Die Debatte um das Holocaust-Denkmal in Berlin ist mit Baubeginn des "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" 2004 nicht beendet. Unweit der Baustelle kündigt eine weiße Tafel bereits die nächste Gedenkstätte an: "Hier entsteht das Holocaust-Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma". Daß aus der Debatte um eine zentrale Holocaust-Gedenkstätte in Berlin ein exklusives Denkmal für eine Opfergruppe geworden ist, sieht selbst der Bauherr Bundestagspräsident Wolfgang Thierse problematisch: "Diese Trennung ist ein Problem, weil sich andere Opfergruppen zurückgesetzt fühlen". Und auch der renommierte Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz resümiert nach Baubeginn, es wäre besser gewesen, man hätte "ein Mahnmal für alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung gebaut". Auch nach Einweihung des Stelenfeldes von Peter Eisenmann im Frühjahr 2005 bleibt das Problem der Spezialisierung auf eine Opfergruppe bestehen: Während das Denkmal für die ermordeten Homosexuellen 2006 in Sichtweite des Juden-Mahnmals eingeweiht wurde, wird über die Gedenkstätte für die Sinti und Roma bis heute gestritten. Der Streit zwischen dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und der Sinti Allianz um die Verwendung der Begriffe „Sinti“ und „Zigeuner“ in der Inschrift markiert dabei nicht nur einen Interessenkonflikt zwischen zwei konkurrierenden Vertretungen einer Minderheit. Im Streit um die Verwendung des Begriffes „Zigeuner“ für eine Opfergruppe wird vor allem deutlich, daß sich die Einteilung der Nationalsozialisten ihrer Opfer in den KZs nicht einfach auf die Einteilung in Opfergruppen und den Bau entsprechender Denkmäler übertragen läßt. Die Unterteilung des Gedenkens in mehrere Opfergruppen und Denkmälern wird in der Forschungsliteratur nicht selten als "fatale Hierarchie der Opfer" gesehen, "fatal vor allem, weil sie eine Selektion nachvollzieht, die Deutsche schon einmal durchgeführt haben, wovor viele Beiträge der Mahnmal-Debatte vergeblich gewarnt haben.
Inhalt
1. Einleitung
1.1. Geteiltes Gedenken in Berlin
2. "Die Sache sauber halten"? Der Streit um die Widmung
2.1. Für eine ausschließlich Jüdische Widmung: Eberhard Jäckel
Kurzes Zwischenfazit
2.2. Gegen eine ausschließlich jüdische Widmung: Romani Rose
Kurzes Zwischenfazit
2.3. Vergleich der Argumentationen
3. Linke Geschichtspolitik? Schluß und Ausblick
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Geteiltes Gedenken in Berlin
Die Debatte um das Holocaust-Denkmal in Berlin ist mit Baubeginn des "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" 2004 nicht beendet. Unweit der Baustelle kündigt eine weiße Tafel bereits die nächste Gedenkstätte an: "Hier entsteht das Holocaust-Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma"[1]. Daß aus der Debatte um eine zentrale Holocaust-Gedenkstätte in Berlin ein exklusives Denkmal für eine Opfergruppe geworden ist, sieht selbst der Bauherr Bundestagspräsident Wolfgang Thierse problematisch: "Diese Trennung ist ein Problem, weil sich andere Opfergruppen zurückgesetzt fühlen"[2]. Und auch der renommierte Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz resümiert nach Baubeginn, es wäre besser gewesen, man hätte "ein Mahnmal für alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung gebaut"[3]. Auch nach Einweihung des Stelenfeldes von Peter Eisenmann im Frühjahr 2005 bleibt das Problem der Spezialisierung auf eine Opfergruppe bestehen: Während das Denkmal für die ermordeten Homosexuellen 2006 in Sichtweite des Juden-Mahnmals eingeweiht wurde, wird über die Gedenkstätte für die Sinti und Roma bis heute gestritten[4]. Der Streit zwischen dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und der Sinti Allianz um die Verwendung der Begriffe „Sinti“ und „Zigeuner“ in der Inschrift markiert dabei nicht nur einen Interessenkonflikt zwischen zwei konkurrierenden Vertretungen einer Minderheit. Im Streit um die Verwendung des Begriffes „Zigeuner“ für eine Opfergruppe wird vor allem deutlich, daß sich die Einteilung der Nationalsozialisten ihrer Opfer in den KZs nicht einfach auf die Einteilung in Opfergruppen und den Bau entsprechender Denkmäler übertragen läßt[5]. Die Unterteilung des Gedenkens in mehrere Opfergruppen und Denkmälern wird in der Forschungsliteratur nicht selten als "fatale Hierarchie der Opfer" gesehen, "fatal vor allem, weil sie eine Selektion nachvollzieht, die Deutsche schon einmal durchgeführt haben, wovor viele Beiträge der Mahnmal-Debatte vergeblich gewarnt haben"[6].
In Berlin könnte es also bald einen "Kreis von Denkmählern in abfallender Größe geben... bis hin zu den verfolgten Gartenzwergen"[7] (Wolfgang Benz), denn eine endgültige Zuordnung der Opfergruppen und damit Begrenzung der Denkmäler erscheint nahezu unmöglich: "Eine zentrale Planung entlang einer als abgeschlossen betrachteten Liste von Opfergruppen "wird mit guten Grund als nicht angemessen angesehen"[8]: Wie groß das jeweilige Denkmal ist, welche Opfergruppe miteinbezogen wird, und in welcher Lage wie prominent gebaut wird, spiegelt dabei weniger die Geschichte als vielmehr den heutigen gesellschaftliche Einfluß der Opfergruppen wider: "Wie wessen gedacht wird, ist keine Frage der moralischen Verpflichtung, sondern des Durchsetzungsvermögens" (Christina Weiss)[9]
Es stellt sich die Frage, warum es zu dieser Situation gekommen ist. Diese Hausarbeit will nachzeichnen, wie die Debatte darüber verlaufen ist, welcher Opfergruppe durch das Holocaustmahnmal geehrt werden sollte, und einen Erklärungsversuch dafür geben, warum die Initiatoren des Mahnmals eine Einschränkung auf die jüdischen Opfer so vehement verfolgten und gegen alle Kritiker durchsetzten.
1.2. Forschungsstand
Obwohl vergleichsweise jung, und wie eingangs besprochen, alles andere als abgeschlossen, ist die Debatte um das Holocaust-Mahnmal bereits sehr gut dokumentiert und wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Es liegen eine Reihe von Quellensammlungen und Darstellungen vor, hervorgehoben seien hier die überaus umfangreiche Arbeit von Claus Leggewie und Erik Meyer von 2005 "Ein Ort, an den man gerne geht. Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989" und die prägnante Analyse von Miriam Haardt "Zwischen Schandmal und nationaler Sinnstiftung" von 2001. Die meisten Darstellungen dieser Debatte haben gemeinsam, daß sie in mehrere "Unterdebatten" unterteilen: Zunächst wurde bis zur Ausschreibung des 1. Wettbewerbes am 14. April 1994 diskutiert, ob der Deutsche Staat ein zentrales Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus bauen sollte. Eng damit verknüpft und mit rhetorischer Härte geführt wurde die Auseinandersetzung, wem gedacht werden sollte.
Mit der Ausschreibung eines künstlerischen Wettbewerbs für ein "Denkmal für die ermordeten Juden" durch die "Bundesrepublik Deutschland"[10] am 14. April 1994 traten die Fragen des ob und wem in den Hintergrund. Jede Änderung der Konzeption zu Gunsten eines "Mahnmals für alle Vergasten, Erschossenen, Gehenkten und zu Tode Gequälten des NS-Terrors"[11] (Gerhard Schoenberner, jüdischer Schriftsteller) oder auch nur einer Opfergemeinschaft der Juden mit den "Zigeunern" bzw. Sinti und Roma wäre von diesem Zeitpunkt an als ein Votum gegen die jüdischen Opfer verstanden worden. Die Debatte verlagerte sich von diesem Zeitpunkt auf das W ie der Realisierung, während die Vertreter anderer Opfergruppen begannen, eigene Denkmalkonzepte zu entwerfen. Deren Errichtung wurde mit dem finalen "Beschluss des deutschen Bundestages vom 25. Juni 1999 zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ verbindlich zugesagt: "Die Bundesrepublik Deutschland bleibt verpflichtet, der anderen Opfer des Nationalsozialismus würdig zu gedenken"[12]. Es verwundert also kaum, daß in allen bisherigen Darstellungen die Diskussion um die Eingrenzung der Opfergruppe auf ein frühes Stadium der Debatte datiert wird.
Es werden in der Forschung zwei Texte als Ausgangspunkt der Diskussion hervorgehoben, die beide im April 1989 in der ZEIT erschienen: Das Plädoyer für eine ausschließlich jüdische Widmung von Eberhard Jäckel als Vertreter der „Perspektive Berlin“: "An alle und jeden erinnern? Der Plan für ein Mahnmal zum Gedenken an den Judenmord darf nicht zerredet werden"[13] und die scharfe Erwiderung des Vorsitzenden des Zentralrates der Sinti und Roma "Ein Mahnmal für alle Opfer. Im NS-Regime gab es keine Verfolgung erster oder zweiter Klasse"[14]. Diese beiden Texte sollen analysiert und die unterschiedlichen Argumente für und gegen eine ausschließlich jüdische Widmung gegenübergestellt werden. Ferner soll ein ebenfalls häufig zitiertes Interview mit dem Architekten Jakob Schulze-Rohr analysiert werden, das in der Forschungsliteratur vor allem wegen seiner frontalen Angriffe auf die Sinti und Roma immer wieder Erwähnung findet.
2. "Die Sache sauber halten"? Der Streit um die Widmung
2.1. Für eine ausschließlich Jüdische Widmung: Eberhard Jäckel
Der Text „An alle und jeden erinnern? Der Plan für ein Mahnmal zum Gedenken an den Judenmord darf nicht zerredet werden“[15] von Eberhard Jäckel erschien am 7. April 1989 in der ZEIT. Er schreibt als Vertreter der „Perspektive Berlin e.V.“[16] einem Verein mit rund 100 Mitgliedern, der in einem Aufruf vom 30.1.1989 gefordert hatte „endlich für die ermordeten Juden ein unübersehbares Denkmal zu errichten“[17]. Jäckel lehrt zu diesem Zeitpunkt als Professor für neuere Geschichte an der Universität Stuttgart. Er ist ein renommierter Historiker, der sich unter anderem durch seine Untersuchung zu Hitlers Weltanschauung[18] ausgezeichnet hat. Sein Beitrag ist eine Reaktion auf die Forderung die Opfergruppe eines Holocaust-Denkmals auch auf die Sinti und Roma auszuweiten. Unter anderem forderte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in einem Aufruf vom 11.4.1989 im Tagesspiegel eine Gleichbehandlung mit den jüdischen Opfern: „In Berlin… muß es ein gleichberechtigtes Gedenken an die Völkermordopfer geben“[19].
Jäckel erkennt zunächst an, daß der „Völkermord an den >Zigeunern<“ vergleichbar ist mit dem an den Juden. Es sei eine „Ungerechtigkeit, daß er in unserer Erinnerung... viel weniger Aufmerksamkeit findet als der Mord an den Juden“[20]. Dennoch wendet er sich gegen eine Ausweitung der Widmung, mit der Begründung, daß man, wenn man die Sinti und Roma einschlösse, auch die anderen Ermordeten, „die politisch Verfolgten, die sowjetischen Kriegsgefangenen, die Zwangsarbeiter, die Homosexuellen...“[21] nicht übergeben dürfe und das Denkmal letztlich eine pauschale Widmung, z.B. „den Opfern“[22] tragen würde.
[...]
[1] Berg, Jedem, S.130.
[2] ebd., S.130.
[3] ebd., S.131.
[4] vgl. z.B. "Opfergruppen streiten weiter über die Inschrift", SPIEGEL ONLINE, 9. Mai 2006: http/www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,415373,00.html
[5] In dieser Hausarbeit werden die Begriffe Sinti und Roma und „Zigeuner“ synonym verwendet.
[6] Leggewie, Ort, S.66.
[7] Berg, Jedem, S. 134.
[8] ebd., S.131.
[9] ebd., S.134.
[10] Text der Ausschreibung, zitiert nach: Jeismann , Mitte, S.68.
[11] zitiert nach: Leggewie, Ort, S.67.
[12] aus dem Beschluss des deutschen Bundestages vom 25. Juni 1999 zum „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, zitiert nach: Leggewie, Ort, S.232.
[13] in: DIE ZEIT, 7. April 1989; zitiert nach: Jeismann, Mitte, S.56.
[14] in: DIE ZEIT, 28. April 1989; zitiert nach: Jeismann, Mitte, S.60.
[15] Jäckel, An alle.
[16] Aus der „Perspektive Berlin e.V.“ ging später der „Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas e.V.“ hervor, den es bis heute gibt.
[17] Aufruf der Bürgerinitiative „Perspektive Berlin“ an den Berliner Senat, die Regierungen der Bundesländer, die Bundesregierung, in FR vom 30.1.1989, abgedruckt in: Stavinsky, Denkmal, S.103.
[18] Eberhard Jäckel, Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, Stuttgart 1983.
[19] Aufruf des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma an den Bundeskanzler, den Regierenden Bürgermeister von Berlin und die Ministerpräsidenten für die zentrale Gedenkstätte des Völkermords , in Tgsp. vom 11.4.1989, abgedruckt in: Stavinsky, Denkmal, S. 311.
[20] Jäckel, An alle, S.57.
[21] ebd.
[22] ebd.
- Citation du texte
- Alexander Kohlmann (Auteur), 2006, 'Die Sache sauber halten ' Der Streit um die Widmung des Holocaustmahnmals als Teil linker Geschichtspolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68256
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