werden könnten und zugleich ein pädagogisch wertvolles Handeln ausgemacht werden könnte, diese Sinnorientierungen im Schulsport erfahrbar zu machen. Anders formuliert, ließe sich dies auch in der Frage ausdrücken: „Was sind die Situationen des Sports, auf die der Schulsport vorbereiten könnte?“ (Kurz, 1990, S. 65). Situationen des Sports, oder sportliche Situationen, bezeichneten in diesem Fall vorrangig den Sport, der außerhalb der Schule institutionalisiert war und zwar zum einen formal in Vereinen und Verbänden und zum anderen informell, als lose organisierter und spontan betriebener Sport. Die Beantwortung der oben gestellten Frage wurde zum einen über den Bewegungsaspekt und den Interaktionsaspekt sportlicher Situationen versucht, zum anderen aber auch über den Sinn sportlicher Situationen. Die bis dahin vorliegenden Untersuchungen (bis ca. Mitte der 70er Jahre) zu Motiven des Sporttreibens waren doch zum großen Teil noch sehr ungenau und haben sich häufig überschnitten (vgl. Kurz, 1990). Aufbauend auf diesen bis dato existierenden Vorüberlegungen kam es Kurz (1990) nun aber darauf an, Motivkomplexe unterscheiden zu wollen, „in denen der Sporttreibende selbst den Sinn seines Handelns sehen kann“ (Kurz, 1990). Dafür verwendete er dann den Begriff „Sinnrichtungen“ (des Sports). Letztendlich versuchte Kurz dann den Stand der bisherigen Analyse in sechs großen Gruppen einzuteilen, wobei das Handeln in Situationen des Sports mit folgenden Sinnrichtungen belegt werden kann, wobei aber nur die Sinnrichtung „Leistung“ näher erläutert werden soll (vgl. Kurz, 1990):
1. Leistung, Präsentation, Selbstdarstellung, Selbstbewährung
Das Streben nach Leistung stellt ein zentrales Motiv des Sports dar. Eine Handlung ist dann als Leistung anzusehen, wenn sie nach der Maßgabe anerkannter Gütekriterien als gut zu bewerten ist. Zu diesen Gütekriterien zählen (nach Kurz 1990): Zeitminimierung, Treffermaximierung und Gestaltoptimierung sind dabei zunächst die im Wettkampfsport am Verbreitetsten. Weitere in einzelnen Sportarten vorkommende Gütekriterien sind: Distanzmaximierung, Lastmaximierung und Positionserzwingung. Diese Kriterien können bei der Beeinflussung der Leistung auch gemeinsam auftreten, oder es können theoretisch auch noch andere Kriterien zur Leistungsbeurteilung herangezogen werden (vgl. Kurz, 1990). Letztendlich lässt sich aber festhalten, dass Leistung die zentrale Sinnrichtung ist, unter der die meisten sportlichen Situationen stehen.
2. Ausdruck, Ästhetik, Gestaltung, Darstellung, Expression
3. Eindruck, Exploration, Sensation, „Vertigo“
4. Gesundheit, Ausgleich, Kompensation, Fitness, Wohlbefinden
5. Anschluss, Geselligkeit, Kommunikation, Beisammen- Sein
6. Spiel, Spannung, Abenteuer, Risiko, Wettkampf
Zusammenfassend lässt sich zunächst festhalten, dass in unterschiedlichen sportlichen Situationen in den einzelnen Sinnrichtungen sich unterschiedliche Erwartungen der Sportler ausdrücken und auf verschiedene Aspekte richten können. So z.B.:
- In der „Leistung“ die Bewertung der Handlung nach anerkannten Kriterien.
- Im „Ausdruck“ die ästhetische Aufnahme der Handlung durch andere.
- Beim „Eindruck“ der Vollzug der Bewegung selbst mit ihren erlebten Reizen.
- Bei der „Gesundheit“ die körperlich-seelischen Folgen der Bewegung.
- Beim „Anschluss“ das Beisammensein mit anderen während der sportlichen Situation.
- Im „Spiel“ die Ambivalenz des Handlungsverlaufs bezüglich Gelingen und Misslingen. (vgl. Kurz, 1990).
Der für diese Arbeit zentrale Aspekt der Leistung, der von Kurz auch in seinen frühen Darstellungen sehr detailliert beschrieben wird (1990), soll im Kapitel „Perspektiven der Leistung“ (3.2.1) ausführlicher aufgegriffen und dargestellt werden. Da die anderen hier aufgeführten Sinnrichtungen für die weitere Arbeit weniger von Belang sind, soll es bei der obigen Kurzbeschreibung bleiben und statt dessen auf die weitere Entwicklung dieser Ausführungen geblickt werden.
Seine späteren Darstellungen baut Kurz (2000 a, 2004) schwerpunktmäßig auf den beiden folgenden Fragen auf:
1) „Was sind die spezifischen Beiträge des Faches Sport zum Bildungsauftrag der Schule? Und
2) Wie wird Sportunterricht ‚erziehend’?“ (Kurz, 2000 a, S. 72).
Die Grundüberlegungen bestanden, aufbauend auf den oben beschriebenen Sinnperspektiven, zunächst darin, dass in der Schule für den Sport Interesse geweckt werden soll. Der Sport in der Schule soll dann auch so ausgewählt und dargeboten werden, dass die Schüler die wichtigsten dieser Sinnperspektiven erfahren und bewerten lernen. Daraus ergibt sich die Forderung nach einem mehrperspektivischen Sportunterricht, der neben dem Lehrplan Sport in Rheinland-Pfalz (vgl. Kapitel 2.1) auch als Grundlage für den Lehrplan in der Schweiz gilt, wie Abbildung 3 zeigt.
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Abb. 3: Die sechs Sinnrichtungen aus dem neuen Lehrplan „Lehrmittel“ der Schweiz (modifiziert nach Kurz, 2000 a, S. 73)
Da es sich hierbei nicht nur um die Ausprägung subjektiven Sinns handelt, sondern auch um Annahmen, worin der tiefere Wert sportlicher Aktivität und ihr Beitrag zu Bildung und Entwicklung liegt, spricht Kurz in seinen aktuelleren Ausführungen nicht mehr von „Sinnperspektiven“, sondern von „pädagogischen Perspektiven“. Dies hilft auch bei der Suche nach der Antwort auf die erste Frage. Kurz (2000 a) geht vom Sportartenkonzept (Söll, 2003) aus und weist darauf hin, warum es so schwer ist in der heutigen Zeit nach diesem Konzept zu unterrichten. Kurz (2000 a) sieht den Bildungsauftrag des Faches Sport selbst mit einem gelungenen Unterricht in diesem Konzept nicht mehr ausreichend erfüllt, da er den Wert des Sports in der heutigen Zeit in der Gesellschaft vor allem durch die Medien in Gefahr sieht. Deshalb fordert er einen Doppelauftrag des Schulsports: „Er soll einerseits einen kulturellen Teilbereich erschließen und andererseits Entwicklung fördern“ (Kurz, 2000 a, S. 74). Weiterhin führt er dazu unter dem Aspekt der Entwicklungsförderung aus, dass nicht pädagogisch bedeutsam (entwicklungsbedeutsam, entwicklungsfördernd, bildend) ist,
„dass junge Menschen z.B. das Speerwerfen oder das Volleyballspielen lernen, und (…) wie weit die Schüler den Speer werfen oder wie gut sie Volleyball spielen. Weitergehende pädagogische Bedeutsamkeit gewinnt der Prozess erst durch das, was sie in der Auseinandersetzung mit diesen sportlichen Aufgaben erfahren. (…) Pädagogisch entscheidend ist nicht, welche Inhalte wir für den unterricht auswählen, sondern wie diese Inhalte zu Themen werden“ (Kurz, 2000 a, S. 74).
An dieser Stelle konkretisiert sich mit den pädagogischen Perspektiven nun das, was sich in der ersten Eingangsfrage hinter den „spezifischen Beiträgen des Faches Sport zum Bildungsauftrag der Schule“ versteckt. Abbildung 4 zeigt die pädagogischen Perspektiven mit den Titeln, für die sie im Lehrplan von Nordrhein-Westfalen entwickelt wurden.
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Abb. 4: Pädagogische Perspektiven auf den Sport in der Schule (Kurz, 2000 a, S. 74)
Auch diese sechs neuen Perspektiven sollen kurz näher erläutert werden, indem zum einen der subjektive Sinn und zum anderen die pädagogische Bedeutung einer jeden Perspektive herausgehoben werden (Tabelle 1). Die gewählte Reihenfolge geht mit der Perspektive Leistung vom zentralen Sinn des Sports aus und erweitert ihn dann (vgl. Kurz, 2004):
Tab. 1: Die pädagogischen Perspektiven mit ihrem subjektiven Sinn und ihrer pädagogischen Bedeutung (vgl. Kurz, 2004)
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Erläuternd führt Kurz (2000 a) hierzu aus, dass diese der Versuch einer systematischen Antwort sind: Eine Antwort auch auf die Frage danach, was „in der Auseinandersetzung mit Aufgaben des Sports über die Entwicklung sportlichen Könnens hinaus Entwicklungsförderndes geschehen kann“ (a. a. O., S. 74). Auf einen einfachen Nenner gebracht, ist unter diesen sechs pädagogischen Perspektiven das zusammengefasst, was im Schulsport an ausgewählten Inhalten thematisiert werden sollte, damit das Fach seinem Bildungsauftrag gerecht wird.
Die daraus resultierende Forderung Sport mehrperspektivisch zu unterrichten und möglichst viele verschiedene Perspektiven anzusprechen, begründet Kurz (1992) folgendermaßen: einerseits spricht MPU unterschiedliche Motive an und andererseits kann MPU auf eine größere Bandbreite pädagogischer Förderungsmöglichkeiten zurückgreifen. Da es weiterhin im MPU um die Förderung von Handlungsfähigkeit geht (Kurz, 2004), lässt sich daraus eine dritte Begründung ableiten: Sportunterricht, der dies leisten soll, muss den Schülern die Sinnperspektiven des Sports erfahrbar machen, die für ihr Leben bedeutsam sein könnten. Zum einen heißt Handlungsfähigkeit, dass im Sportunterricht nur das in Frage kommt, was die Entscheidungsfähigkeit der Schüler für ihren Sport auszubilden hilft (vgl. Kurz, 1986). Konkret zum anderen „die Fähigkeit, die vorgefundenen und angebotenen Formen des Sports auf ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen und in ein individuelles Lebenskonzept einzuordnen“ (Kurz, 1992, S. 16). Mit anderen Worten: ein Schüler gilt im Sport dann als handlungsfähig, wenn er aus Erfahrung weiß, welchen Unterschiedlichen Sinn es haben kann, im Sport aktiv zu sein, und in Abwägung dieses Wissens sein Leben einrichten zu können (vgl. Kurz, 2004).
Mit dem Begriff der Handlungsfähigkeit lässt sich auch die zweite Eingangsfrage beantworten. Sportunterricht wird dann erziehend, wenn die Schüler ihm etwas für ihr Leben abgewinnen; wenn sie wissen, was das vermittelte Wissen und Können (aus dem Unterricht) für das gegenwärtige und das nahe, zukünftige Leben bedeutet. Deshalb geht es nicht nur um die Wissens- und Könnensvermittlung im Unterricht, sondern auch darum, in der Erziehung die Entwicklung von Werten (und Wertvorstellungen) zu sichern. Damit zielt die Erziehung auf Selbstbestimmung, übertragen auf das Fach Sport zielt sie auf Selbsttätigkeit und/oder eben Handlungsfähigkeit (vgl. Kurz, 2000 a). Damit lässt sich zusammenfassend sagen, dass der Sport dann zur Handlungsfähigkeit beitragen kann, wenn er unter allen Perspektiven (also mehrperspektivisch) entsprechend vermittelt wird und wenn also die Schüler in der Lage sind, sich ein eigenes Bild vom Sport zu machen und dies auch reflektieren können. Hilfe für die Unterrichtsgestaltung finden sich bei Stibbe (2004 a), der sich an den fünf Prinzipien eines erziehenden Sportunterrichts (vgl. hierzu auch Neumann, 2004 a) aus dem Lehrplan Sport in Nordrhein-Westfalen orientiert.
2.1 Die pädagogischen Perspektiven im Lehrplan Sport von Rheinland- Pfalz
Wie schon oben erwähnt, orientiert sich auch der Lehrplan Sport Rheinland-Pfalz an den Perspektiven von Dietrich Kurz. Dabei handelt es sich konkret um die Einteilung, die er 1992 vorgenommen hat und damit auch um die erweiterte und revidierte Fassung von 1990, die bereits oben beschrieben wurde.
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Abb. 5: Die pädagogischen Perspektiven im Lehrplan Sport Rheinland-Pfalz (MfBWW, 1998 a, S. 10).
Abb. 5 zeigt die Beziehung zwischen den pädagogischen Perspektiven und den Inhalten des Sportunterrichts. Dabei zeigt sich im Vergleich zu der Einteilung des Lehrplans in Nordrhein-Westfalen, dass die Perspektiven teilweise anders benannt sind und die Perspektive Spannung/Spiel im rheinland-pfälzischen Lehrplan durch die Perspektive Wagnis in Nordrhein-Westfalen ersetzt wird.
Ähnlich wie bereits in den obigen Ausführungen dargestellt, soll auch nach dem rheinland-pfälzischen Lehrplan ein „mehrperspektivischer Zugang zum Phänomen Sport“ (MfBWW, 1998 a, S. 7) durch den Sportunterricht ermöglicht werden. Dabei soll die enge Bindung an traditionelle Sportarten aufgegeben und weitere Sportarten und aktuelle Bewegungsformen mit einbezogen werden. Dieser Hinweis steht etwas im Widerspruch zu dem Vorschlag der Auswahl der Inhalte des Sportunterrichts (siehe Kapitel 1.2 im Lehrplan Sport Rheinland-Pfalz). Dort werden in erster Linie, wie auch aus Abbildung 5 ersichtlich ist, die traditionellen Sportarten (Bereich A und Kerngruppe im Bereich B) berücksichtigt, da sie „als bildungsrelevantes Kulturgut für den Sportunterricht unverzichtbar sind und ihre Eignung für den Schulsport unter Beweis gestellt haben“ (MfBWW, 1998 a, S. 9). Sie sollen aber ausdrücklich unter verschiedenen Perspektiven unterrichtet werden. An späterer Stelle (vgl. a. a. O.) wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass die angestrebte Breite an sportlichen Bewegungserfahrungen sich dabei nicht nur auf die Sportarten bezieht, sondern auch auf die Vielfalt der Perspektiven, unter denen sie unterrichtet werden können.
Etwas ausführlicher wird der Bereich erläutert, der oben unter dem Begriff der Handlungsfähigkeit eingeführt wurde. Im Lehrplan wird jedoch von Handlungskompetenz gesprochen. Diese ist laut Lehrplan dazu erforderlich, die Schüler zur Bewältigung von Lebenssituationen im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und sozialer Verantwortung zu befähigen und damit auch der Aufgabe schulischer Bildung gerecht zu werden (vgl. a. a. O., S. 6). Die Handlungskompetenz wird in die drei Bereiche Sach-, Methoden-, und Sozialkompetenz unterteilt. Diese drei Kompetenzen, die die Schüler im Laufe ihrer Schulkarriere erlernen sollen, lassen sich wie folgt beschreiben, wobei auf eine Auflistung der einzelnen Fähigkeiten verzichtet werden soll (Vgl. hierzu den Lehrplan Sport Rheinland-Pfalz, MfBWW, 1998 a) und vielmehr versucht wird eine Verbindung zu den Perspektiven herzustellen:
- Sachkompetenz: sportrelevante Fähigkeiten und Fertigkeiten sollen von den Schülern sach- und situationsgerecht angewendet werden. Die geforderten Grundkenntnisse zu dieser Kompetenz lassen sich - bis auf die Fähigkeiten zum kreativen Umgang mit Formen der Bewegung und des Spiels - hauptsächlich der Perspektive Leistung zuordnen.
- Methodenkompetenz: die Schüler sollen befähigt werden, Sport im schulischen und außerschulischen Bereich selbständig auszuüben. Die Qualifikationen im Bereich Methodenkompetenz können größtenteils unter der Perspektive Gesundheit (Fitness, Wohlbefinden) zusammengefasst werden.
- Sozialkompetenz: das sportliche Handeln der Schüler soll unter dem vorstehenden Aspekt von Fairness und Kooperation stehen. Die erforderlichen Qualifikationen sind dabei besonders mit der Perspektive Miteinander (soziales Lernen, Umwelt) abgedeckt.
Damit lässt sich schon feststellen, dass in den drei Kompetenzbereichen besonders drei der pädagogischen Perspektiven dominieren: nämlich Leistung, Gesundheit und Miteinander. Die drei anderen Perspektiven (Spannung/Spiel, Eindruck und Ausdruck) scheinen eher in den Hintergrund zu treten, bzw. von den erstgenannten Perspektiven unterdrückt zu werden. Da in diesem Kapitel allerdings nur eine darstellende Beschreibung der Perspektiven und der Handlungskompetenzen erfolgt ist, soll im nun anschließenden Kapitel 2.2 genauer auf die Frage eingegangen werden, wie genau die einzelnen Perspektiven (besonders die Leistung) nach Vorgabe des Lehrplans in den jeweiligen Sportarten und Disziplinen umgesetzt werden sollten.
2.2 Bedeutung der Perspektiven für den Sportunterricht
Bereits im vorigen Kapitel ist auf den Widerspruch aufmerksamgemacht worden, der sich im Zusammenhang mit den Inhalten des Sportunterrichts und den pädagogischen Perspektiven andeutet. Einerseits soll sich mehr von den traditionellen Sportarten gelöst werden, dann aber wiederum werden sie als unverzichtbar bezeichnet (vgl. MfBWW, 1998 a). Eine weitere Unstimmigkeit stellt Stibbe (2004 a) fest, der das Kompetenzmodell als Widerspruch zum Konzept der Mehrperspektivität sieht. Wie schon oben bei der Beschreibung der Kompetenzbereiche angedeutet, sieht Stibbe (2004 a) die Mehrperspektivität auf Leistungs-, Fitness- und Fairnessdimensionen verkürzt und spricht in diesem Zusammenhang von „pragmatischen Reduktionen“ (Stibbe, 2004 a, S. 75). Weiterhin kritisiert er, dass diese tendenzielle Reduktion zu einem beschränkten Sportartenlehrgang führt, der den Ausführungen an anderer Stelle des Lehrplans entgegensteht, nämlich „Handlungsfähigkeit im Sport als Ergebnis mehrperspektivischer Erfahrung und Reflexion von Sinngebung im Sport zu verstehen.“ (zitiert nach Stibbe, 2004 a in Anlehnung an MfBWW, 1998 a, S.10). In der Tat wird die Wichtigkeit der Perspektivenvielfalt hervorgehoben (vgl. MfBWW, 1998 a), allerdings ist in den verschiedenen Sportartenplänen nicht mehr konkret von den Perspektiven die Rede. Vielmehr wird unter den Bereichen der Methoden-, Sozial-, und besonders der Sachkompetenz eine Auflistung der allgemeinen motorischen Grundlagen mit ihren Zielen und Inhalten gegeben, was nach Stibbe (2004 a) zu dem bereits erwähnten traditionellen Sportartenlehrgang führt. Diesen Übersichten wird jedoch – und das erkennt auch Stibbe (2004 a) – im Lehrplan eine besondere Rolle zugewiesen:
„Eine bedeutende Rolle wird der Förderung allgemeiner motorischer Grundlagen zugewiesen, da diese die Vorraussetzung für die aktive Teilnahme an der Sportwirklichkeit darstellen. Daher werden diese Inhalte auch in den Sportartenplänen gesondert ausgewiesen; im Unterricht sollen sie vertieft und anwendungsorientiert vermittelt werden. (…)“ (MfBWW, 1998 a, S. 9).
Diese Auslegungen lassen laut Stibbe (2004 a) darauf schließen, dass der Perspektive Leistung ein äußerst hoher Stellenwert zukommt. Tatsächlich lässt sich erkennen, dass Dimensionen wie Leistung, Fitness oder Fairness überwiegen. Diese Tatsache aber auf die Nennung der Leistung an erster Stelle der Perspektiven im Lehrplan zurückzuführen, halte ich für Spekulation.
Weiterhin lässt sich festhalten, dass konkrete Hinweise zum methodischen Umgang mit den Perspektiven eher weniger gegeben sind. Zwar wird darauf hingewiesen, dass „die pädagogischen Perspektiven sportartspezifisch akzentuiert oder miteinander verbunden werden können“ (MfBWW 1998 a, S. 7) und dass die Vermittlung der Sinnperspektiven als „Langzeitaufgabe“ (a. a. O., S. 7) zu verstehen sei und nicht alle Inhalte unter allen Perspektiven behandelt werden sollen, aber diese Beschreibung ist damit doch schon sehr allgemein gehalten (vgl. Stibbe, 2004 a). Detailliertere methodische Hinweise hierzu sind z.B. bei Balz (2004) zu finden.
Um diese „Lücke“ zu schließen soll nachfolgend der Versuch unternommen werden, anhand der Untersuchung der Sportartenpläne für die einzelnen Sportarten die Bedeutung der Perspektive Leistung herauszustellen und ihre Stellung innerhalb der jeweiligen Sportart herauszuarbeiten. Betrachtet man sich hierzu die Hinweise zur Handhabung der Sportartenpläne, wird schnell deutlich, dass der Bereich der Sachkompetenz mit der Beschreibung von Zielen und Inhalten den größten Raum einnimmt und die detailliertesten Angaben macht (Unterteilung in unterschiedliche Anforderungsniveaus für die Klassen 7-9/10 und ein einheitliches Niveau für die Orientierungsstufe). Dabei wird besonderer Wert auf die allgemeinen motorischen Grundlagen (konditionelle und koordinative Fähigkeiten, Spielfähigkeit) für jede Sportart gelegt. Es wird gefordert sie in allen Sportarten durchgängig in den Unterricht einzubinden. Hinweise zu den Bereichen Sozial- und Methodenkompetenz finden sich in den Vorworten zu den einzelnen Sportarten. Dort werden auch Hinweise zu den pädagogischen Perspektiven gegeben unter denen die jeweilige Sportart erfahren werden kann (vgl. MfBWW, 1998 a).
Im Gerätturnen, wo eine hohe Bewegungsvielfalt angestrebt wird, sollen die Perspektiven Miteinander, Leistung, Eindruck, Ausdruck und Gesundheit vielfältig mit den Übungsangeboten verknüpft werden. Ziele sind hierbei u.a. das Erlernen von Bewegungsfertigkeiten und Bewegungsgestaltungen. Im Mittelpunkt des Gymnastik/Tanz Unterrichts stehen die Ziele Körperbildung, rhythmische Bewegungsfähigkeit und Bewegungsgestaltung. Diese lassen sich besonders unter den pädagogischen Perspektiven der Gesundheit, des Miteinander, des Ausdrucks und des Eindrucks realisieren. Konditionelle und koordinative Fähigkeiten gelten für Leistungen in den Grundformen Laufen, Springen, Werfen in der Leichtathletik als entscheidend. Die Perspektive Leistung lässt sich hier in besonderem Maße durch die Messbarkeit von Zeiten, Weiten und Höhen herausstellen. So kann ein Leistungszuwachs auch objektiv bestimmt werden. Die Perspektive Eindruck lässt sich laut Lehrplan anhand intensiver Formen der Körperwahrnehmungen bei Sprint (Geschwindigkeit) oder Dauerlauf (Erfahren von Leistungsgrenzen) erfahren. Gruppenläufe im Gelände können das Sozialverhalten fördern (Rücksichtnahme auf Schwächere) und so die Perspektive Miteinander ansteuern. Auch für die vierte Individualsportart, das Schwimmen, werden unterschiedliche Zugangsweisen durch jeweils andere Perspektiven genannt. Explizit wird erneut die Perspektive Leistung genannt; dieses Mal im Zusammenhang mit dem Schnellschwimmen. Die Perspektiven Eindruck, Gesundheit und Miteinander können durch Körpererfahrungen im Wasser, durch das Dauerschwimmen und durch das gegenseitige Retten angesprochen werden. Die Aussagen zu den allgemeinen motorischen Grundlagen und zu den Bereichen Methoden- und Sozialkompetenzen gelten jeweils für alle Spiele. Besonders betont wird, dass für die Teilnahme an den Spielen der Erwerb von technischen Fertigkeiten und taktischen Fähigkeiten unverzichtbar ist, da dieser erst ein der Spielsituation angemessenes Verhalten ermöglicht. Auch für die Perspektiven gilt bei allen Spielen das Gleiche: Die Perspektiven Leistung und Spannung können im Wettkampf verdeutlicht werden. bei kooperativen Spielformen ist eine stärkere Beachtung der Perspektive Miteinander möglich (vgl. MfBWW, 1998 a).
Dies sind die Fakten, die der Lehrplan hergibt. Nun klingt die vorgenommene Darstellung wohl eher nach einer Auflistung, als nach einer praxisnahen Hilfestellung für die Lehrer, an der diese sich orientieren können und konkret dargelegt bekommen, welche Inhalte sich besonders unter einer oder mehreren bestimmten Perspektiven verwirklichen lassen. Auch die jeweiligen Ziele und Inhalte im Bereich der Sachkompetenz gleichen einer Auflistung von Techniken, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die die Schüler am Ende ihrer Schulzeit beherrschen sollen. Wie schon eingangs von Stibbe (2004 a) erkannt, entsteht hier durch diese „Auflistung“ wirklich der Eindruck, dass der Perspektive Leistung eine stärkere Bedeutung zukommt als den anderen Perspektiven. Andererseits ist es wohl auch nicht beabsichtigt, dem Lehrer alles detailgenau vorzugeben. Dies wurde mir auch von dem Sportlehrer in den Interviews bestätigt, der sich mit den Perspektiven sehr gut auskannte. Bei der Anwendung der pädagogischen Perspektiven geht es darum, dass man zum einen fragt: Wozu trägt mein Sportunterricht bei? Und: Was ist mir, bzw. was ist den Schülern wichtig? Zum anderen dienen die Perspektiven als Steuerungshilfen, da in verschieden Klassen jeweils unterschiedlich akzentuierter Unterricht gemacht wird. Die Ausrichtung ist nicht für alle Klassen gleich: in einer Klasse, die vom sozialen Verhalten her problematisch ist, kann stärker fairnessorientierter Unterricht gemacht werden, in einer Klasse mit vielen dicken Schülern könnte tatsächlich die Gesundheit im Vordergrund stehen. Im Großen und Ganzen ist aber in jedem Unterricht oft jede Perspektive berührt (nicht nur Leistung). Der Unterricht wird nicht, und soll auch nicht ausschließlich nach den Perspektiven geplant werden, sondern sie dienen vielmehr der Akzentuierung (vgl. Interview L1).
Somit lässt sich zunächst festhalten, dass im Lehrplan Sport Rheinland-Pfalz die Perspektive Leistung gemeinsam mit Fairness- und Fitnessaspekten dominant ist und gegenüber den anderen Perspektiven eine scheinbar größere Rolle spielt. Wie und ob sich diese Gewichtung nun auch auf die Leistungsbeurteilung auswirkt, wird in Kapitel 3.2.2 analysiert.
3. Theoretische Grundlagen zu Leisten, Leistung und Leistungsmotivation
Hier werden nun im Folgenden die theoretischen Grundlagen der drei Konzepte vorgestellt, so wie sie sich in der aktuellen Literatur bewährt haben. Dabei sollen, um eine zu weite Ausdehnung zu vermeiden, die bekanntesten und aktuellsten Theorien bzgl. der drei Konzepte vorgestellt werden. Dabei werden die Konzepte unter verschiedenen Blickwinkeln, d.h., aus anthropologischer, pädagogischer und psychologischer Perspektive beleuchtet. Gemeinsamkeiten und inhaltliche Zusammenhänge werden dann in Kapitel 3.4 zusammengetragen.
3.1 Leisten
Zum Einstieg soll auf das weite Bedeutungsfeld hingewiesen werden, welches der Begriff „leisten“ in der deutschen Sprache mit sich bringt. Wirft man einen Blick in ein Mittelhochdeutsches Wörterbuch (Hennig, 2001), so findet man eine Vielzahl von Bedeutungen zu diesem Begriff: „dienen; leisten, erfüllen, ausführen, befolgen; versprechen; schenken, gewähren; erweisen; aufbringen; tun.“ Auch das etymologische Wörterbuch des Deutschen (Bluhme, 2005) verweist auf ähnliche Bedeutungen: „eine Arbeit zustande bringen, (…) im ahd. (9. Jh.) auch: einer Pflicht nachkommen“ (a. a. O., S. 300). Die heutige Bedeutung für „leisten“ wird meist mit „durch Arbeiten erreichen (,dass ein bestimmtes Ergebnis erzielt wird.)“, angegeben und bringt sinnverwandte Bedeutungen, wie „schaffen, können, bewältigen“ (Müller, 1985, S. 209) mit sich. Anhand dieser kurzen terminologischen Analyse, die analog auch zum Begriff „Leistung“ im nächsten Kapitel vorgenommen wird, zeigt sich die Schwierigkeit diesen Terminus eindeutig zu definieren. Hecker (2001) kommt nach einer entsprechenden Analyse zu dem Ergebnis, dass „leisten“ trotz seines breiten Bedeutungsfeldes immer „mit der Übernahme einer Aufgabe und meistens mit einer Zielvorgabe verbunden war“ (a. a. O., S. 326). Er geht weiterhin auch davon aus, dass dieser Begriff nicht eindeutig definiert werden kann (vgl. Hecker, 2001). Bei seinem differenzierenden Umgang mit dem Leistungsbegriff versteht er „das Bemühen um eine Aufgabe als Leisten (…)“ (Hecker, 2001, S. 326). In eine ähnliche Richtung geht neben Balz/Kuhlmann (2003) auch Erdmann (1993), der schon etwas genauere Ausführungen zum „Leisten“ gibt. Vom „Leisten“ wird dann gesprochen, wenn man die selbstverursachte Handlung einer Person mit ihren Leistungsvoraussetzungen und –fortschritten über einen Zeitraum betrachtet. Das „Leisten“ ist demnach als Prozess zu verstehen, mit dem eine absichtsvolle Handlung beginnt (vgl. Erdmann, 1993, 1997). Im pädagogischen Kontext hat dieser individuelle Vorgang des Leistens die größere Bedeutung, als der formale Akt einer quantifizierenden Leistungsfeststellung (vgl. Balz/Kuhlmann, 2003). Deshalb beruht alles, was wir zu leisten im Stande sind, auf unseren erworbenen Fähigkeiten und persönlichen Anstrengungen zum Erreichen eines Ereignisses. Damit lassen sich auch die Grenzen zum nichtleistungsthematischen Bereich abstecken: Handlungen, für die weder Fähigkeiten noch Anstrengungen notwendig sind, können nicht zum Gebiet des Leistens gezählt werden.[3] So zum Beispiel Los- oder Lotteriegewinne (Vgl. Erdmann, 1993, 1997). Eigene Fähigkeit und Schwierigkeit der Aufgabe bestimmen hingegen in Wechselbeziehung das Können oder Nichtkönnen einer Aufgabe. Für die pädagogische Arbeit ist diese Unterscheidung von Fähigkeit und Schwierigkeit von Bedeutung. Es sind personengebundene Faktoren und situationsbedingte Größen wichtig. Erst durch ihr Zusammenwirken entsteht eine Leistung. Das „Leisten“ ist die Grundlage für absichtsvolles Lernen und Unterrichten und das Wechselspiel der Personen und Situationsfaktoren bietet hierfür die Basis. „Leisten“ umfasst also sowohl die Situation, als auch die Person. Deswegen wird in der pädagogischen Diskussion gefordert, dass nicht die absolut gesetzte, ergebnisorientierte Norm die bedeutsame Größe ist, sondern individuumsbezogene Prozesse der Maßstab sind. Gerade in schulischen Leistungssituationen sollte diese individuumsorientierte[4] Zielsetzung im Vordergrund stehen. Denn je normierender die Maßstäbe sind und je losgelöster von den Schülern sie gehandhabt werden, desto eingeengter und frustrierender wirken sie für den Betroffenen (vgl. Erdmann, 1993 und als Beispiel Szene 1 in der Einleitung).
Weiterhin bezeichnen Balz/Kuhlmann (2003) „das Leisten als etwas dem Menschen per se Zugehöriges“ (a. a. O., S. 195). Dieser Aspekt wurde auch schon früher von Grupe (1985) herausgestellt und in späteren Ausführungen wieder aufgegriffen (vgl. Grupe, 1998). Genauso, wie der Mensch aus anthropologischer Sicht „als ein handelndes, als ein geschichtliches, als ein soziales Wesen angesehen wird, ist er auch als ein ‚leistendes’ Wesen anzusehen“ (Grupe, 1985, S. 12). Das Leisten gehört also zum Wesen des Menschen. Was aber genau „Leisten“ heißt, wie daraus möglicherweise eine „Leistung“ wird und was dann unter beiden Begriffen verstanden wird, ist damit aber noch nicht ganz klar. Um zu ermitteln, wie sich das Leisten des Menschen in seinen persönlichen, sozialen und kulturellen Leistungen entfaltet und auslegt, muss nun auch zum Leistungsbegriff übergegangen werden. Diese pädagogische Herangehensweise an das Thema „Leisten“ kann nur dann weiter erörtert werden, wenn der Aspekt der „Leistung“ mit ins Spiel kommt. Damit zeigt sich, dass „Leisten“ und „Leistung“ in der Literatur oft in direktem Zusammenhang stehen. Trotzdem sollte mit den bisher getätigten Ausführungen eine bewusste Trennung vom Begriff „Leistung“ vorgenommen werden. Verknüpfungen werden dann aber zum einen im nächsten Kapitel herzustellen sein und schließlich noch einmal in Kapitel 3.4. Bevor auf den umfangreicheren Leistungsbegriff eingegangen wird, soll noch ein Blick auf einige Ausführungen zum Leisten in der schulischen Praxis geworfen werden.
Funke- Wienecke (2003) stellt zur Untersuchung von Leisten im Bewegungsunterricht folgende Fragen: Was genau ist damit gemeint? Warum ist es erzieherisch bedeutsam? Und: Wie lässt es sich im schulischen Rahmen verwirklichen? Um diese Fragen zu erörtern, bringt er das Beispiel von Paula, die im Sportunterricht beim Hochsprung 1,20m hoch springt. Dies sind die Fakten. Es ist noch nicht klar, ob Paula etwas leistet, ob eine Leistung überhaupt vorliegt, oder ob die Leistung gut oder schlecht ist. Damit ist also klar, dass „Leisten“ und „Leistung“ „keine Fakten beschreiben, sondern Begriffe sind, die Tatsachen wertgebunden interpretieren“ (Funke- Wienecke, 2003, S. 4). Solange nicht klar ist, welche Interpretation der Fakten verwendet wird, bzw. gültig ist, können alle möglichen Interpretationen zu diesem Beispiel gelten. In Anlehnung an Hecker (2001) ist auch Funke-Wienecke (2003) der Meinung, dass aus pädagogischer Sicht die individuelle Bezugsnorm der nächstliegende Maßstab für den Begriff des Leistens ist. Es kommt unter diesem Blickwinkel also auf die Vorraussetzungen des Einzelnen an und in welchem Maße er sich bemüht hat. Auch hier lässt sich, wie auch oben schon dargestellt, nochmals das Leisten als „vorraussetzungsgemäßes Bemühen um die Bewältigung einer Bewegungsaufgabe“ (Funke-Wienecke, 2003, S. 5) bezeichnen. Da das Bemühen aber eine subjektive Komponente ist, fehlt eine Ebene der Objektivierung, damit man bezüglich des Begriffs „Leisten“ zu gemeinsamen Urteilen kommt. Diese Komponente findet Funke Wienecke (2003) indem er die Grenzen der gegebenen Handlungsmöglichkeiten mit ins Spiel bringt und deshalb vorschlägt:
„Als Leisten ist ein solches Bewegungshandeln zu bezeichnen, das im Rahmen der individuellen und situativen Vorraussetzungen die Grenzen der Handlungsmöglichkeiten erkundet und ggf. überschreitet“ (Funke-Wienecke, 2003, S. 6).
Pädagogisch bedeutsam wird das Leisten im Bewegungsunterricht nun dadurch, dass erstens ein Überschreiten von Handlungsgrenzen Bedingung des Lernens ist und somit Erziehung durch Leisten die Persönlichkeitserweiterung fördert. Zum Zweiten begegnet der junge Mensch in der Aufforderung zum Leisten nicht nur sich selbst sondern auch anderen und wird somit auch dem Anspruch der Gesellschaft gerecht, etwas aus sich zu machen, um sich selber bestmöglich in diese einzubringen, indem er gemeinsame Pflichten übernimmt.
Zur Verwirklichung des pädagogisch verstandenen Leistens in der Schule sind folgende Faktoren bestimmend:
- Das Thema, in dessen Rahmen etwas geleistet wird,
- die Art und Schwierigkeit der zu lösenden Aufgabe,
- das Tatsachenurteil zur Feststellung des erzielten Ergebnisses der bewältigten Aufgabe und
- die Interpretation des Zusammenhangs von Aufgabe und Ergebnis im Hinblick auf den individuellen Grenzwert. (vgl. Funke- Wienecke, 2003).
Damit ist es für die Praxis wichtig zunächst leistungsrelevante Themen zu stellen, dann auch die Leistungsaufgaben für die Schüler zu differenzieren und auch die Ergebnisse zu ermitteln und zu dokumentieren. Abschließend muss dann auch die individuelle Interpretation zwischen Aufgabe und Ergebnis vorgenommen werden, indem man körperliche Vorraussetzungen eines jeden Schülers beachtet, den Lernfortschritt berücksichtigt und die Grenzwertigkeit des Ergebnisses mit in Betracht zieht. Nur so kann eine abschließende Zensierung halbwegs realistisch vorgenommen werden (vgl. Funke-Wienecke, 2003).
Weitere Hinweise bezüglich des Vorgehens, der Förderung oder der Erfassung und Bewertung des Leistens geben Voss (1993) und Auras (2003). Beide stellen das Leisten in Situationen (Turnen) in ihrem offenen Bewegungsunterricht in der Grundschule dar. Die Kritiker des offenen Unterrichts behaupten oft, dass durch die Offenheit das Leisten zu kurz kommt. Dem hält Voss (1993) entgegen, dass sich offene Situationen gerade zum Themeneinstig sehr gut eigenen, da den Kindern die Gelegenheit gegeben wird, das Thema in großer Vielfalt zu erfahren. Weiterhin wird so jedem Kind die Gelegenheit gegeben das zu tun, was es kann. Durch die Offenheit erhalten die Schüler die Möglichkeit zu selbstbestimmtem Handeln: sie können ihre Vorerfahrungen einbringen, auf ihrem eigenen Leistungsniveau arbeiten, ausprobieren und üben, so lange sie wollen, mit Partner, alleine, oder in Gruppen. Dies bestätigt auch Auras (2003) der feststellt, dass sich Kinder im offenen Unterricht nicht nur immer wieder aus eigenem Antrieb Bewegungsproblemen widmen, sondern dass sie ihre individuellen Grenzen erreichen und sogar überschreiten. Die vollkommen eigenständige Bestimmung von Leistungsthemen führt dadurch zu einer Erweiterung der Handlungskompetenz und dem Erreichen von höheren Fertigkeits- und Fähigkeitsniveaus.
Die Grenzen, die jedoch auch einem offenen Unterricht gesetzt sind, ergeben sich aus der Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen und in der Interessenüberschneidung verschiedener Schüler. Trotzdem können die Anregungen der Kinder immer wieder in den Unterricht mit eingebracht werden und so können die Schüler unabhängig von vorgegebenen Themen ihren persönlichen Interessen nachgehen (vgl. Voss, 1993 und Auras, 2003).
Die Vorteile, die sich aus einem solchen Unterricht bezüglich des Leistungsaspektes ergeben, stellt Voss (1993) wie folgt heraus:
- Eine erfolgreiche Handlung schafft Befriedigung bei den Schülern.
- Der individuelle Lernfortschritt ist gut zu verfolgen, wenn sich die Kinder immer wieder an neue und höhere Ziele heranwagen.
- Die Schüler können durch Rückmeldung von Mitschülern, Lehrer, oder der Aufgabe selber neue Erfahrungen sammeln.
- Da die Kinder ohne Leistungsdruck arbeiten, versuchen sie öfters ihre eigene Leistungsgrenze auszutesten.
Auch der Lehrkraft kommen in dieser Art des Unterrichts immer noch bedeutende Aufgaben zu, um das Leisten zu fördern. So müssen zunächst einmal aufforderndes Material und attraktive Bewegungsangebote zur Verfügung gestellt werden, um somit Einfluss auf die Qualität und Vielfalt von Bewegungsmöglichkeiten zu haben. Zudem spielen fachliche Kompetenz, Flexibilität und Einfühlungsvermögen eine große Rolle, wenn es darum geht auf Wünsche, Fragen, Anregungen, Hilfe oder Unterstützung der Kinder einzugehen. Zudem muss der Lehrer die Schüler aufmerksam beobachten und kann aus den ganzheitlichen Situationen, in denen sich die Kinder bewegen, folgende Aspekte aufnehmen:
- Welche Probleme geht ein Kind an und in welchem sozialen Kontext, bzw. mit welchen sozialen Kompetenzen tut es dies?
- Befasst es sich ausdauernd mit einer Aufgabe und sucht beharrlich eine Lösung, oder gibt es schnell auf?
- Wächst ein Kind über sich hinaus? Wo sind seine Stärken und wo sind seine Schwächen, an denen möglicher Förderungsbedarf besteht?
Zusätzlich zu diesen Aspekten können auch die Äußerungen der Kinder mit berücksichtigt werden. Die gesammelten Eindrücke können notiert und so am Ende mit in eine Bewertung einfließen (vgl. Auras, 2003).
Somit kommt es also im offenen Bewegungsunterricht darauf an, dass jeder „das leistet, was er gemäß seiner individuellen Vorraussetzungen zu leisten in der Lage ist“ (Voss, 1993, S. 28). Auf vorgegebene Normen, Aufgaben oder soziale Vergleiche wird weitestgehend verzichtet. Die erlernten und erweiterten Bewegungserfahrungen und Leistungsfortschritte lassen sich möglicherweise nicht direkt auf konkrete Techniken einzelner Sportarten anwenden, aber im Sinne einer breiten Grundlagenausbildung doch sicher auf weite Teile des späteren Sportunterrichts übertragen (vgl. Voss, 1993).
Nach diesem kurzen Exkurs in einige Praxisbeispiele des Schulsports wird nun, wie bereits angekündigt, zu den Ausführungen zum Leistungsbegriff übergegangen.
3.2 Leistung
3.2.1 Perspektiven des Leistungsbegriffs
Wie auch schon beim Begriff „Leisten“ soll hier ein kurzer Blick in das Etymologische Wörterbuch des Deutschen (Bluhme, 2005) Auskunft über die Herkunft des Begriffs „Leistung“ geben. Dabei zeigt sich ganz ähnlich, wie beim „Leisten“, dass als „Leistung“ das „Ergebnis einer körperlichen Arbeit, das Vollbrachte, das Geleistete (16.Jh.)“ (a. a. O., S. 300) angesehen wurde und im spätmhd. „die Übernahme einer Verpflichtung, einer Zusage“ (a. a. O., S. 300) bedeutete. Als „leistungsfähig“ galt demnach jemand, der als „geeignet, tauglich zu guter Arbeit“ (a. a. O., S. 300) fähig war. Sinnverwandte Begriffe sind heute beispielsweise „Tat, Werk, Rekord oder Verdienst“ (Müller, 1985, S. 209).
Betrachtet man sich die Sportwissenschaft genauer, so lassen sich Leistungsbegriffe in nahezu allen Teildisziplinen finden. In der Biomechanik wird Leistung als physikalische Größe (power; Quotient aus verrichteter Arbeit und benötigter Zeit) gefasst, ebenso in der Sportphysiologie und –medizin, wo die Leistung in Watt gemessen wird. In der Trainingswissenschaft wird sich mit den Bedingungen und Strukturen der sportlichen Leistung und deren Ansteuerung befasst. Sportliche Leistungen werden hier in Zeiten, Weiten, Punkten, Toren, etc. erfasst. Die Bewegungslehre wiederum ist an den motorischen Prozessen und Strukturen interessiert, die an der Ausführung einer Bewegungsleistung beteiligt sind. Unter welchen Bedingungen Leistungen in einer Gesellschaft erbracht werden, wird aus sozialwissenschaftlicher Perspektive (Sportsoziologie, Sportökonomie) betrachtet (vgl. Röthig/Prohl, 2003). Für diese Arbeit sollen allerdings ausschließlich zum einen die psychologische (Leistung unter motivationstheoretischen Aspekten) und zum anderen die pädagogischen (Leistung im Kontext von Bildung und Erziehung) Betrachtungsweisen im Hinblick auf den Schulsport gelten.
Einen sehr frühen Beitrag zur Leistungsproblematik in der Sportpädagogik lieferte Hecker bereits 1971 mit seiner Dreiteilung des Leistungsbegriffs. Er unterschied folgende drei Hauptarten, in denen er als Leistung bezeichnete:
1. Jede absichtsvolle, gelungene Handlung eines Menschen. Die Leistung besteht in der Erfüllung einer Aufgabe und setzt Können und Wollen der Person voraus. Es bedarf keiner Beziehung zu irgendwelchen anderen Leistungen, die außerhalb der Ansprüche des Individuums liegen.
2. Jede vollbrachte Leistung kann mit anderen entsprechenden Leistungen in Beziehung gesetzt und verglichen werden, die…:
a) …von der betreffenden Person selbst erbracht wurden. Dabei steht also die Veränderung, bzw. der intraindividuelle Vergleich im Vordergrund. Bedeutsam ist die individuelle Entwicklung, der persönliche Fortschritt.
b) …von anderen Personen erbracht wurden. Hierbei liegt das Augenmerk auf dem Vergleich mit der Gruppe oder der Klasse.
3. Es kann die Verbindung mit Maßstäben und Wertungstabellen formuliert werden. Der Vergleich bezieht sich nun auf einen vorher festgesetzten Standard. Es gilt das Erfüllen einer (fremdgesetzten) Norm, wobei der individuelle Bezug verloren geht (vgl. Hecker, 1971).
Nach diesen, doch schon älteren Ausführungen, stellen sich die neueren Darstellungen des Leistungsbegriffs, auf diese aufbauend und gerade in Bezug auf das schon beschriebene „Leisten“, wie folgt dar. Im Kapitel „Leisten“ wurde bereits erwähnt, dass „Leisten“ und „Leistung“ zusammenhängen. Geht man, wie oben erwähnt, davon aus, dass das „Leisten“ der Prozess ist, mit dem eine Handlung beginnt, so lässt sich daraufhin festhalten, dass die „Leistung“ das Ergebnis oder das Produkt einer Handlung ist. Die „Leistung“ steht somit am Ende eines absichtsvollen Handlungsprozesses. Mit anderen Worten: sie stellt das Ergebnis der Bemühung, bzw. die Bewältigung einer Aufgabe dar. Zudem kann die Leistung am Ende bewertet, eingeordnet und verglichen werden. Diese Sichtweise zum Begriff „Leistung“ wird übereinstimmend von vielen Autoren vertreten (Erdmann, 1993 und 1997; Hecker, 2001; Balz/Kuhlmann, 2003).
Aufbauend auf dieser Grundlage geht es nun darum, die weiteren Besonderheiten des Leistungsbegriffs herauszustellen und ihn weiter zu differenzieren. Nach Grupe (1998) ist es historisch und kulturell unterschiedlich, was unter „Leistung“ verstanden wird. Leisten und Leistung sind von individuellen, sozialen und kulturellen Wertvorstellungen abhängig. Unter ethischen, anthropologischen und pädagogischen Gesichtspunkten nach Leistung zu fragen heißt zu fragen, wie Leistung im menschlichen Leben einzuordnen ist und was die Entfaltung von Leistung im Sport für den Menschen bedeutet. Dieses Spektrum kann vom Anstreben bis zum Erbringen der Leistung gehen und die Möglichkeit beinhalten in der Regel etwas ohne Zwang zu leisten und dabei einerseits Zuversichtlichkeit und Selbstvertrauen oder andererseits Überheblichkeit und Enttäuschung zu erleben (vgl. Gruppe, 1998, 1985). Wo findet sich aber zunächst nun überall Leistung im Sport? Nicht nur für den Leistungssport ist dies ein grundlegendes Prinzip.
„Die Kategorie der Leistung stellt insofern für den gesamten Sport ein – wenn auch in seinen verschiedenen Bereichen und auf seinen verschiedenen Leistungsstufen unterschiedlich ausgeprägtes – gleichwohl wichtiges Sinnmerkmal dar, auch wenn es im Leistungs- und Hochleistungssport am deutlichsten ausgeprägt ist“ (Grupe, 2000 a, S.194).
Im Breitensport hingegen ist Leistung weniger dominierend und somit ein Element unter vielen anderen. Dies gilt auch für den Schulsport, wo Leisten und Leistung als wichtige didaktische Kategorie angesehen werden (vgl. Gruppe, 1998). Auf diesen Aspekt wird an späterer Stelle in diesem Kapitel noch näher eingegangen. Der Sport ist also ein bevorzugtes und besonders geeignetes Feld von Leistungserbringung und –darstellung (Grupe, 1985).
Da die „Leistung“ wie das „Leisten“ offenbar ein Grundzug des Menschen darstellt, stellt sich die Frage: Wie stellt sich Leistung nun aber konkret dar? Grupe (1985) schreibt dazu, dass die Bewegung im Sport als Träger und Instrument von Leistung angesehen werden kann. Zudem ist Leistung nichts Individuelles, sondern sie hat auch immer ihre soziale und kulturelle Komponente. D.h., Leistung wird von verschiedenen Menschen in verschiedenen Kulturen an jeweils unterschiedlichen Normen und Gütemaßstäben ausgerichtet und verschieden bewertet. Auch diese Normen unterliegen geschichtlichen Wandlungen (vgl. Grupe, 1982). Die Bewegung aber wird in der Regel nur dann zum Träger von Leistungen, wenn sie nämlich an „allgemeineren Gütemaßstäben gemessen und entsprechend als gut oder schlecht, als gelungen oder misslungen empfunden und bewertet werden kann“ (Grupe, 1985, S. 12). Zu dieser Bewertung von Leistung muss noch angemerkt werden, dass es in der Regel, damit eine Bewegung auch als Leistung wahrgenommen wird, zweierlei Interpretationen gibt. Zum einen eine individuelle, zum anderen eine soziale Interpretation oder Einschätzung hinsichtlich des Bewegungsablaufes. Dabei bedarf es der Bezugnahme auf Maßstäbe intern-individueller und extern-sozialer Art, anhand derer dann ein bestimmtes Können als Leistung bezeichnet wird. Diese Maßstäbe müssen allerdings nicht für alle Menschen gleichermaßen gelten, noch müssen sie von ihnen durchgängig angenommen werden und sie müssen auch nicht für ein und allemal feststehen (vgl. Gruppe, 1982, 1985). Treffend fasst Grupe (1982, 1985) den Begriff „Leistung“ nochmals wie folgt zusammen:
„Leistung ist so gesehen als Folge der Bewertung des individuellen Handelns und Könnens im Hinblick auf bestimmte (externe) Gütekriterien und Wertmaßstäbe, die man als mehr oder weniger verbindlich für die Bewertung dieses Handelns unter Leistungsgesichtspunkten akzeptiert, zu sehen“ (Grupe, 1982, S. 159).
Bezüglich dieser Gütekriterien und Wertmaßstäbe unterscheidet Grupe (1982, 1985, 1998) vier Sichtweisen von Leistungshandeln. Die erläuternden Beispiele hierzu orientieren sich an Balz/Kuhlmann (2003):
1. Eine sachlich orientierte Sichtweise: man hat etwas gut gemacht, etwas ist einem gelungen. Dieses Kriterium besagt, dass der Gütemaßstab in der sportlichen Aktivität selber liegt: Welche sportliche Aktivität will ich ausführen, was nehme ich mir vor? Die Orientierung erfolgt also an der Sache selber.
2. Eine individuumzentrierte Sichtweise: heute war ich besser als gestern. Dieses Kriterium besagt, dass der Gütemaßstab beim Individuum selbst liegt. Dies kann eine frühere Leistung derselben Person sein. Damit ist sie intra-individuell angelegt.
3. Eine sozialbezogene Sichtweise: man ist so gut wie der Partner oder schwächer; oder: er ist gut gesprungen aber vom Weltrekord noch weit entfernt. Bei diesem Kriterium wird der Vergleich einer Person mit einer oder mehreren anderen angestrebt, die dazu alle mehr oder weniger dieselbe sportliche Aktivität vollbringen müssen. Z.B. laufen alle 100m, aber nicht alle erreichen das Gleiche, nämlich z.B. 11,0 sec.
4. Eine normorientierte Sichtweise: sie wird in besonderem Maße von relativ einheitlichen und feststehenden äußeren Gütemaßstäben bestimmt, wie sie im Sport aufgrund eines vergleichsweise eindeutigen Beurteilungssystems vorgegeben sind. Dabei wird eine bestimmte Norm im Ergebnis erfüllt, oder auch nicht. Dazwischen kann es (skalierte) Abstufungen geben.
Balz/Kuhlmann (2003) unterscheiden neben diesen vieren noch eine weitere Bezugsgröße zur Kennzeichnung von Leistungen im Sport, nämlich:
5. Eine wettkampforientierte Sichtweise: Dieses Kriterium besagt, dass sportliche Leistungen im Wettkampf eingebettet sein können. Eine Leistung im 10km-Lauf kann beispielsweise beim Joggen im Wald oder aber bei der Teilnahme an einem Wettkampf erbracht werden. Durch die Einbindung in einen Wettkampf erhalten sportliche Leistungen nochmals eine spezifische Bedeutung.
Diese unterschiedlichen Sichtweisen führen auch zu unterschiedlichen Einschätzungen von Leistung bei einzelnen Personen. Bekanntlich kann das, was der Einzelne als sportliche Leistung ansieht, von anderen noch nicht als solche anerkannt werden. Dies gilt auch umgekehrt: was er nicht als Leistung ansieht, kann von anderen als Leistung akzeptiert werden. Die Gütemaßstäbe helfen dabei, bezüglich der individuellen Einschätzung von Leistung, unterschiedliche Einstufungen und Zuordnungen von Bewegungskönnen zu Leistungsmaßstäben vorzunehmen. Die individuelle Zuschreibung von Leistung kann dann nämlich auch noch unter einem anderen (mehr ethischen) Gesichtspunkt festgehalten werden, nämlich dem des Erfolgs (vgl. Grupe, 1982, 1985, 1998). Leistungen werden oftmals nur dann bedeutsam, wenn sie erfolgreich sind; d.h., wenn sie gelingen und von außen Anerkennung finden. So kann es zum Beispiel sein, dass man im Wettkampf seine persönliche Zielsetzung oder Bestleistung vollbracht hat und dies als Erfolg erlebt. Im Vergleich zum Sieger, oder auch gemessen an anderen „besseren“ Leistungen mag die eigene Leistung als schwach oder als Misserfolg erscheinen, wenn man in der Ergebnisliste trotzdem weit hinten liegt. „Was Leistung ist, hängt also oft von der Perspektive ab, die man wählt“ (Gruppe, 1982, S. 161). Dies gilt natürlich auch wieder umgekehrt: als Sieger kommt einem trotz möglicherweise schwacher Leistung (gemessen an anderen Vorleistungen) im Moment des Erfolgs die Anerkennung zu. Deshalb muss darauf geachtet werden, dass die Leistung im sozialen Umfeld platziert und mit den dort vertretenen Wertmustern entsprechend gewürdigt wird. Denn nur wenn das Ergebnis dort Anerkennung erfährt, gewinnt die Leistung die Bedeutung eines Erfolgs (vgl. Kuhlmann/Balz, 2003). Zwischen Leistung und Erfolg besteht also insofern ein Unterschied. Beispielsweise kommen Mannschaften mit schwachen Leistungen zum Erfolg, schwache Teams werten knappe Niederlagen gegen starke Gegner als Erfolg. So wird Erfolg oft mit Leistung verwechselt und nicht selten wird der Erfolg über die Leistung gestellt. In diesem Moment treten individuelle Aspekte leicht in den Hintergrund und selbst hohe und gute Leistungen erscheinen als mangelhaft. Es zählen für die Öffentlichkeit Zeiten und Ergebnisse und nicht der Mensch, der die Leistungen erbracht hat (vgl. Gruppe, 1982, 1985, 1998).
Damit zeigt sich, dass Leistung sowohl subjektive als auch objektive Leistungen bezeichnet. Demnach kann die subjektive, d.h., die persönliche Sichtweise der Leistung hervorragend sein, gemessen an Rekorden (objektive Leistung) dagegen jedoch mäßig sein. Und zuletzt bezeichnet Leistung nicht allein gemessenes, sondern oftmals auch Bewertetes, z.B. beim Turnen, Eiskunstlaufen, Trampolinspringen, Wasserspringen, Dressurreiten, etc., wobei sich die einzelnen Leistungen oftmals nur um geringste Differenzen unterscheiden und somit auch ein gewisses Maß an Objektivität – bezogen auf das einzelne Individuum – verlieren (vgl. Grupe, 1982).
Für den Schulsport hält Grupe (1982, 1985, 1998) in seinen verschiedenen Ausführungen fest, dass zunächst auch für die Entwicklung von Kindern und jungen Menschen die obigen Aussagen gelten. Folglich spielen Leisten und Leistung auch im Schulsport eine sehr wichtige Rolle, denn:
„Ohne Leisten und Können, ohne dazu angeregt und herausgefordert zu werden, ohne Orientierung an einer bestimmten Leistungsmoral bleibt ihre Entwicklung unvollständig. Einen wichtigen Teil ihrer Selbst- und Welterfahrung, d.h., zentrale Entwicklungsanstöße erhalten sie über diese“ (Grupe, 1998, S. 336).
Im Training und Unterricht sollen aber durch Leistung und pädagogische Vermittlung von Leistungsvoraussetzungen auch hohe Leistungen ermöglicht werden können. Dabei ergeben sich dann aber Fragen, die sich auf den Umfang der Leistungsanforderungen, die Inhalte der Leistungsbewertung und die Hierarchie von pädagogischen Zielen, in denen die Leistung eines unter vielen darstellt, beziehen. Dies sind allerdings nicht nur alleinige Probleme des Schulsports, sondern der gesamten Schule (vgl. Grupe, 1982, 1985, 1998).
Die pädagogische Aufgabe, die der Leistungserziehung in der Schule zukommt, wird von Kurz (2000 b) in seinen pädagogischen Grundlegungen des Schulsports in Nordrhein-Westfalen sehr anschaulich beschrieben. Zunächst gehört es zu den pädagogischen Aufgaben der Schule, dass bei den Schülerinnen und Schüler die Bereitschaft gefördert wird, etwas zu leisten; also das individuelle Können weiterzuentwickeln. Dies steht in engem Zusammenhang mit dem Üben, denn ohne Üben und Leisten verwirklicht sich in keiner der pädagogischen Perspektiven der pädagogische Wert des Sports. Die Gründe, warum Leistung zum charakterisierenden Begriff einer eigenständigen pädagogischen Perspektive auf den Sport in der Schule gemacht wird, sind vielfältig. Sportliche Leistungen sind auf „prägnante Weise ganzheitliche Leistungen mit einem hohen körperlichen Anteil“ (Kurz, 2000 b, S. 37). Im Gegensatz zu anderen Schulfächern sind die Bewertungskriterien meist sehr einfach und können deshalb von Kindern leichter verstanden und eingeordnet werden. Oft können sogar Eltern oder Lehrer schneller übertroffen werden, als in anderen Leistungsbereichen. Zudem findet in unserer Gesellschaft derjenige, der im Sport etwas leistet, dafür hohe Anerkennung. Dies wird auch durch die Verbreitung von Wettkampsystemen mit Regeln zur Anerkennung von Leistungen unterstützt (vgl. Kurz, 2000 b). Weiterhin geht es aber nicht nur um die Vermittlung von individuellem Können (darum geht es nach Kurz (2000 b) in jeder Perspektive), sondern auch um die „sozialen Bewertungsprozesse, durch die aus Handlungen Leistungen werden“ (Kurz, 2000 b, S. 38). Im Sport sind diese Prozesse für Jugendliche so vielseitig und hautnah zu erfahren wie in kaum einem anderen Handlungsbereich. Sobald etwas im Sport als Leistung bewertet wird, gilt dies zumindest für junge Leute in hohem Maße als ich-bedeutsam und statusrelevant – in positiver wie in negativer Richtung. Dass die Schüler damit umzugehen lernen, ist ein bedeutsames Ziel der Leistungserziehung (vgl. Kurz, 2000 b).
Entscheidend ist aber vor allem, wie diese Leistungserziehung im Unterricht umgesetzt wird. Für Kurz (2000 b) ordnet sich die pädagogische Aufgabe, die sich unter dieser Perspektive stellt, auf drei Ebenen:
1. Zuerst geht es darum, mithilfe passender Aufgaben das Leistungsmotiv in pädagogisch wünschenswerter Weise zu fördern und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken. Bei Beachtung der beiden wichtigen Gesichtspunkte von individuell angemessener Aufgabenschwierigkeit und Stärkung der individuellen Bezugsnorm kann die Erfahrung vermittelt werden, was sich durch Anstrengen, Üben und Trainieren alles erreichen lässt. Somit lässt sich auch das Selbstwertgefühl entsprechend stärken.
2. Da der Zusammenhang von Leistung und Selbstwertgefühl jedoch ambivalent ist (bei mangelnder Leistung kann der Selbstwert auch geschwächt werden), ist in pädagogischer Hinsicht auch Sensibilität im Sportunterricht gefragt. Dies gilt nicht nur für Lehrer. Damit Schüler lernen sensibel mit den Empfindungen der anderen umzugehen, ist es wichtig, dass sie lernen und einsehen, wie individuell unterschiedlich Leistungsvoraussetzungen sind und dass dies bei der Ergebnisbewertung zu berücksichtigen ist. Dadurch ist die Leistungserziehung auf dieser Ebene auch eine wichtige Aufgabe des koedukativen Sportunterrichts.
3. Wie schon an vorheriger Stelle erwähnt, sind Leistungen nicht nur objektive/absolute Größen. Diese Einsicht kann gerade mit Beispielen aus dem Sport in besonderer Weise gefördert werden, indem deutlich gemacht wird, dass (gute oder schlechte) Leistungen auf Vereinbarungen, Gütekriterien und Regeln beruhen und durch den Vergleich mit eigenen oder fremden Ergebnissen zustande kommen. Dazu kann das Experimentieren mit unterschiedlichen Spielregeln im Sportunterricht viel beitragen (vgl. Kurz, 2000 b).
Damit wurde deutlich, dass zu einer zeitgemäßen Leistungserziehung auch Aspekte wie Stärkung des Selbstwertgefühls, Freude an der Leistung und im koedukativen Sportunterricht die gemeinsame Leistung gehören. Dass diese Gesichtspunkte schon in früheren Zeiten ihre Gültigkeit hatten, zeigen die Ausführungen von Klafki (1964, vgl. auch 1967), die noch heute Gültigkeit besitzen. Bereits auf dem ADL-Kongress „Die Leistung“ betonte er den pädagogischen Sinn der Leistung. Sie ist der Weg zu eigenem Können und auch das Medium zu freudigem Könnensbewusstsein. Darin steckt als Vorrausetzung, dass Leisten ein „konstitutives Moment allen menschlichen Lernens“ (Klafki, 1964, S. 42) ist. Das bedeutet, dass Leistung nicht als objektives Maß individuellen Könnens verstanden werden darf, sondern eher als Bewältigung irgendeines selbst gewählten Bewegungszieles. Der tiefere pädagogische Sinn, der dieser Annahme zugrunde liegt, ist der, dass das Leistungsmoment in sich selber sinnvoll ist und so zu starker Freude über das eigene Können führt. Damit hat der Sport seinen Sinn in „zweckfreiem“ (Klafki, 1964, S. 46) Tun, Erfahren und Erleben; d.h., sportliche Leistungen sind frei wählbar und nicht moralisch-verbindlich. Wenn der Sport um seiner selbst willen und somit aus der Freude heraus betrieben wird sich, auf welche Art und Weise auch immer, frei zu bewegen, dann lässt sich dieser Aspekt am ehesten in dem geflügelten Wort „Leisten können, ohne leisten zu müssen“ (Klafki, 1964, S. 50) festhalten. Das oberste Ziel des Sports muss es demnach sein, die Freude am Sport ohne Leistungsdruck und Leistungszwang auf freiwilliger Basis und Selbstantrieb zu fördern. Für den Sportunterricht gilt dies in besonderer Weise und soll nach Klafki (1964) vor allem über die pädagogischen Hilfen des Gesprächs und der Reflexion erreicht werden. Für den Erfolg eines koedukativen Sportunterrichts ist zusätzlich, wie schon oben bei den drei Ebenen von Kurz (2000 b) angedeutet wurde, die Freude an der Leistung des anderen von hoher Bedeutung. Denn Freude an der eigenen Leistung soll immer die Freude an der Leistung des anderen mit einschließen (vgl. Klafki, 1964).
Im Hinblick auf die Schule hat Scherler (2000) eine sehr einfache Sichtweise von Leistung. Schulische Leistung ist die Erfüllung von Anforderungen. Die Art der Leistung ergibt sich aus der Art der Anforderungen. Dabei können die Leistungsanforderungen sowohl fremdbestimmt (Anforderungen werden von der Schule/Lehrplan gestellt), als auch selbstbestimmt (die Schüler können sich beispielsweise selbst Aufgaben aussuchen) sein und somit freiwillig ausgeführt werden. Damit ist allerdings noch nichts über die Höhe der Leistung ausgesagt. Dies geschieht erst durch das Messen und Bewerten der Leistung, nicht aber durch ihre Bezeichnung (vgl. Scherler, 2000).
Eine weitere interessante Differenzierung bezüglich des Schulsports hat schließlich noch das Landesinstitut für Schule (2004) herausgegeben. Dort werden zwar auch fast alle bisher getätigten Aussagen zur Leistung ebenfalls angeführt, da aber sportliche Leistung und schulsportliche Leistungen nicht identisch sind (obwohl es auch Gemeinsamkeiten gibt), scheint es notwendig, gerade das schulsportliche Leistungshandeln zu präzisieren.
Zunächst, so schreibt das Landesinstitut für Schule (2004,) setzt sportliche Leistung die motorische Leistung als unverzichtbar voraus. Darüber hinaus heißt sportliche Leistung aber auch, sich situationsgerecht in das soziale Gefüge einer sportlichen Handlung einzubringen und Kenntnisse über Voraussetzungen und Folgen von Bewegungshandlungen effektiv zu nutzen.
Schulsportliche Leistung wird demgegenüber durch folgende Merkmale von der sportlichen Leistung abgegrenzt:
- Die motorischen, kognitiven und sozialen Dimensionen von Leistung erweisen sich über die sportliche Handlung hinaus im schulischen Kontext und im Alltag.
- Leistungserfahrungen im Schulsport besitzen subjektive Wertigkeit.
- Sie sind aus dem schulsportlichen Auftrag zur Entwicklungsförderung durch Bewegung, Spiel und Sport zu rechtfertigen.
- Schulsportliche Leistungen sind pädagogisch gefilterte Leistungserfahrungen, die sich unter den sechs pädagogischen Perspektiven jeweils inhaltlich unterschiedlich konkretisieren (vgl. Landesinstitut für Schule, 2004).
Damit knüpfen diese Aussagen in weiten Teilen an die vorher dargestellten Ausführungen der oben behandelten Autoren an und bauen zusammenfassend auf diese auf. Nach diesem Überblick über verschiedene Perspektiven des Leistungsbegriffs und einigen konkretisierenden Ausblicken auf den Leistungsbegriff im Schulsport soll nun im zweiten Abschnitt des Kapitels Leistung auf die Aspekte des Messens und Bewertens im Schulsport übergegangen werden.
3.2.2 Messen und Bewerten von Leistung
Um Leistungen richtig einschätzen und vergleichen zu können, muss eine Leistung zunächst gemessen werden. Anschließend kann sie an entsprechenden Normen (vgl. im vorherigen Kapitel die Sichtweisen des Leistungshandelns) ausgerichtet und bewertet werden. Dies ist eine Aufgabe, die sich ganz besonders im Sportunterricht immer wieder stellt. Gerade dort fordern Schüler eine gerechte und faire Benotung durch den Lehrer. Ob eine Benotung im Sportunterricht sinnvoll ist oder nicht, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden.[5] Vielmehr wird von der schulischen Realität ausgegangen, da das Fach Sport in unserem jetzigen Schulsystem ein verbindliches Fach ist, wie jedes andere auch (vgl. Weiß, 2005). Es geht darum, wie Leistung im Sportunterricht gemessen und bewertet werden kann. Dazu soll ein Blick in den Lehrplan Klarheit darüber bringen, welche Kriterien bei der Leistungsbeurteilung vorgeschrieben sind. Reichen diese Vorgaben als Orientierung für Lehrer aus, oder sind Empfehlungen anderer Art hilfreicher? Hierzu werden einige Ausführungen zu dem pädagogischen Aspekt der Sportnote zu untersuchen sein.
Zur Leistungsbeurteilung im Sportunterricht werden sowohl vom Lehrplan für die Sekundarstufe I (Sek I) als auch für die Sekundarstufe II (Sek II) scheinbar klare Aussagen getroffen. Demnach stellt die Zeugnisnote im Fach Sport „das Ergebnis einer pädagogischen Gesamtbeurteilung aus motorischen, sozialen und kognitiven Dimensionen dar“ (MfBWW, 1998 a, S. 14) und „nicht das arithmetische Mittel von Einzelnoten“ (MfBWW, 1998 b, S 12). Diese Komponenten sind in Tabelle 2 übersichtlich dargestellt, wobei die motorischen Dimensionen, also die Überprüfung von sportpraktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Grundlage für die Benotung sein sollen.
Tab. 2: Anforderungsbereiche der Leistungsbeurteilung im Sportunterricht (MfBWW, 1998 a, S. 15)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dabei sollen die punktuellen sportlichen Leistungen den aktuellen Leistungsstand (Lernergebnis) und die ergänzenden sportlichen Leistungen die Leistungen der Schülerinnen und Schüler über einen längeren Zeitraum (Lernprozess) abbilden (vgl. MfBWW, 1998 a). Der Lehrplan für die Sek II (MfBWW, 1998b) und die Handreichung zum Lehrplan Sport S II (PZ, 2000) nennen als weitere Gesichtspunkte ausdrücklich noch den Leistungswillen und die individuellen Lernvoraussetzungen mit in die Notengebung einfließen zu lassen. Diese Aspekte können gemeinsam mit den sozialen und kognitiven Dimensionen die Gesamtnote im motorischen Bereich (die Basis für die Kursnote) um bis zu einer Notenstufe nach oben oder nach unten verändern. Dabei sind die genannten Aspekte und die sozialen und kognitiven Dimensionen „angemessen“ (PZ, 2000; MfBWW, 1998 b) in die Notengebung einzubeziehen. Die Leistungsfeststellungen müssen in angemessenen Zeitabständen im Halbjahr vorgenommen werden und die Ergebnisse sind den Schülern mitzuteilen (vgl. MfBWW, 1998 a & b). Dies sind die Grundaussagen, die beide Lehrpläne in weitgehender Übereinstimmung liefern. Für differenziertere Vorgaben zur Leistungsbewertung wird an dieser Stelle analog zum Vorgehen in den Lehrplänen auch auf die einzelnen Teillehrpläne und die Handreichung (PZ, 2000) verwiesen. Nur soviel: im Lehrplan der Sek II gibt es zu jeder Sportart sog. „Empfehlungen zur Leistungsfeststellung“. Diese stellen jedoch den Leistungsaspekt besonders stark in den Vordergrund. Gerade in den Individualsportarten bilden das Messen von Zeiten, etc. (Leichtathletik und Schwimmen) und das Bewerten von Bewegungsausführungen (Turnen und Gymnastik/Tanz) den Schwerpunkt für die Notengebung. In den Sportspielen soll die Spielfähigkeit im Spiel und in spielnahen Situationen überprüft werden und zu 50% in die Note mit eingehen. Unter „Andere Leistungsnachweise“ werden in allen Sportarten die punktuellen Überprüfungen aus den Inhalten (Kursniveau 1 oder 2) genannt und die epochalen Leistungen, die dann die kognitiven und sozialen Dimensionen beinhalten. Wie mit diesen Aspekten genau zu verfahren ist, steht weder in den Lehrplänen, noch in der Handreichung, die „nur“ Hinweise zur Überprüfung von Techniken, Taktik, Spielfähigkeit, Vorschläge zur Bewertung im Turnen, oder auch Bewertungstabellen für die Leichtathletik vorgibt.
Dass aber gerade die mit 50% gewichtete Spielnote ein diskussionswürdiger Punkt ist, zeigt sich anhand der Aussagen der Lehrkräfte in den Interviews (L4, L5). Reine Spielnoten werden nur von den wenigsten Lehrkräften erhoben und auch nicht gerne erteilt. Sie ist nämlich relativ wenig objektiv und sehr zeitaufwendig. Zudem können die Schüler sie dann nicht nachvollziehen („Ich war doch mindestens genau so gut, wie der und der…“) und in dem Moment sind die Noten nicht mehr transparent. Dann wird dem Lehrer eine gewisse Beliebigkeit unterstellt und die Gerechtigkeit ist nicht mehr ganz gegeben. Deswegen werden oft Techniknoten, meist in Form von Komplexübungen oder Testbatterien, gemacht. Die einzelnen Techniken bilden schließlich die Grundlage für das Spiel. Taktisches Verhalten wird meist nur in Spielformen mit reduzierter Spielerzahl (z.B. Basketball 2:2 oder 3:3) erhoben (vgl. Interviews Frage 3a).
Weitere Probleme zeigen sich aber auch bei der Interpretation der verwendeten Begrifflichkeiten: was ist beispielsweise unter einer „pädagogischen Gesamtbeurteilung“ zu verstehen? Oder: Wann sind die sozialen und kognitiven Dimensionen „angemessen“ bei der Notengebung berücksichtigt? Mit einem Blick in die aktuelle Literatur soll nun versucht werden, etwas Licht ins Dunkel dieser Fragen zu bringen.
Das „Pädagogische“ an der Sportnote liegt nach Söll (2003) wohl gerade daran, dass eben diese Faktoren wie Fleiß, Leistungswille, Lernvoraussetzungen, Mitarbeit und soziales Verhalten in die Note einbezogen werden sollen. Ein oftmals angewandter Grundsatz bei der Sportnote ist der, dass anlagebedingte Minderleistungen durch bessere Mitarbeit kompensiert werden können. Diese Relativierung der Sportnote nach den körperlichen Voraussetzungen müsste „in letzter Konsequenz dazu führen, dass alle Schüler, die Note „sehr gut“ erhalten müssten, sofern sie sich nur gleich anstrengen (auf welche Weise das auch immer festgestellt werden kann)“ (Söll, 1998, S. 191). Für Weiß (2005), der die Leistungsbewertung als pädagogischen Prozess ansieht, betont das Attribut „pädagogisch“ den Förderaspekt. Für die Praxis lässt sich daraus ableiten, dass deshalb auch keine pädagogisch motivierten Entscheidungen, wie Belohnung oder Strafe, in die Notengebung einbezogen werden dürften. Die Sportnote dürfe also nicht als Druck oder Disziplinierungsmittel missbraucht werden (Weiß, 2005; Söll, 1998, 2003). Weiterhin ist Söll (2003) der Meinung, dass sich konstitutionsbedingte Vor- und Nachteile umso mehr ausgleichen, je breiter das Spektrum der bewerteten Fähigkeiten und Fertigkeiten ist. Zudem wirken sich affektive, emotionale oder soziale Faktoren auch immer auf die Leistung aus und sind so in gewissem Maße auch in der Leistungsnote enthalten. Bezüglich der Mitbewertung des sozialen Verhaltens kann durchaus verlangt werden, dass „normale“ Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft bei den Schülern als selbstverständlich vorausgesetzt werden können und nicht durch Notendruck provoziert werden müssen. Sobald die Schüler wissen, dass es für bestimmte Verhaltensweisen Belohnungen in Form besserer Noten gibt, sind sie praktisch gezwungen diese zu zeigen, oder notfalls vorzutäuschen (vgl. Söll, 1998). Dies gilt auch für kognitive Leistungen: sportliche Kenntnisse wirken sich ebenfalls auf die Leistung aus. Sport ist das einzige Schulfach, das auch körperliche Leistungen bewertet, deshalb besteht kein Anlass (außer im Abitur), daraus ein weiteres Wissensfach zu machen (Söll, 1998). Letztendlich ist dem Sportlehrer aber immer noch überlassen wie stark er von diesen „pädagogischen“ Möglichkeiten Gebrauch machen will. Jedoch muss eines klar sein: die Relativierung der Note darf nicht die tatsächliche Leistungsrangfolge innerhalb einer Klasse auf den Kopf stellen. D.h., ein Schüler wird noch akzeptieren, wenn ein
körperlich benachteiligter Schüler trotz objektiv schwächerer Leistung die gleiche Note erhält wie er, aber nicht, wenn dieser vor ihm rangieren sollte. Wenn über diesen Grundsatz Einigkeit herrscht, hat sich die Pädagogische Notengebung von selbst überholt (vgl. Söll, 1998, 2003). Unterschiedliche körperliche, psychische und soziale Voraussetzungen des Schülers machen die objektive sportliche Leistung aber immer noch zu einer relativen Angelegenheit. Deshalb gelten in Bezug auf die absolute Leistungsnote auch einige Grenzen, die eingehalten werden müssen, denn natürlich sind messbare sportliche Leistungen auch ein Teil der Beurteilung.
Solange es also Notenstufen im Sport gibt, müssen entsprechende Normen zum Ausdruck bringen, wie gut und in welchem Umfang der Schüler die an ihn gestellten Anforderungen erfüllt hat (vgl. Söll, 2003). Leistungsmessung heißt (vgl. den Leistungsbegriff nach Scherler, 2000) also, Anforderungen durch Anlegen eines Maßstabes zu ermitteln. Scherler (2000) legt der Leistungsmessung also einmal einen weiten Messbegriff (Zuordnung der Eigenschaften von Handlungen zu Kategorien) und einen engen Messbegriff (Zuordnung von Zahlen zu Objekteigenschaften (Weiten, Höhen, Zeiten, Gewichte)) zugrunde. Bei diesem differenzierten Leistungsbegriff spielt es bei der Leistungskontrolle eine wichtige Rolle, dass im Sinne von Gerechtigkeit das Bemühen des Lehrers auf objektive Methoden der Leistungskontrolle gerichtet ist, ohne den subjektiven Teil zu vernachlässigen (Grössing, 2001). Da Gerechtigkeit oft mit objektiven Methoden in Verbindung gebracht wird, sollten auch, so oft und so gut es geht, die allgemein bekannten Gütekriterien eingehalten werden und die Leistung exakt gemessen werden und nach den Maßstäben, die dem Schüler bekannt sind, bewertet werden. Dies wird von mehreren Autoren bestätigt (Weiß, 2005; Scherler, 2000; Grössing, 2001). Hierzu gibt der Lehrplan zum einen die punktuellen Lernerfolgsüberprüfungen in Form von standardisierten Tests, Bewegungs- und Sportspieldemonstrationen und in der Theorie in der Oberstufe (LK) Protokolle oder Klausuren vor. Daneben treten die ergänzenden oder „unterrichtsbegleitenden Leistungsfeststellungen“(Weiß, 2005, S. 179). Beide Formen sollten, wenn im Lehrplan nicht anders bestimmt, etwa gleiches Gewicht haben.
Zur Erhebung des Leistungsstandes und des Lernerfolges sind das Messen und das Bewerten und die Kombination von beidem die wichtigsten Methoden im Sportunterricht. Beide sind hauptsächlich auf das motorische Fertigkeits- (technische und taktische Fertigkeiten) und Eigenschaftsniveau (Grade der Ausprägung) ausgerichtet. Die Erhebung der sportmotorischen Leistungsfähigkeit in diesen beiden Bereichen bildet das Kernstück der Leistungskontrolle im Schulsport (vgl. Grössing, 2001). Die Leistungsmessung wird auf einfache Weise mit Stoppuhr und Maßband durchgeführt, die sportliche Leistung somit in Zentimetern und Sekunden gemessen. Der Objektivitätsgrad bei dieser Art der Leistungskontrolle ist sehr hoch. Die Messwerte werden meist nach festgelegten Kriterien durch standardisierte oder informelle Tests erhoben und können anschließend nach Wertungstabellen in Punkte umgewandelt werden, die eine Übertragung der Leistung in die Notenskala ermöglichen. Die Leistungsbewertung ist durch einen höheren Grad an Subjektivität gekennzeichnet, was aber kein Nachteil darstellt, weil die objektive sportliche Leistung nicht das alleinige Kriterium bei der Leistungserhebung ist. Vielmehr werden durch die Bewertung auch andere Aspekte der Leistung erfasst, wie: Bewegungsausdruck, -phantasie, und Einfallsreichtum. Weiterhin gelten nach Grössing (2001) persönliche Leistungsbereitschaft und die individuelle Leistungssteigerung als anerkannte Bewertungskategorien im Schulsport. Diese „Leistungsfortschrittsnote“ (Söll, 2001, S. 170) ist allerdings durchaus als problematisch anzusehen, da zum einen Leistungsfortschritte umso schwerer zu erzielen sind, je höher das Ausgangsniveau ist. Von den interviewten Lehrkräften wurde ebenfalls bestätigt, dass Schüler außerdem sehr schnell dahinter kommen würden und dann meist zu Beginn einer Unterrichtseinheit schlechtere Leistungen vortäuschen. Sie werden dadurch in gewisser Weise zu diesem Verhalten gezwungen. Es geht dann vielmehr darum, ob ein Schüler das Ziel, das vom Lehrplan, oder den Handreichungen, oder dem Lehrer vorgegeben ist, erreicht und die Inhalte umgesetzt hat (vgl. Interview L4).
Eine wichtige Frage, die sich bei der Leistungsbewertung in der Praxis immer stellt ist: Welche Kriterien werden zur Bewertung der Leistung von Schülern herangezogen und mit welcher Gewichtung gehen sie in die Notengebung ein? Wie schon weiter oben erwähnt und auch vom Lehrplan vorgegeben, stellt die motorische Leistungsfähigkeit ein wichtiges Kriterium für die Bewertung dar. Grössing (2001) fordert in diesem Zusammenhang folgendes:
„Die Berücksichtigung weiterer Faktoren sollte das motorische Leistungsbild des Schülers nicht allzu sehr verfälschen. (…) Es sollte nicht nur die Leistungssteigerung, sondern auch die Leistungsbreite in die Bewertung eingebracht werden. Bei der Leistungssteigerung ist der Zuwachs stärker zu beachten, als der erreichte Stand der Leistungshöhe, weil nicht die maximale Leistung, sondern die persönliche Bestleistung zu bewerten ist.“ (Grössing, 2001, S. 246).
Die Problematik, die sich aus dem zweiten Teil dieser Forderung ergibt, wurde oben bereits thematisiert. Weiterhin wird oftmals auch vorgeschlagen, die Einstellung zur Leistung in die Note mit einfließen zu lassen. Dazu ist zu sagen, dass sich Leistung und Einstellung zur Leistung gegenseitig beeinflussen und deshalb nicht getrennt in die Notengebung einfließen können. Das würde bedeuten, dass fehlender Leistungswille bei guten Leistungsvoraussetzungen eine schlechtere Note zur Folge hätte und umgekehrt würde eine gute Einstellung bei schlechten Voraussetzungen die Note verbessern. Würde das Kriterium Einstellung/Leistungsbereitschaft fehlen, wären die Außenbedingungen Konstitution, Körpergröße, Gewicht und Begabung der alleinige Maßstab zur Bewertung. Problematisch ist deshalb, inwieweit dieser Aspekt zu beurteilen ist, denn motivierte/leistungsstarke Schüler werden eine bessere Einstellung/Leistungsbereitschaft zum Sportunterricht mitbringen als unmotivierte/leistungsschwache Schüler. Als weiteres Kriterium kommt noch die Mitarbeit des Schülers bei der Gestaltung des Unterrichts hinzu. Die Beteiligung des Schülers am Unterrichtsgeschehen sollte sich in der Leistungsbeurteilung ebenfalls bemerkbar machen. Das gleiche gilt für soziales Handeln, das sich im Helfen und Sichern, der Gruppenarbeit, und der Hilfsbereitschaft bei der Unterstützung des Lernens und Übens der Mitschüler ausdrückt. Weiterhin werden von Grössing (2001) auch noch die Fähigkeit zur Wettkampforganisation und Schiedsrichtertätigkeit und kognitive Leistungen als Möglichkeiten genannt, die eine graduelle Veränderung der Note herbeiführen können. Da sich die genannten Kriterien aber alle im Bereich der oben bereits beschriebenen „pädagogischen“ Notengebung befinden, kann es, wie eingangs erläutert, in der Praxis zu Unstimmigkeiten kommen, inwieweit und ob überhaupt diese Kriterien berücksichtigt werden. Die Interviews brachten in dieser Hinsicht die (nicht unbedingt neue) Erkenntnis zu Tage, dass alle Befragten von diesen sogenannten weichen Fakten Gebrauch machen. So werden beispielsweise Aspekte wie faires Verhalten, helfen bei Auf- und Abbau, eine positive Einstellung zum Sport, d.h., strengt sich ein Schüler an, will er etwas lernen, etc. bei der Notengebung berücksichtigt. Dazu werden die Unterstützung des Lernens in der Gruppe, Hilfsbereitschaft und besonderes Engagement von schwächeren Schülern in ihrem eigenen Leistungsrahmen bewertet. Diese Faktoren fließen alle in einem gewissen Maße in eine Epochalnote mit ein und ergänzen die punktuellen motorischen Leistungen (vgl. alle Interviews).
Um den Lehrkräften eine Orientierung an die Hand zu geben, welche Kriterien im Sportunterricht mit in die Note einfließen können, haben Kolb/Siegmon (1997) eine Beurteilungskriterienliste für den Sportunterricht erstellt. Unterschieden werden vier fachspezifische Kompetenzbereiche, die mit ihren insgesamt 18 Kriterien in der nachfolgenden Übersicht (Tabelle 3) dargestellt sind:
[...]
[1] Der Einfachheit halber wird im Verlauf der Arbeit die männliche Form verwendet. Angesprochen sind natürlich immer beide Geschlechter. Dies gilt auch für die Bezeichnung der Lehrkräfte. Eine Abkehr von dieser Regel wird bei einigen Darstellungen in den Studien der Fall sein, wo eine Geschlechtertrennung notwendig ist. Dies wird dann aber entsprechend hervorgehoben.
[2] Im Folgenden werden die Begriffe Sportartenkonzept, Sportartenprogramm und Schulsportmodell synonym verwendet.
[3] Die Bedingungen für leistungsthematische Situationen, werden in Kapitel 3.3.1 detailliert erläutert.
[4] Die unterschiedlichen Sichtweisen der Leistung werden in Kapitel 3.2.1 thematisiert.
[5] Zur Diskussion um die Abschaffung oder den Sinn und die Auslegung der Sportnote, bzw. um die Form der Notengebung (Ziffern- oder Wortbeurteilung) finden sich u.a. bei Scherler (2000), Miethling (1997, 1999), Volkamer (1978), oder Grössing (2001) weitere hilfreiche Ausführungen.
- Citar trabajo
- Stefan Scherer (Autor), 2007, Leisten, Leistung und Leistungsmotivation im Sportunterricht, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70064
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