Auch wenn es in letzter Zeit, was Mitteilungen aus dem Tschetschenienkonflikt anbelangt, etwas ruhiger geworden ist: Die Situation ist sich noch lange nicht am entspannen. Die beiden Konfliktparteien - Russland und die Tschetschenischen Rebellen - sind nach wie vor verfeindet und bis heute ist es nicht gelungen, die Region vollständig zu befrieden. Seit über zehn Jahren kommt es nun schon (mit kurzen Unterbrechungen) zu Gefechten und terroristischen Anschlägen, Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen (www.mdr.de, Zugriff: 10.6.2004). Diese Fakten führen uns zu folgender Fragestellung:
Wieso finden die beiden Akteure nicht aus der derzeitigen kriegerischen Situation heraus?
Als anzuwendende Theorie haben wir ein Dilemma der Spieltheorie gewählt: Das Deadlock- Game. Es erklärt, wieso rational handelnde Akteure den Krieg dem Frieden vorziehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Fragestellung
1.2 Fakten und historische Betrachtung des Konflikts
2. Theorieteil
2.1. Die Spieltheorie
2.2 Das Deadlock-Szenario
2.3. Empirisches Beispiel eines Deadlock-Szenarios: Der Fall Palästina
3. Empirischer Teil
3.1. Der Akteur Russland
3.1.1. Die Nachteile einer Kooperation mit den Tschetschenischen Rebellen
3.1.2. Die Vorteile einer Kooperation mit den Tschetschenischen Rebellen
3.2. Die Tschetschenischen Widerstandskämpfer
3.2.1. Die Nachteile einer Kooperation mit der Russischen Regierung
3.2.2 Die Vorteile einer Kooperation mit der russischen Regierung
3.3 Interpretation
4. Zusammenfassung
5.Verzeichnisse
1. Einleitung
1.1. Fragestellung
Auch wenn es in letzter Zeit, was Mitteilungen aus dem Tschetschenienkonflikt anbelangt, etwas ruhiger geworden ist: Die Situation ist sich noch lange nicht am entspannen. Die beiden Konfliktparteien - Russland und die Tschetschenischen Rebellen - sind nach wie vor verfeindet und bis heute ist es nicht gelungen, die Region vollständig zu befrieden. Seit über zehn Jahren kommt es nun schon (mit kurzen Unterbrechungen) zu Gefechten und terroristischen Anschlägen, Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen (www.mdr.de, Zugriff: 10.6.2004). Diese Fakten führen uns zu folgender Fragestellung:
Wieso finden die beiden Akteure nicht aus der derzeitigen kriegerischen Situation heraus?
Als anzuwendende Theorie haben wir ein Dilemma der Spieltheorie gewählt: Das Deadlock-Game. Es erklärt, wieso rational handelnde Akteure den Krieg dem Frieden vorziehen.
1.2 Fakten und historische Betrachtung des Konflikts
Tschetschenien liegt im Süden Russlands an der Grenze zu Georgien (Abb.1). Staatsreligion ist der Islam. In der Republik Tschetschenien leben 75% Tschetschenen, die Russen bilden zusammen mit den Armeniern, Inguschen und Ukrainern eine Minderheit. Obwohl Tschetschenisch die meist gesprochene Sprache ist, nimmt Russisch den Platz als Amtssprache ein (FISCHER WELTALMANACH 2004: 694).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Die Lage Tschetscheniens
Quelle: www-user.uni-bremen.de
Der Konflikt zwischen Russland und Tschetschenien geht bis ins 15. Jh. zurück. Seit jeher weigerte sich das widerspenstige Volk, sich dem Willen Russlands zu beugen. Auf Stalins Befehl kam es 1944 unter dem Vorwurf der Kollaboration mit Hitler-Deutschland zur Deportation vieler Tschetschenen. In Wirklichkeit hat kein deutscher Soldat Tschetschenien je betreten. In der Zeit von Perestrojka und Glasnost hoffte Tschetschenien endlich Souveränität zu erlangen. Es nutzte die Wirren im Staat Russland, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden, und erklärte sich am 7.11.1991 für unabhängig. Die Russische Regierung verweigerte dem Gebiet jedoch die staatliche Souveränität. Im Sommer 1992 verhängte Moskau eines Wirtschaftsblockade (www.fes.de, Zugriff: 10.6.2004) und im November 1994 stellte Präsident Jelzin ein Ultimatum: Entweder Tschetschenien kehrt freiwillig in den Russischen Staatsverband zurück oder eine Intervention wird folgen. Am 11.12.1994 marschierten russische Truppen in Tschetschenien ein. Obwohl der Angriff vielfach stecken bleibt und grosse Verluste zu beklagen waren, wird am 31.12. die Hauptstadt Grosny eingenommen und weitgehend zerstört. Es folgen Gefechte, Attentate auf tschetschenischer Seite und russische Bombardements. Der Tschetschenienkrieg ist ein asymmetrischer Konflikt, an dem sich nicht zwei reguläre Armeen, sondern Armee- und Polizeikräfte einer Grossmacht einerseits, und Guerillaverbände der Rebellen andererseits gegenüberstehen. Im August 1996 werden die Russischen Truppen schliesslich zum Rückzug aus Grosny gezwungen und erleiden somit eine Niederlage im ersten Tschetschenienkrieg. Der Tschetschenische Staatschef Maschadow handelt darauf mit Jelzins Ex-General Lebed eine Unterbrechung der Kämpfe für einen Zeitraum von 20 Monaten aus. Über den Status von Tschetschenien sollen Verhandlungen entscheiden, die bis 2001 ein endgültiges Ende finden sollten. Im Sommer 1999 kommt es an der Grenze zu Tschetschenien wieder zu bewaffneten Konflikten mit Russischen Truppen. Kurz darauf finden in Moskau und anderen Städten mehrere schwere Sprengstoff-Attentate statt. Die Urheber werden nicht gefunden, die Regierung macht aber Tschetschenische Widerstandskämpfer dafür verantwortlich und startet neue militärische Interventionen. Maschadow wird nicht länger als Präsident anerkannt, die Rebellen antworten mit Attentaten und Guerilla-Aktionen (www.mdr.de, Zugriff: 10.6.2004). Des Weiteren werden der Russischen Armee schwere Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung vorgeworfen (FISCHER WELTALMANACH 2004: 701).
Der zweite Tschetschenienkrieg zieht sich bis heute hin, und die kürzliche Ermordung des moskautreuen Präsidenten Kadyrow sowie die zum Schluss der Wahlen spärlichen Mitkandidaten Kadyrows (ECONOMIST 15.3.2004: 17) zeugen von der noch immer nicht vorhandenen Kooperationsbereitschaft beider Parteien. Bei den Wahlen am 29. August wird sich zeigen, wie die politische Stimmung im Tschetschenischen Volk ist, und ob sich zumindest die Zivilbevölkerung nach einer baldigen, friedlichen Konfliktlösung sehnt.
2. Theorieteil
2.1. Die Spieltheorie
Die Theorie, auf der wir unsere Analyse des Tschetschenienkonfliktes aufbauen, stammt aus der Spieltheorie, eine häufig verwendete Theorie in der Sozialforschung (AXELROD 1984: 28). In unserem Fall geht das Spiel von zwei Akteuren aus[1], welche zwei Handlungsmöglichkeiten zur Wahl haben: Kooperieren oder defektieren. Sie handeln rational, gewinn- und nutzenmaximierend. Die Entscheidungen der beiden Partein stehen in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander und sind strategisch, da sich die Kontrahenten vor ihrer Handlung jeweils Gedanken über die Reaktion der anderen Partei machen (DIXIT 1995: 17). Die Spieltheorie wird oft grafisch anhand von Auszählungsmatrizen dargestellt (Abb.2).
2.2 Das Deadlock-Szenario
Wenn es sich aus Sicht beider Akteure nicht lohnt zu kooperieren, dann spricht man von einem Deadlock, zu deutsch: einer Sackgasse (Abb.2) (AXELROD; KEOHANE 1986: 230). Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. Abb.2: Das Deadlock-Szenario
Die dominante Strategie ist für beide Gegner nicht zu kooperieren, da Sie, egal wie die andere Partei entscheiden mag, mit defektieren besser dastehen (d.h. es gilt für Akteur 1 und 2: 4>2 und 3>1)[2]. Ein Weiterführen des Krieges ist (wie die Payoffs 3/3 > 2/2 zeigen) der Kooperation, also dem Frieden, vorzuziehen. Die einzig bessere Situation wäre die bedingungslose Kapitulation des Gegners. Dieser würde damit aber hemmungslos ausgenutzt werden und als Rationaldenkender einen solchen Schritt nicht wagen. Also verharren beide Parteien in Kriegsposition.
Auf dieser Theorie basiert unsere Hypothese:
Die Akteure Russland und die Tschetschenischen Rebellen finden aufgrund der Payoffs beim Deadlock-Game nicht aus der derzeit kriegerischen Situation hinaus, d.h. es lohnt sich nach Ansicht beider Parteien nicht, auf einen Friedensschluss hinzuarbeiten. Eine einseitige Kooperation ist aufgrund der extremen Verluste der einen Seite und dem gewaltigen Gewinn der anderen Seite undenkbar.
2.3. Empirisches Beispiel eines Deadlock-Szenarios: Der Fall Palästina
Als Exempel eines Deadlock-Dilemmas kann der Nahost-Konflikt angeführt werden: Die Israeli versprachen den Palästinensern Friedensverhandlungen, wenn die Attentate ein Ende finden würden. Dass dies nicht geschah, weist darauf hin, dass den Gegnern der Krieg mehr Wert ist als ein Friede mit Kompromissen. Ähnlich wie in Tschetschenien sind auch hier die Machtstrukturen asymmetrisch: Wenige Rebellen leisten mit Attentaten und terroristischen Anschlägen Widerstand gegenüber einer zahlenmässig und waffentechnisch überlegenen Armee. Dennoch ist der Krieg seit langem festgefahren[3] und eine Lösung scheint je länger desto mehr ein extrem schwieriges Unterfangen zu werden.
3. Empirischer Teil
In den folgenden Kapiteln haben wir uns darauf beschränkt, Gründe für und gegen eine Kooperation auszumachen, um die Matrix (Abb.1) besser beschreiben und die Payoffs verstehen zu können. Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, berücksichtigt werden muss zudem die unterschiedliche (individuelle) Gewichtung der einzelnen Punkte, die sich in der letzten Zeit sicherlich verlagert haben (SCHILLING 2003: 21). Man muss in Betracht ziehen, dass die Ereignisse vom 11. September 2001 und die nachfolgende, internationale Kampfansage dem globalen Terrorismus gegenüber auch dem Tschetschenienkonflikt ihren Stempel aufgedrückt haben (DONATH 2003: 47). Der seit Mitte der 90er Jahre zunehmende Einfluss von fundamentalistischen Kräften in der eigentlich moderat muslimischen Kaukasusrepublik hat die Knüpfung von Kontakten zu internationalen fundamentalistischen Kämpfern, nicht zuletzt solchen von Al Qaida, ermöglicht. Damit erscheint der Konflikt um Tschetschenien in einem völlig neuen Licht: Die Tschetschenen rufen zum Kampf gegen die Ungläubigen auf. Russland übernimmt die Redeweise der USA und bezeichnet fortan den Tschetschenienkonflikt als „Krieg gegen den Terrorismus“. Ausserdem schlägt man sich zu Beginn klar an die Seite Washingtons, es wird für Russland gar der Begriff „Juniorpartner“ verwendet, um die zeitweise verhältnismässig enge Beziehung der beiden ehemaligen Gegner im Kalten Krieg zu umschreiben. Nach so viel signalisierter Kooperationsbereitschaft gegenüber den USA lassen die Folgen nicht auf sich warten: Trotz dem teilweise brutalen Vorgehen der russischen Streitkräfte vernimmt man heute erstaunlich wenig internationale Kritik. Die Tschetschenen werden in der russischen Ausdrucksweise in moderate und extremistische Kräfte unterteilt und „der Westen hält sich bei seinen Verhandlungsempfehlungen an Moskau an eine solche Unterscheidung“ (DEUTSCHES INSTITUT FÜR INTERNATIONALE POLITIK UND SICHERHEIT 2002: 12). Für Russland bedeutet dies, dass sich das Land angesichts der nachlassenden Kritik weniger rechtfertigen muss, andererseits spricht die neue Verbindung des Tschetschenienkonflikts mit dem Krieg gegen den Terror von vornherein gegen eine Kooperation, denn Verhandlungen mit Terroristen werden ausgeschlossen.
Vergessen werden darf nicht, dass die Perspektivenlosigkeit der Tschetschenischen Bevölkerung mit wachsender Zerstörung ihrer Umwelt zunimmt. Wem nichts mehr bleibt als Hass und Rache, dem wird Krieg mehr Wert sein als Kooperation. Die Situation verschärft sich also zunehmend und wird immer schwieriger zu lösen.
[...]
[1] Komplexere Spiele können auch mit mehreren Akteuren gespielt werden. Es existieren Computerprogramme (TIT FOR TAT etc.) zur Berechnung langer und komplizierter Auszählungsmatrizen.
[2] Es muss betont werden, dass diese Payoffs aufgrund eigener Einschätzungen der jeweiligen Parteien so verteilt sind, aus rein wirtschaftlicher Lage und aus vielen anderen Perspektiven wäre gegenseitige Kooperation mehr Wert.
[3] Der Gaza-Streifen ist nun seit über 40 Jahren ein Konfliktherd.
- Citar trabajo
- Philipp Schär (Autor), Stéphanie Conrad (Autor), 2004, Warum finden die Akteure im Tschetschenienkonflikt nicht aus der derzeitigen kriegerischen Situation heraus? - Der Tschetschenienkonflikt, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67806
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