In seinen Aufsätzen „Die Repräsentanz des Fremden“ von 1988 und „Das Eigene und das Fremde. Ethnizität, kulturelle Unverträglichkeit und Anziehung“ von 1992 befasst sich Mario Erdheim mit den psychologischen Hintergründen im Bezug auf die menschliche Reaktion im Umgang mit dem Fremden. Erdheim ist Wissenschaftler der Richtung Ethnopsychoanalyse, die das Freudsche Instrumentarium auf die Kulturen anwendet. In seinen Aufsätzen stellt er der geschichtlichen Darstellung von Reaktionen auf das Fremde zunächst grundlegende entwicklungspsychologische Erklärungen für das menschliche Verhalten gegenüber Fremden voran. Diese sind die frühkindliche Überwindung des Ödipuskomplexes in Verbindung mit der Loslösung von der Mutter und die Autonomieentwicklung durch das Erreichen der Adoleszenz. Im Weiteren erläutert Erdheim die ambivalente Haltung, mit der der Mensch dem Fremden begegnet und stellt schließlich den Zusammenhang mit der Ablehnung des Fremden her. In dieser Hausarbeit möchte ich Erdheims Erklärung für Fremdenhass, Rassismus und Nationalismus herausstellen. Die Relevanz dieses Themas lässt sich zum einen durch die stetige Aktualität des Problems begründen. Erst vor kurzem wurde bei einer Gruppe von Neonazis Sprengstoff sichergestellt, mit dem offenbar ein Anschlag auf eine jüdische Synagoge in München geplant war (s. obige Schlagzeilen). Dies ist nur ein Beispiel von Hass und Gewalt gegen das Fremde. Dabei sind nicht, wie in diesem Fall, nur Juden betroffen - sondern jede Gruppe, die in irgendeiner Form fremd von denen ist, die sie verachten. Des Weiteren halte ich die psychologische Sichtweise in der Ursachenforschung bezüglich des Umgangs mit dem Fremden für diskutierenswert, da sie andere Formen der Analyse ergänzen kann oder entkräftet. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Relevanz des Themas
1.2 Aufbau der Arbeit
2. Der psychologische Hintergrund im Umgang mit dem Fremden
2.1 Definition der Begriffe Fremder, Rassismus und Nationalismus
2.2 Die Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung und der Antagonismus zwischen Familie und Kultur
2.2.1 Die Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung
2.2.2 Der Antagonismus zwischen Familie und Kultur
2.3 Erdheims Erklärung für das ambivalente Verhalten gegenüber Fremden
2.3.1 Das Inzesttabu und die Gesetze der Gastfreundschaft
2.3.2 Faszination neben Misstrauen und Angst – Zwei Wirkungen des Fremden
2.3.3 Die „heimische Idylle“ gegen das „schlechte Fremde“
2.4 Weitere Erklärungsansätze
2.4.1 Georg Simmels klassische Analyse des Fremden
2.4.2 Hannah Arendts Sphären – Modell
3. Resümee
3.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
3.2 Kritik
3.3 Konsequenzen
Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Razzia in München: Neonazis planten Anschlag mit 1,7 Kilo TNT (Spiegel-Online, Archiv, 10.09.2003)
München: Neonazis planten Anschlag auf Synagoge (11.09.2003)
Verhinderter Neonazi-Anschlag: Oktoberfest unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen (12.09.2003)
Neonazi-Komplott: Beckstein warnt vor Brauner Armee Fraktion (12.09.2003)
Neonazi-Attentate: Weitere Haftbefehle erlassen (13.09.2003)
Verhaftete Neonazis: Anschlagsdrohungen schon im Februar? (16.09.2003)
1.1 Relevanz des Themas
In seinen Aufsätzen „Die Repräsentanz des Fremden“ von 1988 und „Das Eigene und das Fremde. Ethnizität, kulturelle Unverträglichkeit und Anziehung“ von 1992 befasst sich Mario Erdheim mit den psychologischen Hintergründen im Bezug auf die menschliche Reaktion im Umgang mit dem Fremden.
Erdheim ist Wissenschaftler der Richtung Ethnopsychoanalyse, die das Freudsche Instrumentarium auf die Kulturen anwendet. In seinen Aufsätzen stellt er der geschichtlichen Darstellung von Reaktionen auf das Fremde zunächst grundlegende entwicklungspsychologische Erklärungen für das menschliche Verhalten gegenüber Fremden voran. Diese sind die frühkindliche Überwindung des Ödipuskomplexes in Verbindung mit der Loslösung von der Mutter und die Autonomieentwicklung durch das Erreichen der Adoleszenz. Im Weiteren erläutert Erdheim die ambivalente Haltung, mit der der Mensch dem Fremden begegnet und stellt schließlich den Zusammenhang mit der Ablehnung des Fremden her.
In dieser Hausarbeit möchte ich Erdheims Erklärung für Fremdenhass, Rassismus und Nationalismus herausstellen. Die Relevanz dieses Themas lässt sich zum einen durch die stetige Aktualität des Problems begründen. Erst vor kurzem wurde bei einer Gruppe von Neonazis Sprengstoff sichergestellt, mit dem offenbar ein Anschlag auf eine jüdische Synagoge in München geplant war (s. obige Schlagzeilen). Dies ist nur ein Beispiel von Hass und Gewalt gegen das Fremde. Dabei sind nicht, wie in diesem Fall, nur Juden betroffen - sondern jede Gruppe, die in irgendeiner Form fremd von denen ist, die sie verachten.
Des Weiteren halte ich die psychologische Sichtweise in der Ursachenforschung bezüglich des Umgangs mit dem Fremden für diskutierenswert, da sie andere Formen der Analyse ergänzen kann oder entkräftet.
1.2 Aufbau der Arbeit
Um Erdheims Gründe für Fremdenhass, Rassismus und Nationalismus zu erläutern, habe ich den Hauptteil dieser Arbeit in vier Unterpunkte gegliedert. Zunächst möchte ich den Begriff Fremder, wie er sich aus Erdheims Aufsätzen ergibt klären. Darüber hinaus werde ich die Begriffe Rassismus und Nationalismus definieren, da ihnen eine unterschiedliche Bedeutung zukommt, die im Vorfeld der Erörterung geklärt sein sollte. Im weiteren Verlauf werde ich auf die psychologischen Hintergründe in der Erklärung Erdheims eingehen, indem ich die These von der Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung und die vom Antagonismus zwischen Familie und Kultur zusammenfassend verdeutliche. Danach folgt die Hinführung auf die Zusammenhänge zwischen diesen psychologischen Grundlagen im Menschen und die Entwicklung des ambivalenten Verhaltens gegenüber Fremden, wie es Erdheim sieht. Zuletzt ziehe ich im Hauptteil Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Ursachenanalysen bezüglich des Umgangs mit dem Fremden von Vertretern anderer Wissenschaften heran. Nämlich die klassische Analyse des Fremden von dem Soziologen Georg Simmel, der auch in Erdheims Ausführung eine Rolle spielt und das Sphären – Modell nach der Philosophin Hannah Arendt, deren Arbeit sehr politisch orientiert ist.
Im Schlussteil biete ich eine Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Untersuchung von Erdheims Betrachtungen bezüglich des psychologischen Bildes des Fremden und stelle Konsequenzen für die Entstehung eines fremdenfreundlichen Verhaltens im Individuum heraus. Abschließen möchte ich meine Arbeit dann mit einer kritischen Überlegung zu Erdheims Gedanken.
2. Der psychologische Hintergrund im Umgang mit dem Fremden
2.1 Definition der Begriffe Fremder, Rassismus und Nationalismus
Den Definitionen von Rassismus und Nationalismus muss vorangestellt werden, dass Erdheims Darstellung des Fremden nicht ausschließlich den Fremden als Ausländer meint. Zunächst ist laut Erdheim dem Menschen all das fremd, was nicht zur eigenen Familie gehört. Das Kleinkind nimmt psychologisch gesehen alle Personen außer der Mutter als Fremde wahr. Diese Wahrnehmung wird mit höherem Alter, in der Kindheit und der Pubertät, erweitert um den Vater, die Geschwister, die übrigen Verwandten bis hin zur Kultur, mit der man sich identifiziert hat. Also wäre der Fremde nur noch derjenige, der einer anderen Kultur angehört. Des weiteren ist der Begriff des Fremden abzugrenzen von dem des Unbekannten, denn erst wenn man genug Wissen über einen Menschen vorhanden ist, kann er als Fremder bezeichnet werden. Ähnlich bedarf es auch einer Entwicklung, bevor ein Fremder als Feind betrachtet werden kann.
Rassismus und Nationalismus sind nur zwei Formen, in denen sich Fremdenfeindlichkeit oder generell fremdenablehnendes Verhalten äußern kann. Weiterhin sind Antisemitismus und Rechtsextremismus in diesem Zusammenhang wichtig. Jedoch gehe ich hier nur auf die Bedeutung von Rassismus und Nationalismus ein, weil diese Begriffe auch bei Erdheim erwähnt werden (s. Erdheim, 1996, S. 189).
Rassismus ist die pseudowissenschaftliche Begründung einer Hierarchie zwischen genetisch unterscheidbaren Menschengruppen. Dabei werden typische Verhaltensweisen und Einstellungen beispielsweise Moralvorstellungen sowie die Intelligenz auf diese biologischen Unterschiede zurückgeführt, wodurch eine (Gewalt-)Herrschaft der höherwertigen Rasse legitimiert wird. Rassismus ist vorhanden, sobald Unterschiede zwischen den Kulturen essentialisiert bzw. naturalisiert werden, d.h. sie werden als unabänderlich, dem Wesen der Kultur zugehörig dargestellt.
Den Gegenpol zum Rassismus bildet der Multikulturalismus, der die Differenzen zwischen den Kulturen betont und fordert.
Daneben gibt es den sogenannten umgekehrt rassistischen Kulturalismus, bei dem eine Abwertung der eigenen Kultur stattfindet, indem die fremde aufgewertet wird.
Nationalismus ist das übersteigerte Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen Nation, welches mit der Herabsetzung und Ablehnung anderer Nationen verbunden ist.
In Abgrenzung von dem Begriff Rasse sind die Menschen einer Nation durch gleiche Traditionen, eine gemeinsame Geschichte oder Sprache verbunden und haben gemeinsame Ziele und Ideale für das Vaterland. Der Nationalismus hat häufig in Staaten mit nationalen Minderheiten, die Eigenständigkeit erkämpfen wollen, eine gewalttätige Ausprägung.
2.2 Die Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung und der Antagonismus zwischen Familie und Kultur
Erdheims Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Fremden basiert auf den zwei Thesen Freuds vom Antagonismus zwischen Familie und Kultur und von der Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung.
Die These von der Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung geht darauf ein, dass sich die sexuelle Entwicklung des Menschen und damit die Entwicklung des Individuums in zwei Phasen vollzieht, nämlich in der frühkindlichen Überwindung des Ödipus-Komplexes und in der Pubertät (s. Erdheim, 1996, S. 184). Diese Entwicklung führt durch die Entstehung von Mutter- und Vaterrepräsentanzen in der ersten Phase zur Bildung von Imagines von Familie und Kultur und damit zu einer Repräsentanz des Fremden, was später erläutert wird.
2.2.1 Die Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung
In der ersten Phase der sexuellen Entwicklung kommt es zu einer ersten Auseinandersetzung des Kindes mit dem Fremden, das sogenannte Fremdeln tritt im Alter von acht Monaten auf. Dem liegt zugrunde, dass das Kind sich zunächst in einer „unstrukturierten und undifferenzierten Einheit mit der Mutter“ (Erdheim, 1988, S. 238) befindet, was bedeutet, das es alles als fremd und angstauslösend empfindet, was „Nicht-Mutter“ ist (Erdheim, 1988, S. 238; Erdheim, 1996, S.176). Mit dem Vorgang der „frühen Triangulation“ (Erdheim, 1988, S. 238), was bei Freud als Ödipus-Komplex bezeichnet wird, überwindet das Kind diese ausschließliche Nähe zur Mutter, die mittlerweile als Bedrohung aufgefasst wird, durch die Identifikation mit dem Vater aus Angst vor Kastration durch diesen. Der Vater, der zuvor aus der Sicht des Kindes noch der erste Fremde gewesen ist, führt damit das Inzestverbot ein (s. S. 240). Die Loslösung von der Mutter und die Hinwendung zum Fremden wird durch die Fähigkeiten „Sprache und Wissen“ (S. 238) möglich.
Damit kommt dem Fremdeln auch eine weitere Bedeutung zu, die in einem ambivalenten Zusammenhang zur Angst vor der „Nicht-Mutter“ steht: Das Kind ist zugleich neugierig und fasziniert vom Fremden und versucht, es auszutesten (s. Erdheim, 1996, S. 176). Diese Faszination garantiert gleichsam das Überleben des Kindes, falls die Mutter sterben würde (s. S. 176f).
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- Quote paper
- Anne-Christin Hummelt (Author), 2003, Fremd sind wir uns selbst: Das psychologische Bild des Fremden, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68517
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