Soziales Kapital - so lautet der wörtlich aus dem Amerikanischen übersetzte und in der Kommunitarismus-Idee zu findende Terminus, der seit den 90er Jahren beachtliche Aufmerksamkeit unter Soziologen, Politologen und Ökonomen erreicht hat. Doch was genau ist unter diesem neuen Modebegriff zu verstehen? „Zahllose Begriffspaare wie ‚innere Kohäsion’ (Biedenkopf), ‚gesellschaftlicher Klebstoff’ (Hirschmann), ‚ziviler Treibstoff’ (Heitmeyer), ‚Gemeinsinn als Festiger’ (Sommer), ‚Sozialenergie’ (Klages), ’soziale Bindekraft’ (Schäuble) oder ‚soziale Ozonschicht’ (Hurrelmann) (...)“versuchen in blumiger Sprache dieses Phänomen zu umschreiben. Die am weitesten gefasste Definition der Sozialkapitalhypothese wird eng mit dem Politologen Robert Putnam assoziiert. „His claim is that membership in associations strengthens political and economic efficiency even though the assaciations themselves play no role in either the polity or the economy.” In seiner komparativen Studie „Making Democracy Work” über die unterschiedliche institutionelle und wirtschaftliche Performanz der nördlichen und südlichen Regionen Italiens liefert er empirische Beweise für seine Theorie. Dennoch äußern viele Wissenschaftler Kritik an der ökonomischen Relevanz der Sozialkapitaltheorie. Die folgende Arbeit versucht, aus den existierenden Ansichten und Definitionen eine Erklärung des vielfältig verwendbaren Begriffes Soziales Kapital herauszubilden, dieses Konzept anhand von Beispielen zu veranschaulichen und kritisch zu beleuchten. Im Mittelpunkt steht dabei Putnams Italienstudie.
Inhaltsverzeichnis
1. Ein neuer Modebegriff
2. Konzept des Sozialkapitals
2.1. Sozialkapital als Attribut des Individuums
2.2. Sozialkapital als Netzwerkattribut
2.2.1. Die Bürgergesellschaft
3. Making Democracy Work
3.1. Messen der institutionellen Performanz
3.2. Gründe für die unterschiedliche institutionelle Performanz
3.3. Indizien für bürgergesellschaftliches Leben in den Regionen
3.4. Gründe für die Nord-Süd Diskrepanz im Sozialkapital
4. Kritik
Anhang
Literaturverzeichnis
1. Ein neuer Modebegriff
Soziales Kapital – so lautet der wörtlich aus dem Amerikanischen übersetzte und in der Kommunitarismus-Idee zu findende Terminus, der seit den 90er Jahren beachtliche Aufmerksamkeit unter Soziologen, Politologen und Ökonomen erreicht hat. Doch was genau ist unter diesem neuen Modebegriff zu verstehen? „Zahllose Begriffspaare wie ‚innere Kohäsion’ (Biedenkopf), ‚gesellschaftlicher Klebstoff’ (Hirschmann), ‚ziviler Treibstoff’ (Heitmeyer), ‚Gemeinsinn als Festiger’ (Sommer), ‚Sozialenergie’ (Klages), ’soziale Bindekraft’ (Schäuble) oder ‚soziale Ozonschicht’ (Hurrelmann) (...)“[1] versuchen in blumiger Sprache dieses Phänomen zu umschreiben. Die am weitesten gefasste Definition der Sozialkapitalhypothese wird eng mit dem Politologen Robert Putnam assoziiert. „His claim is that membership in associations strengthens political and economic efficiency even though the assaciations themselves play no role in either the polity or the economy.”[2] In seiner komparativen Studie „Making Democracy Work” über die unterschiedliche institutionelle und wirtschaftliche Performanz der nördlichen und südlichen Regionen Italiens liefert er empirische Beweise für seine Theorie. Dennoch äußern viele Wissenschaftler Kritik an der ökonomischen Relevanz der Sozialkapitaltheorie.
Die folgende Arbeit versucht, aus den existierenden Ansichten und Definitionen eine Erklärung des vielfältig verwendbaren Begriffes Soziales Kapital herauszubilden, dieses Konzept anhand von Beispielen zu veranschaulichen und kritisch zu beleuchten. Im Mittelpunkt steht dabei Putnams Italienstudie.
2. Konzept des Sozialkapitals
Das Konzept des Sozialkapitals lässt sich aufgrund seines Facettenreichtums nicht in Form eines handlichen Lexikoneintrags präsentieren. „Authors recognize that if they are going to use the term, then they must define how they will use it.“[3] Es sind generell zwei grundlegend verschiedene theoretische Ansätze zu unterscheiden. „Linking and connecting social capital has a double character as a collective structure and individual asset”:[4] Gewöhnlich wird Sozialkapital als Attribut einer netzwerkartigen Gesellschaft beschrieben, wenn beispielsweise Jacobs von Nachbarschaftsnetzwerken oder Putnam von Kennzeichen des sozialen Lebens – Netzwerke, Normen und Sozialvertrauen sprechen.[5] Daneben existiert noch die Auffassung von Sozialkapital als eine Funktion des individuellen Handelns, der eigenen Persönlichkeit und der eigenen sozialen Beziehungen.
2.1. Sozialkapital als Attribut des Individuums
In dieser Analyse wird soziales Kapital definiert „(...) as a person’s social characteristics – including social skills, charisma, and the size of his Rolodex[6] – which enables him to reap market and non-market returns from interactions with others.”[7] Einzelne Individuen gehen deshalb Verbindungen ein oder schließen sich zu nach außen geschlossenen Gruppen zusammen, die auf persönlichen Beziehungen, langjährigen Freundschaften, familiären oder religiösen Bindungen oder im Laufe der Zeit erworbener Reputation basieren, um Transaktionskosten zu senken. Denn das dabei rekrutierte Sozialkapital fördert und erleichtert die Kooperation zwischen den einzelnen Individuen, indem es beispielsweise auf der Reziprozität zwischen Freunden aufbaut.[8] Bei diesem mikroinstitutionellen Ansatz wird eine klare Analogie zum konventionellen Begriff des Sachkapitals deutlich. Person A tut etwas für Person B, investiert also eigene Ressourcen im Vertrauen darauf, dass B sich in Zukunft dafür einmal erkenntlich zeigt. Somit ist A in Besitz eines Kreditbelegs, der es ihm erlaubt, zu gegebener Zeit von B ebenfalls einen Gefallen einzufordern. Je mehr solcher Kreditbelege ein Individuum auf sich vereinigt, desto höher ist der Vorrat an fremdem individuellen Sozialkapital, auf den es zurückgreifen kann. Die Möglichkeit, solche persönlichen Kredite in Anspruch nehmen zu können oder zu müssen, hängt von vielen Faktoren ab: vom Vorhandensein alternativer Hilfe, zum Beispiel von Seiten der Sozialpolitik des Staates, von der eigenen finanziellen Situation, von der kulturell bedingten Tendenz, Hilfe anzubieten oder nach ihr zu fragen oder von der Größe des eigenen Vorrats an Beziehungen und Bekanntschaften.[9]
Von entscheidender Bedeutung bei derartigen Transaktionen ist die vermeintliche Vertrauenswürdigkeit des Handlungspartners und die eigene Bereitschaft, spezifisches Vertrauen aufzubringen, wie es sich zum Beispiel beim Verfassen und Abschließen von Verträgen zeigt. Nicht jedes mögliche Ereignis kann hierbei vorhergesehen werden oder es wird aufgrund seiner geringen Eintrittswahrscheinlichkeit im Vertragstext vernachlässigt. Dies reduziert die Transaktionskosten erheblich, verlangt jedoch von den beteiligten Parteien ein gewisses Maß an Kooperation und Vertrauen, falls ein unerwarteter Fall eintritt, der nicht explizit im Vertrag geregelt ist.[10] Doch erst wiederholte Vorführung vertrauenswürdigen Verhaltens und der damit erworbene gute Ruf, über ein hohes Potential an Sozialkapital zu verfügen, können jemanden zu einem begehrten Geschäftspartner machen.
Der Diamantenmarkt in New York, der ausschließlich in Hand der in Brooklyn lebenden Juden ist, zelebriert die Bedeutung von auf Sozialkapital basierenden Zusammenschlüssen, die für ein reibungsloses und kostengünstiges Funktionieren dieses Marktes nötig sind.[11] Bei der Verhandlung eines Kaufes, überlässt der Verkäufer ohne jegliche Sicherheiten für einige Tage dem interessierten Kollegen die angebotenen Diamanten im Wert von oft mehreren hunderttausend Dollar zur Überprüfung auf deren Reinheit. Da diese Händlergemeinschaft eine enge familiäre und religiöse Bindung aufweist, kann sich kein Mitglied betrügerische Aktivitäten leisten, indem es bei solchen Geschäften Diamanten entwendet oder gegen Fälschungen austauscht. Die starke Geschlossenheit des Netzwerkes macht die Durchsetzung von Sanktionen einfach und würde dem Betrüger die Akzeptanz innerhalb der familiären, religiösen und beruflichen Gemeinschaft entziehen.
In diesen Beispielen handelt es sich jedoch nicht um ein in der Gesellschaft vorhandenes generalisiertes Sozialvertrauen, ohne das sich aber „(...) keine funktionierenden politischen Institutionen bilden lassen.“[12] Gruppeninternes gegenseitiges Vertrauen, das nicht über die Grenzen des Familien- oder Freundeskreises oder der Nachbarschaft hinausreicht, das zudem in wiederholten Transaktionen erst erworben werden muss, wodurch jedem Fremden und unbekannten Neuling generelles Misstrauen entgegengebracht wird, kann keine netzwerkübergreifenden Synergieeffekte generieren.
Darüber hinaus gilt: „(...) [M]any economically important situations are too anonymous or too idiosyncratic or too rare for reputation-building to be a useful strategy.”[13]
Dieser Forderung nach generalisiertem Vertrauen wird die nachfolgende Auffassung von Sozialkapital als Phänomen harmonierender Netzwerke gerecht, wie sie Putnam vertritt. Die beiden Ansätze dürfen jedoch nicht miteinander vermischt oder ohne weiteres der Versuch unternommen werden, „(...) to make the micro-macro transition from pair relations to systems.“[14] Selbstverständlich besteht eine Gesellschaft aus der Akkumulation unterschiedlicher Individuen, doch das in der Einzelperson vorhandene Potential an Sozialkapital stiftet ohne ein herrschendes generalisiertes Vertrauen keinen Nuten für die Allgemeinheit.[15]
2.2. Sozialkapital als Netzwerkattribut
Während die Frage nach den Gründen für die Unterschiede in Lebensstandard, ökonomischem Erfolg und Performanz der staatlichen Institutionen zwischen verschiedenen Ländern dieselbe geblieben ist, haben sich die Antworten im Laufe der Jahre bedeutend gewandelt. Für lange Zeit galt die Ausstattung mit Ressourcen wie Land und Rohstoffe als essentiell für eine erfolgreiche Entwicklung, bis man im Zuge der Industrialisierung Maschinen und technische Ausrüstung in den Vordergrund hob. Doch damit konnte man keine plausible Erklärung dafür liefern, weshalb sich in manchen Regionen Technologie und Politik schneller und besser entwickelten. Schließlich wurden Faktoren wie das Humankapital herangezogen, um sowohl Unterschiede im Einkommen als auch in der Fähigkeit armer Länder, an die reichen aufzuschließen, zu begründen. Humankapital ist einerseits das Wissen und Können, welches eine Person bewusst in Schule, Ausbildung und Beruf erworben hat oder automatisch in Form von Erfahrung, und darüber hinaus auch die körperliche Verfassung.[16] Seit den 80er Jahren beschäftigen sich komplexere Fragestellungen damit, weshalb Länder Sach- und Humankapital mit ungleicher Geschwindigkeit und Effizienz akkumulieren.[17] Das dabei entstandene Schlagwort heißt Sozialkapital.
Sozialkapital bezieht sich hier auf die Merkmale sozialer Organisationen, wie informelle Normen, Gesetze, Regierungen und kooperierende Netzwerke, welche basierend auf generalisiertem Vertrauen die Effizienz einer Bürgergesellschaft und deren Institutionen steigern können. Koordiniertes Handeln wird erleichtert und zu sozialer Kohäsion und somit zum gegenseitigen Nutzen aller Mitglieder beigetragen.[18]
Zur Theorie des Sozialkapitals als Attribut eines Individuums gibt es drei entscheidende Unterschiede: Erstens profitiert das gesamte Netzwerk und nicht nur der Initiator des Sozialkapitals allein. Aus diesem Grund spricht man auch vom Sozialkapital als öffentliches Gut, dem keine individuellen Eigentumsrechte verliehen werden können.[19] Zweitens entstehen Verbindungen und Assoziationen zwischen Personen aus einer größeren Gemeinschaft, die keinen gemeinsamen persönlichen, familiären oder religiösen Hintergrund teilen. Und drittens herrscht, wie oben beschrieben, in einer solchen Bürgergesellschaft ein generalisiertes Vertrauen, welches den Aufbau von Sozialkapital fördert. Bei Putnam beinhaltet soziales Kapital drei zentrale Elemente:
„Soziales Vertrauen, das die zur gesellschaftlichen Koordination erforderliche Kooperation zwischen den Individuen erleichtere; die Norm generalisierter Reziprozität, die zur Lösung sozialer Dilemmata beitrage; und Netzwerke zivilgesellschaftlichen Engagements, die generalisierte Reziprozitätsnormen pflegen und soziales Vertrauen aufbauen würden.“[20]
[...]
[1] Braun (2002), S.345
[2] Arrow (1999), S.4
[3] Sobel (2002), S.144
[4] Leicht (2000), S.61
[5] vgl. Glaeser (1999), S.2
[6] Terminkalender, Adressbuch
[7] Glaeser (2000), S.4
[8] vgl. Fukuyama (2000), S.3
[9] vgl. Coleman (1998), S.20f.
[10] vgl. Solow (1999), S.8
[11] vgl. Coleman (1998), S.16f.
[12] Graf (1999), S.11
[13] Solow (1999), S.8
[14] Coleman (1998), S.18
[15] vgl. Winch (2000), S.5
[16] vgl. Ostrom (1997), S.175
[17] vgl. Chhibber (1997), S.296f.
[18] vgl. Putnam (1993), S.167
[19] vgl. Meier (1996), S.13
[20] Braun S. (2002), S.339
- Citar trabajo
- Matthias Schmid (Autor), 2003, Can We Trust Social Capital?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67852
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