Ist es sinnvoll, bei jedweder Art von Stress einheitlich Sport zu verschreiben, in der Hoffnung, dass der Patient sich schon die richtige Betätigung aussucht? Oder könnte man, ausgehend von der Art des Stresses, nicht von vornherein Kategorien von sportlichen Aktivitäten eingrenzen, die den mentalen und physiologischen Beanspruchungen des Organismus eher entsprechen? Yoga ist bekannt für seine entspannende Wirkung. Aber ist es sinnvoll, dort zu versuchen, ein hochgradig aggressives Potential abzubauen? Die hormonelle Regulation bei verschiedenen Belastungen gibt auch noch eine andere Lösung, welche im Folgenden geklärt werden soll.
Gliederung
1. Einleitung
2. Allgemeine Konzepte von Stress
2.1 Positiver und negativer Stress
2.2 Stress aus psychologischer Sicht
2.3 Bewertung von Stressoren
2.4 Biologische Grundlagen
2.5 Aggressiver Stress
2.6 Depressiver Stress
3. Stressbewältigung durch Sportprävention /-therapie
3.1 Kampfsport
3.2 Yoga
3.3 Fitnesssport
3.4 Gruppensport
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Es gibt kaum ein anderes Wort, welches so häufig in der Umgangssprache verwendet wird, wie der Begriff Stress.“ (Hecht, K. In: Hüttich 1992, S.6). Dieser schöne Ausspruch ist schon etwas älter, hat heute aber nichts von seiner Relevanz verloren. Überall begegnet man dem Wort „Stress“, und alles ist inzwischen als Stress auslösend im Verdacht. Stress seinerseits ist inzwischen in den Verdacht geraten, Krebs auszulösen, auch wenn Studien dies nicht bestätigen konnten[1]. Stress löst Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Beschwerden bis hin zum erhöhten Herzinfarktrisiko aus, senkt die Immunabwehr, verursacht Stoffwechselprobleme und Verdauungsschwierigkeiten, verringert die Libido und führt zu orthopädischen Mangelerscheinungen. Muskelblockaden, Fehlhaltungen, Entzündungen des Ischias, Fehl- und Überbelastung und Schmerzempfinden sind die häufigsten Äußerungen, die Stress in der modernen Gesellschaft zugeschrieben werden (vgl. Corazza et al. 2000, S.219f; Wagner-Link 2003).
Aus biologischer Sicht ist das Phänomen Stress inzwischen gut erforscht. Die Hauptreaktionen, die ein Organismus, sei es eine Pflanze oder ein Tier, zeigt, sind bekannt. Welches Hormon welche Wirkung zeigt, kann mit hoher Sicherheit gesagt werden.
Die Psychologie sagt uns inzwischen ähnlich detailliert, welche Prozesse ablaufen, wenn eine Person Stress erleidet. Die Verbindung zwischen der Kognition und der Physiologie ist ein spannendes Thema, dem sich in der Literatur viele Autoren gewidmet haben.
Für den Alltag haben diese Werke jedoch keine größere Relevanz. In der Werbung, der Politik, von Eltern, Ärzten und Freunden hört man immer das eine, sollte es zu übermäßigem Stress kommen: „Treib Sport!“ Wirklich? Das klingt sehr formelhaft, ein bisschen fühlt man sich an den Spruch „mens sana in corpore sano“ („gesunder Geist in gesundem Körper“) erinnert, das Leitideal des antiken Griechenlands. Es ist sicher nichts gegen die sportliche Betätigung einzuwenden, aber sollte nicht ein bisschen differenzierter an die Angelegenheit herangegangen werden? Sport als solchen gibt es nicht, es gibt nur einzelne Sportarten. Jede davon hat ein ganz eigenes Anforderungsprofil, einen eigenen Charakter und nicht zuletzt eine eigenen Effekt auf die Psyche und Physis des Ausübenden. Stress äußert sich, wie später erläutert, auf verschiedene Weise. Die Physiologie zeigt, dass unterschiedlicher Stress mit unterschiedlicher hormoneller Regulation einhergeht. Dasselbe gilt für Sport: einzelne Sportarten erhöhen das Aktivitätsniveau, zum Beispiel Spielsportarten oder Kampfsport. Andere wiederum sind gezielt zur Entspannung entwickelt worden, man denke nur an die asiatisch geprägten Aktivitäten Qi Gong oder Yoga.
Ist es also sinnvoll, bei jedweder Art von Stress einheitlich Sport zu verschreiben, in der Hoffnung, dass der Patient sich schon die richtige Betätigung aussucht? Oder könnte man, ausgehend von der Art des Stresses, nicht von vornherein Kategorien von sportlichen Aktivitäten eingrenzen, die den mentalen und physiologischen Beanspruchungen des Organismus eher entsprechen? Yoga ist bekannt für seine entspannende Wirkung. Aber ist es sinnvoll, dort zu versuchen, ein hochgradig aggressives Potential abzubauen? Die hormonelle Regulation bei verschiedenen Belastungen gibt auch noch eine andere Lösung, welche im Folgenden geklärt werden soll.
2. Allgemeine Konzepte von Stress
Wer hat diesen Satz noch nicht gehört oder selber gesagt: „Ich bin gestresst!“? Was genau heißt dieser Ausspruch? Jeder Mensch kann damit etwas völlig anderes meinen, manchmal etwas so Divergierendes, das außer ihm niemand den Grund für den Stress zu erkennen vermag. Als rein interpersonelles Erleben ist Stress ein sehr schwieriges Gefühl, welches sich auf verschiedenen Ebenen äußert. Eine davon ist wissenschaftlich erfassbar und wird durch die Psychologie zugänglich gemacht. In dieser Ebene spielen sich sehr differenziert Gedankenprozesse ab, die eine oder mehrere Situationen kognitiv bewerten und daraus Reaktionen ableiten. Bei der Stressbewältigung spielt vor allem die Bewertung des auslösenden Stresses eine erhebliche Rolle. Die andere Ebene ist noch besser messbar: die biologische Ebene, die sich vor allem durch eine komplizierte hormonelle Regelung auszeichnet.
2.1 Positiver und negativer Stress
Als erstes ist festzuhalten, dass Stress notwendig und primär nichts Schlechtes ist. Stress dient aus evolutionärer Sichtweise der Erhaltung der eigenen Gesundheit. „Wir brauchen den Streß [!], um zu überleben.“ (Crisand / Lyon 1998, S.10). Auf potentiell gefährliche Situationen in der Umwelt reagiert der Körper mit den erwähnten Methoden, um sich selbst zu schützen. Erst wenn daraus ein Dauerzustand wird oder eine Fehlreaktion zustande kommt, wird Stress gefährlich.
Erlebt ein Individuum eine Stresssituation, kommt es zu einer Reaktion seines Organismus. Diese Reaktion läuft physisch und psychisch ab. Beide Prozesse folgen einem bestimmten Ablauf: es gibt eine Phase der Erregung – in der Grafik Anforderung – genannt, in der die Reize wahrgenommen und bewertet werden. Darauf folgt die Phase der Leistung, während der den Anforderungen begegnet wird. Nach der Leistung folgt die Ermüdung, da der Organismus durch die Auslenkung aus seinem Gleichgewicht und der folgenden Widerherstellung erschöpft ist. Diese Phase geht über in die Ruhephase, in welcher der Organismus für einen neuen Reiz bereit ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Der Ablauf von Anspannung, Leistung, Ermüdung und Ruhe während einer Stressphase. Crysand / Lyon 1998, S.11
Dass dieses Schema sowohl auf psychischen der als auch auf der physischen Ebene abläuft zeigen zwei Beispiele:
Beispiel 1: Schüler A muss eine Hausarbeit schreiben, die seinen Notendurchschnitt sowohl positiv als auch negativ beeinflussen könnte (Anforderung). Er setzt sich nach anfänglichem Zögern mit der Materie auseinander und gibt eine passable Arbeit ab, die seinen Schnitt nicht ändert (Leistung). Nach der Fertigstellung empfindet er keine Motivation mehr, sich um den Liebeskummer seines besten Freundes zu kümmern, da er selbst „zu fertig“ ist (Ermüdung). Nach zwei ausgeschlafenen Nächten ist er wieder geistig fit und ruft seinen Freund noch mal an, um im zu helfen (Ruhe).
Beispiel 2: Manager B ist neben seinem Beruf auch noch aktiver Marathonläufer. Ein solcher Lauf ist extrem anstrengend, er erfordert hartes Training. Manager B entschließt sich, einen 20km-Lauf zur Vorbereitung zu absolvieren. Er läuft also los. Während des Trainings verbrennt er Unmengen an Kalorien. Der Körper muss diesen Energiebedarf über die gesamte Zeit decken (Anforderung und Leistung). Nach der Trainingseinheit ist Manager B total erschöpft, und er wird es auch noch solange sein, bis sein Körper sich von dieser Strapaze erholt hat (Ermüdung). Nach drei Tagen leichten Trainings fühlt er sich in der Lage, die nächste Trainingseinheit in Angriff zu nehmen (Ruhe).
In einem solchen Szenario spricht man von positivem Stress (Eustress), da er im Körper und vielleicht auch in der Psyche zur Adaption führt, dass heißt zu Anpassungen, die dem Organismus helfen, ähnliche Situationen genauso gut oder besser zu meistern. Je nach Anforderung kann dies ein kräftigerer Muskel, eine funktionierende Lerntaktik oder eine Problemlösungsstrategie sein (vgl. Rosenberg 2000, S.8). Seyle nannte diesen Stress „das Salz des Lebens“[2]
Kommt es aber zu einer verkürzten Phase der Ermüdung, sprich der Erholung, oder liegen die Anforderungen zu dicht aneinander, wird der Zustand der Ruhe noch nicht wieder hergestellt, und die Anforderung wird als stärker erlebt. Infolge dessen wird die zu erbringende subjektive Leistung immer höher und es wird immer mehr Ruhe benötigt. Im schlimmsten Falle ist für diese aufgrund einer falschen Lebensplanung, durch zu häufiges Training oder eine falsche Wahrnehmung der Anforderungen ebenfalls keine Zeit, so dass der nächste Zyklus gleich bevorsteht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Der sich selbst aufschaukelnde Ablauf von Anforderung, Leistung und Ermüdung ohne eine Ruhephase. Crysand / Lyon 1998, S.13
In einem solchen Fall spricht man von negativem Stress (Distress), der zu den Symptomen führt, die negativ bemerkt werden, und welche die Leistungsfähigkeit allmählich senken (vgl. Rosenberg 2000, S.8; Vester 1997, S. 49).
Um dieses Schema zu präzisieren ist es notwendig, die zwei Ebenen des Stressempfindens zu betrachten und die dort ablaufenden Prozesse zu erläutern.
2.2 Stress aus psychologischer Sicht
Zimbardo bietet folgende Definition von Stress an: „ Streß [!] ist ein Muster spezifischer und unspezifischer Reaktionen eines Organismus auf Reizereignisse, die sein Gleichgewicht stören und seine Fähigkeit zur Bewältigung strapazieren oder überschreiten. Diese Reizereignisse umfassen eine ganze Bandbreite externer und interner Bedingungen, die allesamt als Stressoren bezeichnet werden. Ein Stressor ist ein Reizereignis, das vom Organismus eine Anpassung (adaptive Reaktion) verlangt.“ (Zimbardo 1999, S.370).
Diese Definition lässt noch viel Raum für Ergänzungen und Erklärungen. Die angesprochenen Muster beziehen sich auf mehr oder minder feste Reaktionen auf Stressoren auf der biologischen und auf der psychologischen Ebene. Aus diesen unbewussten Reaktionen leiten sich Einflüsse ab, die das Empfinden eines Organismus stark beeinflussen können. Dieses System setzt folgende Komponenten voraus:
1) Stressor. Dies kann der Tod eines Verwandten sein, eine schmerzhafte Verletzung, Kommunikationsprobleme in der Beziehung oder Ärger über einen rüpelhaften Autofahrer.
2) Person. Temperament und aktueller Gemütszustand spielen eine genauso große Rolle bei der Stressorenbewertung wie die intellektuelle Fähigkeit. Wenn ein Organismus eine Situation nicht versteht und die Konsequenzen nicht abschätzen kann, kann ein potentieller Stressor einfach übergangen werden.
3) Ressourcen. Von der Person, die durch die Eigenschaften eines Individuums charakterisiert werden, werden die möglichen Lösungshilfen getrennt, die dieser Organismus zu Verfügung zu stehen hat. Ein großes soziales Netzwerk kann damit gemeint sein, aber auch eine bewährte Problemlösungsstrategie oder materielle Puffer wie Kapital zum Auffangen von Geldproblemen.
4) Bewertung. Stressoren und Ressourcen können nur auf den Organismus einwirken, wenn dieser die beiden Komponenten überhaupt wahrnimmt. Dabei ist zu beachten, dass nicht zwangsläufig ein „bewusst werden“ des Stressors gemeint ist. Eine Zigarette kann, je nach Neigung, als Stressor (für Nichtraucher) oder als Entspannungshilfe (für Raucher) bewertet werden. Die physiologische Reaktion auf den Nikotongenuss ist aber in jedem Fall eine Stressreaktion! Daher muss die Bewertung im Sinne eines kognitiven Prozesses nicht auf biologische Stressoren angewandt werden, wohl aber auf die auslösenden Handlungen, die zu diesen Stressoren führen – eben die Entscheidung zu Rauchen.
Aus den vier Faktoren Person, Ressource, Bewertung und Stressor leiten sich die vier verschiedenen Reaktionen auf die Stresssituation ab. Diese Reaktionen sind nicht voneinander getrennt und bedingen sich gegenseitig. Ein gesteigertes Aktivitätsniveau (Verhalten) kann auf einer erhöhten Adrenalinausschüttung beruhen (physiologisch) und eine kreative Planung des nächsten Verhaltens bewirken (kognitiv).
Der Kernpunkt ist in diesem Modell wie in der voran gegangenen Definition die Bewertung des Stressors. Das Reizereignis muss eine Anpassung verlangen. Biologisch gesehen ist das recht einfach und wird im nachfolgenden Kapitel erläutert. Betrachtet man aber Ereignisse, die sich nicht direkt physisch auf einen Organismus beziehen wie zum Beispiel Kälte, dann kommt immer eine Bewertung der Ereignisse zu den ablaufenden Prozessen hinzu.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Stressmodell. Aus: Zimbardo 1999, S.371
Ein Reizereignis, welches vom Individuum nicht als Veränderung auslösend bewertet wird, ist damit kein Stressor mehr. Es ist nicht geeignet, dieses Individuum aus dem Gleichgewicht zu bringen und eine Bewältigungshandlung hervorzurufen (vgl. Heinrich 1998, S.65).
[...]
[1] http://www.krebsinformationsdienst.de/Fragen_und_Antworten/stress.html (1.6.2006) Es gibt eine Vielzahl sich widersprechender Studienbefunde zu diesem Thema. „Die erste prospektive Studie zu dieser Frage, die kürzlich […] publiziert wurde, findet keinen Hinweis dafür, dass allgemeiner Lebensverdruss zu einer Krebserkrankung führen kann.“ (Bergelt, C. et al 2005, S. 1288-1295). Eine andere Meinung diesem Thema: „Kürzlich stellten Wissenschaftler der State University of New York eine Studie vor, bei der ein Zusammenhang festgestellt wurde zwischen einem hohem Maß an Stress sowie unbefriedigende Unterstützung von Freunden und Familie mit erhöhten Blutwerten für PSA (Prostata-spezifisches Antigen), ein Marker, der für die Früherkennung von Prostatakrebs erfolgreich eingesetzt wird. Befragt wurden 300 Männer, die an einem Prostata-Vorsorge-Programm teilnahmen. Die Ergebnisse zeigten, dass Männer, die vermehrt Stress ausgesetzt und/oder sozial unbefriedigend eingebunden waren, ein drei- bzw. zweifach erhöhtes Risiko aufwiesen, erhöhte PSA-Spiegel im Blut zu haben.“ (Möslein / Wenzel 2003). Es sei also darauf hingewiesen, dass die Forschung stark nach der Rolle von Stress bei der Krebsbildung sucht, bisher aber keine abschließenden Ergebnisse liefert.
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Stress (22.12.2006)
- Quote paper
- Jasper Schaeffer (Author), 2007, Gezielter Abbau von aggressivem und depressivem Stress durch verschiedene Sportaktivitäten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69789
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