Die Bezeichnungen „Mehrheitsdemokratie“ und Konsensdemokratie wurden zum ersten Mal in den 1960er Jahren von Politologen verwendet. Seit dieser Zeit wurden unterschiedliche Demokratieausprägungen mit jeweils einer dieser Begriffe charakterisiert. Es stand jedoch keine Raster oder Anleitung zur Verfügung, mit dem man anhand klarer Kriterien eine Einteilung der Demokratien hätte vornehmen können. Erst Arend Lijphart stellte in seinen Werken „Democracies“ von 1984 und „Patterns of Democracies von 1999 einen solchen Kriterienkatalog vor. Nach Lijphart hat der mehrheitsdemokratische Ansatz zum Prinzip, dass bei geteilten Präferenzen und Uneinigkeit die Mehrheit regieren soll. Eine Regierung, die die Mehrheit des Volkes repräsentiert komme dem demokratischen Ideal einer Regierung „für und durch das Volk“ sehr viel näher als eine Minderheitsregierung (vgl. Lijphart 1999: 1 f.). Dem widerspricht der Ansatz der Konsensdemokratie, der so viele Interessen wie möglich versucht zu vereinen. Zwar sieht auch das Konsensprinzip den Vorteil bei einer Regierung der Mehrheit, doch soll diese Mehrheit maximiert werden. Während das Mehrheitsmodell durch den Wettbewerb und Machtkonzentration in einer Hand gekennzeichnet ist, ist das Modell der Konsens-demokratie durch Machtteilung und Kompromissbildung charakteririsiert (vgl. Lijphart 1999: 2). Arend Lijphart unterscheidet nun 10 Merkmale anhand derer überprüft werden kann, zu welchem der genannten Typen eine Demokratie gerechnet werden kann. Diese Merkmale unterteilt Lijphart in zwei Analysedimensionen mit jeweils fünf Merkmalen bzw. Variablen: Zum einen die Exekutive-Parteien Dimension, zum anderen die Föderalismus-Unitarismus-Dimension. Aus diesem Grund geht diese Arbeit der Frage nach, ob sich der Staat Israel insichtlich der Kriterien Lijpharts als Mehrheits- oder Konsensdemokratie klassifizieren lässt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Exekutive-Parteien-Dimension
2.1. Parteiensystem
2.2. Kabinettstruktur
2.3. Beziehung zwischen Exekutive und Legislative
2.4. Wahlsystem
2.5. Interessengruppen
3. Föderalismus-Unitarismus-Dimension
3.1. Föderalismus und Dezentralisierung
3.2. Aufbau der Legislative
3.3. Flexibilität der Verfassung
3.4. Verfassungsgerichtsbarkeit
3.5. Status der Zentralbank
4. Schluss
1.Einleitung
Die Bezeichnungen „Mehrheitsdemokratie“ und Konsensdemokratie wurden zum ersten Mal in den 1960er Jahren von Politologen verwendet. Seit dieser Zeit wurden unterschiedliche Demokratieausprägungen mit jeweils einer dieser Begriffe charakterisiert. Es stand jedoch keine Raster oder Anleitung zur Verfügung, mit dem man anhand klarer Kriterien eine Einteilung der Demokratien hätte vornehmen können. Erst Arend Lijphart stellte in seinen Werken „Democracies“ von 1984 und „Patterns of Democracies von 1999 einen solchen Kriterienkatalog vor.
Nach Lijphart hat der mehrheitsdemokratische Ansatz zum Prinzip, dass bei geteilten Präferenzen und Uneinigkeit die Mehrheit regieren soll. Eine Regierung, die die Mehrheit des Volkes repräsentiert komme dem demokratischen Ideal einer Regierung „für und durch das Volk“ sehr viel näher als eine Minderheitsregierung (vgl. Lijphart 1999: 1 f.). Dem widerspricht der Ansatz der Konsensdemokratie, der so viele Interessen wie möglich versucht zu vereinen. Zwar sieht auch das Konsensprinzip den Vorteil bei einer Regierung der Mehrheit, doch soll diese Mehrheit maximiert werden. Während das Mehrheitsmodell durch den Wettbewerb und Machtkonzentration in einer Hand gekennzeichnet ist, ist das Modell der Konsens-demokratie durch Machtteilung und Kompromissbildung charakteririsiert (vgl. Lijphart 1999: 2).
Arend Lijphart unterscheidet nun 10 Merkmale anhand derer überprüft werden kann, zu welchem der genannten Typen eine Demokratie gerechnet werden kann. Diese Merkmale unterteilt Lijphart in zwei Analysedimensionen mit jeweils fünf Merkmalen bzw. Variablen: Zum einen die Exekutive-Parteien Dimension, zum anderen die Föderalismus-Unitarismus-Dimension.
Aus diesem Grund geht diese Arbeit der Frage nach, ob sich der Staat Israel insichtlich der Kriterien Lijpharts als Mehrheits- oder Konsensdemokratie klassifizieren lässt.
2. Exekutive-Parteien-Dimension
2.1. Parteiensystem
Die erste zu untersuchende Variable ist das Parteiensystem eine Demokratie. Nach Lijphart ist sie nicht nur einfach zu operationalisieren, sondern ist zugleich der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Demokratieformen. Reine Zwei-Parteien-Systeme repräsentieren nach dieser Unterscheidung des mehrheitsdemokratische Modell, Mehrparteiensysteme das Konsensmodell (vgl. Lijphart 1999: 63). Bei der Betrachtung der Anzahl von Parteien in einem politischen System muss allerdings deren politische Relevanz berücksichtigt werden. Selbst in Zwei-Parteiensystemen gibt es kleine Parteien, die jedoch kaum politischen Einfluss geltend machen können. Lijphart schlägt deshalb, in Anlehnung an Sartori vor, Parteien zu ignorieren, die keine Parlamentssitze erringen. Für ihn stellt sich aber auch die Frage welche Gruppierungen überhaupt als einzelne Partei gewertet werden können. Ein Problem stellen für ihn nämlich die sog. „factionalized parties“ dar, also Zusammenschlüsse mehrerer Parteien zu einer Blockpartei (vgl. Lijphart 1999: 64). Sollen diese als eine Partei betrachtet werden? Lijphart präsentiert hierzu vier Kriterien, die zur Differenzierung dienen sollen. Zum einen sollten die Parteien klar um Stimmen konkurrieren, und nicht etwa jeweils in unterschiedlichen Wahlkreisen antreten. Zum anderen müsse untersucht werden, ob die Mitgliedsparteien eines „Blocks“ eine einzelne Parlamentsfraktion bilden oder nicht. Außerdem spiele es eine Rolle ob die Parteien immer gemeinsam entweder in der Opposition oder an der Regierungsmacht sind, und ob der Verbund stabile Strukturen aufweist (vgl. Lijphart 1999: 69 ff.).
Mit Hilfe dieser Überlegungen kann man nun zur Betrachtung der Parteienlandschaft Israels übergehen. Diese Variable betreffend ist die Zuordnung Israels zu einem der beiden Modelle relativ offensichtlich. Seit der Staatsgründung 1948 waren in der Knesset, dem israelischen Parlament, nie weniger als 10 verschiedene Parteien vertreten, zurzeit sind es sogar 12 unterschiedliche Fraktionen. In der Regel stellen sich 15-30 Parteien zur Wahl (vgl. Peretz/Doron 1997: 71). Eine Ursache für die große Anzahl von Parteien im Parlament ist sicherlich die vergleichsweise niedrige Sperrklausel von 1,5 % (vgl. Neuberger 2003: 22).
Aber die starke Fragmentierung des israelischen Parteiensystems lässt sich zu einem großen Teil auch auf die ebenfalls augenscheinliche Fragmentierung der Gesellschaft dieses Landes zurückführen. Sozioökonomische, ideologische und besonders religiöse Spaltungen werden durch eine Vielzahl von Parteien und politischen Gruppierungen repräsentiert (vgl. Arian/Nachmias/Amir 2002: 87). Eine gängige Aufteilung des politischen Spektrums ist die Unterscheidung in das linke bzw. Arbeiterlager, das bürgerlich-rechte Lager und die religiösen Parteien. Letztere nehmen aufgrund der außerordentlich unterschiedlichen Ansichten zur Schriftauslegung und Lebensweise im Sinne der jüdischen Religion eine Sonderstellung ein. Obwohl alle eine klare religiöse Agenda besitzen, sind sie untereinander äußerst zerstritten und sich sogar feindlich gesinnt. Am ehesten kann man sie anhand ihrer Einstellung zum zionistischen Gedanken und zu Israel als politisches Gefüge unterscheiden. Beispielsweise lehnen Ultraorthodoxe den Staat Israel ab, und bekämpfen ihn aktiv, andere sind eher national-religiös eingestellt, und treten besonders für die Rechte der jüdischen Siedler in der West Bank und dem Gaza-Streifen ein (vgl. Eisenstadt 1992: 283 f.).
Die anderen Parteien differenzieren sich eher durch Fragen der nationalen Sicherheit, der Terrorismusgefahr und den Beziehungen zu den Palästinensern. Sie lassen sich in sog. „Tauben“ und „Falken“ unterteilen. Obwohl sicherlich kein Zwei-Parteiensystem, findet man auch in Israel zwei große Parteien, die in den jeweiligen Regierungsbündnissen das Zentrum bilden: Zum einen den rechts-konservativen Likud, zum anderen die sozialistisch/sozialdemokratische Arbeiterpartei (Labor). Des Weiteren sind in der Knesset diverse arabische Parteien und Parteien der Mitte, wie z.B. die säkuläre Schinui-Partei, welche in der Regel drittstärkste Kraft im Parlament ist. (vgl. Wolffsohn/Bokovoy 2003: 143 ff.).
Die Ausprägungen dieser untersuchten Variablen in Israel deuten folglich auf das Konsensmodell einer Demokratie hin.
2.2. Kabinettstruktur
Die zweite zu untersuchende Variable ist die Kabinettsstruktur. Lijphart sieht diese Variable als sehr typische Variable zur Unterscheidung zwischen Mehrheits- und Konsensdemokratie, denn der Kontrast zwischen Ein-Parteien-Regierungen und Mehrparteien-Koalitionen spiegele den Unterschied zwischen Machtkonzentration und dem Prinzip der Machtteilung sehr gut wieder. Laut Lijphart können Kabinette anhand zwei Gesichtspunkten unterschieden werden: hinsichtlich der Anzahl der, an der Regierung beteiligten, Parteien und an der Unterstützung durch das Parlament die eine Regierung genießt. Aus der Kombination beider Merkmale können sich mehrere Kabinetttypen ergeben. Zum einen das sog. Minimale Gewinnkabinett, in dem die Regierungspartei/en die Mehrheit im Parlament kontrollieren, doch ist diese Mehrheit nur gering. Diese Form zählt laut Lijphart als Idealtypus der Mehrheitsdemokratie. Zum anderen das übergroße Kabinett. In einer Regierungskoalition sind mehr Parteien vertreten als nötig wären, und die Mehrheit im Parlament ist dementsprechend groß. Diese Form ist idealtypisch für das Konsensmodell. Minderheitenkabinette dagegen besitzen gar keine Mehrheit im Parlament, und sind eher die Ausnahme (vgl. Lijphart 1999: 90 f.).
Kabinette in Israel waren zu keinem Zeitpunkt Ein-Parteien-Kabinette. Aufgrund der niedrigen Sperrklausel (1,5 %, früher nur 1 %) und der, auf jedem Gebiet zu findende, Fragmentierung der israelischen Gesellschaft stellen sich sehr viele Parteien zur Wahl. Keine Partei konnte bisher die absolute Mehrheit an Knessetsitzen erringen. Meist waren 3-4 Parteien an einer Regierungskoalition beteiligt. In der Regierung von Ariel Sharon sind zurzeit sogar sieben Parteien vertreten, wobei nur vier einen Kabinettsposten innehaben (vgl. Wolffsohn/Bokovoy 2003: 121 ff.). Da Koalitionsstreitigkeiten und Austritte von kleineren Koalitionspartnern aus derselben in Israel keine Seltenheit sind, werden oftmals kleinere Parteien in die Koalition aufgenommen, die für eine Mehrheit in der Knesset normalerweise nicht nötig wären. Auf diese Weise kann der Ausfall einer Partei kompensiert werden. Die vielen kleinen Parteien, die meist nur einige wenige Mandate besitzen, nehmen in der israelischen Politik eine Schlüsselrolle ein. Sind sie nicht Teil der Koalition, ist der Erfolg eines Misstrauensvotums gegen die Regierung wahrscheinlich, da diese Parteien oft vom politischen Gegner umworben werden. Die beiden großen Parteien, der Likud und die Arbeiterpartei, bemühen sich somit in der Regel bei der Regierungsbildung um die Einbeziehung dieser Parteien (vgl. Peretz/Doron 1997: 192 ff.). Nicht selten werden sie mit Ministerposten für ihre Koalitionstreue belohnt, ein Umstand der im Laufe der Zeit zu einer massiven Erhöhung der Anzahl der Ministerien in Israel geführt hat. Das derzeitige Kabinett besteht z.B. aus 26 Ministern, von denen aber nur acht dem Likud, der weitaus größten Regierungspartei angehören. Dies soll anschaulich machen, wie deutlich die Kabinette in Israel den Typus der übergroßen Kabinette („oversized cabinets“) repräsentieren. Daraus resultiert natürlich auch, dass sich die Regierungen auf relativ große Mehrheiten in der Knesset stützen können, solange die Koalition stabil bleibt. In den letzten Legislaturperioden hatten alle Regierungen eine Mehrheit von 70-90 Sitzen. Die meisten Gesetze benötigen zur Verabschiedung nur eine einfache Mehrheit (61 Stimmen). (vgl. Arian/Nachmias/Amir 2002: 93 ff.). Die Ausprägung der zweiten Variablen weist also ebenfalls auf eine Konsensdemokratie hin.
2.3. Beziehung zwischen Exekutive und Legislative
Exekutive und Legislative stehen in einer bestimmten Beziehung zueinander. Nach Lijphart dominiert im mehrheitsdemokratischen System die Exekutive über die Legislative, während in einer Konsensdemokratie ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen beiden Gewalten herrsche. Diese Kooperation solle den Austausch zwischen den politischen Kräften gewährleisten. Lijphart zieht für die Differenzierung zwei Konzepte heran, die oftmals für Typologisierungen von Demokratien verwendet werden. Das parlamentarische Regierungssystem, das er dem Konsensmodell zuordnet, und das präsidentielle System. Des weiteren nennt er drei Unterschiede zwischen beiden Formen. In einem parlamentarischen Regierungssystem wird der Regierungschef durch das Parlament gewählt. Er und sein Kabinett sind außerdem der Legislative verantwortlich und können durch ein Misstrauensvotum des Amtes enthoben werden. Des Weiteren besteht hier eine sog. Kollegiale Exekutive, d.h. Entscheidungen werden gemeinsam vom Kabinett getroffen. Im Präsidentialismus kann der Regierungschef normalerweise weder des Amtes enthoben werden, noch ist er der Legislative verantwortlich. Er wird meist direkt oder durch Wahlmänner gewählt und hat die Entscheidungsgewalt über das Kabinett (Ein-Personen-Exekutive) (vgl. Lijphart 1999: 117 ff.).
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