Die Zielsetzung dieser Untersuchung besteht in der Herausstellung kinematographischer Verfahrensweisen
in ausgewählten Texten Robert Musils (1880-1942). Dies setzt zunächst die Klärung der
Frage voraus, auf welche Weise Musil dem Kino begegnete und welche Aspekte ihn dazu veranlassten,
theoretische Überlegungen über das neue Medium anzustellen, denen er Einlass in sein dichterisches
Schaffen gewährte.
Die perzeptionsorientierte Umwälzung entlang des Entwicklungsprozesses der neuen, kulturellen Institution
um 1900 ermöglicht eine Wahrnehmung anderer Wirklichkeiten, die sich im visuellen Bewusstsein
manifestieren. Das hat zur Folge, dass innerhalb der zeitgenössischen Literatur mit dem
,neuen Sehen‘ Interessengebiete berührt werden, die angesichts des zur Verfügung stehenden
Sprachmaterials eine Umgestaltung des gewohnten Sehraumes beinhalten.
Der erste Teil dieser Arbeit gibt Einsicht in die Besonderheiten der mechanischen Errungenschaft des
Kinematographen, da die schrittweise Angleichung der Apparatur an das optische Bewegungssehen
einerseits und die Verfremdungsmöglichkeiten der aufgenommenen Wirklichkeit andererseits Ausgangspunkte
für Musils Infragestellung menschlicher Wahrnehmung darstellen.
Diesem Einblick werden seine dichtungstheoretischen und ästhetikorientierten Überlegungen gegenübergestellt,
wobei hier überwiegend auf die beiden Essays „Skizze der Erkenntnis des Dichters“
(1918; 8; 1025) und „Ansätze zu neuer Ästhetik - Bemerkungen über eine Dramaturgie des Films“
(1925; 8; 1137) zur Herausstellung seines Interesses an der Übertragung von Wahrnehmungsdaten
zurückgegriffen wird. Musils Auseinandersetzung mit der Gestalttheorie und der experimentellen Psychologie
bilden hierbei die Vorbedingung zum Verständnis des ,anderen Zustandes‘, dessen
Konzeption seinen filmtheoretischen Erwägungen zugrunde liegt.
Die Kombination von technischen Grundlagen des Kinematographen und erlebnisverarbeitenden
Prozessen in der Perzeption bilden Ansatzpunkte, mit denen sich eine ,kinematographische Erzähltechnik‘
in Musils Texten feststellen lässt. Entsprechend wird im zweiten Kapitel das
,kinematographische Erzählen‘ allgemein definiert und auf Musils erzähltechnisches Verfahren übertragen.
Die für den Nachlaß zu Lebzeiten von ihm ausgearbeiteten Prosaskizzen „Triedere“, „Die
Maus“ und „Das Fliegenpapier“ werden im zweiten Kapitel, die Erzählung „Grigia“ aus dem Novellenband [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Robert Musil und die Bedeutung des Kinematographen in seiner Zeit
- Abriss der Entwicklung des Kinematographen
- Robert Musils Verhältnis zur Kinematographie
- Dichtungstheoretische Reflexionen
- Ästhetische Reflexionen über den Film
- Gestalttheorie
- Ansätze zu neuer Ästhetik - Bemerkungen über eine Dramaturgie des Films
- Nachbildwirkung
- Das kinematographische Verfahren in ausgewählten Skizzen aus dem Nachlaß zu Lebzeiten
- Kinematographisches Verfahren - Einordnung und Definition
- Die Skizzen Nachlaß zu Lebzeiten
- Triedere (1926)
- Physiognomie der Dinge
- Raum
- Zeit
- Die Maus (1918); Das Fliegenpapier (1914)
- Triedere (1926)
- Das kinematographische Verfahren in Drei Frauen am Beispiel der Novelle „Grigia"
- Vorbemerkung
- Funktion der Erzählperspektiven
- Wahrnehmungswelt
- Raum
- Zeit
- Zusammenfassendes Fazit
- Literaturverzeichnis
- Benutzte Werkausgaben
- Enveitate Literatur
- Forschungsliteratur zu Robert Musil
- Sonstige
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Magisterarbeit analysiert kinematographische Verfahrensweisen in ausgewählten Texten Robert Musils (1880-1942). Sie untersucht, wie Musil auf das Kino reagierte und welche Aspekte ihn zu theoretischen Überlegungen über das neue Medium veranlassten, die er in sein dichterisches Schaffen einbezog. Die Arbeit beleuchtet die perzeptionsorientierte Umwälzung um 1900, die eine Wahrnehmung anderer Wirklichkeiten ermöglichte, die sich im visuellen Bewusstsein manifestieren. Sie untersucht, wie die „neue Sehkultur" in der zeitgenössischen Literatur zu Veränderungen in den Bereichen des Sprachmaterials und der Gestaltung des Sehraum führte.
- Die Bedeutung des Kinematographen in der Zeit Robert Musils
- Die Beziehung von Musils Werk zur Kinematographie
- Musils dichtungstheoretische und ästhetische Reflexionen zum Film
- Die Anwendung kinematographischer Verfahren in ausgewählten Texten Musils
- Die Analyse der Prosaskizzen „Triedere“, „Die Maus“ und „Das Fliegenpapier“ sowie der Novelle „Grigia“ aus dem Band „Drei Frauen“
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Besonderheiten des Kinematographen als mechanische Errungenschaft und die damit einhergehende Veränderung der menschlichen Wahrnehmung. Es vergleicht die schrittweise Angleichung des Apparats an das optische Bewegungssehen mit den Verfremdungsmöglichkeiten der aufgenommenen Wirklichkeit. Darüber hinaus werden Musils dichtungstheoretische Überlegungen, insbesondere in den Essays „Skizze der Erkenntnis des Dichters“ und „Ansätze zu neuer Ästhetik - Bemerkungen über eine Dramaturgie des Films“, in Bezug auf die Übertragung von Wahrnehmungsdaten in sein Werk gesetzt. Die Auseinandersetzung mit der Gestalt-theorie und der experimentellen Psychologie wird als Voraussetzung für das Verständnis des „anderen Zustandes“ dargestellt, der Musils filmtheoretischen Erwägungen zugrunde liegt.
Das zweite Kapitel definiert das „kinematographische Erzählen“ in der Literatur und überträgt diese Konzeption auf Musils Erzähltechnik. Es analysiert die Prosaskizzen „Triedere“, „Die Maus“ und „Das Fliegenpapier“ aus dem Nachlass zu Lebzeiten in Bezug auf die im ersten Kapitel erarbeiteten Resultate. Das dritte Kapitel untersucht die Novelle „Grigia“ aus dem Novellenband „Drei Frauen“ im Hinblick auf die gewonnenen Erkenntnisse. Die Analyse konzentriert sich auf Aspekte, die in den vorhergehenden Prosaskizzen noch nicht zur Sprache kamen. Die Auswahl der Texte erfolgte unter Berücksichtigung der zeitlichen Nähe zur Entstehung des Essays „Ansätze zu neuer Ästhetik“ sowie der vielfältigen Möglichkeiten zur Herausstellung kinematographischer Verfahrensweisen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen Robert Musil, Kinematograph, Film, Filmtheorie, Filmästhetik, Gestaltpsychologie, Wahrnehmung, Erzähltechnik, Erzählperspektive, Raum, Zeit, „Triedere“, „Die Maus“, „Das Fliegenpapier“, „Grigia“, „Drei Frauen“, Nachlaß zu Lebzeiten, „Ansätze zu neuer Ästhetik“, „Skizze der Erkenntnis des Dichters“, „Der sichtbare Mensch“ (Béla Balåzs), „Die physischen Gestalten in Ruhe und im stationären Zustand“ (Wolfgang Köhler), „Über Gestaltqualitäten“ (Christian von Ehrenfels).
- Citar trabajo
- Constanze Meier (Autor), 2001, Das kinematographische Verfahren in Robert Musils Erzählungen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6794
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