Wolfram von Eschenbach: „Den Morgenstrahl“
Den ersten Morgenstrahl beim Lied des Wächters nahm wahr
die Herrin, als sie heimlich
in den Armen ihres werten Geliebten lag.
Dadurch büßte sie all ihr Glück ein.
Und deshalb mussten sich ihre klaren Augen
aufs Neue mit Tränen füllen. Sie sprach klagend: ,,O weh, Tag!
Alles, was lebt, freut sich deiner
und verlangt danach, dich zu sehen - nur ich nicht. Was wird aus mir werden?
Nun kann nicht länger hier bei mir bleiben
mein Geliebter; den jagt dein Licht von mir.“
Der Tag drang mit Macht voll durch die Fenster.
Die Liebenden hatten alle Riege vorgeschoben;
das half nicht; darüber widerfuhr ihnen Schmerz.
Die Geliebte zog den Geliebten fest an sich heran.
Ihre Augen benetzten
ihrer beider Wangen. Da sprach sie zu ihm:
„ Zwei Herzen und einen Leib haben wir,
unsere Treue begleitet uns ungetrennt auf allen Wegen.
Ich bin all meines Glückes gänzlich beraubt,
es sei denn, du kommst zu mir und ich zu dir.“
Der traurige Mann nahm entschlossen Abschied.
Ihre hellen glatten Körper
kamen zueinander. Da war es ganz Tag.
Weinende Augen machen umso süßer der Geliebten Kuss.
So verflochten sie
ihre Münder, ihre Brust, ihre Arme, ihre blanken Beine.
Welcher Maler auch das darzustellen versuchte
wie sie da in ihrer Vereinigung lagen, dem wäre allzu viel abgefordert.
Obwohl ihr Glück doch die Last der Sorgen tragen musste,
gaben sie sich ihrer Liebe vollkommen hin.
Inhaltsverzeichnis
1. Übersetzung „Den morgenblic“
2. Interpretation
3. Das Tagelied- der Zusammenhang zum Minnesang und W. v. Eschenbach als Gestalter des Tagelieds
3.1 Der Minnesang
3.2 Das Tagelied im Vergleich zum Minnesang
3.3 Wolfram von Eschenbach als Gestalter des Tagelieds
4. Wolfram von Eschenbach, sein Leben und seine Werke
5. Literaturverzeichnis
1. Übersetzung „Den morgenblic“
Strophe 1:
Beim Gesang eines Wächters nahm
eine Herrin das erste Morgenlicht wahr
als sie heimlich in den Armen Ihres werten Geliebten Arme lag.
Da hat sie von der Freude viel verloren.
Deshalb mussten sich ihre heiteren[1] Augen
abermals mit Tränen füllen. Sie sprach: „Ach Tag!
Alles, was lebt, freut sich deiner
und verlangt, dich zu sehen – nur ich allein nicht. Was soll aus mir werden? Nun kann mein Geliebter nicht länger hier bei mir bleiben: dein Licht jagt ihn fort von mir.“
Strophe 2:
Der Tag drang mit ganzer Kraft durch die Fenster.
Viele Riegel haben sie verschlossen.
Das half nicht: Das machte ihnen Angst.
Die Geliebte drückte den Geliebten fest an sich.
Ihre Augen benetzten
beiden die Wangen. Sie sagte zu ihm:
„Zwei Herzen und nur einen Körper haben wir.
Untrennbar bleiben wir durch Treue miteinander verbunden.
Der großen Lust bin ich ganz ergeben,
wenn du zu mir kommst und ich zu dir.“
Strophe 3:
Der Mann nahm voller Trauer bald entschlossen Abschied.
Ihre hellen glatten Körper
kamen sich noch einmal ganz nah, obwohl der Tag anbrach.
Weinende Augen – zärtlicher Kuss der Geliebten!
So konnten sie doch
Ihre Münder, ihre Brüste, ihre Arme, ihre weißen Beine ineinander verflechten.
Welch Maler, der darstellen wollte,
wie ineinander verbunden sie dort lagen –wäre damit überfordert.
obwohl ihre Liebe doch viel Gefahr mit sich trug,
gaben sie sich ganz einander hin.
2. Interpretation
Das Tagelied „den morgenblic“ von Wolfram von Eschenbach handelt von einem heimlichen Liebespaar das sich nach einer gemeinsamen Nacht bei Tagesanbruch trennen muss, damit es unentdeckt bleibt. Das Lied ist in drei Strophen geteilt, welche aus je zehn Zeilen bestehen, jede Zeile beginnt mit kennzeichnenden Substantiven: „Den morgenblic“(Strophe 1, Z. 1), „Der tac“(Strophe 2, Z. 1) und „Der man“(Strophe 3, Z.1). Als Erzähltempus wird das Präteritum gewählt um eine betrachtende Distanz zu erzeugen. Das regelmäßige Reimschema des Liedes ist abcabc/deed. Es hat eine unregelmäßige Metrik, es muss dabei bedacht werden, dass es sich um ein Lied handelt, das gesungen und nicht vorgelesen wurde. Das Lied ist stilistisch unter anderem durch Enjambements geprägt (z.B. Z. 1-2, Z. 15-16).
Zeitliche Einordnung: Die Tageszeit zu der das Lied spielt ist der frühe Morgen, es dämmert (Z. 1). Zur Jahreszeit sowie zur historischen Zeit ist keine Aussage möglich, da keine Andeutungen darüber gemacht werden, zudem scheint das Lied historisch gesehen allgemein anwendbar zu sein. Das Alter in dem sich die Figuren befinden ist ebenso nicht eindeutig zu bestimmen, aber es scheint, als ob mindestens eine der beiden Hauptfiguren bereits verheiratet ist. Zu den Personen ist zu sagen, dass es sich um ein heimliches (Z. 3) Liebespaar, einer Frau und einen Mann, handelt, beide Figuren scheinen von hohem Stand zu sein, da es sich um einen „werten Mann“ (Z. 3) und um eine „frouwe“[2] (Z. 2) handelt. Diese Standesgleichheit scheint aber nicht relevant für die Anerkennung der Liebesbeziehung durch die Gesellschaft zu sein. Es liegt nahe, dass es sich um verheiratete Leute handelt und in diesem Fall um Ehebruch. Das Paar hat eine gemeinsame, verbotene Nacht miteinander verbracht und muss sich bei Tagesanbruch (Z. 10) trennen um nicht entdeckt zu werden. Zum Abschied geben sich beide ein letztes Mal ihrer Liebe hin.
[...]
[1] „liehtiu“ kann ebenso wie mit „heiter“ auch mit „klar“ übersetzt werden, ich habe diese Übersetzung gewählt, da es mit sinnvoller erscheint, dass die Herrin nach einer gemeinsamen Nacht mit ihrem Geliebten heitere Augen hat als klare.
[2] „frouwe“ bezeichnet eine edle Dame von hohem Stand, gleichgültig ob diese verheiratet ist. vgl. http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/bmz/wbgui?lemid=BV02456 vom 30.07.2006
- Citation du texte
- Katharina Rahmer (Auteur), 2006, Den Morgenblic, Wolfram von Eschenbach, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67886
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