Kadir Dağlar von der Föderation der türkischen Elternvereine in Düsseldorf beschreibt die Lage der deutschen Einwanderungsgesellschaft und zugleich den Bildungsnotstand der Migrantenkinder und -jugendlichen, den die PISA-Studie offenbart hat, mit diesen Worten "Wir Migranten fühlten uns all die Jahre oft wie Passagiere dritter Klasse auf einem Luxusdampfer und wir kämpften mühsam darum, von den unteren Decks nach oben zu gelangen. Heute müssen wir feststellen, dass das ganze Schiff ins Schlingern geraten ist. Nur gemeinsam können wir es wieder auf Kurs bringen" (Kabis, AID 2002). Jahrelang wurde in der Bundesrepublik eine verfehlte Bildungspolitik mit einer halbherzigen Integrationspolitik durchgeführt. Nach der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse, die eine Herausforderung an die Bildungs- und an die Migrationspolitik sind, kam man in der Öffentlichkeit und in der Politik rasch zu dem Ergebnis, dass die Migrantenkinder schuld seien am katastrophalen deutschen Abschneiden. "Ohne Migranten würde Deutschland in der Bewertung einen Riesensprung machen: vom einundzwanzigsten auf den neunzehnten Rang"- so lautet der zynische Kommentar, den der Bildungsforscher Klaus Klemm auf einer Fachtagung der Forschungsstelle für Interkulturelle Studien in Köln formulierte (ebd.).
Tatsächlich haben die Migrantenjugendlichen in der PISA-Erhebung geringere Kompetenzwerte in allen Bereichen erzielt als die deutschen. Um die Ursachen des schlechten Abschneidens zu analysieren, wurde der Blick auf die Bildungspolitik und auf das deutsche Bildungssystem gerichtet, das wie die Integrationspolitik seit Jahren auf Inklusion statt Exklusion setzt (ebd.). So stellt z.B. die Selektion am Ende der Grundschule bzw. der sechsten Klasse für die Migrantenkinder und -jugendlichen mit ungünstigen Eingangsvoraussetzungen eher eine Hürde dar. Die aktuelle Bildungspolitik gibt bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider keinen Anlass dafür, das Problem der Benachteiligung als gelöst zu betrachten. Die traditionelle, monolinguale und monokulturelle deutsche Schule hat sich den sprachlich-kulturellen Neuerungen nicht anpassen können. Es wurden keine Bemühungen unternommen, die ethnische und nationale Heterogenität der Migrantenkinder und -jugendlichen als Herausforderung für eine qualitative neue Bildungspolitik zu betrachten. „Deutschland braucht ein stärker förderndes und weniger selektierendes Bildungssystem.
INHALT
1 Einleitung
2 Bestandaufnahme der Bildungssituation von Kindern mit Migrationshintergrund
2.1 Entwicklung der Schülerzahlen von 1970 bis
2.2 Verteilung auf die Schularten
2.3 Verteilung nach Schulabschlüssen
2.4 Verteilung nach Geschlecht
2.5 Regionale und nationalitätenspezifische Unterschiede in der Bildungsbeteiligung
2.6 Schulleistungsvergleichsstudie PISA
2.6.1 Jugendliche aus Migrantenfamilien
2.6.2 Basiskompetenzen der Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund
2.6.3 Geschlechterunterschiede in Basiskompetenzen
2.6.4 Befunde zu den beiden größten Herkunftsgruppen
bei der PISA-Studie
2.6.4.1 Zugewanderte Jugendliche aus der ehemaligen
Sowjetunion
2.6.4.2 In Deutschland geborene Jugendliche mit Eltern
aus der Türkei
2.7 Schlussfolgerungen und Datenkritik
3 Erklärungsansätze für die Bildungsbenachteiligung
3.1 Soziokulturelle und sozioökonomische Faktoren
3.1.1 Das Einreisealter
3.1.2 Wohnort- und Lebensbedingungen der Migrantenfamilien
3.1.3 Sozioökonomischer Status und das Einkommen der Eltern
3.1.4 Bildungsstand der Eltern und kulturelles Kapital
3.1.5 Soziale Herkunft und Kompetenzerwerb
3.2 Bildungspolitische Faktoren
3.3 Schulsystemimmanente Faktoren
3.3.1 Das deutsche Bildungssystem – integrativ oder selektiv?
3.3.2 Institutionelle Diskriminierung
3.3.2.1 Die Einschulung
3.3.2.2 Überweisung auf eine Sonderschule für Lern-
behinderte (SOLB)
3.3.2.3 Übergang in die Sekundarstufe
3.4 Sprache und Sprachkompetenz
3.5 Zusammenfassung
4 Anregungen für die Veränderung schulischer
Angebotsstrukturen
4.1 Die Aufgabe der deutschen Schule
4.2 Fördermaßnahmen im Elementar-, Primar- und
Sekundarbereich
4.2.1 Sprachliche Fördermaßnahmen
4.2.2 Außerschulische Fördermaßnahmen
5 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Kadir Dağlar von der Föderation der türkischen Elternvereine in Düsseldorf beschreibt die Lage der deutschen Einwanderungsgesellschaft und zugleich den Bildungsnotstand der Migrantenkinder und –jugendlichen, den die PISA-Studie offenbart hat, mit diesen Worten "Wir Migranten fühlten uns all die Jahre oft wie Passagiere dritter Klasse auf einem Luxusdampfer und wir kämpften mühsam darum, von den unteren Decks nach oben zu gelangen. Heute müssen wir feststellen, dass das ganze Schiff ins Schlingern geraten ist. Nur gemeinsam können wir es wieder auf Kurs bringen" (Kabis, AID 2002).
Jahrelang wurde in der Bundesrepublik eine verfehlte Bildungspolitik mit einer halbherzigen Integrationspolitik durchgeführt. Nach der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse, die eine Herausforderung an die Bildungs- und an die Migrationspolitik sind, kam man in der Öffentlichkeit und in der Politik rasch zu dem Ergebnis, dass die Migrantenkinder schuld seien am katastrophalen deutschen Abschneiden. "Ohne Migranten würde Deutschland in der Bewertung einen Riesensprung machen: vom einundzwanzigsten auf den neunzehnten Rang" - so lautet der zynische Kommentar, den der Bildungsforscher Klaus Klemm auf einer Fachtagung der Forschungsstelle für Interkulturelle Studien in Köln formulierte (ebd.).
Tatsächlich haben die Migrantenjugendlichen in der PISA-Erhebung geringere Kompetenzwerte in allen Bereichen erzielt als die deutschen. Um die Ursachen des schlechten Abschneidens zu analysieren, wurde der Blick auf die Bildungspolitik und auf das deutsche Bildungssystem gerichtet, das wie die Integrationspolitik seit Jahren auf Inklusion statt Exklusion setzt (ebd.).
So stellt z.B. die Selektion am Ende der Grundschule bzw. der sechsten Klasse für die Migrantenkinder und –jugendlichen mit ungünstigen Eingangs-voraussetzungen eher eine Hürde dar. Die aktuelle Bildungspolitik gibt bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider keinen Anlass dafür, das Problem der Benachteiligung als gelöst zu betrachten. Die traditionelle, monolinguale und monokulturelle deutsche Schule hat sich den sprachlich-kulturellen Neuerungen nicht anpassen können. Es wurden keine Bemühungen unternommen, die ethnische und nationale Heterogenität der Migrantenkinder und –jugendlichen als Herausforderung für eine qualitative neue Bildungspolitik zu betrachten.
„ Deutschland braucht ein stärker förderndes und weniger selektierendes Bildungssystem. Es geht um individuelle Förderung, um Begabungen zu erkennen und zu fördern sowie Schwächen abzubauen […] Das Bildungs-system muss - streng nach dem Grundsatz „Jedes Kind ist wichtig, keines bleibt zurück“ - Verantwortung für den Bildungsprozess jedes einzelnen Kindes übernehmen“ (Beck, www.bundesregierung.de).
Die vorliegende Arbeit soll zunächst einen Überblick über die PISA-Ergebnisse von Migrantenkinder, speziell in Deutschland geben. Im Anschluss soll dann nach den Gründen für deren „ schlechtes Abschneiden“ gefragt werden und es sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, mit welchen Maßnahmen die betroffenen Kinder und Jugendlichen besser in die deutsche Bildungslandschaft und Gesellschaft integriert werden können, so dass auch sie die Chance erhalten, erfolgreich am sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben des Einwanderungslandes Deutschland teilzunehmen.
Folgende Fragen bilden den Ausgangspunkt meiner Darstellung: Sind die Migrantenkinder im deutschen Bildungssystem gleichberechtigt? Welche Faktoren beeinflussen den schulischen Misserfolg von Migrantenkindern und -jugendlichen? Haben die Eltern bzw. deren sozioökonomischer und -kultureller Status Einfluss auf den Schulerfolg? Welche institutionellen Barrieren sind neben individuellen Faktoren für die eklatanten Differenzen im Schulerfolg verantwortlich? Ist das deutsche Bildungssystem integrativ oder selektiv? Wie sind speziell die türkischen Kinder und Jugendlichen davon betroffen?
Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil geht es um Bestandsauf-nahme der Bildungssituation von Kindern mit Migrationshintergrund. Zunächst werden Bildungsbeteiligung und –erfolg der Migrantenkinder und –jugendlichen seit 1970 mithilfe statistischer Auswertungen dargestellt; anschließend werde ich auf regionale und nationalitätenspezifische Unterschiede in der Bildungsbeteiligung eingehen. Zum Abschluss des ersten Teils werden dann Ergebnisse der PISA-Studie, soweit sie für die hier dargestellte Thematik relevant sind, hinzugezogen.
Im zweiten Teil soll dann nach den Gründen für das „ schlechte Abschneiden“ von Migrantenkindern gefragt und Faktoren aufgezeigt werden, die zu einer Benachteiligung von Migrantenkindern im deutschen Schulsystem beitragen. Dabei soll ausführlich auf individuelle und institutionelle Barrieren in der Schullaufbahn von Migrantenkindern eingegangen werden.
Aus der Darstellung werden dann Schlussfolgerungen gezogen, die die Verän-derung schulischer Angebotsstrukturen betreffen, die dazu beitragen könnten, die betroffenen Kinder und Jugendlichen so in die deutsche Bildungslandschaft und Gesellschaft zu integrieren, dass auch sie die Chance erhalten, erfolgreich am sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben des Einwanderungs-landes Deutschland teilzunehmen.
(Hinweis: An einigen Stellen wird durch hochgestellte Zahlen auf Anmerkungen verwiesen; diese finden sich ebenso wie die im Text erwähnten Tabellen und Abbildungen im Anhang.)
2. Bestandsaufnahme der Bildungssituation von Kindern mit Migrationshintergrund
Im Folgenden sollen die Bildungsbeteiligung und der Schulerfolg von Jugend-lichen mit Migrationshintergrund nach der offiziellen Schulstatistik dargestellt werden; dabei werden vor allem Jugendliche aus den Anwerbeländern, mit denen bis 1973 Anwerbeverträge abgeschlossen waren (Gogolin, www2.erzwiss.uni-hamburg.de), berücksichtigt. Keine Informationen lassen sich der offiziellen Schulstatistik über die deutschen Staatsangehörigen ausländischer Herkunft entnehmen, da Aussiedler und eingebürgerte Personen darin „verschwinden“ (ebd.).
Die Schulstatistik sagt zudem zwar etwas über den relativen Schulerfolg der Jugendlichen nicht deutscher Herkunft in den einzelnen Bundesländern aus, nichts aber über deren Wissen bzw. Kompetenzen. Daher werden diesbezüg-liche Informationen in Abschnitt 2.6 aus der PISA-Studie bezogen. Während die Schulstatistik nach der Staatsangehörigkeit differenziert, wird in der PISA-Studie nach Schülern mit und ohne Migrationshintergrund unterschieden (Hunger/ Thränhardt, 2003:65).
2.1 Entwicklung der Schülerzahlen zwischen 1970-2004
Im Schuljahr 2004/05 wurden die allgemeinbildenden Schulen in der Bundes-republik Deutschland von 951.314 Schüler/-innen mit Migrationshintergrund be-sucht. Die Zahl entspricht 10,1% aller Schüler/-innen des Schuljahres 2004/05 und hat sich seit 1970 ausgehend von 160.076 (1,7%) versechsfacht (Statistisches Bundesamt, 2004,2005; KMK, 2002:11; sh. Abbildung 2.1). Die Türkei ist das quantitativ bedeutsamste Herkunftsland der Schüler/-innen mit Migrationshintergrund. Seit 1970 ist der Anteil der türkischen Schüler/-innen von 17,1% auf 43,3% gestiegen (KMK, 1981, 2002:12; ebd.; sh. Abbildung 2.3). Im Schuljahr 2004/05 betrug der Anteil der türkischen Schüler/-innen an allen ausländischen Schüler/-innen 411.641 (43,3%). Weitere 105.573 (11,1%) stammten aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wie Italien mit 63.617 (6,7%), Griechenland mit 33.244 (3,5%), Spanien mit 7.106 (0,75) und Portugal mit 13.355 (1,4%) Schüler/-innen (ebd.) gehören ebenfalls zu den „ 6 Hauptherkunftsländern der Gastarbeiter“ (KMK, 1981:IV), die in der Schule vertreten sind. Von den übrigen Schüler/-innen mit Migrationshintergrund stammen 20.155 (2,1%) aus Polen, 37.000 (3,9%) aus Afrika und 123.130 (12,9%) aus Asien. Die restlichen 136.493 (14,3%) Schüler/-innen kamen aus anderen europäischen Staaten und aus Staaten außerhalb Europas (Statistisches Bundesamt, 2004, 2005; KMK, 2002:11-12; sh. Abbildung 2.2).
2.2 Verteilung auf die Schularten
Betrachtet man die Veränderung in der Verteilung der ausländischen Schüler/-innen auf die verschiedenen Schulformen seit 1970, so können deutliche Verbesserungen in der Bildungsposition von Migrantenkindern im Vergleich zu Einheimischen festgestellt werden. Obwohl der Hauptanteil der allochthonen Schüler/-innen noch immer auf die Hauptschule entfällt, ist der Anteil derer, die eine Realschule oder ein Gymnasium besuchen, seit 1970 stetig gewachsen. Der Anteil der ausländischen Schüler/-innen in Real-, Gesamt- und Waldorfschulen sowie Gymnasien lag 1970 insgesamt bei nur 12% (Hunger, 2001:134). Die Zahl stieg bis 2004 um mehr als das Doppelte auf 28,2% (ebd.; Statistisches Bundesamt, 2004, 2005).
Insbesondere hat sich der Anteil von Migrantenkindern an Haupt- und Realschüler/-innen und Gymnasiasten seit 1970 deutlich verändert. 1978 gingen 35,4% zur Hauptschule, 5,1% zur Realschule und 8% zum Gymnasium. 2004 besuchten hingegen insgesamt mehr Migrantenkinder Gymnasien (10,3%), Realschulen (10,28%), Gesamt- und freie Waldorfschulen (7,6%) als Hauptschulen (21,3%) (ebd.). Allerdings hat sich im gleichen Zeitraum die Quote der ausländischen Sonderschüler/-innen von 2,4% im Jahre 1970 auf 7,1% im Jahre 2004 drastisch erhöht, so dass insgesamt von einer zuneh-menden Polarisierung gesprochen werden kann (ebd.; sh. Abbildung 2.4).
Betrachtet man die Quote des allgemeinbildenden Sekundarbereichs im Jahr 2004, so ergeben sich auf der Bundesebene markante Unterschiede für den Schulbesuch deutscher und ausländischer Schüler/-innen. Während 21,3 % der Migrantenkinder die Hauptschule besuchen, wird diese Schulart nur von 10,2% der einheimischen Schüler/-innen besucht. Allochthone Schüler/-innen besuchen dagegen zu größeren Anteilen das Gymnasium mit 26,6 % gegenüber 10,3 % der ausländischen Schüler/-innen des Sekundarbereichs und die Realschule 14,5 % gegenüber 10,29% (KMK, 2002:24; Statistisches Bundesamt, 2004, 2005). Daraus ergibt sich, dass die ausländischen Kinder gegenwärtig gegenüber den einheimischen Mitschüler/-innen in Hauptschulen überrepräsentiert und in den Gymnasien unterrepräsentiert sind (Ulich/ Mayr, 2004:12; Munoz, www.taz.de/pt/2006/02/22/a0148.1/text).
Bei der Verteilung der deutschen und ausländischen Schüler/-innen auf Sonderschulen fallen ebenfalls markante Unterschiede auf. Während 4,1% der deutschen Schüler/-innen die Sonderschule besuchen, besuchen die ausländischen Schüler/-innen diese mit der Quote von 7,1% (KMK, 2002:41; Statistisches Bundesamt, 2004, 2005; sh. Abbildung 2.5).
Die Hälfte aller Schüler/-innen mit sonderpädagogischer Förderung wird in Deutschland dem Förderschwerpunkt Lernen zugeordnet. Hiervon sind die ausländischen Schüler/-innen im Verhältnis zur jeweiligen Gesamtpopulation überproportional betroffen, denn 4,4% von ihnen besuchten im Schuljahr 2004 die Sonderschulen, während dies unter den Einheimischen nur 2,5% waren (KMK, 2002:42; Statistisches Bundesamt, 2004, 2005).
2.3 Verteilung nach Schulabschlüssen
Im Schuljahr 2003/04 verließen insgesamt 84.594 ausländische Schüler/-innen die allgemeinbildenden Schulen in Deutschland. Davon beendete jeder fünfte Absolvent (18,1%) seine Schullaufbahn, ohne einen Abschluss erworben zu haben (KMK, 2002:52; Statistisches Bundesamt, 2004, 2005; sh. Tabelle 2.1). Seit 1991 ist der Anteil der ausländischen Abgänger ohne Hauptschulabschluss von 20,9% auf 18,1% zurückgegangen, hingegen hat sich die Quote der Einheimischen von 6,7% um 7,4% erhöht. Dennoch zeigen die Zahlen, dass der Anteil der ausländischen Abgänger ohne Hauptschulabschluss noch deutlich höher ist als der Anteil der deutschen Schulabgänger.
Auch der Anteil der Absolventen mit Hauptschulabschluss ist unter den ausländischen Schüler/-innen höher als unter den deutschen. Während insgesamt 40,9% der ausländischen Schüler/-innen einen Hauptschulabschluss erlangen, liegt der Anteil unter der deutschen Bevölkerung nur bei 23,5%. Der Anteil bei den ausländischen Absolventen mit Hauptschulabschluss ist im Jahr 2003 mit einer Differenz von 3,5% zu früheren Jahren zweifach geringer geworden als bei den deutschen mit 1,6% (KMK, 2002:53-54; Statistisches Bundesamt, 2004, 2005).
Die Zahl der Absolventen mit Realschulabschluss ist im Gegensatz dazu unter den deutschen Schulabgängern deutlich höher als unter den ausländischen. Während 43,7% der deutschen Schüler/-innen einen Realschulabschluss erwerben, gelingt dies nur 30,8% der ausländischen Schüler/-innen. Der Anteil der ausländischen Schüler/-innen mit Realschulabschluss hat sich seit 1991 um 4,5% erhöht, während dies bei den Einheimischen nur 2,1% ist (KMK, 2002:56; Statistisches Bundesamt, 2004, 2005).
Die deutlichsten Unterschiede zwischen deutschen und ausländischen Absolventen zeigen sich im Erwerb der Fachhochschul- und Hochschulreife. Während im Schuljahr 2003 25,5% der deutschen Schüler/-innen bundesweit eine Studienberechtigung erwarben, traf dies nur für 10,2% der ausländischen Schüler/-innen zu (KMK, 2002:57; ebd.).
2.4 Verteilung nach Geschlecht
Im Schuljahr 2004/05 besuchten 951.314 ausländische Schüler/-innen die allgemeinbildenden Schulen in Deutschland. Davon waren 488.891 (51,4%) männlich und 462.423 (48,6%) weiblich. Tabelle 2.2 zeigt noch einmal die Verteilung der ausländischen Schüler/-innen nach Schulart, diesmal aber aufgeschlüsselt nach dem Geschlecht (Statistisches Bundesamt, 2005).
Betrachtet man die Quote ausländischer Schüler/-innen im allgemeinbildenden Sekundarbereich im Jahr 2004, so ergeben sich für den Schulbesuch von Migranten und Migrantinnen markante Unterschiede. So besuchten 22,4% der Gesamtpopulation der männlichen Migrantenjugendlichen die Hauptschule, gegenüber 20,2% weiblichen Jugendlichen. Die Absolventen der Realschule waren zu 9,7% männlich und zu 11% weiblich; das Gymnasium besuchten 9,2% männliche und 11,6% weibliche ausländische Jugendliche; in den Gesamtschulen waren 7,1% männliche und 7,7% weibliche, in der Sonder-schule 8,3% männliche und 5,8% weibliche ausländische Jugendliche vertreten (Statistisches Bundesamt, 2005).
Es wird deutlich, dass die ausländischen Schülerinnen in den weiterführenden Schulformen des Sekundarbereichs wie Realschule und Gymnasium häufiger vertreten sind als ausländische Schüler. In der Gesamtschule sind sie fast gleich stark vertreten (Heß-Meining, 2004:143). Aus der Tabelle 2.2 wird die Schlechterstellung der männlichen Schüler besonders ersichtlich (Heß-Meining, 2004:144).
2.5 Regionale und nationalitätenspezifische Unterschiede in der Bildungsbeteiligung
Betrachtet man die Verteilung ausländischer Schüler/-innen auf die verschiedenen Bundesländer, so zeigen sich quantitative Unterschiede mit einer klaren Konzentration auf die vier Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und Hessen (Hunger 2001:142). Mit 32,2% entfällt etwa ein Drittel der ausländischen Schüler/-innen auf Nordrhein-Westfalen; daneben besucht fast ein Sechstel der ausländischen Schüler/-innen (17,2%) die allgemeinbildenden Schulen in Baden-Württemberg. Damit verteilt sich fast die Hälfte der Gesamtpopulation der ausländischen Schüler/-innen auf diese beiden Länder. Wenn man Bayern mit 12,5%, Hessen mit 10,6% und Niedersachsen mit 7,5% hinzunimmt, so entfallen gut 80% der ausländischen Schüler/-innen auf fünf von sechzehn Ländern. Die verbleibenden 20% ausländischer Schüler/-innen verteilen sich auf die übrigen elf Länder. Unter diesen haben Berlin mit 6,2%, Rheinland-Pfalz mit 4% und Hamburg mit 3,6% den größten Anteil zu verzeichnen (KMK, 2002:14; Statistisches Bundesamt, 2004, 2005; sh. Abbildung 2.6).
Diese Ungleichverteilung relativiert sich allerdings, wenn man die unterschied-lichen Bevölkerungs- bzw. Schülerzahlen der Länder berücksichtigt: Während z.B. in Bremen nur 73.898 Schüler/-innen die allgemeinbildenden Schulen besuchen, sind es in Nordrhein-Westfalen 2.333.379 Schüler/-innen. Gemessen an der Gesamtschülerschaft weist demnach Hamburg mit 18,6% den höchsten Ausländeranteil auf - dort ist fast jeder fünfte Schüler Ausländer. Auch ist der Anteil der ausländischen Schüler/-innen in Berlin mit 16,5%, in Bremen mit 15,7%, in Hessen mit 14,2%, in Baden-Württemberg mit 12,4% und in Nord-rhein-Westfalen mit 13,1% überdurchschnittlich hoch (KMK, 2002:15-16; ebd.).
Abbildung 2.7 soll die Anteile der ausländischen Schüler/-innen nach ihren Herkunftsstaaten in ausgewählten Bundesländern darstellen. Die größte Gruppe der ausländischen Schüler/-innen stellen die Türken mit einer Quote von 43,3%, wobei auch sie nicht zu gleichen Anteilen in den Ländern verteilt sind. Während in Nordrhein-Westfalen 50%, in Bremen 49%, in Berlin 42,8%, in Schleswig-Holstein 42,6% und in Baden-Württemberg 42,3% die türkische Staatsangehörigkeit besitzen – also fast jede/r zweite ausländische Schüler/-in, ist es im Bayern mit 39,8% und Saarland mit 32,8% nur fast jeder dritte. Auch in Ländern wie Hessen mit 41,6%, Niedersachsen mit 39,4% und Hamburg mit 37,3% liegt eine überproportionale Verteilung vor (KMK, 2002:19; Statistisches Bundesamt, 2004, 2005).
Eine ähnlich ungleiche Verteilung gilt für Schüler/-innen aus anderen Ländern wie z.B. aus dem ehemaligen Jugoslawien (Bundesdurchschnitt: 11.1%; Bayern: 16,3%), aus Italien (Bundesdurchschnitt: 6,7%; Baden-Württemberg: 13,9%) usw. (ebd., 17).
Aber nicht nur die Verteilungsrate zeigt markante Unterschiede, sondern auch die Schulerfolgsquoten bezogen auf einzelne Herkunftsgruppen. Betrachtet man die Verteilung der ausländischen Schüler/-innen aus den ehemaligen Anwerbeländern auf die verschiedenen Schulformen, so kann man Diskrepanzen im Schulerfolg zwischen den einzelnen Migrantengruppen feststellen. Tabelle 2.4 stellt diese prozentuale Verteilung der ausländischen Schüler/-innen auf die verschiedenen Schularten dar.
Besonders fällt das gute Abschneiden der spanischen und polnischen Schüler/-innen auf; mehr als 40% der spanischen und polnischen Schüler/-innen besuchen weiterführende Schulen. Sie erhalten höhere Schulabschlüsse im Vergleich zu anderen nationalen Gruppen. Während 21,5% und 15,3% der polnischen und spanischen Schüler/-innen das Gymnasium besuchen, ist der Anteil bei den türkischen und italienischen mit 6,2% und 6,9% wesentlich niedriger. Ihnen folgen die Gymnasiasten mit griechischer, portugiesischer und jugoslawischer Staatsangehörigkeit, die mit den Quoten von 11,8%, 9,3% und 9,5% im Vergleich zu den Italienern und Türken ebenfalls einen besseren Schulerfolg zeigen (Statistisches Bundesamt, 2004, 2005).
In der Realschule gibt es hingegen kaum Schwankungen zwischen den Nationalitätengruppen. Die Polen mit 12,4% und die Spanier mit 14% besuchen die Realschule etwas häufiger. In den Gesamtschulen sind mit 8,5% türkische Schüler/-innen, mit 8,2% spanische Schüler/-innen und mit 7,8% polnische Schüler/-innen vertreten.
Besonders auffallend ist die starke Repräsentanz der ausländischen Schüler/-innen in den Hauptschulen. 21,3% der Gesamtpopulation der ausländischen Schüler/-innen besuchen die Hauptschule. Während 14,9% und 16,1% der Schüler/-innen mit spanischer und polnischer Staatsangehörigkeit die Hauptschulen besuchen, ist der Anteil bei den italienischen mit 26,3%, bei den ehemals jugoslawischen mit 25,5% und bei den türkischen Schülern/-innen mit 23,7% drastisch höher. Die Portugiesen und Griechen sind zahlenmäßig etwas geringer in der Hauptschule vertreten als die Türken, Jugoslawen und Italiener (KMK, 2002:28; Statistisches Bundesamt, 2004, 2005).
In den Sonderschulen sind mit 13,3% überproportional die Schüler aus dem ehemaligen Jugoslawien vertreten. Die Italiener folgen mit 8,8%. Der Bundesdurchschnitt der ausländischen Sonderschüler/-innen beträgt 4,1%. Mit Ausnahme der polnischen Schüler/-innen mit 3,2% liegen alle über dem Bundesdurchschnitt. Abbildung 2.8 soll die Verteilung der ausländischen Schüler auf die Schularten in ausgewählten Bundesländern im Schuljahr 2004/05 veranschaulichen.
In den Ländern, in denen die Hauptschule Bestandteil des Bildungssystems ist, sind die Anteile der ausländischen Schüler/-innen sehr hoch. In Bayern besuchen 34%, in Baden-Württemberg 31,2%, in Rheinland-Pfalz 21,3%, in Nordrhein-Westfalen 20,4% und in Niedersachsen 19,4% der ausländischen Schüler/-innen Hauptschulen. In Hessen mit 12,4%, Hamburg mit 11,6% und Bremen mit 11,3% sind die Quoten dagegen deutlich niedriger (Statistisches Bundesamt, 2005).
In Niedersachsen mit 16,1%, Hessen mit 13%, Baden-Württemberg mit 11,3% und Bremen mit 10,7% verteilen sich die ausländischen Schüler/-innen zudem stärker auf die Realschulen. Mit 15,6 % ist die Quote der ausländischen Schüler, die ein Gymnasium besuchen, in Hamburg am höchsten; darauf folgen die Länder Bremen mit 12,8%, Hessen mit 12,6% und Berlin mit 12,4% (ebd.).
Die integrierten Gesamtschulen sind in den Ländern mit sehr schwankender quantitativer Bedeutung vertreten. So sind sie in Baden-Württemberg mit 0,4% und in Bayern mit 0,3% nur eine Randerscheinung. In Rheinland-Pfalz mit 2,4%, Niedersachsen mit 3,1% und Bremen mit 6,9% sind sie quantitativ von eher nachrangiger Bedeutung. In den übrigen Ländern haben die Gesamtschulen eine zentrale Stellung im Bildungssystem. Besonders auffällig ist der Gesamtschulbesuch der ausländischen Schüler/-innen in Hamburg mit 20,4%. Ihnen folgen die Länder Nordrhein-Westfalen mit 12,5%, Berlin mit 12,1% und Hessen mit 10,2% (KMK 2002:36-37; Statistisches Bundesamt 2005). In Niedersachsen mit 9,1%, Baden-Württemberg mit 8,1% und Nordrhein-Westfalen mit 7,4% sind die ausländischen Schüler/-innen in den Sonderschulen überproportional vertreten (ebd., 44).
2.6 Schulleistungsvergleichsstudie „Programme for International Student Assessment“ (PISA)
Die Abkürzung „PISA“ steht für „Programme for International Student Assesment“. Die internationale Schulleistungsvergleichsstudie wurde von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) im Jahre 2000 zum ersten Mal durchgeführt. Es ist ein Kooperationsprojekt der OECD-Mitgliedsstaaten, mit dessen Hilfe festgestellt werden soll, ob 15–jährige Jugendliche am Ende ihrer Pflichtschulzeit auf die Herausforderungen der heutigen Wissensgesellschaft ausreichend vorbereitet sind. Die Erhebung konzentrierte sich nicht nur auf das schulische Wissen der Jugendlichen, sondern auch darauf, inwieweit diese allgemeine Konzepte, Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten besitzen, um ihr Wissen in Alltagssituationen anwenden zu können (vgl. OECD, 2001:14).
Es geht in der PISA- Studie also nicht direkt um die Überprüfung des „ rasch veraltenden Wissens“, (Lange, 2004:53) sondern um die Beherrschung basaler Kompetenzen, die Voraussetzung einer Selbstregulation des Wissenserwerbs sind. Sie haben in einer Wissensgesellschaft, in der es immer mehr auf die Fähigkeit zu lebenslangem Lernen ankommt, überragende Bedeutung; PISA benennt diese als „ life skills“, da sie Voraussetzungen des Lernens und Verstehens darstellen und in allen Fächern entwickelt und gepflegt werden müssen (vgl. Lange, 2004:53).
Die PISA-Studie soll den teilnehmenden OECD-Mitgliedsstaaten Stärken und Schwächen ihres jeweiligen Bildungssystems aufzeigen und damit auch Infor-mationen über die Ergebnisse des Lehrens und Lernens in unterschiedlichen Bildungssystemen und deren Qualität liefern (PISA, 2006). Es ist die bisher umfassendste und langfristigste internationale Studie zur Erfassung von Schülerleistungen und Daten über schülerspezifische, familiäre und institu-tionelle Faktoren, die als Hintergrundmerkmale der Leistungsunterschiede in den Teilnehmerländern herangezogen werden (OECD, 2001:14).
Insgesamt sind drei Zyklen der Leistungserhebung vorgesehen. In jedem Zyklus wird eine Kernkompetenz gründlicher getestet, der zwei Drittel der Testzeit zugeteilt werden, während in den anderen Bereichen nur zusammen-fassende Leistungsprofile erfasst werden. Den Anfang bildete die Durchführung im Jahre 2000 mit dem Schwerpunkt der Lesekompetenz (Reading Literacy). 2003 wurde die mathematische Grundausbildung (Mathematical Literacy), 2006 die naturwissenschaftliche Grundausbildung (Scientific Literacy) vorrangig geprüft; 2009 wird dann wieder die Lesekompetenz als Kernkompetenz getestet (Deutsches PISA-Konsortium, 2002:13; OECD, 2001:17; www.mpib-berlin.mpg.de/pisa/Rahmenkonzeptiondt.pdf). Die Erhebung soll regelmäßig alle drei Jahre wiederholt werden (OECD, 2001:18).
Bei PISA werden zusätzlich auch die fächerübergreifenden Kompetenzen erhoben. Während in der Erhebung im Jahr 2000 das selbstorganisierte Lernen im Mittelpunkt stand, stand 2003 das Problemlösen im Zentrum dieser sogenannten Cross-Curricular-Competencies. Erhebungen zu Lernstrategien, Lernmotivation und zur Vertrautheit mit Informationstechnologien ergänzen den fächerübergreifenden Untersuchungsbereich (Prenzel et al., 2004:15.).
2.6.1 Jugendliche aus Migrationsfamilien
Seit 1955 hat sich die Bundesrepublik Deutschland klar sichtbar zu einem Einwanderungsland entwickelt, was sich auch im Schulalltag widerspiegelt. In vielen Schulen sind multiethnisch zusammengesetzte Klassen die Regel geworden. Der größte Teil der schulpflichtigen Schüler/-innen stammt aus Zuwandererfamilien, von denen zumindest ein Elternteil im Ausland geboren ist.
Da die amtlichen Statistiken – wie oben beschrieben – nur einen Teil der Schüler/-innen mit Migrationshintergrund erfassen, wurde in den PISA-Studien nach dem Geburtsland der Eltern und der teilnehmenden Schüler/-innen sowie nach der Familiensprache gefragt (vgl. Deutsches PISA-Konsortium, 2002:189). Der Sprachgebrauch in der Familie wurde vor allem deshalb erfragt, weil er die Sprachkenntnisse und damit auch die Möglichkeit des Kompetenzerwerbs stark beeinflussen kann (Ramm et al., 2005:271). PISA 2003 unterteilte die 15-Jährigen dann in vier Gruppen:
- Jugendliche ohne Migrationshintergrund.
- Jugendliche mit einem im Ausland geborenen Elternteil.
- Erste Generation. Die 15-Jährigen sind selbst in Deutschland geboren, während beide Elternteile im Ausland geboren sind.
- Zugewanderte Familien. Die 15-Jährigen und beide Elternteile sind im Ausland geboren und nach Deutschland immigriert (Ramm et al., 2005:272).
Tabelle 2.5 zeigt die Anteile dieser vier Gruppen in den einzelnen Ländern. Jugendliche mit Migrationshintergrund bilden in allen Ländern eine deutlich kleinere Gruppe als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Das Verhältnis beträgt in Deutschland 22,2% zu 77,8% - mit deutlichen Unterschieden in den einzelnen Bundesländern. In den neuen Bundesländern liegt der Anteil insgesamt bei unter 10%, die Struktur der Schulbevölkerung ist dort weit-gehend homogener als in den alten Bundesländern. Die größte Gruppe bilden die zugewanderten Jugendlichen mit 9,2%. Jugendliche mit einem Elternteil, der nicht in Deutschland geboren wurde, folgen mit 6,9%; Jugendliche aus der ersten Generation bilden die kleinste Gruppe mit 6,1%. Auch hier zeigen sich wieder Unterschiede in der Verteilung auf die einzelnen Bundesländer, so bilden z.B. in Bremen, Hamburg und Berlin die Jugendlichen aus der ersten Generation den größten Anteil; in den östlichen Ländern beträgt ihr Anteil maximal 0,2% (Ramm et al., 2005:273). Tabelle 2.6 stellt die Verteilung der Migrationsgruppen auf die einzelnen Länder dar.
2.6.2 Basiskompetenzen der Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund
Die Ergebnisse der PISA-Studie 2003 wurden am 3. November 2005 vorgestellt (www.bmbf.de/de/899.php); die zentralen Ergebnisse, die über das adäquate Kompetenzniveau der Jugendlichen mit und ohne Migrations-hintergrund in den getesteten Bereichen Aufschluss geben, sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Vorwegnehmend lässt sich bereits sagen, dass die bisherigen Resultate der Migrationsforschung bestätigt wurden, denen zufolge Schüler mit Migrationshintergrund im Durchschnitt hinter dem Erfolgsniveau von inländischen Schülern zurückbleiben (Hunger/ Thränhardt, 2003:54). Ebenfalls bestätigt wurde, dass solche Unterschiede in Deutschland stärker ausgeprägt sind als in anderen Ländern (ebd.).
Die Ergebnisse aus dem internationalen Vergleich der PISA-Studie zeigen zunächst, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland geringere Kompetenzwerte aufweisen als Jugendliche, deren Elternteile beide in Deutschland geboren wurden (Ramm et al., 2004: 258). Tabelle 2.7 zeigt die Basiskompetenzen der Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund in vier Bereichen, aufgeschlüsselt nach den Ländern. Für Länder, in denen der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund unter 10% liegt, werden keine Daten berichtet (vgl. Rost et al., 2005:113).
In Bayern und Baden-Württemberg erreichen die Jugendlichen mit Migrations-hintergrund die höchsten Kompetenzwerte. Die Mittelwertunterschiede zwischen den Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund betragen in Niedersachsen 43 Punkte, in Bayern 67 Punkte und in Hessen 72 Punkte.
Die Länder unterscheiden sich nicht nur nach dem durchschnittlichen Kompetenzniveau, sondern auch nach der Höhe der Anteile der Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Der Anteil an Schüler/-innen mit Migrations-hintergrund und das durchschnittliche Kompetenzniveau sind schwach assoziiert. Je größer der Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist, desto geringer ist das durchschnittliche Kompetenzniveau (Neubrand et al., 2005:71). In Schulen, in denen der Anteil der 15-jährigen Jugendlichen aus Migrantenfamilien sehr hoch ist, ergeben sich geringere Kompetenzen; dies besonders in Ländern, in denen generell hohe Anteile von Jugendlichen aus Migrantenfamilien leben.
Die Lesekompetenz hängt eng mit der sprachlichen Kompetenz zusammen (Drechsel/ Schiefele, 2005:94); Defizite der Jugendlichen in der Lesekompe-tenz wirken sich kumulativ auf die Leistungsmöglichkeiten in den anderen untersuchten Sachgebieten aus. Bei der PISA-Studie kommt dem Leistungs-bereich „Lesekompetenz“ daher ein sehr hoher Erklärungswert für die insgesamt erreichte Leistung zu (Gogolin, 2003a:37-38). Der durchschnittliche Mittelwert des Kompetenzniveaus liegt in allen Ländern bei den 15-jährigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund zwischen 433 und 477 Punkten. Bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund liegt er zwischen 495 und 536 Punkten. Das Kompetenzniveau ist in den Ländern, in denen der Anteil der Migrantenjugendlichen relativ gering ist, tendenziell höher. In Schleswig-Holstein z.B. ist der Anteil der Migrantenjugendlichen mit 17, 3% relativ gering und der erreichte Mittelwert beträgt 449 Punkte. In Ländern, in denen der Anteil der Migrant/-innen sehr hoch ist, wie in Bremen mit 35,8% oder in Hamburg mit 34,6% ist das Kompetenzniveau sehr gering. In Bayern (477 Punkte) und Baden-Württemberg (467 Punkte) liegen die Mittelwerte der 15-Jährigen mit Migrationshintergrund nahe an den Mittelwerten der Länder Bremen (495 Punkte) und Niedersachsen (499 Punkte) für Jugendliche ohne Migrations-hintergrund. Die Ergebnisse unterstreichen also deutlich, dass vom Merkmal Migrationshintergrund keineswegs immer auf schwache Lesekompetenz geschlossen werden kann (Drechsel/ Schiefele, 2005:95).
Tabelle 2.7 zeigt, dass das naturwissenschaftliche Kompetenzniveau der 15-Jährigen ohne Migrationshintergrund zwischen 507 Punkten in Bremen und 550 Punkten in Bayern variiert, während es für die Jugendlichen mit Migrations-hintergrund zwischen 441 Punkten in Bremen und 481 Punkten in Bayern schwankt. Jugendliche ohne Migrationshintergrund weisen in jedem Land eine höhere naturwissenschaftliche Kompetenz auf als Jugendliche mit Migrations-hintergrund; Gleiches gilt für die mathematische Kompetenz.
Im Ergebnis zeigt die PISA-Studie, dass die Förderung der Migrantenkinder in Deutschland bisher nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, wobei auffällt, dass sich zum einen die Unterschiede in den Kompetenzen der 15-Jährigen innerhalb der Länder vergrößern, zum anderen die durchschnittlichen Niveaus der Länder mit zunehmendem Anteil dieser Jugendlichen sinken (ebd.).
Auch bei der Problemlösekompetenz - wie auch bei den anderen fachlichen Kompetenzen -schneiden die 15-Jährigen mit Migrationshintergrund deutlich schlechter ab als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Im unteren Kompetenzbereich ist der Unterschied deutlich größer als im oberen Kompetenzbereich (Leutner et al., 2005:131). Leutner et al. interpretieren dieses Ergebnis jedoch wie folgt: „Das Ausmaß des Unterschieds variiert unabhängig vom Durchschnittsniveau der Problemlösekompetenz und hängt nur geringfügig mit dem Anteil der Migranten an der Schülerpopulation eines Landes zusammen. Der Ausgleich zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund kann somit als eigenständiges pädagogisches und bildungspolitisches Ziel angesehen werden“ (Leutner et al., 2005:135).
2.6.3 Geschlechterunterschiede in Basiskompetenzen
Wie oben bereits dargestellt, sind Mädchen mit Migrationshintergrund in weiterführenden Schulen häufiger vertreten als Jungen und erreichen insgesamt häufiger einen Schulabschluss. Die PISA-Studie 2000 zeigte bezüglich der Geschlechterdifferenzen, dass die Lesekompetenz bei den Jungen schwächer ausgeprägt ist als bei den Mädchen (Stanat/ Kunter, 2001:253). Im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften fielen die Kompetenzunterschiede zwischen Mädchen und Jungen demgegenüber geringer aus (vgl. Zimmer et al., 2004:212). Tabelle 2.8 zeigt die Anteile der Jungen und Mädchen in Prozent auf den unteren und oberen Kompetenz-stufen in den vier Basiskompetenzen. In allen Bereichen - mit Ausnahme von Mathematik auf den unteren Kompetenzstufen (Kompetenzstufe I und darunter) - sind mehr Jungen als Mädchen in den Risikogruppen vertreten. Nur auf den oberen Kompetenzstufen (Kompetenzstufe IV und V) sind die Jungen in der Mathematik und in den Naturwissenschaften in deutlich höherer Zahl zu finden. Auffallend ist der Kompetenzwert von 24,7% der Jungen beim Lesen. 10,4% der Mädchen und 11,8% der Jungen findet man in allen vier Bereichen auf den oberen Kompetenzstufen (vgl. Zimmer et al., 2004:217).
Im Lesen ist der Leistungsvorsprung der Mädchen bei kontinuierlichen Texten wie Erzählungen, Argumentationen, Darlegungen besonders ausgeprägt, während bei nicht kontinuierlichen Texten wie Formularen, Anzeigen, Tabellen, Graphiken geringere Geschlechterunterschiede zu beobachten sind. Im Vergleich zu den Mädchen haben die Jungen besondere Schwierigkeiten, Texte und ihre Merkmale kritisch zu reflektieren und zu bewerten. In den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften weisen die Mädchen insbesondere bei Aufgaben, die den Umgang mit mentalen oder mathema-tischen Modellen erfordern, relative Schwächen auf (Stanat/ Kunter, 2001:257).
Beim Vergleich der Schulleistungen hat sich gezeigt, inwieweit eine syste-matische Benachteiligung des einen oder des anderen Geschlecht besteht. Im Lesen weisen die Jungen, in Mathematik, Physik und Chemie die Mädchen relative Schwächen auf. Die Geschlechterunterschiede bestehen in der glei-chen Form nicht unbedingt auch innerhalb der Schulen derselben Schulform.
Im Lesen erschwert der Kompetenzrückstand der Jungen am Ende der Grundschulzeit den Zugang zu den weiterführenden Schulen. In der PISA-Studie 2003 wird deutlich, dass über ein Viertel der Jungen und knapp ein Sechstel der Mädchen am Ende ihrer Pflichtschulzeit ein nicht ausreichend hohes Niveau besitzen, um den Anforderungen der ständig sich ändernden Berufswelt zu genügen. Möglichst früh sollte deswegen in diesem Kernbereich eine Förderung der Jungen angesetzt werden (vgl. Zimmer et al., 2004:221).
2.6.4 Befunde zu den beiden größten Herkunftsgruppen bei der PISA-Studie 2003
Jugendliche aus den Zuwandererfamilien bilden keine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich nach ihrem eigenen und nach dem Geburtsland des Vaters sowie nach der Art der Verwendung der deutschen Sprache. An dieser Stelle sollen Unterschiede bezüglich der Kompetenzen der Herkunftsgruppen skizziert werden wobei die Ausführungen sich auf die beiden größten Gruppen, nämlich Jugendliche mit Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion und Jugendliche, deren Eltern aus der Türkei stammen, konzentrieren.
Knapp 90% der Jugendlichen mit Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion sind selbst nicht in Deutschland geboren; über 40% sprechen im Alltag vorwiegend die deutsche Sprache. Die Konstellation bei den türkischen Jugendlichen ist umgekehrt (Ramm et al., 2005:291). Etwa drei Viertel dieser Jugendlichen sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber weniger als ein Drittel dieser Jugendlichen spricht im Alltag vorwiegend Deutsch und 20% sprechen hauptsächlich nur die türkische Sprache (Ramm et al., 2005:279).
Vor diesem Hintergrund stellen Ramm et al. sich die Frage, „ ob die zugewanderten Jugendlichen aus der ehemaligen Sowjetunion ein höheres Kompetenzniveau als Schülerinnen und Schüler türkischer Abstammung aufweisen, die in Deutschland geboren wurden“ (Ramm et al., 2005:291).
Im Folgenden sollen daher das jeweilige Kompetenzniveau in Mathematik, im Lesen und in der Problemlösefertigkeit der genannten Gruppen betrachtet werden.
2.6.4.1 Zugewanderte Jugendliche aus der ehemaligen Sowjetunion
Die zugewanderten Jugendlichen bilden unter den Jugendlichen aus den Migrantenfamilien mit über 20% die größte Herkunftsgruppe (Ramm et al., 2005:292). Während in den amtlichen Schulstatistiken diese deutschstämmi-gen Jugendlichen nicht korrekt ausgewiesen werden konnten, treten sie in der PISA-Studie besonders hervor (vgl. oben, S. 14). Tabelle 2.9 stellt die Befunde an Anteilen und Kompetenzen dieser Jugendlichen ausführlich dar.
In Bremen sind diese Jugendlichen mit 8,6% am stärksten und in Berlin mit 2,0% am schwächsten vertreten. Die durchschnittlichen mathematischen Kompetenzen dieser Jugendlichen liegen in allen Ländern mit 19 Punkten (Berlin) und 54 Punkten (Bayern) unterhalb des jeweiligen Landesdurchschnitts. In Bremen ist das Kompetenzniveau etwas niedriger, in Baden-Württemberg und in Bayern etwas höher. Im Lesen liegt das Kompetenzniveau unter der durchschnittlichen Kompetenz in Mathematik. In Bremen liegt das Kompetenz-niveau mit 423 Punkten am niedrigsten. Beim Problemlösen liegt das Kompetenzniveau in fast allen Ländern deutlich höher als bei den durchschnitt-lichen mathematischen Kompetenzen. Gerade die höheren Potenziale beim Problemlösen deuten Ramm zufolge aber darauf hin, dass die Jugendlichen günstige Voraussetzungen für Fördermaßnahmen mitbringen, die im Unterricht genutzt werden sollten (Ramm et al., 2005:292-293).
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- Citation du texte
- Nuray Ozan (Auteur), 2006, Bildungsbenachteiligung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund durch das selektive Schulsystem in Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67254
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