Das französische Gérondif, welches als adverbiale Ergänzung zum Verb beschrieben werden kann, stellt ein besonders komplexes Phänomen in der französischen Sprache dar und ist laut Halmøy (vgl. 2003a:3) eine der spannendsten und am häufigsten verwendeten Formen im heutigen Französisch. So sind Gérondifkonstruktionen ein wichtiger Bestandteil sowohl der gesprochenen als auch der geschriebenen Sprache. Das Gérondif stellt eine typisch französische Konstruktion dar, die in dieser Form weder im Lateinischen noch in den romanischen oder germanischen Sprachen ein direktes Äquivalent hat (vgl. ebd.). Nach Auffassung Zembs (vgl. 1978:524) hat das deutsche Gerundium mit dem französischen Gérondif noch weniger gemeinsam als der deutsche Konjunktiv mit dem französischen Subjonctif. Am nächsten käme dem Gérondif noch das deutsche Partizip Präsens mit der Endung -nd, welches ebenfalls adjektivische Funktionen in sich birgt. Dieses spielt jedoch bei der Wiedergabe des Gérondif im Deutschen eine untergeordnete Rolle und strahlt nach Ansicht Serra Bornetos (1982:439) eine Art „antiquierte Eleganz“ aus.
Wenn demnach die deutsche Sprache über kein direktes Äquivalent für diese französische Form verfügt, stellt sich insbesondere für die Übersetzung die Frage, mit welchen Strukturen - wenn nicht mit dem deutschen Gerundium oder dem Partizip Präsens - das französische Gérondif im Deutschen wiedergegeben werden kann. Eine zusätzliche Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass das Gérondif nicht immer eindeutig ist, sondern oft mehr als nur eine Relation ausdrückt. Gerade im Bereich der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Rechtssprache, die sich insbesondere durch Deutlichkeit und Explizitheit auszeichnet (vgl. Roelcke 1999:83), stellt die semantisch-funktionale Vagheit des Gérondif eine große Herausforderung für den fachsprachlichen Übersetzer dar. Der Übersetzer sieht sich mit der Aufgabe konfrontiert zu ermitteln, welche verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten unter Einbeziehung des Kontextes möglich sind. Wenn er sich nun für eine Interpretation entscheidet, besteht die Gefahr, dass er in zweierlei Hinsicht einen Fehler begeht. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass er der Form ihre Polyfunktionalität und somit ihre explizite Vielfalt nimmt. Zum anderen schließt er durch die Wahl einer expliziteren Konstruktion die anderen aus und kann der Form dadurch ihren komplexen Sinn nehmen (vgl. Serra Borneto 1982:44).
INHALTSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 DAS FRANZÖSISCHE GERONDIF
2.1 Stand der Forschung
2.2 Gérondif vs. Participe Présent und Adjectif Verbal
2.2.1 Participe Présent vs. Adjectif Verbal
2.2.2 Participe Présent vs. Gérondif
2.2.3 Übersicht
2.3 Morphologische Charakteristika
2.3.1 Die Präposition en
2.3.1.1 Bedeutung von en
2.3.1.2 Wiederholung von en
2.3.2 Verbstamm mit der Endung -ant
2.4 Syntaktische Charakteristika
2.4.1 Die Bezugsgrößen des Gérondif
2.4.1.1 Das verbundene Gérondif
2.4.1.2 Das unverbundene Gérondif
2.4.2 Die Ergänzungen des Gérondif
2.4.3 Stellung des Gérondif
2.4.4 Weitere syntaktische Besonderheiten des Gérondif
2.5 Semantisch-funktionale Charakteristika
2.5.1 Das implizite Subjekt des Gérondif
2.5.2 Informationsstruktur
2.5.3 Die Relationen des Gérondif
2.6 Das Gérondif mit tout
2.6.1 Syntaktische Merkmale
2.6.2 Semantische Merkmale
2.7 Zur Frage der Frequenz und der Distribution
2.8 Wiedergabemöglichkeiten im Deutschen
2.8.1 Das einfache Gérondif
2.8.1.1 Das vorrangig temporale Gérondif
2.8.1.2 Das vorrangig modale bzw. instrumentale Gérondif
2.8.1.3 Das vorrangig kausale Gérondif
2.8.1.4 Das vorrangig konditionale Gérondif
2.8.2 Das Gérondif mit tout
2.8.2.1 Das vorrangig konzessiv-oppositive Gérondif
2.8.2.2 Das Gérondif zum Ausdruck der Gleichzeitigkeit
2.9 Zusammenfassung
3 SPRACHVERGLEICH UND ÜBERSETZEN IN DER FACHSPRACHE RECHT.
3.1 Kontrastive Linguistik
3.1.1 Definition und Entstehung der kontrastiven Linguistik
3.1.2 Ebenen des Sprachvergleichs und Äquivalenz
3.1.3 Kontrastive Linguistik und Übersetzungswissenschaft
3.2 Die Fachsprache Recht
3.2.1 Definition „Fachsprache“
3.2.2 Besonderheiten der Fachsprache Recht
3.2.2.1 Besondere Merkmale im Bereich der Morphosyntax
3.2.2.2 Besondere Merkmale im Bereich der Lexik
3.2.2.3 Besondere Merkmale im Bereich des Stils
3.2.2.4 Besondere Merkmale im Bereich des Textes
3.2.3 Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Rechtssprache..
3.2.3.1 Unterschiede im Bereich der Morphosyntax
3.2.3.2 Unterschiede im Bereich der Lexik
3.2.3.3 Unterschiede im Bereich des Stils
3.3 Fachsprachenübersetzung
3.3.1 Rechts- und Sprachvergleich beim Übersetzen juristischer Fachtexte
3.3.1.1 Besonderheiten bei der Übersetzung von EU-Texten
3.3.1.2 Besonderheiten bei der Übersetzung von Urteilen des EuGH
3.3.2 Übersetzungstheorien und Übersetzungsstrategien
3.3.3 Juristische Kompetenz und Sprachkompetenz
3.4 Zusammenfassung
4 ZUR ÜBERSETZUNG DES GERONDIF IN EUGH-URTEILEN
4.1 Beschreibung des Korpus
4.1.1 Der Europäische Gerichtshof als Institution
4.1.1.1 Zusammensetzung des EuGH, des EuG und des EuGöD
4.1.1.2 Zuständigkeiten des EuGH, des EuG und des EuGöD
4.1.1.3 Arbeitsweise des EuGH
4.1.2 Die Sprachenregelung des Europäischen Gerichtshofs
4.1.2.1 Die gesetzliche Regelung einer Verfahrenssprache
4.1.2.2 Die Praxis der internen Arbeitssprache
4.1.2.3 Organisation und Arbeitsweise des Sprachendienstes des EuGH
4.2 Zur Vorgehensweise in der vorliegenden Untersuchung
4.3 Übersetzung des Gérondif in EuGH-Urteilen
4.3.1 Das einfache Gérondif
4.3.1.1 Hypotaktische Konstruktion
4.3.1.2 Nominalsyntagma (+ Präposition)
4.3.1.3 Parataktische Konstruktion
4.3.1.4 Präposition
4.3.1.5 Partizip
4.3.1.6 Finites Verb + Adverbial
4.3.1.7 Verbalkomposition
4.3.1.8 Auslassung
4.3.2 Das Gérondif mit tout
4.3.2.1 Parataktische Konstruktion
4.3.2.2 Hypotaktische Konstruktion
4.3.2.3 Präposition
4.3.2.4 Nominalsyntagma + Präposition
4.3.2.5 Partizip
4.4 Statistik der im Korpus festgestellten Übersetzungsmöglichkeiten
4.5 Ergebnisse der Untersuchung
5 FAZIT
6 LITERATURVERZEICHNIS
6.1 Korpusgrundlage
6.2 Rechtsquellen
6.3 Sekundärliteratur
6.4 Internetseiten
DANKSAGUNG
Zunächst geht mein Dank an meine beiden Korrektoren Frau Dr. Ursula Wienen und Herrn Prof. Dr. Alberto Gil für die Betreuung der vorliegenden Arbeit. Ein ganz besonderer Dank gilt dabei meiner Erstkorrektorin, die immer ein offenes Ohr für meine Fragen hatte und mir mit Rat und Tat zur Seite stand.
Außerdem danke ich meinen Korrekturlesern Pascale Braun, Olga von Druckort, Cora Schade und Klaus-Dieter Wissel.
Schließlich möchte ich mich bei meinen Eltern, Freunden sowie meinen Kollegen und Kolleginnen am Europa-Institut für ihre Unterstützung und ihr Verständnis während des Studiums bedanken.
1 EINLEITUNG
Das französische Gérondif, welches als adverbiale Ergänzung zum Verb beschrieben werden kann, stellt ein besonders komplexes Phänomen in der französischen Sprache dar und ist laut Halmøy (vgl. 2003a:3) eine der spannendsten und am häufigsten verwendeten Formen im heutigen Französisch. So sind Gérondifkonstruktionen ein wichtiger Bestandteil sowohl der gesprochenen als auch der geschriebenen Sprache. Das Gérondif stellt eine typisch französische Konstruktion dar, die in dieser Form weder im Lateinischen noch in den romanischen oder germanischen Sprachen ein direktes Äquivalent hat (vgl. ebd.). Nach Auffassung Zembs (vgl. 1978:524) hat das deutsche Gerundium mit dem französischen Gérondif noch weniger gemeinsam als der deutsche Konjunktiv mit dem französischen Subjonctif. Am nächsten käme dem Gérondif noch das deutsche Partizip Präsens mit der Endung -nd, welches ebenfalls adjektivische Funktionen in sich birgt. Dieses spielt jedoch bei der Wiedergabe des Gérondif im Deutschen eine untergeordnete Rolle und strahlt nach Ansicht Serra Bornetos (1982:439) eine Art „antiquierte Eleganz“ aus.
Wenn demnach die deutsche Sprache über kein direktes Äquivalent für diese französische Form verfügt, stellt sich insbesondere für die Übersetzung die Frage, mit welchen Strukturen - wenn nicht mit dem deutschen Gerundium oder dem Partizip Präsens - das französische Gérondif im Deutschen wiedergegeben werden kann. Eine zusätzliche Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass das Gérondif nicht immer eindeutig ist, sondern oft mehr als nur eine Relation ausdrückt. Gerade im Bereich der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Rechtssprache, die sich insbesondere durch Deutlichkeit und Explizitheit auszeichnet (vgl. Roelcke 1999:83), stellt die semantisch-funktionale Vagheit des Gérondif eine große Herausforderung für den fachsprachlichen Übersetzer dar. Der Übersetzer sieht sich mit der Aufgabe konfrontiert zu ermitteln, welche verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten unter Einbeziehung des Kontextes möglich sind. Wenn er sich nun für eine Interpretation entscheidet, besteht die Gefahr, dass er in zweierlei Hinsicht einen Fehler begeht. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass er der Form ihre Polyfunktionalität und somit ihre explizite Vielfalt nimmt. Zum anderen schließt er durch die Wahl einer expliziteren Konstruktion die anderen aus und kann der Form dadurch ihren komplexen Sinn nehmen (vgl. Serra Borneto 1982:44). Außer dem Merkmal der Polyfunktionalität kann der Form des Gérondif auch eine gewisse Kompaktheit zugeschrieben werden, d. h., durch den Gebrauch einer Gérondif- konstruktion kann ein Nebensatz mit finitem Verb vermieden werden. Es scheint, als sei das Gérondif infolge seiner wechselseitigen Beziehung mit dem Satzkern an diesen enger gebunden, auch wenn es nicht in der nächsten Umgebung des Kerns auftritt (vgl. Serra Borneto 1982:445).
Im praktischen Teil dieser Arbeit werden die extrahierten Belege daraufhin untersucht, ob sie die gleiche Polyfunktionalität und Kompaktheit wie das Gérondif aufweisen. Dabei stellt sich die Frage, ob - wie beispielsweise bei Pusch (1980:103) für die italienische Form der Fall - eine „ideale“ Übersetzung für bestimmte Gérondif- konstruktionen existiert, ob von einer „Standardübersetzung“ gesprochen werden kann und ob die in den untersuchten Grammatiken aufgeführten Wiedergabemöglichkeiten für das Gérondif in allgemeinsprachlichen Texten auch für Fachsprachen herangezogen werden bzw. ob diese zu den in Kapitel 3 als typisch klassifizierten Stilmitteln von Fachsprachen gezählt werden können. Auch soll geklärt werden, ob die Beobachtung Schmidt-Knäbels (vgl. 1969:258), dass Fachsprachen eine relativ niedrige Frequenz an Gérondifkonstruktionen aufweisen und diese dagegen häufiger in Romanen auftauchen, bestätigt oder widerlegt werden kann. Ferner soll der Frage nachgegangen werden, ob die verwendeten Translationsvarianten, die nicht in den Grammatiken aufgeführt sind, eine Alternative zu den üblicherweise zur Wiedergabe des Gérondif gebrauchten Konstruktionen darstellen oder ob sie als nicht adäquate Übersetzungen der französischen Form einzustufen sind. Darüber hinaus soll eine Antwort auf die Frage gefunden werden, ob bestimmte syntaktische, semantische oder pragmatische Eigenschaften einen bestimmten Übersetzungstyp begünstigen bzw. blockieren.
Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag zur kontrastiven Linguistik leisten. Besonderes Augenmerk gilt hierbei dem Inventar an Übersetzungsmöglichkeiten des französischen Gérondif im Deutschen. Um die gesteckten Ziele zu erreichen, soll dabei wie folgt vorgegangen werden: Zunächst soll im ersten theoretischen Teil (Kapitel 2) das Gérondif allgemein beschrieben werden, d. h., es wird untersucht, welche Erkenntnisse zum Gérondif sowie zu seiner Übersetzung bereits in der Fachliteratur gewonnen worden sind (2.1). Im Anschluss daran erfolgt eine Abgrenzung der drei Formen auf -ant (Gérondif, Participe Présent, Adjectif Verbal), wobei ermittelt wird, welches die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede dieser drei Formen sind und ob nicht etwa der Frage Henrichsen (1967:97) nach einer „conception unique“ nachgekommen werden sollte (2.2). Ferner wird im Hinblick auf die Korpusanalyse auf die morphologischen (2.3), syntaktischen (2.4) und semantisch-funktionalen Charakteristika (2.5) dieses komplexen Phänomens in der Wissenschaft eingegangen, um dem sich anschließenden Korpus eine Grundlage zu bieten. Da im Korpus sowohl die Formen des einfachen Gérondif als auch die Formen mit tout untersucht werden, sollen infolgedessen auch die syntaktischen und semantischen Merkmale der zusammengesetzten Form mit tout sowie die Unterschiede zur einfachen Form herausgearbeitet werden (2.6). Daraufhin erfolgt eine kurze Abhandlung über das Vorkommen des Gérondif in den einzelnen Textsorten, wobei ermittelt wird, ob sich dabei Unterschiede ergeben bzw. worin diese begründet sein könnten (2.7). Im Anschluss daran wird auf der Basis französischer Grammatiken sowie wissenschaftlicher Abhandlungen zum Gérondif ein Inventar an deutschen Wiedergabemöglichkeiten hinsichtlich dieser komplexen Struktur erarbeitet mit dem Ziel, die im Korpus ermittelten Gérondifkonstruktionen ihren Entsprechungen im deutschen Zieltext gegenüberzustellen und auf ihre Funktionalität hin zu untersuchen (2.8). Von besonderem Interesse wird dabei anschließend sein, ob von den herausgearbeiteten Translationsvarianten auch im Bereich der Fachsprache bzw. konkret in den untersuchten Urteilsversionen Gebrauch gemacht wurde.
Um der vorliegenden Arbeit eine wissenschaftliche Grundlage für den kontrastiven Vergleich der Funktionen des französischen Gérondif mit den entsprechenden deutschen Konstruktionen zu bieten, ist es notwendig und sinnvoll, zunächst die beiden Disziplinen des Sprachvergleichs, die kontrastive Linguistik und die Übersetzungswissenschaft (3.1), sowie die Charakteristika der Fachsprache Recht (3.2) und die Besonderheiten bei der Übersetzung juristischer Fachtexte (3.3) näher zu betrachten.
Zu Beginn von Kapitel 4, welches den praktischen Teil dieser Arbeit darstellt, wird zunächst die Arbeit des Europäischen Gerichtshofs sowie die des dortigen Sprachendienstes näher erläutert, bevor in 4.4. mit der eigentlichen Analyse der Urteile begonnen wird. Im Rahmen der Untersuchung werden die wichtigsten im Korpus ermittelten Übersetzungsverfahren exemplarisch diskutiert. Dabei liegt der Fokus auf der Beantwortung der oben aufgeworfenen Fragen.
2 DAS FRANZÖSISCHE GERONDIF
Das französische Gérondif, das, wie bereits erwähnt, eine adverbiale Ergänzung zum Verb darstellt (vgl. Confais 2000:94), wird aus der Präposition en sowie der Form des Participe Présent gebildet.1Es stellt ein typisch französisches Phänomen dar, das in dieser Form weder in der lateinischen Sprache noch in den germanischen oder den anderen romanischen Sprachen ein direktes Äquivalent hat (vgl. z. B. Halmøy 2003b:25). Auch wenn andere Sprachen über grammatische Formen verfügen, die ähnliche Bezeichnungen tragen, wie beispielsweise das lateinische Gerundium oder das Gerundivum, das spanische und italienische Gerundio, das englische Gerund oder auch das deutsche Gerundium, so unterscheiden sich doch all diese Formen in ihren morphologischen und/oder funktionalen Eigenschaften von dem französischen Gérondif.2
Das Gérondif wird im Unterschied zum Participe Présent sowohl im gesprochenen als auch im geschriebenen Französisch gleichermaßen gebraucht. Dabei tritt es in allgemeinsprachlichen Texten wie auch in der im späteren Verlauf der Arbeit noch genauer betrachteten „langue de spécialité“ auf. Halmøy (2003a:9) definiert das Gérondif folgendermaßen: „[C’est] une forme omniprésente, que l’on emploie dans toutes les situations et dans tous les contextes, et dont il est difficile de se passer.“ Umso mehr verwundert es, dass dem französischen Gérondif in der Forschung bisher wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde.
Im Folgenden soll daher der aktuelle Stand der Forschung aufgezeigt werden und ferner sollen die morphologischen, syntaktischen, semantischen und funktionalen Aspekte dieser adverbialen Ergänzung näher untersucht werden. Darüber hinaus erfolgt eine Abgrenzung der drei Formen auf -ant (Participe Présent vs. Adjectif Verbal, Gérondif vs. Participe Présent) sowie eine nähere Untersuchung des Gérondif mit tout im Hinblick auf die spätere Korpusanalyse. Im Anschluss daran wird auf die Frequenz und die Distribution des Gérondif eingegangen sowie auf die Wiedergabemöglichkeiten der einzelnen Interpretationen des Gérondif im Deutschen. Dabei wird vor allem die Umsetzung des Gérondif in allgemeinsprachlichen Texten beleuchtet und in der folgenden Korpusanalyse mit den Wiedergabemöglichkeiten in der Fachsprache Recht verglichen.
2.1 Stand der Forschung
Bereits im Jahre 1919 stellte Sneyders de Vogel in seinem Werk Syntaxe historique du français mit Bedauern fest: „Aucune grammaire du français moderne ne nous renseigne suffisamment sur la nature du gérondif et du participe présent.“ Bei der Auswertung der heutigen Grammatiken des modernen Französisch kristallisiert sich leider heraus, dass sich die Situation fast 90 Jahre später nicht grundlegend verändert hat. Auch wenn seit der Erscheinung des Werkes von Weerenbeck, welcher insbesondere auf dem Gebiet des Participe Présent bedeutende Erkenntnisse gewonnen hat, ein gewachsenes Forschungsinteresse an den französischen Formen auf -ant verzeichnet werden kann, sind die Nachfolgewerke meist diachronisch orientiert und beschäftigen sich in der Regel mit der Entstehung der drei Formen auf -ant aus dem Lateinischen. Äußerst umstritten ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die Frage, ob das Gérondif ein Fortbestand des lateinischen Gerundivums ist, ob es im Lauf der Jahre auf Sinn- und Gebrauchsebene Veränderungen erfahren hat, mit welchen Präpositionen es verbunden werden kann, in wieweit sich regional voneinander abweichende Verwendungsweisen herausgebildet haben, usw. (vgl. Mönch 1912).
Im Hinblick auf die einzelnen Grammatiken, insbesondere mit Blick auf die Schulgrammatiken, ist zu beobachten, dass in erster Linie die Interferenzen des Gérondif mit dem Participe Présent beleuchtet werden (s. z. B. Dethloff/Wagner 2002:281f; Menuet 1997:235ff; Reumuth/Winkelmann 1994:337ff). Darüber hinaus wird nicht selten auf das Gérondif mit vorangestelltem tout aufmerksam gemacht, welches zur Betonung der Gleichzeitigkeit zweier Handlungen, die jedoch „schlecht zueinander passen“ (Confais 2000:95), gebraucht wird. Auf die Gérondifkonstruktion mit tout wird im weiteren Verlauf der Arbeit im Hinblick auf die sich in Kapitel 4 anschließende Korpusuntersuchung noch näher eingegangen.
Ein in den Grammatiken ebenfalls nicht selten angeführter Aspekt stellt die Regel dar, dass das Gérondif kein anderes Subjekt als das des konjugierten Verbs haben darf (s. z. B. Confais 2000:94). Dass diese Regel in der Praxis des Öfteren nicht beachtet wird, wird nachfolgend anhand der Korpusanalyse noch aufgezeigt werden.3So wird das Gérondif, sofern der Bezug klar ist, auch bei Subjektverschiedenheit gebraucht.
Ferner beschäftigen sich die untersuchten Grammatiken mit der Frage, ob das Gérondif nur eine Variante des Participe Présent darstellt, ob es als grammatische Besonderheit betrachtet werden kann, welche Form man überhaupt als „Gérondif“ bezeichnen kann (bestimmte Formen mit der Endung -ant, die je nach ihrer semantischen Funktion mit oder ohne die Präposition en stehen können oder nur die Formen mit vorangestelltem en), etc.. Darüber hinaus wird beispielsweise die Frage erörtert, ob es sich bei en um eine Präposition, eine Art Partikel oder gar um einen Marker handelt. Bei einem Vergleich französischer Grammatiken mit den für Französischlerner bestimmten Werken kann man ferner feststellen, dass bei letzteren stärker auf das Phänomen des Gérondif eingegangen wird. Dies erklärt sich nach Auffassung Høyers (vgl. 2003:87) nicht zuletzt dadurch, dass das Gérondif und dessen Abgrenzung zum Participe Présent und dem Verbaladjektiv für Nicht-Frankophone erheblich mehr Probleme darstellen als für Muttersprachler. Insgesamt kann man feststellen, dass die Aussage Halmøys (vgl. 1982:27) von vor knapp einem Vierteljahrhundert, dass in Grammatiken das Phänomen des Gérondif nur kurz beleuchtet wird, heute leider immer noch Gültigkeit hat.
Hinsichtlich der bedeutendsten Werke und Artikel zu den Formen auf -ant im Allgemeinen sowie zu Participe Présent und Gérondif im Besonderen wäre an erster Stelle die Dissertation von Weerenbeck aus dem Jahre 1927 zu nennen. Dieses Werk beschäftigt sich in erster Linie mit der historischen Entwicklung des Participium Praesens und des Gerundium zum heutigen Gérondif. Nach Auffassung von Weerenbeck (vgl. 1927:15,306) sind die Unterschiede zwischen Gérondif und Participe Présent nicht in formalen, sondern vor allem in funktionalen Aspekten begründet.
Nach der Veröffentlichung der Dissertation Weerenbecks hat sich ein verstärktes Interesse an den syntaktischen, semantischen und funktionalen Unterschieden der drei Formen auf -ant (Gérondif, Participe Présent und Adjectif Verbal) herausgebildet, welche kontrovers diskutiert werden.4Dabei ist den wissenschaftlichen Grammatiken sowie der Fachliteratur zum Gérondif gemeinsam, dass bisher kein einheitlicher Konsens gefunden worden ist bezüglich des „Status“ der drei Formen auf -ant. Anlass zur Diskussion gab im Jahre 1967 beispielsweise der Artikel von Henrichsen (1967:97ff), welcher den Wegfall der Unterscheidung zwischen Participe Présent und Gérondif zu Gunsten einer einzigen „forme verbale en -ant“ forderte und die Existenz des Gérondif sogar komplett negierte.
Die Dissertation Schmidt-Knäbels aus dem Jahre 1969 stellt hinsichtlich der philosophischen Tradition einen klaren Bruch mit ihren Vorgängerwerken dar. Bei ihrem Werk handelt es sich um eine deskriptive und synchronische Untersuchung der Formen auf -ant, deren Ergebnisse aus der Beobachtung distributioneller Aspekte resultieren. Wie der Titel bereits erahnen lässt, handelt es sich in erster Linie um eine Analyse der syntaktischen Charakteristika dieser Formen, wobei nach Auffassung Halmøys (vgl. 1982:36ff) und Gettrups (vgl. 1977:212) zwar die syntaktischen Aspekte ausgiebig behandelt werden, den semantischen Merkmalen des Gérondif jedoch zu wenig Rechnung getragen wird.
In diesem Zusammenhang erwähnenswert sind zwei Artikel von Gettrup, die sich mit der Unterscheidung von Gérondif und Participe Présent nach semantischen Kriterien beschäftigen. Der im Rahmen dieser Arbeit herangezogene Artikel aus dem Jahre 1977 liefert beispielsweise eine detaillierte Darstellung der beiden Formen auf -ant als Zeitindikatoren. Als Fazit seiner Untersuchung stellt Gettrupp (1977:268) fest: „[On se trouve] en présence d’un système très compliqué d’interactions. […] c’est ce système qu’il faut étudier à fond pour déceler les différentes possibilités d’interprétation.“ Nach eigener Aussage hat sich Gettrup mit der Darstellung dieses Problems begnügt, was jedoch nach Auffassung Halmøys (vgl. 1982:41) bereits einen großen Schritt bedeutet.
Halmøy kristallisiert sich indes als eine der bedeutendsten neueren Autorinnen auf diesem Gebiet heraus. Mit ihrem 1982 erschienenen Werk Le Gérondif: éléments pour une description syntaxique et sémantique hat sie nach eigener Aussage die zu der Zeit erste Studie geliefert, die sich ausschließlich mit dem Gérondif beschäftigt und keinen Vergleich der verschiedenen Formen auf -ant anstrebt (vgl. Halmøy 1982:3). Anlass zum Schreiben dieses Werkes sah sie in der Notwendigkeit, das Phänomen des Gérondif in seiner Ganzheit zu beleuchten, da bisher nur einzelne Aspekte untersucht worden wären. Schwerpunkt ihrer Studie ist dabei eine breit angelegte morphologische, syntaktische und semantische Analyse. Dabei grenzt sie ihr Verständnis des Gérondif klar von dem Standpunkt einiger Grammatiker ab, die aufgrund der semantischen Ähnlichkeiten bei Gérondif- und Participe-Présent-Konstruktionen sogar manche Participe-Présent-Formen als „Gérondif“ bezeichnen (s. z. B. Weerenbeck 1927:308). Ferner distanziert sie sich klar von der Aussage Henrichsen (1967:100): „Le gérondif n’existe pas en français moderne.“ Für Halmøy (vgl. 1982:5f) hat nämlich auch diese Form auf -ant eine klare Existenzberechtigung in der französischen Sprache.
Eine der neueren Studien auf diesem Gebiet stellt der Aufsatz von Wienen aus dem Jahre 2006 dar, der sich zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Arbeit noch im Druck befand. Das Werk stellt eine der wenigen Untersuchungen zu diesem französischen Phänomen in deutscher Sprache dar. Wienen beschäftigt sich mit der konkreten Umsetzung des Gérondif in deutschen Urteilsversionen des Europäischen Gerichtshofs unter Berücksichtigung textkohäsiver und textstruktureller Merkmale. Als Ergebnis ihrer Untersuchung stellt Wienen (i. Dr.) fest, dass die in Grammatiken vielfach als Ausnahmen klassifizierten Gérondifkonstruktionen, bei denen abweichender Subjektbezug gegeben ist, in der Fachsprache Recht an der Tagesordnung zu sein scheinen. Zudem kommt sie zu dem Ergebnis, dass in den untersuchten Urteilen Übersetzungen mittels einer hypotaktischen Konstruktion (insbesondere indem- und dadurch-dass-Sätze) sowie durch eine Präpositionalphrase am stärksten vertreten sind. Darüber hinaus kommt sie zu dem Schluss, dass auch im Deutschen häufig auf polyfunktionale Konstruktionen zurückgegriffen und selten eine explizitere Übersetzung gewählt wird. Des Weiteren stellt sie fest, dass die syntaktische Komplexität dieser französischen Form oftmals Fehlerquellen für die Übersetzung birgt und sich daraus nicht selten Auswirkungen auf die kohäsive Struktur sowie auf die Informationsstruktur des Zieltextes ergeben.
2.2 Gérondif vs. Participe Présent und Adjectif Verbal
Sowohl in französischsprachigen als auch in den für Französischlerner konzipierten Grammatiken kann beobachtet werden, dass die drei Formen auf -ant (Gérondif, Participe Présent und Adjectif Verbal) meist im gleichen Kapitel behandelt werden (s. z. B. Menuet 1997:235ff; Reumuth/Winkelmann 1994:337ff). Es stellt sich daher die Frage, wo die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede dieser drei Formen auf -ant liegen und ob nicht etwa der Forderung Henrichsen (1967:97) nach einer „conception unitaire“ nachgekommen werden sollte. Dem entgegen stellt sich u.a. die Auffassung Halmøys mit ihrem Postulat nach einer strikteren Abgrenzung der drei Formen und der Herausarbeitung ihrer jeweiligen Besonderheiten. Halmøy (2003a:23) versteht in diesem Zusammenhang ihre Gegenüberstellung der drei Formen folgendermaßen: „[C’est un] plaidoyer pour que l’on cesse de traiter ensemble des formes qui n’ont de commun, en français contemporain, que l’homonymie de leur terminaison.“ Im Folgenden sollen in diesem Zusammenhang die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den drei Formen auf -ant, dem Gérondif, dem Participe Présent und dem Adjectif Verbal, näher erläutert werden.
2.2.1 Participe Présent vs. Adjectif Verbal
Laut Confais (2000:88) ist das Adjectif Verbal „eine veränderliche, adjektivische Form des Participe Présent“. Das Adjectif Verbal und das Participe Présent sind formal identisch.5Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Formen mit der Endung -ant besteht jedoch darin, dass es sich bei dem Verbaladjektiv, wie der Name bereits sagt, um ein Adjektiv handelt, während das Participe Présent eine Verbform ist, was aus nachfolgender Tabelle ersichtlich wird:
Participe Présent Adjectif Verbal
une histoire amusant les enfants une histoire amusante
une histoire amusant beaucoup une histoire très amusante
les enfants
une histoire n’amusant pas les enfants une histoire pas amusante (Quelle: Confais 2000:88)
Das Verbaladjektiv unterscheidet sich sowohl in morphologischer, lexikalischer, syntaktischer als auch in semantischer Hinsicht vom Participe Présent. Morphologisch liegen die Unterschiede darin begründet, dass das Participe Présent eine Flexionsklasse des Verbs ist, während das Verbaladjektiv, obwohl es die gleiche Endung auf -ant aufweist, eine abgeleitete Form des Verbs darstellt. Dieser grundlegende Unterschied erklärt auch, dass bestimmte, von Verben abgeleitete Adjektive, eine vom Participe Présent abweichende Form haben (fatigant/fatiguant, puissant/pouvant, ebd.) und dass das Verbaladjektiv im Gegensatz zum Participe Présent veränderlich ist, d. h., dass es in Numerus und Genus seinem Bezugswort angeglichen wird (z. B. une voiture roulante) (Halmøy 2003a:24). Darüber hinaus verfügt das Participe Présent im Gegensatz zum Verbaladjektiv sowohl über eine einfache Aktivform (z. B. buvant, ebd.) als auch über eine zusammengesetzte Passivform (z. B. ayant bu/ayant été bu,ebd.), die auch als Participe Passé bezeichnet wird. Ferner existieren unter den zahlreichen Adjektiven mit der Endung -ant neben den von Verben abgeleiteten Varianten auch Formen mit Präfixen, die keinem Verb und somit auch nicht der Form des Participe Présent entsprechen (z. B. dépendant/indépendant, ebd.).
Im Bereich der Lexik besteht ein großer Unterschied zwischen den beiden Formen darin, dass alle Verben der französischen Sprache ein Participe Présent bilden können, während nicht von allen Verben ein Verbaladjektiv abgeleitet werden kann. Dies stellt sogar eher eine Ausnahme dar, denn die Mehrheit der Verben der französischen Sprache kann kein entsprechendes Verbaladjektiv bilden (z. B. dater, décentraliser, Halmøy 2003a:25). Umgekehrt kann festgestellt werden, dass für zahlreiche Verbaladjektive mit der Endung -ant im modernen Französisch kein zugehöriges Verb und somit auch kein Participe Présent gefunden werden kann (z. B. nonchalant, pédant, sanglant, ebd.).
Über morphologische und lexikalische Unterschiede hinaus kristallisieren sich bei näherer Betrachtung auch syntaktische Divergenzen zwischen den beiden Formen heraus. So können Participe Présent und Adjectif Verbal zwar beide attributiv verwendet werden, jedoch kann nur das Adjectif Verbal als Attribut zum Subjekt fungieren.6Ferner besteht in syntaktischer Hinsicht ein Unterschied der beiden Formen darin, dass das Participe Présent eines reflexiven Verbs das Reflexivpronomen beibehält, während es beim Verbaladjektiv wegfällt. Das Participe Présent erlaubt darüber hinaus alle Verbergänzungen, die auch das entsprechende Ausgangsverb zulässt. Es kann ein direktes Objekt haben, durch ein nachgestelltes Adverb modifiziert und durch eine Negation verneint werden. Im Unterschied hierzu kann dem Adjectif Verbal keine Ergänzung in Form eines direkten oder indirekten Objekts folgen (vgl. Dethloff/Wagner 2002:289), jedoch kann es durch vorangestellte Adverbien wie très, tout à fait sowie die Steigerungsformen plus, moins, aussi, le plus und le moins modifiziert werden (vgl. Halmøy 2003a:27). Hinsichtlich der Verneinung gilt für das Verbaladjektiv, wie für jedes andere Adjektiv auch, dass es nicht durch ne…pas, sondern nur durch pas verneint wird (vgl. Confais 2000:88). Aufgrund der Tatsache, dass das Adjectif Verbal, vergleichbar mit anderen Adjektiven, kein direktes Objekt haben kann, ist Henrichsen (vgl. 1967:97f) der Auffassung, dass das Verbaladjektiv wie ein normales Adjektiv behandelt werden sollte und die Bezeichnung „verbal“abzulehnen sei. Da das heutige Adjectif Verbal nur noch eine Ableitung von einem Verb darstelle, plädiert er für die Bezeichnung „adjectif déverbal“ (ebd.: 97), der sich mittlerweile auch andere Autoren (s. z. B. Halmøy 2003a:26) bedienen.
Beim Vergleich der semantischen Eigenschaften der beiden Formen auf -ant muss darauf geachtet werden, dass die beiden miteinander zu vergleichenden Formen homonym sind und das Adjektiv eine dem Ausgangsverb noch ähnliche Bedeutung hat. Halmøy liefert hierzu folgendes Beispiel:
(1) Des enfants aimant le sport vs. des enfants aimants
(Halmøy 2003a:27)
Kinder, die Sport lieben vs. liebevolle Kinder [Übersetzung durch d. Verf.]
In diesem Beispiel kann festgestellt werden, dass das Participe Présent als infinite Verbform die „Tätigkeit“ des Liebens auf den Sport beschränkt, während das Verbaladjektiv den Kindern eine dauernde Eigenschaft zuschreibt (vgl. Halmøy 2003a:27). In der Regel ist man in den Grammatiken der Auffassung, dass das Adjectif Verbal wie andere Adjektive keinen zeitweiligen Vorgang, sondern eine dauerhafte Eigenschaft (vgl. Menuet 1997:137) bzw. eine Gewohnheit (vgl. Dethloff/Wagner 2003a:289) ausdrückt. Während also das Verbaladjektiv eine dauernde Eigenschaft beschreibt, lässt das Participe Présent - ebenso wie der Relativsatz - nicht selten offen, ob das Verb einen zeitweiligen Vorgang oder eine dauernde Eigenschaft ausdrückt. Dies muss je nach Kontext und Bedeutung des Verbs sowie seinen Ergänzungen von Fall zu Fall entschieden werden (vgl. Menuet 1997:237). In den meisten Fällen muss jedoch davon ausgegangen werden, dass sich der Sinn des Adjektivs von dem des dazu gehörigen Ausgangsverbs im Laufe der Zeit verändert hat (pouvant - können; puissant - mächtig; valant - geltend; vaillant - tapfer; sachant - wissen, können; savant - gelehrt, Reumuth/Winkelmann 1994:343).
In Hinsicht auf die Übersetzung des Adjectif Verbal im Deutschen kann festgestellt werden, dass dieses in der Regel durch ein Adjektiv (un colis très encombrant - ein sehr sperriges Paket, Dethloff/Wagner 2002:290), das deutsche Partizip Präsens (de l’eau courante - fließendes Wasser, ebd.), einen Relativsatz (une profession exigeante
- ein Beruf, der hohe Anforderungen stellt, ebd.) oder auch durch ein Kompositum
(l’escalier roulant - Rolltreppe; film parlant - Tonfilm; ver luisant - Glühwürmchen, Confais 2000:90) wiedergegeben wird.7
2.2.2 Participe Présent vs. Gérondif
Über die Ähnlichkeit bzw. die Verschiedenheit von Participe Présent und Gérondif, die beide, ebenso wie der Infinitiv, infinite Verbformen sind, wurde in der Literatur bisher kein einheitlicher Konsens gefunden. Die Meinungen reichen dabei von der Annahme, dass es sich bei Gérondif und Participe Présent nicht um zwei homonyme Formen, sondern vielmehr um zwei verschiedene Funktionen eines Morphems handele (vgl. Zemb 1978:304) bis hin zur Auffassung, dass das Gérondif überhaupt nicht existiere, sondern dass es im Französischen nur eine einzige Form auf -ant gäbe, die hin und wieder mit der Präposition en kombiniert werde (vgl. Henrichsen 1967:100).
Hinsichtlich der Verwendung der beiden Formen kann festgestellt werden, dass das Participe Présent hauptsächlich in der geschriebenen Sprache (insbesondere zur Verkürzung von Relativ- und Adverbialsätzen sowie prädikativ) gebraucht wird, während das Gérondif sowohl in der geschriebenen als auch in der gesprochenen Sprache gleichermaßen Anwendung findet (vgl. Halmøy 2003a:3; Langenscheidt 1998:188; Schmidt-Knäbel 1969:265).
Der Herkunft nach zu urteilen entspricht die Funktion des Gérondif im Französischen der des Gerundiums im Lateinischen. So wird beispielsweise bei dem lateinischen Satz fabricando fit faber (Dethloff/Wagner 2002:283) der Ablativ des Gerundiums zum Ausdruck der Modalität verwendet. Die französische Entsprechung wäre etwa: C’est en forgeant qu’on devient forgeron (ebd.). Das französische Gérondif ist also vom lateinischen Gerundium abgeleitet, wobei die lateinische Endung -ando (fabricando) in sprachhistorischer Entwicklung zu -ant geworden ist. Aufgrund der Tatsache, dass das Participe Présent im Laufe der Sprachentwicklung die gleiche Form wie das Gérondif angenommen hat (amantem - aimant, ebd.), wurde Letzteres im älteren Französisch zur besseren Unterscheidbarkeit durch zusätzliche Präpositionen (par, sans, en) abgegrenzt (vgl. ebd.). Nach und nach hat sich dabei die Präposition en durchgesetzt, welche heute für die meisten Grammatiker als kennzeichnend für die Form des Gérondif gilt (vgl. ebd.: 278ff). Aufgrund dieser Präposition können nach Ansicht Halmøys (vgl. 2003a:153) Gérondif und Participe Présent nicht als homophone oder homographe Formen bezeichnet werden, da das Gérondif durch die vorangestellte Präposition en stets eine Silbe mehr hat als die entsprechende Form des Participe Présent.
Ferner hat das Participe Présent im Unterschied zum Gérondif die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Tempora zu unterscheiden. Die Bildung eines prädeterminierten Tempus (*en étant sorti) ist mit dem Gérondif nicht möglich. Sämtliche Tempusstufen werden im Falle des Gérondif durch die postdeterminierte Form en sortant ausgedrückt (vgl. Schmidt-Knäbel 1969:232). Die Form des Gérondif erfährt dadurch eine „fast blockartige Geschlossenheit, die keines der anderen ã- Adverbien8aufzuweisen hat“ (ebd.: 233).
Wenn man von den Fällen absieht, bei denen sich die Form des Participe Présent zu einer Präposition weiterentwickelt hat (pendant, durant, concernant, usw.), kann das Participe Présent im modernen Französisch auf syntaktischer Ebene in einigen Fällen gebraucht werden, in denen das Gérondif ausgeschlossen ist. So ergänzt das (verbundene) Participe Présent beispielsweise, im Gegensatz zum Gérondif, ähnlich wie im Deutschen ein Substantiv und nicht das Verb und fungiert dabei, je nach Kontext, nicht selten als „Verkürzung eines einschränkenden oder erläuternden Relativsatzes mit qui“ (Dethloff/Wagner 2002:287):
(2) Je vis un monsieur se dirigeant vers la porte d’entrée.
= un monsieur qui se dirigeait vers la porte d’entrée. (einschränkender Relativsatz)
(Dethloff/Wagner 2002:287)
(3) Etudiant, parlant couramment l’allemand et l’espagnol, cherche un emploi comme interprète.
= un étudiant qui parle couramment l’allemand et l’espagnol, […]. (erläuternder Relativsatz) (ebd.)
Dieser Gebrauch des Participe Présent ist jedoch nur möglich, wenn das Subjekt des Relativsatzes mit dem des Participe Présent übereinstimmt. Das Participe Présent wird dabei attributiv gebraucht und steht unmittelbar nach dem Substantiv, welches es determiniert (vgl. Halmøy 2003a:32,155). Das Participe Présent kann ferner, im Gegensatz zum Gérondif, sowohl als Attribut zum Subjekt als auch als Attribut zu einem direkten oder indirekten Objekt gebraucht werden (vgl. Halmøy 2003a:32f).
Das Participe Présent kann darüber hinaus, anders als das Gérondif, in einer unverbundenen bzw. absoluten Partizipialkonstruktion, die ein eigenes Subjekt hat, gebraucht werden (vgl. Dethloff/Wagner 2002:297):
(4) La nuit tombant, ils sont rentrés chez eux.
(Halmøy 2003a:31)
Nach Einbruch der Dunkelheit sind sie nach Hause gegangen. [Übersetzung durch d. Verf.]
In dieser Funktion wird es, ebenso wie das verbundene Participe Présent, als verkürzende Variante eines Nebensatzes verwendet, wobei es jedoch ein eigenes, ihm vorausgehendes Subjekt hat, welches im Übrigen kein Personalpronomen oder ce sein kann. Das Subjekt kann beispielsweise ein Substantiv, ein Indefinitpronomen oder ein Demonstrativpronomen sein (vgl. Menuet 1997:239). Diese absolute Verwendung des Participe Présent ist vor allem in der geschriebenen Sprache sehr gebräuchlich (vgl. Dethloff/Wagner 2002:297).
Des Weiteren kann das Participe Présent als freies Attribut gebraucht werden. In dieser Funktion kann es innerhalb des Satzes sowohl vorangestellt als auch nachgestellt werden. Nur in dieser Verwendung kann es in bestimmten Fällen durch das Gérondif ersetzt werden, ohne dass sich der Sinn ändert. Nach Auffassung Halmøys (vgl. 2003a:34) resultiert aus der Austauschbarkeit der beiden Formen genau bei dieser Funktion die Annahme einiger Autoren, dass Participe Présent und Gérondif grundsätzlich austauschbar seien bzw. zwei Varianten der gleichen Formen darstellen. Aber auch in dieser Verwendung ist das Gérondif weit davon entfernt, das Participe Présent generell ersetzen zu können:
(5) Emile a rencontré Léa (,) sortant du cinéma.
(Halmøy 2003a:35)
Emile traf Léa, die das Kino verließ. [Übersetzung durch d. Verf.]
(6) Emile a rencontré Léa en sortant du cinéma.
(Halmøy 2003a:35)
Emile traf Léa, als er das Kino verließ. [Übersetzung durch d. Verf.]
In diesem Falle würde der Austausch von Participe Présent und Gérondif den Sinn der Aussage ändern. So ist es in Beispiel (5) „Léa“, die das Kino verlässt und in Beispiel (6) „Emile“. Dies erklärt sich dadurch, dass sich das Participe Présent in der Regel auf die Nominalgruppe bezieht, die ihm unmittelbar vorausgeht (vgl. Reumuth/Winkelmann 1994:338). In diesem Falle wäre dies „Léa“. Das Gérondif dagegen bezieht nach der Regel des „sujet implicite“ (Halmøy 2003:109), auf das in 2.5.1 näher eingegangen wird, auf das „Hauptsubjekt“ (Menuet 1997:242), in diesem Falle also „Emile“. Ein Beispiel für die Austauschbarkeit der beiden Formen ohne Sinnänderung wäre folgender Satz:
(7) Arrivant à Paris, Emile a proposé à Leá de l’aider à déménager.
(Halmøy 2003a:157)
In Paris angekommen, bot Emile Léa an, ihr beim Umzug zu helfen. [Übersetzung durch d. Verf.]
(8) En arrivant à Paris, Emile a proposé à Léa de l’aider à déménager.
(Halmøy 2003a:157)
In Paris angekommen, bot Emile Léa an, ihr beim Umzug zu helfen. [Übersetzung durch d. Verf.]
Dabei kann beobachtet werden, dass die Form auf -ant am Anfang eines Satzes meist als „repère temporel“ (Halmøy 2003a:159) gebraucht wird. In diesem Zusammenhang werden häufig Verben der Bewegung (z. B. arriver, entrer, rentrer, partir, ebd.) oder auch der Wahrnehmung (z. B. voir, apercevoir, examiner, ebd.) verwendet. In diesem Fall sind Gérondif und Participe Présent in der Regel austauschbar (ebd.). Wie Halmøy (vgl. 2003a:161) anmerkt, können diese Beispiele für die Austauschbarkeit der beiden Formen nur exemplarischen Charakter haben, da eine Detailuntersuchung der Austauschbarkeit von Gérondif und Participe Présent noch ausstehe.
Im Anschluss an die Untersuchung des ausschließlichen Gebrauchs des Participe Présent sollen im Folgenden die Fälle aufgeführt werden, bei denen das Gérondif im Gegenzug nicht durch das Participe Présent ersetzt werden kann. So kann das Gérondif beispielsweise im Unterschied zum Participe Présent mit Hilfe des Morphems c’est… que und seinen Varianten syntaktisch hervorgehoben werden (vgl. Dethloff/Wagner 2002:282):
(9) C’est en s’appliquant un peu plus qu’il aurait de meilleures notes.
(Dethloff/Wagner 2002:282)
Wenn er ein bisschen fleißiger wäre, hätte er bessere Noten. [Übersetzung durch d. Verf.]
Des Weiteren kann das Gérondif im Unterschied zum Participe Présent als syntaktisch unabhängige Antwort auf eine Frage gebraucht werden (Dethloff/Wagner 2002:282):
(10) Par quel moyen aurait-il de meilleures notes ? - En s’appliquant un peu plus.
(Dethloff/Wagner 2002:282)9
Wodurch könnte er bessere Noten erzielen? - Durch mehr Fleiß. [Übersetzung durch d. Verf.]
Schmidt-Knäbel (vgl. 1969:247) merkt in diesem Zusammenhang an, dass das Gérondif über eine weitaus größere syntaktische Selbständigkeit verfügt als das Participe Présent.10
Ebenso kann nur das Gérondif als adverbiale Bestimmung der Art und Weise ohne Ergänzung fungieren, nicht jedoch das Participe Présent (vgl. Französisch- Lehrbuch).11
(11) Il sortit en courant (Halmøy 2003a:153) Er rannte hinaus.
[Übersetzung durch d. Verf.]
Im Bereich der Semantik ist zu beobachten, dass das Gérondif zur Verkürzung von temporalen, konditionalen und konzessiven Nebensätzen in gleicher Weise verwendet wird wie das verbundene Participe Présent. Jedoch kann das Gérondif nicht, wie bereits festgestellt, wie das Participe Présent einen Relativsatz ersetzen. In Bezug auf den Modalsatz gilt dabei Folgendes: Zur Verkürzung eines modalen Nebensatzes kann nur das Gérondif verwendet werden.
2.2.3 Übersicht
Zur besseren Unterscheidung der drei Formen auf -ant soll folgende Übersicht beitragen:
Grammatische Eigenschaften
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten 12
Bedeutung als Ersatz für einen qui-Relativsatz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten13
Bedeutung als Umstandsergänzung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.3 Morphologische Charakteristika
Das Gérondif setzt sich morphologisch aus drei Elementen zusammen: der Präposition en, dem Verbstamm sowie der unveränderlichen Verbalendung -ant. Dabei wird in der Fachliteratur immer wieder die Frage erörtert, ob en als Präposition, als Marker, als Konnektor oder gar als Präfix zu betrachten ist. Hinsichtlich der Form des Gérondif beseht des Öfteren Unklarheit darüber, ob es sich um ein Participe Présent oder um eine homonyme Form handelt, die sich nicht aus dem Participe Présent, sondern aus dem lateinischen Gerundium heraus entwickelt hat (vgl. Halmøy 2003a:62f).
2.3.1 Die Präposition en
2.3.1.1 Bedeutung von en
Aus diachronischer Sicht besteht kein Zweifel daran, dass das Morphem en des Gérondif eine Präposition ist. Auch wenn es im Altfranzösischen noch möglich war, andere Präpositionen wie à, de, par, pour, (por), parmi, etc. in Verbindung mit dem Gérondif zu verwenden, so hat sich im heutigen Französisch die Präposition en durchgesetzt. Die Meinungen der Sprachwissenschaftler über diese Partikel gehen dabei häufig auseinander. So ist beispielsweise für Frontier (1997:630) das Gérondif „la déclinaison de l’infinitif“. Aus synchronischer Sicht ist es hingegen fraglich, ob en, das im heutigen Französisch durch keine andere Präposition mehr ersetzt werden kann, als Infinitivsyntagma bezeichnet werden kann. So sehen andere darin eher einen einfachen Marker, Konnektor oder gar ein Präfix. Für Halmøy (1982:50) ist en dagegen eine „préposition incolore“, da für sie - genau wie für Weerenbeck (vgl. 1927:306) - die Frage nach der Eigenbedeutung von en keinen Sinn macht (vgl. Halmøy 1982:5). Halmøy (vgl. 2003a:63) betrachtet aufgrund der Diachronie diese Bezeichnung von en in Bezug auf das Gérondif als am gerechtfertigsten. Sie räumt jedoch ein, dass die Auffassung, bei en handele es ich um einen Marker oder um ein diskontinuierliches Morphem, die Einzigartigkeit dieser Form nicht nur im Französischen, sondern auch in kontrastiver Sicht innerhalb der Gesamtheit der indo-europäischen Sprachen im Vergleich zu den romanischen und germanischen Sprachen besser unterstreicht. Laut Halmøy (vgl. ebd.) handelt es sich hierbei um einen Grammatikalisierungsprozess, der noch nicht ganz abgeschlossen ist.
2.3.1.2 Wiederholung von en
Auch wenn en, zumindest aus morphologischer Sicht, das Hauptunterscheidungs- merkmal zwischen Participe Présent und Gérondif darstellt, kann das Morphem entgegen der oftmals aufgestellten Regel, dass es unabdingbarer Bestandteil des Gérondifsyntagmas ist (s. z. B. Frank 1993:247), in bestimmten Fällen wegfallen. Auch wenn der Gebrauch von en nicht mehr wie bis zum 17. Jahrhundert fakultativ ist, so gibt es auch heutzutage noch Ausnahmen, bei denen der Wegfall des Morphems gerechtfertigt ist.
Treten zwei oder mehrere Formen des Gérondif, etwa im Rahmen einer Aneinanderreihung durch eine Konjunktion (et, ou, etc.), koordiniert auf, so wird en in der Regel wiederholt (vgl. Halmøy 2003a:65):
(12) Elle arriva en bâillant et en s’étirant. (Halmøy 2003a:65)
(13) Personne n’est passé, en montant ou en descendant, par l’escalier. (Halmøy 1982:52).
Im Falle einer engen inhaltlichen Beziehung zwischen zwei oder mehreren aufeinander folgenden Gérondifkonstruktionen braucht es jedoch nicht wiederholt zu werden (vgl. Dethloff/Wagner 2002:280). Dies kann unter anderem der Fall sein, wenn die beispielsweise durch die Konjunktion et aneinander gereihten Gérondifformen eine semantische Einheit bilden:
(14) Grimper les sept hauts étages en tirant et poussant ses lourdes valises lui avait pris vingt minutes.
(Halmøy 2003a:66)
Ebenso kann en bei Aufzählungen wegfallen, ein Verfahren, welches nicht obligatorisch ist, sondern vielmehr stilistische Gründe hat:
(15) En cirant, les escarpins, fendant les pantalons corsaires sur le coté, déboutonnant les robes de haut en bas, soufflant sous les jupes- cercles, attachant les ceintures, agrafant les bustiers, élargissant les carrures, prenant des gants et baissant les voilettes, [la mode] a déculpabilisé celles qui mouraient d’envie de changer leur vocabulaire.
(Halmøy 2003a:66).
Durch den Wegfall von en wirkt ein Satz meist weniger schwerfällig und damit lebendiger. Bei diesem Beispiel handelt es sich also um eine Aufzählung von neun Gérondifformen, bei denen die Präposition en nur bei der ersten Form vorangestellt wird und nicht etwa um eine Gérondifkonstruktion, gefolgt von acht Participe-Présent- Konstruktionen (vgl. Halmøy 1982:54).14
Ein weiteres Beispiel für den möglichen Wegfall des Morphems en stellt die Periphrase aller + Form auf -ant dar, die insbesondere bei den Verben, die eine Progression ausdrücken (z. B. augmenter, croître, diminuer, s’intensifier, etc., Dethloff/Wagner 2002:281), auftritt:
(16) C’est pourquoi Halihodzic s’en va répétant. (Le Figaro, zitiert nach Arnavielle 2003:44)
(17) Le prix des carburants va (en) augmentant. (Dethloff/Wagner 2002:281)
Darüber hinaus findet man dieses Phänomen häufig in der gehobenen, literarischen Sprache (vgl. Dethloff/Wagner 2002:281) sowie bei festen Wendungen, die sich bis heute gehalten haben (vgl. Fuchs 1992:80):
(18) Faire semblant
Généralement parlant Tambour battant
(Fuchs 1992:80).
2.3.2 Verbstamm mit der Endung -ant
Der Verbstamm mit der Endung -ant der Gérondifform unterscheidet sich formell nicht von der Form des Participe Présent, wie sie von den Grammatiken definiert wird. Auch wenn Gérondif und Participe Présent morphologisch gesehen oft als homonym bezeichnet werden, so sind die beiden Formen in syntaktischer Hinsicht doch grundlegend verschieden.15Die Endung -ant ist bei beiden Formen unveränderlich, d. h., Participe Présent und Gérondif sind, ebenso wie der Infinitiv, infinite Verbformen (vgl. Halmøy 1982:58). Die Formen des Participe Présent bzw. die des Gérondif können nicht immer von der des Infinitivs abgeleitet werden. Ausnahmen von dieser Regel sind beispielsweise die Formen sav-oir/sach-ant, prend-re/pren-ant, boi-re/bu-vant, li-re/lis-ant, cui-re/cuis-ant, etc. Leitet man die Form des Gérondif von der ersten Person Plural ab, bleiben nur noch drei Ausnahmen: être (sommes/étant), avoir (avons/ayant) sowie savoir (savons/sachant). Am Ratsamsten ist es jedoch, die Form des Gérondif von der des Subjonctif zu erschließen, ein Verfahren, bei dem nur noch eine Ausnahme bleibt: être/étant (vgl. Halmøy 1982:58f).
Es existiert jedoch eine geringe Anzahl defektiver Verben, die weder ein Participe Présent noch ein Gérondif bilden können. Dazu zählen unpersönliche Verben wie falloir oder auch Verben, die zur Beschreibung des Wetters dienen (z. B. pleuvoir). Darüber hinaus können auch einige wenige Verben zwar ein Participe Présent bilden, aber kein Gérondif. In diesem Zusammenhang wäre das unpersönliche Verb s’agir de zu erwähnen, welches zwar die Form s’agissant de bilden kann, wohingegen *en s’agissant de ausgeschlossen ist. Anzumerken wäre in diesem Zusammenhang, dass diese Formen zwar nach morphologischen Kriterien keineswegs ausgeschlossen sind und rein formal ohne Probleme existieren könnten (en s’agissant de, en pleuvant, usw.), jedoch aus syntaktischen Gründen nicht verwendet werden. Die Beschränkungen für das Gérondif sind dabei erheblich strenger als für das Participe Présent (vgl. Halmøy: 2003a:64).
Des Weiteren existieren für das Participe Présent einfache sowie zusammengesetzte Aktiv- und Passivformen, wobei die zusammengesetzten Formen zum Ausdruck der Vorzeitigkeit dienen (vgl. Menuet 1997:235).
prenant ayant pris (appelé participe présent)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Halmøy 1982:60)
Das Gérondif tritt in der Regel nur in der einfachen Form auf. Es existieren zwar einige Formen des „gérondif composé“ (Halmøy 1982:61), jedoch werden diese in den Grammatiken in den seltensten Fällen erwähnt und sind auch laut Halmøy in der französischen Standardsprache nicht vertreten (vgl. ebd.: 60). Auch in diesem Falle gilt, dass diese Formen zwar morphologisch durchaus möglich wären, jedoch aus syntaktischen Gründen keine Anwendung finden (vgl. ebd.: 61).
2.4 Syntaktische Charakteristika
Das Gérondif, welches im vorangegangen Kapitel als zusammengesetzte Form aus drei Elementen definiert worden ist, soll im Folgenden auf seine syntaktischen Merkmale sowie die Hierarchiebeziehungen innerhalb des Satzes hin untersucht werden. Das Gérondif ist eine adverbiale Ergänzung zum Verb und vereint somit die Charakteristika der infiniten Verbformen mit denen einer adverbialen Bestimmung. Daher ist es sowohl eine überordnende als auch eine übergeordnete Form. Es kann als adverbiale Form als untergeordnet bezeichnet werden, da es sich an einen „Kern“ (vgl. Halmøy 2003a:70) anschließt, zu dem es eine fakultative Ergänzung darstellt. Als Verbalform fungiert es als „forme régissante“ (ebd.), ebenso wie das Participe Présent und der Infinitiv. Es lässt dabei alle möglichen Verbergänzungen zu, wie beispielsweise direkte oder indirekte Objekte, adverbiale Ergänzungen, etc. Das Element -ant hat in diesem Zusammenhang keinerlei Einfluss, weder auf die Rektion noch auf die Anzahl der Verbalergänzungen. Als infinite Verbform wie das Participe Présent und der Infinitiv gibt es selbst keine Auskunft über Tempus, Modus oder Person, wie es bei konjugierten Verbformen der Fall ist. Das Gérondif hat auch kein syntaktisch ausgedrücktes Subjekt, sondern bezieht sich in der Regel auf das übergeordnete Verb des Hauptsatzes (vgl. ebd.: 70f).16
2.4.1 Die Bezugsgrößen des Gérondif
2.4.1.1 Das verbundene Gérondif
Im Gegensatz zum Participe Présent, welches in der Regel ein Nominalsyntagma determiniert, bezieht sich das Gérondif in der Mehrzahl der Fälle auf ein übergeordnetes Verb. Dieses kann ein finites oder ein infinites Verb (Infinitiv, Participe Présent oder eine andere Gérondifkonstruktion) sein (vgl. Halmøy 2003a:72). Das konjugierte Verb liefert dabei die notwendigen Informationen zu Tempus, Modus und Person:
(19) Elle sort de la ville en longeant la mer.
(Halmøy 2003a:72)
(20) Sortir en longeant la mer. (ebd.)
(21) Tu te vois courant au-devant des mitrailleuses en brandissant un drapeau brésilien?
(Cavanna, zitiert nach Halmøy 2003a:72)
(22) Sur cent délinquants juvéniles interrogés au hasard, vingt-deux ont reconnu avoir copié des méthodes criminelles apprises en regardant la télé.
(Le Nouvel Observateur, zitiert nach Halmøy 2003a:72.)
(23) Nous tournions lentement nos cuillères dans nos tasses en surveillant distraitement l’esplanade sur laquelle se pressaient des centaines de personnes en essayant de repérer Charlie ou Rémi dans la foule. (Toussaint, zitiert nach Halmøy 2003a:72).
Darüber hinaus kann das Gérondifsyntagma in seltenen Fällen auch auf ein Adverb oder eine adverbiale Bestimmung der Zeit oder des Ortes folgen (vgl. Halmøy 2003a:73):
(24) Le lendemain matin, en buvant son chocolat, elle relit ses notes, consulte ses documents, et entreprend la rédaction du texte.
(Télérama, zitiert nach Halmøy 2003a:73).
(25) Ma chambre est au premier étage, à gauche en regardant la mer. (Duras, zitiert nach Halmøy 2003a:74)
In dieser Verwendung kann das Gérondifsyntagma nicht durch ein Participe Présent ersetzt werden. Gleiches gilt für folgende Beispiele, in denen ein Nominalsyntagma als Bezugsgröße für das Gérondifsyntagma fungiert (vgl. Halmøy 2003a:75):
(26) La drague en chattant
(Libération, zitiert nach Halmøy 2003a:75).
(27) Tu te souviens de ton émotion en recevant cette lettre? (Halmøy 2003a:75)
Die beiden letztgenannten Fälle, bei denen das Gérondif ein Nominalsyntagma bzw. eine adverbiale Bestimmung der Zeit oder des Ortes determiniert, bezeichnet Halmøy (2003a:72) auch als „cas marginaux“. Über die bereits genannten Bezugsgrößen hinaus tritt das Gérondifsyntagma, als einzige der drei Formen auf -ant, auch als fakultative Determination beim Adjektiv auf. Laut Schmidt-Knäbel (vgl. 1969:242) kann diese Funktion als durchaus geläufig bezeichnet werden, erweist sich jedoch im Häufigkeitsvergleich mit der Verwendung der Gérondifkonstruktion bei Verb und Adverb als seltener.
(28) Enfin la connaissance lui revint, et ses premiers mots en levant les paupières furent : Je ne suis donc pas morte.
(Dic Cont, zitiert nach Schmidt-Knäbel 1969:242)
(29) Va chercher le thermomètre minute, dis-je, dans le deuxième tiroir à droite de mon bureau, en partant du haut.
(Beck Moll, zitiert nach Schmidt-Knäbel 1969:242)
2.4.1.2 Das unverbundene Gérondif
Darüber hinaus findet man auch zahlreiche Beispiele, in denen kein Bezug zwischen Gérondif und finitem Verb besteht und die Form die syntaktische Freiheit besitzt, wie jedes andere prädeterminierte Adverb zu fungieren (vgl. Schmidt-Knäbel 1969:247f). Im folgenden Beispiel könnte man das Gérondif ohne Probleme durch ein „Adverb mit Substantivlexem“ (ebd.: 248) ersetzen, da es keinen direkten syntaktischen Bezug zum finiten Verb hat:
(30) C’est aujourd’hui samedi. Je l’avais pour ainsi dire oublié, mais en me levant/ce matin, cette idée m’est venue.
(Camus, zitiert nach Schmidt-Knäbel 1969:248)
Die hier zu beobachtende „syntaktische Verselbständigung“ (Schmidt-Knäbel 1969:248) tritt bei bestimmten Gérondifformen häufiger auf als bei anderen. Der Gebrauch ist beispielsweise bei den Formen en admettant, en supposant oder en attendant, welche geradezu regelmäßig ohne einen syntaktischen Bezug zu einem finiten Verb auftreten, verstärkt zu beobachten (vgl. Schmidt-Knäbel 1969:249):
(31) En admettant qu’il ait raison, quelles chances a-t-il de s’en tirer ? (Halmøy 2003a:79)
(32) En supposant Valville fort touché de ma perte, combien son chagrin durerait-il ?
(Schmidt-Knäbel 1969:249)
Bei diesen Beispielen für das weiter grammatikalisierte Gérondif ist die Aktivität der Gérondifform vollkommen erloschen und der Leser ist sich nicht mehr der Tatsache bewusst, „dass es sich hier um ein Adverb mit Verblexem handelt, das eine bestimmte syntaktische Konstellation verlangt“ (Schmidt-Knäbel 1969:249).
Auch bei der Übersetzung weisen diese weiter grammatikalisierten Formen Besonderheiten auf, die in der sich anschließenden Korpusanalyse näher erörtert werden sollen.
2.4.2 Die Ergänzungen des Gérondif
Aufgrund des prädeterminierend auftretenden Morphems en, das beim heutigen Gérondif obligatorisch ist17 und die Funktion der Minimalergänzung übernimmt, bezeichnet Schmidt-Knäbel (1969:229) das Gérondif als eine „stets ergänzte Form“. Abgesehen von dieser obligatorischen Ergänzung sind die verbalen Ergänzungen des Gérondif, die Schmidt-Knäbel (1969:233) in „lexematische“ und „morphematische“ Ergänzungen unterteilt, fakultativer Natur und können daher wegfallen, ohne den syntaktischen Bestand der Gesamtkonstruktion zu gefährden. Lexematische Ergänzungen treten dabei, analog zu den Stellungsverhältnissen beim französischen Verb, ausnahmslos in der Nachstellung auf. Morphematische Ergänzungen, wie beispielsweise Personalpronomen, werden dagegen vorangestellt (vgl. ebd.).
Zu den häufigsten lexematischen Ergänzungen zählt das direkte Objekt, welches beispielsweise in Form einer Nominalgruppe erscheinen kann, wobei das Substantiv mit oder ohne Artikel auftreten kann. Auch der Infinitiv fungiert häufig als Ergänzung beim Gérondif und wird nicht selten durch zusätzliche Morpheme wie à oder de eingeleitet. Zu den weiteren lexematischen Ergänzungen, die mit dem Gérondif gebraucht werden, zählen der que-Satz sowie die direkte Rede. Seltener verwendet wird dagegen das indirekte Objekt, welches ausschließlich in Form einer Nominalgruppe auftaucht (vgl. Schmidt-Knäbel 1969:233).
Darüber hinaus kann das Gérondif auch mit Hilfe nachgestellter Adverbien ergänzt werden (z. B. en réfléchissant bien, en parlant ainsi, en s’approchant de moi, SchmidtKnäbel 1969:234f). Die verschiedenen lexematischen Ergänzungen können dabei in Kombination auftreten. Häufig zu beobachten ist das Zusammentreffen eines direkten Objekts mit einem oder mehreren Adverbien sowie die Kombination zweier oder mehrerer Adverbien in der Nachstellung (vgl. ebd.: 235):
(33) Il porte à ses lèvres la coupe de champagne, déjà bu aux trois quarts, et la vide d’un trait en rejetant la tête en arrière.
(Rob Mais, zitiert nach Schmidt-Knäbel 1969:235)
(34) L’Américain, que ce débit de lamentation exaspère, commence à
secouer son interlocuteur en se penchant sur lui pour le tenir par les épaules.
(Rob Mais, zitiert nach Schmidt-Knäbel 1969:235).
Seltener dagegen wird ein direktes mit einem indirekten Objekt oder ein indirektes Objekt mit einem Adverb kombiniert (vgl. Schmidt-Knäbel 1969:235).
Außer den lexematischen Ergänzungen kann das Gérondif auch durch morphematische Elemente modifiziert werden. Häufig anzutreffen ist dabei die Ergänzung durch die direkten Objektpronomen me, te, le, la, en, nous, vous und les. Ergänzungen durch die indirekten Objektpronomen lui und leur sind dagegen eher selten. Ferner kann das Gérondif durch das morphematische Adverb y ergänzt werden, welches laut SchmidtKnäbel (vgl. 1969:237) der einzige morphematische Vertreter der Funktionsklasse Adverb darstellt, der zusammen mit einem Gérondif auftreten kann.
Darüber hinaus kann das Gérondif verneint werden und alle Arten verbaler Negationsmorpheme bei sich haben (ne…pas, ne…plus, ne…que, ne…rien, ne…jamais, usw.), wobei ihre Stellung der beim finiten Verb entspricht (vgl. Schmidt-Knäbel 1969:237).
Morphematische Ergänzungen können sowohl untereinander als auch mit lexematischen Ergänzungen kombiniert werden (vgl. Schmidt-Knäbel 1969:239):
(35) Elle avait un air tout à fait neutre - à la fois sure de ce qu’elle racontait en n’y attachant aucune importance - avec un sourire vaguement professionnel sur les lèvres.
(Rob Voy, zitiert nach Schmidt-Knäbel 1969:239)
2.4.3 Stellung des Gérondif
Hinsichtlich der Stellung des Gérondif fällt die große Flexibilität dieser Form auf, die auch bei den anderen adverbialen Ergänzungen festgestellt werden kann. In diesem Zusammenhang spricht Schmidt-Knäbel (vgl. 1969:251) von drei charakteristischen Stellungen, Halmøy (vgl. 2003a:83f) gar von sieben möglichen Positionierungen. Nach Ansicht Schmidt-Knäbels (vgl. 1969:251f) kann das Gérondif vor, zwischen und nach dem Subjekt und dem finiten Verb eines Satzes stehen, wobei als Ergebnis ihrer Analyse die Nachstellung, gefolgt von der Voranstellung und der Zwischenposition, am häufigsten auftritt. Nach Halmøy, die die möglichen Positionen des Gérondif näher spezifiziert, kann das Gérondifsyntagma folgende Stellungen im Satz einnehmen:
Initialposition („position initiale“):
En sortant du cinéma, Emile a rencontré Léa. (Halmøy 2003a:83)
Zwischen Subjekt und finitem Verb („position préverbale“): Emile, en sortant du cinéma, a rencontré Léa. (ebd.)
Zwischen finitem Verb und Partizip („position intercalée entre l’auxiliaire et le participe passé“):
Emile a, en sortant du cinéma, rencontré Léa. (ebd.)
Zwischen Verb und Objekt ( „position postverbale“): Emile a rencontré, en sortant du cinéma, Léa. (ebd.)
Endposition („position finale“)
Emile a rencontré Léa (,) en sortant du cinéma. (ebd.: 84)
Nach dem Verb bei fehlendem Objekt („position dite post-verbale finale“): Le liquide se répandait en dégoulinant.
(Dai Sije, zitiert nach Halmøy 2003a:84)
Unmittelbar vor der Verbergänzung („position insérée“):
Certains matins, lorsque le ciel était très bas, vous aviez l’impression, en regardant au loin, qu’une botte en bambou grimpait toute seule sur le sentier, et disparaissait dans un nuage gris. (Dai Sije, zitiert nach Halmøy 2003a:84)
Diese Beispiele zeigen die große Flexibilität des Gérondifsyntagmas und seine Fähigkeit, an allen möglichen „Satzzäsuren“ positioniert zu werden. In diesen Beispielen handelt es sich um ein Gérondif in der Funktion des „repère temporel“ (Gettrup 1977:215), bei dem sich durch die Stellungsvariationen keine grundlegenden semantischen Unterschiede ergeben und bei dem hinsichtlich der Positionierung ein großer Spielraum gegeben ist. In der Regel ist jedoch die Stellung des Gérondif aufgrund eventueller semantischer Abweichungen vorgegeben.18
2.4.4 Weitere syntaktische Besonderheiten des Gérondif
Das Gérondif zeichnet sich über seine Bezugsgrößen, seine Ergänzungen und seine Stellung im Satz hinaus durch eine Reihe weiterer syntaktischer Merkmale aus. So kann es - in weit stärkerem Maße als das Participe Présent - durch Reihung mit anderen Adverbien verbunden werden. Es kann sowohl durch direktes Nebeneinanderstellen als auch durch Reihungsmorpheme wie et, ou, car, soit…soit, c’est-à-dire, usw. verbunden werden (vgl. Schmidt-Knäbel 1969:245). Dabei können sowohl zwei Gérondifsyntagmen als auch ein Gérondifsyntagma mit Adverbien anderer Formtypen verbunden werden:
(36) Depuis que je suis gamin, je marche dans la rue en baissant la tête et en regardant fixement le sol comme si c’était une croûte à fendre, une écorce trop sèche.
(Gavalda, zitiert nach Halmøy 2003a:80)
(37) Pour l’heure, et en attendant la rafale de l’année prochaine, il faut se contenter d’une sorte de tir de sommation.
(Le Nouvel Observateur, zitiert nach Halmøy 2003a:80)
Ebenso wie andere Adverbialsätze kann auch das Gérondif durch verschiedene Elemente, wie beispielsweise Konnektoren (c’est-à-dire, bref, d’abord), Ausdrücke des Vergleichs (z. B. davantage...que; plus…que) sowie Adverbien (même, aussi, surtout, comme, tout), eingeleitet und modifiziert werden (vgl. Halmøy 2003a:81; Lang 1991:426).
Im Unterschied zum Participe Présent kann das Gérondif, wie bereits in Punkt 2.2.2 festgestellt, syntaktisch hervorgehoben werden. Dies geschieht im Französischen in Form des diskontinuierlichen Morphems c’est…que und seinen Varianten (vgl. Schmidt-Knäbel 1969: 246):
(38) Je ne comprends pas bien…, ce n’est pas en sortant de chez elle que vous êtes allés au musée Grévin.
(Proust Recht, zitiert nach Schmidt-Knäbel 1969:246)
Auch die Tatsache, dass das Gérondif als syntaktisch unabhängige Antwort auf eine Frage erscheinen kann, stellt einen weiteren Beweis für die größere syntaktische Unabhängigkeit des Gérondif im Vergleich zum Participe Présent dar (vgl. Schmidt- Knäbel 1969:247):
(39) Car comment me traîner à travers ce vaste herbage, où mes béquilles tâtonneraient en vain ? En me roulant peut-être.
(Beck Moll, zitiert nach Schmidt-Knäbel 1969:247)
Ein weiterer Beweis findet sich in der Tatsache, dass das Gérondif innerhalb eines Frage-Antwort-Systems grammatisch isoliert gebraucht werden kann. Dies ist laut Schmidt-Knäbel (1969: 247) dann der Fall, „wenn sich eine syntaktische Einheit auf das finite Verb eines vorangehenden Satzes bezieht, dieses aber nicht noch einmal wiederholt [wird]“:
(40) Cela représentait, environ, une vente pour vingt habitants - soit, en supposant des familles de cinq personnes en moyenne, une vente pour quatre foyers.
(Rob Voy, zitiert nach Schmidt-Knäbel 1969:247).
2.5 Semantisch-funktionale Charakteristika
2.5.1 Das implizite Subjekt des Gérondif
Das Gérondif als infinite Verbform, ebenso wie der Infinitiv und das Participe Présent, liefert selbst keine Informationen zu Person, Tempus oder Modus. Dennoch hat es einen Agens, d. h. einen semantischen Urheber bzw. einen Verursacher der Handlung.19 Dieser Agens hat im Falle des Gérondif jedoch nur impliziten Charakter und muss aus dem sprachlichen oder situationellen Kontext erschlossen werden. In den gängigen Grammatiken wird meist von der Regel ausgegangen, dass das Gérondif kein anderes Subjekt als das des konjugierten Verbs haben darf (s. z. B. Confais 2000:94; Reumuth/Winkelmann 1994:358). In vielen Werken werden zwar Ausnahmen von dieser Vorgabe eingeräumt, jedoch wird dabei meist der Ausnahmecharakter dieses Phänomens durch die Formulierung „Verstöße gegen diese Regel“ hervorgehoben (s. z. B. Confais 2000:94; Dethloff/Wagner 2002:280). So reduziert beispielsweise Confais (vgl. 2000:94) diese Ausnahmen auf die Umgangsprache, Menuet (1997:242) auf die „einfache Sprache“ und Dethloff/Wagner (vgl. 2002:280) auf den temporalen Gebrauch sowie auf feste Wendungen. Frontier (1997:634) schließt diesen Gebrauch sogar kategorisch aus und merkt in diesem Zusammenhang an: „Les étrangers, et même les élèves français violent facilement la règle du gérondif.“ Dass es sich dabei nicht um die Verletzung einer Regel, sondern, sofern der Bezug klar ist, um einen durchaus üblichen Gebrauch des Gérondif handelt, beweist nicht zuletzt die Untersuchung Wienens (i. Dr.). Abweichungen treten beispielsweise bei weiter grammatikalisierten Formen (z. B. en admettant que, en attendant de/que, Halmøy 2003a:115) sowie bei „verba cogitandi“ (Wienen i. Dr.) (z. B. en y réfléchissant, en y pensant, en y regardant, Halmøy 2003a:116f) auf. Ebenso sind Abweichungen von dieser Regel in Ausschnitten von Texten, wie beispielsweise in Titeln von Büchern oder in Zeitungsartikeln sowie in Wörterbucheinträgen oder Kochrezepten zu beobachten (vgl. ebd.: 117):
(41) On reconnait qu’ils sont cuits [les artichauts], quand en tirant sur une des feuilles, elle s’arrache sans effort.
(Pellaprat, zitiert nach Halmøy 2003:118)
Man erkennt daran, dass Artischocken gar sind, dass die Blätter sich mühelos herausziehen lassen.
[Übersetzung durch d. Verf.]
Darüber hinaus tritt dieses Phänomen recht häufig bei passivischen Konstruktionen auf (vgl. Halmøy 2003a:120) oder wenn das Subjekt des Hauptsatzes durch ça oder cela ausgedrückt wird (vgl. ebd.: 121):
(42) Peut-on avoir pitié d’un assassin? La question se pose en regardant ce film.
(Le Monde, zitiert nach Halmøy 2003a:119)
Kann man mit einem Mörder Mitleid haben? Die Frage stellt sich, wenn man sich diesen Film ansieht.
[Übersetzung durch d. Verf.]
(43) Le mal de poitrine, ça se guérit en mangeant des limaces rouges toutes vivantes.
(Cavanna, zitiert nach Halmøy 2003a:121)
Erkrankungen der Atemorgane können durch den Verzehr lebendiger Roter Wegschnecken geheilt werden.
[Übersetzung durch d. Verf.]
(44) C’est en forgeant qu’on devient forgeron. (Arnavielle 2003:45)
Übung macht den Meister. [Übersetzung durch d. Verf.]
[...]
1Zur Bildung von Gérondif und Participe Présent s. Langenscheidt 1998:190f.
2 Für einen ausführlichen Vergleich der einzelnen Formen mit dem Gérondif s. Halmøy 2003:11ff.
3 Vgl. auch Wienen 2006:5f.
4 Z. B. Hausmann, Franz-Josef (1975); Arnavielle, Teddy (2003); De Carvalho, Paulo (2003); Høyer, Anne-Gro, (2003).
5 Zu den Ausnahmen s. Confais 2000:89.
6 Zu den Ausnahmen s. Halmøy 2003:26f.
7 Für weitere Beispiele s. Confais 2000:90 sowie Dethloff/Wagner 2002:296.
8 Unter „ã-Adverbien“ versteht Schmidt-Knäbel die französischen Formen auf -ant, d. h. das Gérondif, das Participe Présent sowie das Adjectif Verbal.
9 Für Beispiele für den ausschließlichen Gebrauch des Gérondif s. auch Halmøy 2003:153f.
10 Zu den syntaktischen Charakteristika des Gérondif s. auch 2.4.
11 http://www.franzoesischlehrbuch.de.
12Zu den Ausnahmen dieser Regel s. 2.5.1.
13 Zu den Relationen des Gérondif s. 2.5.3.
14Zu möglichen syntaktischen Doppeldeutigkeiten s. Halmøy 2003:66f.
15 Zu den Unterschieden zwischen Gérondif und Participe Présent s. 2.2.2.
16 Zu den Ausnahmen s. 2.5.1.
17 Zu den Ausnahmen s. 2.3.1.2.
18 Zu den semantischen Charakteristika des Gérondif s. 2.5.
19 Für eine genaue Definition von „Agens“ s. Bußmann 2002:55.
- Quote paper
- Alexa Wissel (Author), 2007, Zur Übersetzung des französischen Gérondif in deutschen Urteilsversionen des Europäischen Gerichtshofs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68817
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