„Als junge Familie sollte man in Frankreich, als Rentner in der Bundesrepublik leben“. In dieser und in anderen Aussagen werden, wie so oft im Alltag, relevante gesellschaftliche Erfahrungen mit einer augenzwinkernden Leichtigkeit so sehr auf den Punkt gebracht, dass eine wissenschaftliche Erläuterung oft kaum von Nöten scheint. Überall kann man es in Deutschland in der Zeitung lesen: Der Spiegel ängstigt mit seiner Titelgeschichte „Der letzte Deutsche“, die Zeit ruft später die „Geburtenkrise“ aus und der Rheinische Merkur fordert seit jeher eine neue Bevölkerungspolitik. Tatsächlich bildet die Bundesrepublik mit einer durchschnittlichen Geburtenrate von 1,29 Kindern pro Frau das Schlusslicht in Europa. Das Familienministerium geht davon aus, dass von den 1965 geborenen Frauen im Westen Deutschlands voraussichtlich 31 Prozent und im Osten 26 Prozent der Frauen kinderlos bleiben werden. Bei den Akademikerinnen liegt die Zahl noch höher. Diese Arbeit soll untersuchen, inwiefern familienpolitische Instrumente, Regelungen und die Ausgestaltung der Kinderbetreuungseinrichtungen in Deutschland geeignet sind, vor allem Frauen bei dem Wunsch zu unterstützen, Familie und Beruf zu vereinbaren. In diesem Zusammenhang wird ein direkter Vergleich mit dem Nachbarland Frankreich, dem „Pionier in der Familienpolitik“, erbracht. Frankreich ist Deutschlands engster Verbündeter in Europa. Dies ist das Ergebnis eines beispiellosen Prozesses jahrzehntelanger Annäherung. Die „Erbfeindschaft“ gehört der Vergangenheit an. Beide Länder versuchen, durch Austausch von Erfahrungen, sich zu unterstützen. Die Grundlage dieser Arbeit liegt im Besonderen in der Familienunterstützung und daraus resultierend in der Geburtenrate beider Länder. Frankreich gehört mit einer Geburtenrate von 1,9 Kindern pro Frau zur Spitze der westlichen Industrieländer. Während in vielen anderen Ländern Europas die Geburtenraten offenbar unaufhaltsam sinken, steigt sie in Frankreich wieder an. Bevölkerungsforscher drücken dies so aus: „Hinsichtlich der Geburtenrate steht die Bundesrepublik heute im Weltvergleich dort, wo Frankreich zwischen 1800 bis 1940 stand, nämlich an letzter Stelle“. Wie es dazu kommen konnte und welche demografischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen daraus entstanden sind, soll diese Arbeit verdeutlichen. Des Weiteren stellt der Bericht die aktuellen Instrumente und Ziele beider familienpolitischer Ansätze gegenüber und vergleicht ihr Wirken gegeneinander.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1. Problemhintergrund
2. Fragestellung und Hypothesen
3. Begriffe und Abgrenzungen
II. Historische Hintergründe in Deutschland und Frankreich
1. Historische Hintergründe in Deutschland
1.1 Familienunterstützung im Kaiserreich
1.2 Familienkontroverse in der Weimarer Republik
1.3 Bevölkerungspolitik im Nationalsozialismus
1.4 Die Familie in der DDR und in der BRD
1.5 Familienpolitik von der Wende bis heute
2. Historische Hintergründe in Frankreich
2.1 Natalistischer Impetus im Ancien Régime und der I. Republik
2.2 Malthus Einfluss in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert
2.3 Sozialpatronage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
2.4 Das familienpolitische Rahmengesetz von 1939
2.5 Moderne Familienpolitik im Wohlfahrtsstaat
3. Motive der Familienpolitik
3.1 Familienpolitik als Bevölkerungspolitik
3.2 Familienpolitik als Institutionenpolitik
3.3 Familienpolitik als Familienmitgliederpolitik
4. Zusammenfassung
III. Demografische Tendenzen in Deutschland und Frankreich
1. Demografische Tendenzen in Deutschland
1.1 Geburtenrückgang
1.2 Alterung der Gesellschaft
1.3 Kinderlosigkeit
1.4 Bevölkerungsvorausberechnungen
1.5 Konsequenzen der demografischen Trends in Deutschland
2. Demografische Tendenzen in Frankreich
2.1 Gründe der hohen Geburtenrate in Frankreich
3. Zusammenfassung
IV. Lebensformen im Wandel
1. Einleitung
2. Einstellungen und Werte
3. Individualisierung
4. Pluralisierung
5. Funktionsverlust der Familie
6. Alleinerziehende Eltern
7. Individuelle Entscheidungsmotive für oder gegen Kinder
7.1 Motive gegen Kinder 69 7.2 Motive für Kinder
8. Zusammenfassung
V. Ein Vergleich Deutschlands und Frankreichs
1. Familienpolitische Instrumente und Akteure
1.1 Deutschland
1.2 Frankreich
2. Was kosten Kinder?
3. Wer erzieht die Kinder?
4. Familienlastenausgleich
4.1 Kindergeld
4.1.1 Kindergeld in Deutschland
4.1.2 Kindergeld in Frankreich
4.2 Mutterschutz
4.2.1 Mutterschutz in Deutschland
4.2.2 Mutterschutz in Frankreich
4.3 Erziehungsgeld und Elternzeit
4.3.1 Erziehungsgeld und Elternzeit in Deutschland
4.3.2 Erziehungsgeld und Elternzeit in Frankreich
4.4 Steuerliche Vergünstigungen
4.4.1 Ehegattensplitting in Deutschland
4.4.2 Familiensplitting in Frankreich
4.5 Sonstige Beihilfen in Frankreich
4.6 Zusammenfassung
5. Vereinbarkeit
5.1 Erwerbstätigkeit der Mütter
5.1.1 Erwerbstätigkeit der Mütter in Deutschland
5.1.2 Erwerbstätigkeit der Mütter in Frankreich
5.2 Kinderbetreuungsmöglichkeiten
5.2.1 Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Deutschland
5.2.2 Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Frankreich
6. Gleichberechtigung
6.1 Gleichberechtigung in Deutschland
6.2 Gleichberechtigung in Frankreich
7. Zusammenfassung
VI. Familienpolitik als Wahlkampfthema
1. Frankreich
2. Deutschland
VII. Zusammenfassung und Ausblick
VIII. Schluss
IX. Abkürzungsverzeichnis
X. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
1. Problemhintergrund
„Als junge Familie sollte man in Frankreich, als Rentner in der Bundesrepublik leben“ (SCHULTHEIS 1988, 21). In dieser und in anderen Aussagen werden, wie so oft im Alltag, relevante gesellschaftliche Erfahrungen und Wissensbestände mit einer augenzwinkernden Leichtigkeit und Treffsicherheit so sehr auf den Punkt gebracht, dass eine wissenschaftliche Erläuterung des Sachverhalts oft kaum von Nöten scheint. Überall kann man es in Deutschland in der Zeitung lesen: Der Spiegel ängstigt mit seiner Titelgeschichte „Der letzte Deutsche“ (vgl. BÖLSCHE, 5.1.2004), die Zeit ruft zehn Tage später die „Geburtenkrise“ aus – „Geburtenrate bei nur mehr 1,29“ (GASCHKE 15.1.2004, 3). Der Rheinische Merkur fordert seit jeher eine neue Bevölkerungspolitik (31.7.2001) und die FAZ widmete der „Demographischen Zeitbombe“ schon 2003 eine vierteilige Serie. Tatsächlich bildet die Bundesrepublik mit einer durchschnittlichen Geburtenrate von 1,29 Kindern pro Frau zusammen mit Italien, Spanien, Österreich und Griechenland das Schlusslicht in Europa. Das Familienministerium geht davon aus, dass von den 1965 geborenen Frauen im Westen Deutschlands voraussichtlich 31 Prozent und im Osten Deutschlands 26 Prozent der Frauen kinderlos bleiben werden. Bei den Akademikerinnen liegt die Anzahl der Kinderlosen mit 40 Prozent noch höher (vgl. BMFSFJ 2003b, 10 ff).
Dieser Bericht soll untersuchen, inwiefern familienpolitische Instrumente und Ziele, sozial- und arbeitsmarktpolitische Regelungen sowie die Ausgestaltung der Kinderbetreuungseinrichtungen und des Schulsystems in der Bundesrepublik Deutschland geeignet sind, vor allem die Frauen bei dem Wunsch zu unterstützen, das Großziehen von Kindern und die eigene berufliche Aktivität unter einen Hut zu bringen. In diesem Zusammenhang wird ein direkter Vergleich mit dem Nachbarland Frankreich erbracht, denn Frankreich wird nicht zu Unrecht – und wie im Folgenden aufgezeigt werden soll – als „Pionier in der Familienpolitik“ betitelt. Frankreich ist Deutschlands engster Verbündeter in Europa. Dies ist das Ergebnis eines beispiellosen Prozesses jahrzehntelanger Annäherung, vorangetrieben auch durch die beiden Staatsmänner Mitterand und Kohl in den 90er Jahren. Diese wechselseitige Annäherung in den nunmehr 60 Jahren, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen sind, mündet in einer gemeinsamen Europapolitik. Die „Erbfeindschaft“, die daraus bestand, dass jede Nation sich seit dem Krieg von 1870/1871 weitgehend nur als Negation der anderen zu begreifen vermochte (vgl. ZIEBURA 1997, 16), gehört der Vergangenheit an und beide Länder versuchen durch Austausch von Erfahrungen und Fortschritten einander zu unterstützen und zu helfen. Regelmäßige Konsultationen und Arbeitstreffen auf politischer Ebene sind längst zur Realität geworden. Austausch- und Sprachprogramme für Jugendliche im Rahmen des Deutsch-Französischen Jugendwerkes sowie Städtepartnerschaften und Kooperationen im grenznahen Bereich sorgen dafür, dass die Bürger beider Länder miteinander Kontakt aufnehmen und Freundschaften pflegen können. Diesseits und jenseits der Grenze gibt es sowohl Unterschiede, als auch Gemeinsamkeiten, Probleme und Problemlösungen. Ähnliche Problemfelder beider Länder betreffen beispielsweise die wirtschaftliche Verschuldung des öffentlichen Sektors, die Arbeitslosenrate, aber auch strukturelle Probleme im Renten- und Gesundheitssektor, welche noch einer Lösung bedürfen (vgl. christian-wille.de, 19.9.2005) Unterschiede der beiden Staaten und Grundlage dieser Arbeit liegen im Besonderen in der Familienunterstützung und daraus resultierend in der Geburtenrate beider Länder. Frankreich gehört mit einer Geburtenrate von 1,9 Kindern pro Frau zur Spitze der westlichen Industrieländer (vgl. BMFSFJ 2003b, 10) und wird demnach als das leuchtende Beispiel in Europa angeführt, wenn es um die Höhe der Geburtenrate geht. Während in vielen anderen Ländern Europas die Geburtenraten offenbar unaufhaltsam sinken und die Bevölkerungszahlen schrumpfen, steigt die Geburtenrate in Frankreich, nachdem sie Mitte der 90er Jahre auf einem Tiefpunkt angelangt war, wieder an. Franz Schultheis vom Institut für Bevölkerungsforschung in Bielefeld drückt dies so aus: „Hinsichtlich der Geburtenrate steht die Bundesrepublik heute im Weltvergleich dort, wo Frankreich zwischen 1800 bis 1940 stand, nämlich an letzter Stelle“ (Kaufmann 1987, 15).
Wie es dazu kommen konnte und welche demografischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen daraus entstanden sind, dies soll diese Arbeit verdeutlichen. Des Weiteren stellt der Bericht die aktuellen Instrumente und Ziele beider familienpolitischer Ansätze gegenüber und vergleicht ihr Wirken im positiven, als auch im negativen Sinne. Die genaue Fragestellung soll im nächsten Abschnitt erläutert werden.
2. Fragestellung und Hypothesen
Im europäischem Vergleich erscheint vor allem die Polarisierung zwischen der deutschen und der französischen Familie zu interessieren, da beide Länder in einigen Punkten erstaunliche Konvergenzen aber auch auffällige Divergenzen aufzeigen. Zu den länderübergreifenden Trends zählt vor allem der Wandel der Familie, der mit großen Umbrüchen der familialen Struktur einhergeht: Niedrige Geburtenraten sowie hohe Scheidungen verbunden mit niedrigen Heiratsziffern prägen das familiale Bild in beiden Ländern. In gleicher Weise ist die Durchsetzung alternativer Familienformen für beide Länder charakteristisch. Alleinlebende, nichteheliche Lebensgemeinschaften sowie Einelternfamilien haben in beiden Ländern in der Art zugenommen, dass nicht einmal mal mehr ein Drittel der Haushalte als klassische Familienhaushalte bezeichnet werden können. Ein Blick in die Statistik beweist aber auch die Divergenzen zwischen beiden Nationen. Diese manifestieren sich insbesondere in der hohen Anzahl der Mehrkindfamilien und der Vollzeiterwerbstätigkeit der französischen Mütter (vgl. Kapitel III. und V.5.1 dieser Arbeit). Diese Arbeit soll sich also einem Vergleich beider Nationen widmen. Die beiden konträren Modelle der Familienpolitik sollen miteinander in Beziehung gebracht werden. Auf der einen Seite steht das konservative Modell, welches Privatheit von Kindheit und Familie in Deutschland, mit Halbtagskindergarten, Halbtagsschule und Teilzeitarbeit von Müttern pflegt. Auf der anderen Seite steht ein modernes Frauenbild, welches in Frankreich durch Staatlichkeit von Erziehung, Ganztagskinderbetreuung auch für unter Dreijährige, Ganztagsschule und selbstverständlicher Vollzeitbeschäftigung von Müttern gehegt wird. Die Abhandlung soll auch deutlich machen, dass Familienpolitik in Frankreich mehr ist als nur ein Familienlastenausgleich. Frankreich symbolisiert eine „selbstverständliche öffentliche Anerkennung der Familie als konstitutives Moment der französischen Gesellschaft“ (KAUFMANN 1987, 15). Kinderbetreuungskulturen und auch die Rolle der Frau in ihrer Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben sich in den beiden Kulturen sehr divergent entwickelt und zeigen heutzutage in der sinkenden Geburtenrate erst die wahren Konsequenzen.
Die Tatsache, dass Deutschland und Frankreich solche Divergenzen aufweisen, ist dagegen erstaunlich, da sich beide Länder seit dem Zweiten Weltkrieg auf gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiet stark angenähert haben (vgl. KAELBLE 1991, 235 f). Ein Vergleich der Familienpolitik in beiden Ländern zeigt, wie unterschiedlich in Deutschland und Frankreich auf familiale Probleme eingegangen wird. Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit lautet dementsprechend: Wo finden sich nationale Unterschiede und wo zeigen sich europäische Gemeinsamkeiten der deutschen und französischen Familienpolitik auf? Des Weiteren soll von Interesse sein: Ob Fertilität in beiden Ländern an gesellschaftlichen Schichten ablesbar ist, d.h. wer bekommt heutzutage noch Kinder und was kosten Kinder? Wie begünstigen beide Länder die Frauenrolle und ihre Vereinbarkeit mit dem Beruf und der Familie? Um dieser Arbeit eine Basis zu geben, empfiehlt es sich, zuerst grundlegende Begriffe zu definieren und abzugrenzen.
3. Begriffe und Abgrenzungen
Um den Kontext der Familienpolitik beider Staaten so transparent wie möglich bearbeiten zu können, soll auch diese eine erste Definition erhalten. Lüscher bezeichnete die Familienpolitik 1988 als „öffentliche Aktivitäten, Maßnahmen und Einrichtungen, um zu versuchen, familiale Leistungen, die explizit oder implizit erbracht werden sollen, anzuerkennen, zu fördern, zu ergänzen, somit zu beeinflussen oder durchzusetzen, wobei – unter Bezug auf gesellschaftspolitische Ordnungsvorstellungen – gleichzeitig umschrieben wird, welche Sozialformen als Familie gelten sollen“ (LÜSCHER 1988, 28). So definiert, ist Familienpolitik ein Instrumentarium zur Erzeugung eines Familienleitbildes. In historischer Perspektive kann man Familienpolitik aber auch als ein Teil der Gesellschaftspolitik verstehen, mit der gerade die westeuropäischen Länder auf weit reichende soziale Veränderungen infolge zweier Modernisierungswellen, der Industrialisierung und der Tertiärisierung, reagierten. Die erste Welle, der Übergang zur Industriegesellschaft, war mit der Auflösung der sozial-ökonomischen Einheit des ganzen Hauses und dem Aufstieg der Kernfamilie zur beinahe universellen Lebensform verbunden. Die zweite Welle, der heute noch anhaltende Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft, ist dagegen durch eine Differenzierung der Kernfamilie und Lockerung der Verbindung von Partner- und Elternschaft charakterisiert. Zugleich setzte ich die Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen und Mütter dauerhaft und umfassend durch, so dass sich als beherrschende Probleme der derzeitigen Familienpolitik die rechtliche Gleichstellung unterschiedlicher Familienformen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf herausgestellt haben (vgl. BAHLE 2003, 1).
Die wohl aktuellste Definition von Familienpolitik gibt das Familienministerium wohl selbst, in dem es sagt, dass sich unter Familienpolitik generell alle Maßnahmen verstehen, mit denen der Staat das Ziel verfolgt, das Wohlergehen von Familien positiv zu beeinflussen (vgl. BMFSFJ 2003b, 6). Der Staat in seiner Wohlfahrtsfunktion, folgt man Esping-Andersen, stellt sich als eine Notwendigkeit dar, denn „Wohlfahrtsstaaten werden historisch nötig, weil vorindustrielle Formen gesellschaftlicher Reproduktion wie etwa Familie, Kirche, Standesbewusstsein oder Zunftsolidarität unter dem Druck der Modernisierung und ihrer Manifestationen – Mobilität, Urbanisierung, Individualismus, Marktabhängigkeit – zerbrechen“ (ESPING-ANDERSEN 1998, 24). Die Familienpolitik soll dementsprechend dem Schutz und der wirtschaftlichen und sozialen Förderung der Familie dienen. In der „wesensontologischen Betrachtung [ist die Familienpolitik] Hilfe zur Wesensverwirklichung der Familie“ (HERDER-DORNEICH 1993, 135), schreibt Herder-Dorneich schon in den 90ern. In einer genaueren Definition umschreibt Familienpolitik direkte und indirekte finanzielle Transfers. Zu den direkten Transfers zählen unter anderem Kinder- und Erziehungsgeld, zu den indirekten steuerliche Vergünstigungen sowie Regelungen bezüglich Mutterschutz, Elternzeit und Einrichtungen der Kinderbetreuung (vgl. BMFSFJ 2003b, 6). Altbundeskanzler Helmut Kohl ordnete 1993 den großen familienpolitischen Leistungen der letzten Jahrzehnte folgende Errungenschaften zu: der Familienlastenausgleich mit Kindergeld, steuerliche Kinderfreibeträge und Kinderzuschläge, Unterhaltsvorschuss, den seit 1986 gewährten Erziehungsurlaub, Erziehungsgeld, die Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht und die Einrichtung der Bundesstiftung „Mutter und Kind“ (vgl. KOHL 1993, 6). Welche Weiterentwicklungen und Neuerungen es seither gegeben hat soll im Kapitel V dieser Arbeit aufgezeigt werden.
Neben der Definition der Familienpolitik soll im zweiten Ansatz nun auch die Lebensform Familie erläutert werden. Denn im Laufe der Jahrhunderte hat sich diese weiterentwickelt und weist heutzutage ganz neue Dimensionen auf. Die Begriffe Familie und Ehe befinden sich im allgemeinen und im sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauch in einem Wandel. Die Familie als Keimzelle gesellschaftlichen Lebens, die Glück und Geborgenheit garantiert, Harmonie und Fürsorge verspricht – so die Idealvorstellung – gibt es heute kaum mehr. Dies liegt vor allem auch in der Definition der Familie: das Wort „Familie“ kam erst im 18. Jahrhundert in die deutsche Sprache. Bis dahin sprach man nur einfach vom „Haus“, in welchem Großeltern, Eltern und Kinder, aber auch das Gesinde als eine große Arbeits- und Wirtschaftseinheit unter einem Dach lebten. „Oikos“ nannten die Griechen ihre soziale Grundeinheit und meinten damit den Haushalt samt seinen wirtschaftlichen, religiösen und politischen Bezügen. Die Römer sprechen von „familia“, meinten damit aber längst nicht die bürgerliche Kleinfamilie – Vater, Mutter und ihre Kinder – wie wir sie kennen. Vielmehr bezeichnete sie die Herrschaft des Oberhauptes über Kinder, Sklaven und Vermögen (vgl. FUSCO 1982, 10). Und auch im 21. Jahrhundert bedeutet Familie nicht mehr die wohlbehütete Vater-Mutter-Kind-Familie, vielmehr geht es rechtspolitisch „eher um das Rechtsverhältnis in geregelten, sexuell bestimmten Paarbeziehungen und um die rechtliche Beziehung zu Kindern in und aus solchen Lebensgemeinschaften“ (RIEDEL-SPANGENBERGER 2005, 133).
In der Bundesrepublik wurde erstmals 1953 ein Familienministerium eingerichtet, dieses war konservativ ausgerichtet und hatte die Vorgabe einer klar definierten Rollenverteilung. Der damalige Kanzler Konrad Adenauer unterstrich dies mit seiner Aussage: „Der Vater ist nach unserer christlichen Auffassung das Haupt der Familie. Aber die Mutter ist das Herz der Familie, und das Herz muss in der Familie schlagen“ (wdr.de, 29.9.2005). Die Aussage ist ebenso in dem im Jahre 1957 eingeführten Gleichberechtigungsgesetz zu finden: „Es gehört zu den Funktionen des Mannes, dass er grundsätzlich der Erhalter und Ernährer der Familie ist, während die Frau es als vornehmste Aufgabe ansehen muss, das Herz der Familie zu sein“ (BMJFFG 1978, 9). Erst seit diesem Zeitpunkt kann von einer offiziellen Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen werden (vgl. MÜCKL 2002, 7). Unter dem Begriff der Klein- oder Kernfamilie wird dennoch je nach weltanschaulicher Ausrichtung und Interessenslage Unterschiedliches verstanden. So gibt es weder in Deutschland noch in anderen Ländern der Europäischen Union einen Konsens darüber, was unter „Familie“ zu verstehen ist. Der Großteil der Bevölkerung würde auf die Frage, wie sie eine Familie definieren, wahrscheinlich so antworten: die Familie besteht aus Vater, Mutter und ihren leiblichen Kindern. Eine Reaktion auf die so genannte „Normalfamilie“, wie sie in den 50er und 60er Jahren in Deutschland entstanden ist und wie sie bei vielen heutzutage noch in den Köpfen verankert ist. Keller und Novak definieren „Familie“ als eine Wohn- und Solidargemeinschaft, die aus Mitgliedern zweier verschiedener Generationen besteht und folgende Merkmale aufweist:
- Zwischen den Familienmitgliedern besteht eine Blutsverwandtschaft und es findet eine intensive gegenseitige Beeinflussung statt.
- Die Interaktionsdichte und gefühlsmäßige Bindungen führen zu der Ausbildung eines Wir-Gefühls, dem so genannten „Familiensinn“.
- Die Positionen und Rollenverteilungen finden überwiegend nach biologischen Merkmalen der Familienmitglieder statt (beispielsweise Geschlecht und Alter).
- Die Gruppe bleibt in der Regel über mehrere Jahre bestehen (vgl. KELLER/NOVAK 2001, 138).
Als wesentliche Hauptfunktionen der Familie zählen Keller und Novak auch heute noch:
- Die Erziehung und Pflege der Kinder, insbesondere in der frühkindlichen Phase.
- Die wirtschaftliche Versorgung der Familienmitglieder, die Sicherstellung des gemeinsamen Lebensunterhaltes und die Befriedigung physischer Bedürfnisse.
- Die Schutzraumfunktion, das heißt die Gewährung eines vertrauten Lebensraumes mit Intimsphäre im Gegensatz zum Stress und zur Anonymität der Gesellschaft.
- Die Reproduktion der Gesellschaft durch Fortpflanzung und Erziehung einer nächsten Generation.
- Die Platzierung und Legitimierungsfunktion durch die Familie. Je nach Position und Status der Eltern wird dem Kind ein legitimer Platz in der Gesellschaft angewiesen.
- Die Ausgleichs- und Freizeitfunktion, das heißt in der Familie werden die Entfremdung am Arbeitsplatz und die Probleme in der Schule ausgeglichen (vgl. KELLER/NOVAK 2001, 138 f).
Die enorme und gesellschaftliche Bedeutung der Familie liegt also zum einen in der Reproduktion, sie ist für das Fortbestehen der Gesellschaft insgesamt unentbehrlich, und zum anderen in der Erziehungs- und Sozialisationsarbeit, sowie in zahlreichen freiwilligen Solidarleistungen. Besonders für eine am Subsidiaritätsprinzip ausgerichtete Gesellschaft sind die von den Familien erbrachten Leistungen daher unverzichtbar (vgl. HÖFFE 2002, 63). Doch auch ökonomisch kann Familienfreundlichkeit dem Staat viel bringen. Der hohe Anteil kinderloser Paare bedeutet schon heute weniger Wachstum, da die Anzahl der Personenzahl im erwerbsfähigem Alter und schließlich auch das Bruttoinlandsprodukt sinken wird. Weniger Wachstum wiederum bedeutet weniger wirtschaftlichen Wohlstand (vgl. MOHN/SCHMIDT 2004, 12). Um den Wohlstand dauerhaft erhalten und fördern zu können, fordern Mohn und Schmidt unter anderem Bedingungen zu schaffen, die dazu führen, dass sich Paare den Wunsch nach Kindern wieder erfüllen können (vgl. ebd., 15).
II. Historische Hintergründe in Deutschland und Frankreich
Aufgrund der konvergenten demografischen Entwicklungen sowie länderübergreifenden Veränderungen wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Art stehen verschiedene Länder oftmals vor ähnlichen familienpolitischen Problemen. Ein Blick über die Ländergrenzen kann dann helfen, unterschiedliche Lösungen zu finden und diese auch entsprechend einzusetzen. Dieses Kapitel soll daher einen Überblick über die wichtigsten familienpolitischen Maßnahmenbündel der beiden Nationen Deutschland und Frankreich geben, wobei sich der interkulturelle Vergleich familienpolitischer Praxis nach Bourdieu nicht darauf beschränken darf, „einzelne Bemühungen singulariter, ohne Kenntnis ihres Stellenwerts aufeinander zu beziehen“ (BOURDIEU 1974, 34). Familienpolitik muss daher immer in ihrem historisch gewachsenen Kontext betrachtet werden (vgl. SCHULTHEIS 1988, 382). In diesem Kontext lässt sich für Deutschland und Frankreich eine Divergenz des eingeschlagenen familienpolitischen Weges bereits vermuten, da Frankreich im Gegensatz zu Deutschland eine wesentlich längere und historisch gewachsene über hundertjährige sozialgeschichtliche Tradition besitzt. Um die Familienpolitik in beiden Ländern objektiv beleuchten zu können, ist es sinnvoll, sich in den folgenden Abschnitten einen Überblick über die Entwicklung dieser zu verschaffen.
1. Historische Hintergründe in Deutschland
1.1 Familienunterstützung im Kaiserreich
Bereits im Kaiserreich stellte die Familie, als alleinige soziale Absicherung, eine große Geltungsmacht für den Staat und die Gesellschaft dar. Noch im 18. Jahrhundert war die Ehe – und damit eng verbunden auch die Familie – eine sozial verbindliche Lebens- und Arbeitsform, abgesegnet durch Gott und die Autorität der Kirche und erzwungen durch die materiellen Interessen der in ihr Verbundenen (vgl. PEUCKERT 1999, 43). Die Familie galt als die soziale Absicherung überhaupt. Bei Eintreten eines elementaren Lebensrisikos, wie der krankheits-, unfall- oder altersbedingten Erwerbsunfähigkeit, stand vor allem die familiäre Unterstützung, neben der kommunalen Armutsfürsorge, ständischen Sicherungseinrichtungen der Zünfte und Gilden, kirchliche, betriebliche und genossenschaftlichen Fürsorgeträgern, zur Verfügung (vgl. PILZ 2004, 21). Wo nach und nach Städte entstanden, erfüllten die Kirchen ihren diakonischen Auftrag und halfen Alten, Kranken und Verarmten.
Die Ehe und gleichbedeutend die Familie waren funktional und somit essenziell in damaliger Zeit. Das Allgemeine Landrecht (ALR) verkündete schon 1794 höchst prosaisch und völlig nüchtern das Wesen der Ehe: „Der Hauptzweck der Ehe ist die Erzeugung und Erziehung der Kinder. Auch zur wechselseitigen Unterstützung allein kann eine gültige Ehe geschlossen werden“, §§ 1 und 2 ALR. Kinder sind „beiden Eltern Ehrfurcht und Gehorsam schuldig, […] vorzüglich stehen sie aber unter väterlicher Gewalt“, § 61 ALR. Dieser vertraglichen Konstruktion der Ehe nach, waren Mann und Frau in eine rechtliche Beziehung getreten, welche zwar mit einer Gleichheit der Geschlechter nicht viel zu tun hatte, der Frau aber die Verfügungsgewalt über mit in die Ehe eingebrachtes Vermögen ließ. Im Falle einer Scheidung, die ab dieser Epoche in reduziertem Umfange zugelassen war, konnte sie so über ihr Eigentum frei verfügen und erhöhte ihre Chance auf eine erneute Heirat (vgl. BARBARAS/ERLER 2002 32 f).
Die wohl einschneidenste Veränderung für die Familie erfolgte mit der Trennung von Familien- und Erwerbsarbeit im Verlauf des Industrialisierungsprozesses (vgl. PEUCKERT 1999, 43). Durch das Erreichen eines hohen Entwicklungsniveaus, durch verbesserte landwirtschaftliche Produktionsmethoden und einem großen Wachstum an volkswirtschaftlicher Produktion, Fortschritte in der medizinischen Versorgung und der Hygiene konnte die Sterblichkeitsrate in Deutschland verringert werden. Die steigenden Bevölkerungszahlen, die technischen Entwicklungen, vor allem aber die Aufhebung der Leibeigenschaft trugen zur Abwanderung in die aufblühenden Städte bei. Die industrielle Revolution brach um 1850 aus, die sozialen Banden aber hielten dem nicht Stand. Die Folge: Armut wurde zum Massenphänomen und somit zum Politikum. Das Gespenst des Kommunismus, die fehlende soziale Absicherung und die Armut in Deutschland ließen die Gefahr einer Revolution groß werden. Um sie zu verhindern, erließ Reichskanzler Otto von Bismarck die Sozialistengesetze von 1878 (Versammlungs-, Organisations- und Publikationsverbot für Sozialdemokraten), gab jedoch mit seinen Sozialreformen auch ein Mindestmaß an sozialer Sicherung. Insbesondere nach der Einführung der kollektiven Kranken- (1883), Unfall- (1884) und Altersversicherung (1889) ging die Bedeutung eigener Kinder als Grundlage einer familienbasierten sozialen Absicherung in Bezug auf Versorgung im Alter und im Fall von Krankheit und Invalidität allmählich zurück (vgl. BIRG 2004, 9). Doch entgegen der gängigen Meinung, dass der Prozess des vermuteten Wandels von der Groß- zur Kleinfamilie in dieser Zeit stattgefunden habe, hebt der Bevölkerungswissenschaftler Mitterauer hervor, dass mit den Begriffen Großfamilie nicht die Anzahl der in ihr lebenden eigenen Kinder, sondern auch das gesamte Gesinde miteinbezogen wurde. Mitterauer betont, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen der Industrialisierung und der Reduktion der im Haushalt wohnenden Personen gab. Den Beginn des starken Abfalls der Haushaltsgröße datiert er erst auf Anfang des 20. Jahrhunderts (vgl. MITTERAUER 1977, 42). Auch Hagemann stimmt mit ihm darüber ein, indem sie sagt, dass seit der Jahrhundertwende die Zahl der Eheschließungen zwar ständig zunahm, die Familien dennoch immer kleiner wurden – auch in den Arbeiterkreisen. Besonders früh zeigte sich der Geburtenrückgang in den Großstädten. Kamen um 1900 in Berlin noch 25 Lebendgeborene pro 1.000 Einwohner zur Welt, so waren es 1933 nur noch elf Lebendgeborene. Der Trend zur Ein-bis-Zwei-Kind-Familie setzte sich langsam durch (vgl. HAGEMANN 1991, 46). Zugleich ging mit dem Geburtenrückgang auch ein Sinken der Säuglingssterblichkeit einher. Hauptziel der privaten und öffentlichen Fürsorge war daher eine Steigerung der Kinderzahl. Mit der Einführung einer intensiven und systematischen Säuglingsfürsorge (1909), welche neben sozialen Kontrollen bei den Müttern auch zu einer Ausweitung der Kinderheilkunde beitragen sollte, wollte man dieses Ziel erreichen (ebd., 46 und 48).
Familienbezogene Sozialpolitik beginnt in Deutschland erst in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Steuerpolitik- und Krankenversicherungsgesetzgebung. Seit dieser Zeit wurde in den Steuergesetzen der meisten deutschen Staaten ein so genanntes „Kinderprivileg“ aufgenommen, bei welchem sich die Steuerschuld beim Vorhandensein von Kindern verringerte (vgl. FRERICH/FREY 1993, 188 f). Mit den oben genannten Mitteln erreichte die Regierung, dass sich jenes Verhältnis der Bevölkerung zwischen Deutschland und Frankreich fundamental änderte. Während 1789 Frankreich mit 27,5 Millionen Einwohnern zusammen mit Russland das volkreichste Land darstellte, kehrte sich das Bild 1914 entscheidend um. Frankreich gehörte nun mit 40 Millionen Einwohnern zur guten Mitte, deutlich übertroffen vom Deutschen Reich mit 68 Millionen Einwohnern (vgl. DIENEL 1995, 25). Dieser Wandel soll in dem folgenden Abschnitt beschrieben werden, für Frankreich beschreibt sich dieser im Kapitel II. 2. dieser Arbeit.
1.2 Familienkontroverse in der Weimarer Republik
Mit dem Beginn der Weimarer Republik brach ein neues Zeitalter für Deutschland an. Es war nicht nur das Ende eines verlorenen Krieges, sondern es war ein politischer Neuanfang. Deutschland begab sich auf einen völlig neuen Weg, weg von der traditionellen Monarchie, hin zu einer demokratisch bestimmten Republik. Dieser Neubeginn sollte nicht nur Auswirkungen auf die Regierungsform haben, sondern auch die Bereiche Familie und die Rolle der Frau in Deutschland neu regeln. Rebecca Heinemann gibt dieser Epoche den treffenden Titel „Familie zwischen Tradition und Emanzipation“ (HEINEMANN 2004). Denn gerade weil das damalige System sozial, politisch und wirtschaftlich höchst instabil gewesen und die Gegenwart als eine Krisen- und Übergangszeit empfunden wurde, habe man die Familie oft als fundamentalen Stabilitätsfaktor eingesetzt. Das bürgerliche Familienmodell stand in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zwischen der katholischen Tradition der Familie und der sozialdemokratischen Emanzipation der Frau (vgl. HEINEMANN 2004, 14). Der Erste Weltkrieg hinterließ viele unvollständige Familien. Heinemann spricht von 533.000 Kriegswitwen und 1.192.000 Kriegswaisen in Deutschland, nicht inbegriffen, die Entfremdungen, welche sich durch die jahrelange Abwesenheit der Männer begründete (vgl. ebd., 30). Zudem kam das veränderte Frauenbild, diese waren selbstständiger geworden, denn sie waren im Krieg gezwungen, den Haushalt zu leiten, die Kinder zu erziehen und nicht selten in Männerberufen zu arbeiten. Eine Unterordnung unter die traditionelle Eheherrschaft der zurückkehrenden Mannes fiel freilich sehr schwer. Die Politik versuchte mit Eingliederungsmaßnahmen in Frauenberufe das familiale Leitbild wieder herzustellen (vgl. ebd., 40). In der Weimarer Reichsverfassung nahm die Familie in den Artikeln 119 bis 121 WRV einen zentralen Platz ein. In ihr wurde die Ehe zweckbezogen als „Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation“ besonders geschützt, wobei sie „auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter“ beruhe (Art. 119 WRV). Doch die Realität sah ganz anders aus. Die Historikerin Karen Hagemann erhebt Widersprüche zwischen der zwar damals beginnenden Diskussion über die Gleichberechtigung in der Ehe und dem zu dieser Zeit gültigen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896. Denn dieses sprach immer noch allein dem Mann die Entscheidung zu, über alle, das gemeinschaftliche Leben betreffende, Angelegenheiten zu richten (vgl. HAGEMANN 1991, 54). Die Kontroverse Tradition versus Emanzipation erreichte inmitten der 30er Jahre ihren Höhepunkt. Statistiker wie Burgdörfer traten für traditionelle Ehen in Form der kinderreichen Familie ein, während die Sozialdemokraten Malthus Überlegungen (vgl. Kapitel II.2.2 dieser Arbeit) erörterten. Im katholischen Familiendiskurs spielte die Rassenhygiene eine große Rolle. Ziel war es, Deutschland als Nation zu stärken und den deutschen „Volkskörper“ vor „Überfremdung“ zu bewahren. Der Wunsch nach Kinderreichtum bezog sich somit ausschließlich auf deutsche Familien und war völkischer Natur (vgl. HEINEMANN 2004, 253-280). Öffentliche Geschenkprämien für Mütter mit einer hohen Kinderzahl waren Vorformen der späteren Mutterkreuzverleihungen im Nationalsozialismus. In der Weimarer Republik hatten sie jedoch noch keinen militärischen Charakter. Auch die Verbreitung der Muttertagsfeiern fand schon in den 20er Jahren, initiiert durch tüchtige Blumengeschäftsinhaber und unter der Beteiligung der Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung und dem „Reichsbund der Kinderreichen“, seinen festen Platz (vgl. WEYRATHER 1993, 18ff). Die Mütterehrung in der Zeit der Weimarer Republik war Vorzeichen des Mutterkultes im Nationalsozialismus, denn schon in den 20er Jahren wurden Mütter geehrt, welche im eugenischen Sinne „gesund“ waren. Die „Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung“ baute so schon ideologische Brücken zum Nationalsozialismus (vgl. WEYRATHER 1993, 29). Die Nazipropaganda nutzte diese Ideologie, um so eine spezielle „deutsche“ Tradition fortzusetzen.
1.3 Bevölkerungspolitik im Nationalsozialismus
Trotz des Wirtschaftsaufschwungs in den 30er Jahren und der schnell erreichten Vollzeitbeschäftigung ging die Bedeutung der gesamten Sozialpolitik im Nationalsozialismus zurück. Die beschäftigungsbedingten Steuermehreinnahmen wurden weniger für den Ausbau der Sozialpolitik verwendet, als vielmehr für rüstungs-, wirtschafts- und beschäftigungspolitische Vorhaben (vgl. LAPP 1957, 94 f). Erhöhte Staatsausgaben kamen vor allem der Finanzierung einer zivil und militärisch nutzbaren Infrastruktur zugute. Trotz des ausgegebenen Ziels einer „aktiven Bevölkerungspolitik“ hielt die Entwicklung der Sozialleistungen mit dem Wirtschaftsaufschwung zwischen 1933 und 1939 nicht mehr stand, so dass die Sozialleistungsquote während dieser Jahre rapide sank. Die Regierung war zum Handeln gezwungen. Ab 1939 expandierten die sozialpolitischen Leistungen, die Anfang der 30er Jahre beschlossenen Kürzungen wurden rückgängig gemacht, die Kinderzuschüsse erhöht und auch die Rentner in die Krankenversicherung aufgenommen (vgl. PILZ 2004, 31). Im Juni 1933 wurden die unverzinslichen „Ehestandsdarlehen“ eingeführt, die voraussetzten, dass die zukünftige Ehefrau ihren Arbeitsplatz dauerhaft aufgab. Bei der Geburt eines Kindes wurden je 25 Prozent der Summe erlassen, so dass das Darlehen mit vier Kindern getilgt werden konnte. Das Arbeitsverbot für Frauen wurde 1937, im Zuge eines zunehmenden Arbeitskräftemangels, wieder aufgehoben (vgl. BECKER 2000, 180). Neben der Eheschließung war die Geburtenförderung ein zentrales Anliegen der nationalsozialistischen Politik. Neben kinderbezogenen Steuerermäßigungen (ab 1934) gewährte das Regime seit 1935 auch Kinderbeihilfen für Familien mit vier, ab 1936 erst für Familien mit fünf Kindern (vgl. BECKER 2000, 181). Mutterschaft war im politischen System des Nationalsozialismus keine private oder persönliche Angelegenheit mehr, sondern eine Staatsaufgabe, so beschreibt dies Weyrather (vgl. WEYRATHER 1993, 7). Äquivalent mit dem Krieg der Männer waren Frauen im Geburtenkrieg gegen die „Minderwertigen“ und „Fremdrassigen“ eine wichtige Instanz. Diese Gleichsetzung drückte sich auch mit dem 1939 eingeführten Mutterkreuz aus, welches das Gegenstück zum Eisernen Kreuz darstellte. In einem Zitat des Reichsärzteführers Wagner von 1940 heißt es: „Die Deutsche Mutter soll den gleichen Ehrenplatz in der deutschen Volksgemeinschaft erhalten, wie der Frontsoldat, denn ihr Einsatz von Leib und Leben für Volk und Vaterland war der gleiche wie der des Frontsoldaten im Donner der Schlachten“ (BURGDÖRFER 1940, 79). Dennoch war das nationalsozialistische Bild der Frau mehr ein Mutter-, denn ein Frauenbild, denn, wenn Frauen ausgezeichnet wurden, dann nur unter der doppelten Reduktion auf die „deutsche Mutter“. Doch auch die NS-Mütterverehrung schützte „Deutsche Mütter“ nicht, wenn sie zu dem vom Staat verfolgten Gruppen gehörten. So berichtet Weyrather von Liselotte Hermann, einer „Deutschen Mutter“, die im Widerstand gegen den NS-Staat tätig war und 1938 als erste „Deutsche Mutter“ hingerichtet wurde (vgl. ebd., 10). „‚Deutschsein‘ im rassenpolitischen Sinn reichte nicht immer aus, um am Leben zu bleiben, denn eine echte ‚deutsche‘ Frau musste auch dem NS-Staat zustimmen“ (ebd., 10). Die nationalsozialistische Frauen- und Mutterideologie war so unmittelbar mit der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik verbunden. Diese wurde wiederum nicht nur als ein Politikfeld an sich verstanden, sondern war das Kernthema ihrer politischen Absichten, denn der Kult um die deutsche Mutter und die Ermordung der europäischen Juden dienten für Hitler demselben Ziel: der Weltherrschaft des deutschen Volkes. Der NS-Staat ergriff viele politische Maßnahmen, um die deutsche Bevölkerung zu „arisieren“ und die als „arisch“ und „erbgesund“ Akzeptierten zu vermehren. Auf der Seite der geburtenfördernden Maßnahmen standen neben rein ideellen Anreizen, wie dem Mutterkreuz, auch die Ehestandsdarlehen, die Einführung der Kinderbeihilfen ab dem dritten Kind – welche einem Kindergeld ähnelten – und steuerliche Erleichterungen für Familien. Auch die so genannten „Lebensborn-Heime“ zielten auf die Heranzüchtung einer „arischen Elite“ ab. Zudem bewirkten die Einschränkung von Verhütungsmittel, die Todesstrafe für eine aktive Abtreibung und die ständige Werbung an „deutsche“ und „erbgesunde“ Männer und Frauen, eine Familie zu gründen und viele Kinder zu bekommen, eben genau dieses Ziel. Auf der Seite der geburtenverhindernden Maßnahmen gehörten die hunderttausend Zwangsterilisationen und Zwangsabtreibungen an als erbkrank angesehenen „Deutschen“. Auch die Eheverbote zwischen so genannten arischen und „nichtarischen“ Partnern in den Nürnberger Rassegesetzen, genau wie die Morde an Jüdinnen, Zigeunerinnen und schließlich der millionenfache Mord an den gesamten europäischen Juden galten der Verhinderung der Ausbreitung des „nichtarischen“ Volkes (vgl. ebd., 15 f und DIENEL 2002, 26 f).
Ein öffentlich wirksamer Höhepunkt des nationalsozialistischen Mutterkultes waren die Mutterkreuzverleihungen am Muttertag. An Weihnachten 1938 beschrieb Hitler in der Verlautbarung seiner „Stiftung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter“ das Mutterkreuz als „ein sichtbares Zeichen des Dankes des Deutschen Volkes an kinderreiche Mütter“ (REICHSGESETZBLATT 24.12.1938, 1923). Zum Erhalt des Mutterkreuzes musste eine Mutter nach der „Satzung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter“ vor allem „deutschblütig“, „erbtüchtig“ und zudem „würdig“ sein. Außerdem mussten ihre Kinder lebend geboren sein. Die Kreuze wurden dann nach Vorbild der Olympischen Spiele in drei Stufen verteilt: die dritte und niedrigste Stufe (Bronze) bekamen Mütter von vier und fünf Kinder, die silberne Stufe Mütter mit sechs und sieben Kindern und die höchste Stufe, die goldene, erhielten Mütter, die acht oder mehr Kinder hatten. Auf der Vorderseite des Mutterkreuzes war ein Abbild des Hakenkreuzes mit dem Spruch „Der Deutschen Mutter“, auf der Rückseite befand sich der Satz: „Das Kind adelt die Mutter“ sowie eine gestanzte Unterschrift Hitlers (vgl. WEYRATHER 1993, 55). Mit der Zeit stellte sich jedoch heraus, dass das Mutterkreuz in erster Linie nicht die Anzahl der Kinder ehrte, sondern „als eine Auszeichnung für eine biologische Leistung, die eben nicht nur in der Zahl, sondern auch in dem Wert der Kinder besteht“ (KNORR 1939, 55), galt. Dementsprechend wurden beispielsweise zum Oktober 1939 von 5028 gestellten Anträgen 160, also 3,1 Prozent, aus verschiedensten Gründen abgelehnt. Als die häufigsten Ursachen galten: „nicht deutschblütig“, „erbkrank und dumm“, „konstitutionelle Minderwertigkeit“ (im Fall, dass ein Großteil der Babys bei der Geburt verstarb), „asozial“ und „arbeitsscheu“ (denn eine gute Mutter musste zugleich auch eine gute Hausfrau sein), „unwirtschaftlich“, „Mutter raucht, Vater trinkt“, „unsittlicher Lebenswandel“, „verurteilt wegen § 218“ (Abtreibung), „nicht förderungswürdig“ und „streitsüchtig, schlampig und nörglerisch“ (vgl. WEYRATHER 1993, 85-124).
Trotz einer ideellen Aufwertung der Mutter und einer aktiven Bevölkerungspolitik seitens des Regimes sank die den Nationalsozialisten so wichtige Geburtenrate seit Beginn des Krieges ständig weiter. Dem weiteren Absinken versuchten die Bevölkerungspolitiker und andere bei den Muttertagsfeiern entgegenzuwirken. Jetzt bekamen nicht mehr nur die Mutterkreuzträgerinnen einen Blumenstrauß, sondern auch jene, welche nur ein oder zwei Kinder hatten und damit ihre lebensbejahende Einstellung mitten im größten und entscheidensten aller Kriege unter Beweis stellten (vgl. WEYRATHER 1993, 197). Zum Ende des Krieges hatten die Muttertagsfeiern jedoch nur noch die Funktion, die Frauen, deren Männer und Kinder im Krieg gefallen waren, zu ehren und damit zu verhindern, dass sich diese enttäuscht und wütend vom NS-Regime abwendeten und sich diese Stimmung in Briefen an die Front verlagerte. Gleichzeitig, aber weniger dominant, galt dennoch die Aufforderung an die jungen Frauen, trotz der Belastung des Krieges weiter Kinder zu bekommen (vgl. ebd., 199). Anders als zu Beginn des Krieges sahen die Nationalsozialisten in den Frauen nun nicht mehr nur die Hausfrauen, sondern forderten diese gezielt auf in den Rüstungsindustrien „mit der Waffe in der Hand“ symbolisch für Mann und Kinder zu kämpfen (vgl. ebd., 205). Die Männer sollten für Deutschland militärisch und durch den Terror im Inneren die Weltherrschaft erobern, die Frauen „biologisch“ durch Vermehrung ihrer arischen und erbgesunden Kinder. Beides galt, wie in diesem Abschnitt aufgezeigt, in der NS-Ideologie als gleichwertig.
1.4 Die Familie in der DDR und in der BRD
Die Familienpolitik in beiden deutschen Staaten entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg sehr unterschiedlich. Während die DDR anfangs der Arbeitsmarktpolitik den Vorrang gab, dabei umfangreiche frauenpolitische Maßnahmen zur Gleichberechtigung auf den Weg brachte und erst nach dem Geburtenrückgang in den 60er Jahren sich bewusst auf die Belange der Familienpolitik konzentrierte, besaß die Familienpolitik in der BRD schon von Anfang an einen hohen Stellenwert. Mit der Zielsetzung sich streng von der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik abzugrenzen, galt sie jedoch eher als „ein Ort der Ruhe und als Platz der Frauen“ (ONNEN-ISEMANN 2003, 36). Da Bevölkerungspolitik in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg ein absolutes Tabu war, stellten sich Fragen nach Frauenerwerbstätigkeit und Vereinbarkeit de facto kaum. Die familienpolitischen Maßnahmen fanden zunächst unter der Trägerschaft nicht-staatlicher Organisationen (z.B. den Wohlfahrtsverbänden) statt, da staatliche Maßnahmen oft als eine Art der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Familie galten (vgl. SCHULTHEIS 1988b, 237).
Erst im Laufe der 50er Jahre wurde die Familienpolitik zentralisiert. Ein Zeichen dafür war die Gründung des Familienministeriums im Jahr 1953, dessen Hauptaufgabe in der Stärkung der Institution Familie gesehen wurde, vorrangig um die Bevölkerungszahlen positiv zu beeinflussen. Eine erste zentrale und auf nationaler Ebene angesetzte Maßnahme war das 1954 eingeführte Kindergeld für kinderreiche Arbeitnehmer. Nach den Erfahrungen mit dem Führerstaat der Nationalsozialisten bildete der demokratische Staat eine große Hoffnung für die Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg. 18 oder mehr Geburten pro 1.000 Einwohner waren in den 1960er Jahren keine Seltenheit und führten so zum „goldenen Zeitalter der Familie“ (vgl. ALT 2001, 74). In den 60er Jahren gewann die bevölkerungspolitische Zielsetzung immer weiter an Bedeutung. Die weitere Ausweitung des Kindergeldes schon ab dem zweiten Kind weist darauf hin, dass sich schon zu dieser Zeit die Zweikindfamilie in Deutschland immer stärker als familienpolitisches Leitbild durchsetzte. In den 70er Jahren stand der gesellschaftliche Aspekt der Familienpolitik im Vordergrund, dabei gewann neben der Chancengleichheit für Kinder, unabhängig ihrer sozialer Schicht, vor allem die Gleichberechtigung der Frau an politischer Relevanz. Die von der SPD geführte Regierung propagierte das Partnerschaftskonzept, welches Frauen nicht länger vor die Entweder-oder-Entscheidung stellen sollte, sondern ihnen eine Möglichkeit zu geben versuchte, um Beruf und Familie miteinander vereinbaren zu können. Doch während sich diese Ansätze in den 70er Jahren in Frankreich entwickeln und in den 80ern kohärent weiter entfalten konnten, kam es in der BRD mit dem Übergang in die 80er Jahre zu einem radikalen Bruch, zu welchem sicher auch der Zweite Familienbericht (1974) beitrug. Dieser stellte erhebliche „Sozialisationsstörungen“ und Erziehungsmängel fest und führte diese auf die „bedauerliche Zunahme der Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen“ zurück. Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1982 und dem Übergang in eine christlich-liberale Koalition trat die bundesdeutsche Republik in eine „restaurative Phase“ (SCHULTHEIS 1991,105) ein. Im Zuge umfangreicher Sparmaßnahmen wurden den Initiativen zur Einrichtung von Kindertagesstätten und Ganztagsschulen, sowie verschiedenen Tagesmütterprojekten ein Großteil der Mittel gekürzt (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 1992, 66), so dass die Vereinbarkeitsfrage wieder zur Debatte stand. Doch anders als in der DDR, in welcher die Vollbeschäftigung beider Elternteile durch eine gut ausgebaute Infrastruktur der öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten möglich wurde, entschied sich die Regierung bewusst gegen eine öffentliche Kinderbetreuung. Die Idee der Ganztagsschule lehnte der baden-württembergische Ministerpräsidenten Lothar Späht 1988 mit einem „Das Kind gehört in die Familie“ (DIE ZEIT 26.6.1988, 5) ab. Zusammenfassend besitzt die westdeutsche Familienpolitik zwar eine sozial- und gesellschaftspolitische Zielsetzung, jedoch keine bevölkerungspolitische oder sogar natalistische Ausrichtung.
52 Jahre Familienministerium im Jahre 2005 bedeuten auch 15 Jahre Familienpolitik im nunmehr wiedervereinigten Deutschland. In den Jahrzehnten der SED-Diktatur in der DDR ist vieles zerstört worden. Ungebrochen blieb jedoch eine Verbundenheit der Menschen mit der Lebensform „Familie“. Die Versuche der kommunistischen Machthaber, Ehe und Familie als sich staatlicher Kontrolle entziehende Lebensbereiche aufzulösen, waren schon lange vor dem Zusammenbruch des Systems gescheitert. Die ehemalige DDR wurde als ein sozialistischer Staat gegründet, stark beeinflusst durch die damalige Sowjetunion. Als sozialistischer Staat besaß die DDR eine andere Grundeinstellung zur Familie. Die Verfassung der DDR (VerfDDR) von 1949 garantierte zwar den staatlichen Schutz der Familie in Artikel 30. Gleichzeitig stellte sie jedoch die Bedeutung von Ehe und Familie heraus, in der sie die Grundlage des Gemeinschaftslebens sah. Andere Formen des Zusammenlebens waren in der DDR – ähnlich wie im Westen – nicht vorgesehen. Auch war das Verhältnis von Staat und Familie in der DDR grundlegend anders definiert als in der BRD. So gab das Familiengesetzbuch der DDR als Erziehungsziel vor, die Kinder „zu gesunden und lebensfrohen, tüchtigen und allseitig gebildeten Menschen, zu aktiven Erbauern der sozialistischen Gesellschaft zu erziehen“, zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ und zu „staatsbewussten Bürgern“ (vgl. SCHNEIDER 1994, S. 60-62). Ein weiterer Unterschied lag darin, dass für die Bildung der Familie dem Sozialismus Faktoren wichtig waren wie: Liebe, gegenseitige Hilfe und Kameradschaft. Im Gegensatz dazu waren ökonomische Abhängigkeiten der Frau vom Mann, oder auch religiöse Einflüsse, kein wichtiger Punkt für die Gründung und Stabilität der Familie. Der Familie war in der DDR eine andere Rolle zugedacht als in der Bundesrepublik Deutschland. Sie hatte aktiv am Aufbau der sozialistischen Gesellschaft und an der Erziehung und Entwicklung der „sozialistischen Persönlichkeit“ mitzuwirken. Die DDR setzte einen starken Akzent auf die gesellschaftlichen Pflichten und Verantwortlichkeiten der Familie bei der Erziehung der Kinder. Die Familie sollte die Vermittlung der sozialistischen Werte und Normen leisten, wie sie in der Gesetzgebung (z.B. im Familiengesetzbuch 1965, Jugendgesetz 1974) unter dem Leitbild der „sozialistischen Persönlichkeit“ fixiert waren. Die Erziehung zur bzw. Vorbereitung auf die Arbeit und die Entwicklung einer „sozialistischen Arbeitsmoral“ spielten dabei die zentrale Rolle. Arbeitstugenden wie z.B. Disziplin, Fleiß, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit sollten bereits frühzeitig im häuslichen Zusammenleben in der Familie eingeübt werden (vgl. HELWIG 1982, 144 ff). Die dauerhafte Berufstätigkeit der Eltern sollte ebenfalls vorbildhaften Einfluss haben. Zugleich erfolgte frühzeitig eine Verlagerung zentraler erzieherischer Funktionen in staatliche Institutionen, beginnend schon mit der Kinderkrippe. „Indem der SED-Staat die Familie für seine ideologischen Ziele in die Pflicht nahm und die Instrumente der Familienpolitik zur staatlichen Einflussnahme missbrauchte, engte er den Erziehungs- und Verantwortungsspielraum der Familie massiv ein“ (KOHL 1993, 8). Gitta Schneller schreibt für die Bundeszentrale für politische Bildung und widmet sich der Frage, ob „die Familie in der DDR eine ‚Sozialidylle‘ oder eine ‚Erledigungsgemeinschaft‘“ war? Beide Sichtweisen scheinen stark übertrieben. Festzustellen ist allerdings, dass Familienpolitik in der DDR eine vom Staat gelenkte Politik war. In ihren Aufzeichnungen kommt Schneller letztendlich zu dem Entschluss „Weder war die Familie eine Art Sozialidylle, noch lassen sich die privaten Lebensformen auf ‚Erledigungsgemeinschaften‘ reduzieren“. Des Weiteren betont sie, dass „die Entfaltung eines ‚Familiensinns‘ (Philippe Ariès) – d.h. einer gefühlsbetonten, auf die Persönlichkeit des Partners bzw. des Kindes bezogenen Beziehungsstruktur – unter den spezifischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der DDR weniger stark ausgeprägt war“ (SCHNELLER 2004, 33) und erst nach der Wende von einer zunehmenderen Emotionalisierung gesprochen werden kann (vgl. ebd.). Gründe dafür liegen in der Funktionsentlastung der Familie. Durch Kinder-, Jugend-, Arbeits-, Haus- und Nachbarschaftskollektive wurden die Familien in ihrer Sozialisationsfunktion immer mehr entlastet. Die Kinder waren von morgens bis in den späten Nachmittag in der Kindergrippe, später im Kindergarten und nach der Schulzeit im Hort untergebracht. Schneller schreibt auch, dass die DDR-Familie, bedingt durch die Vollberuflichkeit beider Elternteile, stark von bestimmten hauswirtschaftlichen Tätigkeiten entbunden waren, wie zum Beispiel dem Kochen: Mutter, Vater und Kinder aßen mittags in den Betriebskantinen, bzw. in der Schule. Auf den Vorwurf westdeutscher Kritiker über Eingriffe des Staates in die Intimsphäre der Ehe und Familie, welche unter staatliche Kontrolle gestellt wurden und als Kollektiv den Belangen der Planwirtschaft von Nutzen sein sollten, reagierte das Staatssekretariat für westdeutsche Fragen 1969 wie folgt: „Das ist natürlich – man entschuldige das harte Wort – reiner Unsinn. Niemand in der DDR kommt auf den Gedanken, den Eheleuten in ihre Ehe hineinzureden, ihnen gar irgendwelche Vorschriften zu machen“ (BEYER/PIATER 1969, 21 f). Altbundeskanzler Helmut Kohl dagegen klagt die Regierung der DDR ganz klar an, in dem er sagt: „Der SED-Staat hat die Familie zur Förderung seiner Ideologie instrumentalisiert; sie hatte sich seinen Zielen unterzuordnen. Die Bundesrepublik Deutschland dagegen schützt die Familie und schafft Rahmenbedingungen für ihre freie Entfaltung“ (KOHL 1993, 8). Positiv bewertet wurden dagegen die Familienleistungen, denn der ostdeutsche Staat zahlte 1.000 Mark bei jeder Geburt, die Bundesrepublik nur eine Entbindungspauschale von 100 DM. Seit 1981 zahlte dann auch das Bundesland Niedersachsen 1.000 DM als Geburtsbeihilfe, sofern das Jahreseinkommen der Eltern nicht 24.000 DM überstieg. Auch bei der Vergabe von zinsgünstigen Krediten stellte sich die DDR familienfreundlicher als der Westen, hier konnten junge Eltern mit bis zu 10.000 Mark rechnen, während es für westdeutsche Eltern um solche zu kämpfen galt (vgl. HELWIG 1982, 58 f).
Zusammenfassend konnte aber auch die geburtenfördernde Politik der DDR den deutschlandweiten Rückgang der Geburtenzahlen in den 70er und 80er Jahren nicht verhindern. Die Zweikindfamilie war das bevorzugte Familienmodell. Auch ideologisch galt die DDR bezüglich ihrer Familienpolitik als zweischneidiges Schwert, so galt im Sinn Engels die Familie zwar als „Urzelle“ der Gesellschaft, wirkte sich jedoch hinderlich auf die gewollte Emanzipation der Frau und ihre Erwerbsbeteiligung aus. Diese setzte sich letztendlich durch und so sank nicht nur die Geburtenrate, sondern auch der Anteil der dritten und weiteren Kinder zwischen 1965 und 1975 von 33 auf elf Prozent (vgl. ALT 2001, 74).
1.5 Familienpolitik von der Wende bis heute
Familienpolitik war seit dem Zweiten Weltkrieg und auch nach der Wiedervereinigung in Deutschland zumeist ideologisch und im seltensten Falle pragmatisch ausgerichtet. So führte die Äußerung der damaligen Familienministerin Ursula Lehr in den 80er Jahren zu großen Irritationen, als sie sich für öffentliche Kinderbetreuung aussprach. „Was für ein Albtraum – der Staat soll Kinder erziehen!“ (eltern.de, 5.10.2005) Interventionen des Staates zu Gunsten von Familien lassen sich in der Bundesrepublik grundsätzlich auf verschiedenen Argumentationslinien und Ebenen begründen. Kaufmann zog 1993 sieben verschiede Argumentationslinien in Betracht. Weitestgehend stimmen diese mit den drei Ebenen des Familienministeriums aus dem Jahr 2003 (vgl. BMFSFJ 2003b, 6) überein und sollen deswegen hier nicht weiter aufgezählt werden. Die drei Ebenen sind:
1. Verfassungsrechtlich: Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt es: „Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht der Eltern und zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ (Art. 6 Abs. 2 GG). Aus dem Schutzauftrag für Ehe und Familie, festgelegt im ersten Absatz, und dem Gebot der Gleichstellung von Mann und Frau in der Teilhabe am Arbeitsleben (Art. 3 Abs. 2 GG) erwachsen so weitere familienpolitische Verpflichtungen des Staates. Zudem ist dem Sozialgesetzbuch zu entnehmen: „Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden. Sie sollen dazu beitragen, dass Mütter, Väter und andere Erziehungsberechtigte ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können“ (Art. 16 Abs. 1 SGB).
Als klassisches Grundrecht schützt also Art. 6 Abs. 1 GG die Privatsphäre von Ehe und Familie vor störenden und schädigenden Eingriffen des Staates. Münch weist dem Absatz noch drei weitere Funktionen zu. Der Absatz besitzt ihr zu Folge eine Abwehr- bzw. Freiheitsfunktion, in dem ausgedrückt wird, der Staat darf nicht in die Privatsphäre Ehe und Familie eingreifen, außerdem darf er sie nicht gegenüber anderen Lebensformen diskriminieren. Des Weiteren ist der Absatz für Münch eine Institutionsgarantie, durch welche der Staat Ehe und Familie nicht abschaffen, sondern deren Bestand rechtlich absichern und in ihrer dritten Funktion auch fördern soll (vgl. MÜNCH 1990, 46). Die Begriffe des Artikels 6 GG betreffen elementare Voraussetzungen jeder Gemeinschaftsbildung, sie betreffen und umzirkeln das Wohl der Kinder auch, und gerade als die Zukunft der staatlichen Gemeinschaft. Die in ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten hinter kinderlosen Lebensformen zurückbleibende Familie ruft nach staatlicher Aufmerksamkeit und nach sozialpolitischer Zuwendung. Die individuelle Entscheidung für oder gegen Kinder ist somit als Ausdruck von Freiheit zu respektieren, aber diejenige für Kinder sollte doch spürbar erleichtert werden.
Die Familienförderung in Deutschland hat seit jeher einen monetären und individuellen Ansatz. Der Staat hat die Aufgabe den Familienzusammenhalt wirtschaftlich zu fördern, er sollte Familien prämieren, auch wenn insgesamt damit der wirtschaftliche Wohlstandsabstand zu Kinderlosen nur vermindert wird. Diese finanziellen Transfers zugunsten der Familie bedürfen einer Legitimation. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend begründet Familienpolitik aus diesem Grund auch aus ökonomischer und gesellschaftspolitischer Sicht.
2. Ökonomisch: Die Zahl der Erwerbstätigen bestimmt das Produktionspotenzial sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes. Wenn der Anteil der Erwerbspersonen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung abnimmt, ergeben sich sowohl Probleme in der Stabilisierung der staatlichen Sozialversicherungssysteme, als auch im Konsumverhalten. Durch eine familienorientierte Politik kann die Erwerbspersonenzahl durch die Generationennachfolge erhalten werden. Die Familie erfüllt insofern eine gesellschaftlich relevante Reproduktionsfunktion (vgl. BMFSFJ 2003b, 6).
3. Gesellschaftspolitisch: Diese Ebene betont den Beitrag familiärer Leistungen für alle Gesellschaftsbereiche und damit auch die konstitutive Bedeutung von „Familie“. Neben der Reproduktionsfunktion besitzt die Familie auch das Monopol zur frühkindlichen Erziehung. Die Familie gilt als wichtigste Instanz der Sozialisation nachwachsender Generationen. „Die familiären Erziehungsleistungen beziehen sich in erster Linie auf die Vermittlung allgemeiner Sozialkompetenz im Sinne von Primär- und Schlüsselqualifikationen sowie die Weitergabe von gesellschaftlichen Normen und Werten. Dadurch entstehen positive Effekte für die Gesellschaft. ,Versagt‘ die Familie, entstehen negative Effekte“. Die Familie besitzt also eine exklusive Zuständigkeit, denn die Erziehung ist Hauptaufgabe der Eltern. „Der Staat hat daher ein Interesse daran, Familien in der Wahrnehmung ihrer Sozialisationsfunktion zu unterstützen“ (BMFSFJ 2003b, 6 f).
Neben diesen drei Ebenen des Familienministeriums führt Kaufmann noch zusätzlich die frauen- und kinderpolitische Dimension der Familie herbei. In der frauenpolitischen Argumentation betont er zum einen, dass „die ökonomische Benachteiligung der Familie einseitig die Frauen trifft“ und verlangt zum anderen die „Gleichstellung von Mann und Frau im Hinblick auf die Beteiligung an Erwerbstätigkeit wie an Familientätigkeit.“ Kinderpolitisch fordert er, zum Wohlergehen des Kindes „eine entsprechende Gestaltung der staatlichen Vorgaben für die familialen Verhältnisse“ (KAUFMANN 1993, 143).
2. Historische Hintergründe in Frankreich
Sowohl die Form, als auch die Einführung wichtiger Sozialgesetze in Frankreich (F) im Vergleich mit Deutschland (D) lassen darauf schließen, dass der Staat eher ein „sozialpolitischer Nachzügler“ war (Unfallversicherung: D [1884] F [1898], Krankenversicherung: D [1883] F [1930], Rentenversicherung: D [1889] F [1910]) und Arbeitslosenversicherung D [1927] F [1957], wobei sich alle Daten hier auf die Pflichtversicherung beziehen) (vgl. SCHMIDT 1998, 179 ff). Da aber die Industrialisierung in Frankreich langsamer als z.B. in England voranschritt und traditionelle Familienstrukturen und -netze erhalten blieben, stellte sich die soziale Frage weniger radikal als in anderen Ländern.
2.1 Natalistischer Impetus im Ancien Régime und der I. Republik
Die älteste Tradition der Familienpolitik lässt sich mit Sicherheit in Frankreich finden, denn Familien unterstützende Maßnahmen lassen sich historisch bis zum absolutistischen Zentralstaat von Ludwig XIV. zurückverfolgen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt wurden dort Maßnahmen einer pronatalistischen Bevölkerungspolitik betrieben (vgl. SCHULTHEIS 1988a). Denn während man im Frankreich des 18. Jahrhunderts ein geringes Bevölkerungswachstum beobachtete, sah man andererseits – der merkantilistischen Wirtschaftstheorie getreu – die Produktivität der Wirtschaft im Staat abhängig von der Bevölkerungszahl und des Bevölkerungswachstums. Diese Erkenntnis machte im absolutistischen Frankreich derartigen Eindruck, dass dem Staat seither und bis heute das Recht zugesprochen wird, über die Produktivität des Humankapitals zu wachen und dieses im natalistischen Sinne auch aktiv zu beeinflussen. Dieser Erkenntnis voraus stand jedoch das französische Jahrhundert des Hungers und des sozialen Elends, welches der Historiker Schmale in seiner „Geschichte Frankreis“ (SCHMALE 2000) wie folgt beschreibt: Das 17. Jahrhundert brachte Frankreich fünf große Hunger- und Seuchenkrisen zwischen den Jahren 1630 und 1710. Der Hunger raffte Erwachsene dahin, die Kindersterblichkeit lag bei bis zu 50 Prozent der Neugeborenen und die Lebenserwartung lag im Schnitt bei 30 Jahren. Der Tod war mithin allgegenwärtig. Wenn es dennoch insgesamt zu einer stabilen Entwicklung in Frankreich kam, dann aus folgenden Gründen: Es ließ sich beobachten, dass hohe Geburtenüberschüsse in einer Region durch Sterbeüberschüsse in einer anderen wieder ausgeglichen wurden. Die Krisen waren oft lokal oder regional verteilt, umfassten aber kaum zum selben Zeitpunkt das ganze Land. Seit 1750 (bis 1850) führten Krisen nicht mehr zu globalen und dauerhaften Einschnitten. Von gut 20 Millionen wuchs die Bevölkerung auf 35,8 Millionen im Jahr 1851. Dazwischen lagen die Kriege der Revolutionszeit mit vermutlich 1,6 Millionen kriegsbedingten Toten und die Cholera-Epidemie von 1834. Allerdings betrug das Bevölkerungswachstum in Frankreich zwischen 1800 und 1850 nur 30 Prozent, während der europäische Durchschnitt bei 50 Prozent lag. Ein Grund für die Stabilisierung und das Wachstum der Bevölkerung lag sicherlich in der nachhaltigen Verbesserung der Ernährungsgrundlagen und den vorbeugenden Maßnahmen im Zusammenhang mit Seuchen. Seit 1720 war die Pest aus Frankreich verbannt. Medizin und Hygiene machten sich im 19. Jahrhundert bemerkbar (vgl. SCHMALE 2000, 162 f).
Geht man aber der Frage nach, auf welchem Wege die Familie in Frankreich zu einem Bezugspunkt gesellschaftlichen Interesses wurde, so stößt man unweigerlich auf die Verbreitung des Findelkinderwesens und der Desorganisation der familialen Verhältnisse in den städtischen Unterschichten des nachrevolutionären Frankreichs. „Das Aussetzen von Kindern stellte schon in der Gesellschaft des Ancien Régime ein verbreitetes soziales Phänomen dar, und schon damals gehörten die Findelhäuser zu den wichtigsten Einrichtungen des französischen ,Wohlfahrtssystems‘“ (vgl. SCHULTHEIS 1988, 54). Zählte man 1784 in Frankreich noch 40.000 entfant abandonnés, waren es im Jahre 1800 bereits über 55.000 registrierte Kinder, welche in den Hospizen aufgenommen wurden. Gründe für diesen Wandel waren vor allem die von der Revolutionsregierung eingeleiteten Rechtsreformen, welche einer Stigmatisierung allein stehender Mütter entgegenwirkten (vgl. ebd., 55). Noch im Jahre 1790 unterschieden die Hilfskomitees klar zwischen ehelich und nichtehelich geborenen Kindern, im ersten Falle wurde an die Familie eine Unterstützung ausgezahlt, während man es im zweiten Falle vorzog, allein stehende Mütter von diesen Leistungen auszuschließen und ihre Kinder stattdessen in Findelhäusern unterzubringen. Erst 1793 sicherte ein Gesetz den unverheirateten Müttern die „Hilfe der Nation“ zu, wenn sie bereit waren, ihre Kinder selbst zu versorgen. Schultheis schreibt dazu: „Die Unterstützung allein stehender Mütter kann sowohl betreffend ihrer Intentionen als auch ihrer Auswirkungen als eine familienpolitische Maßnahme gelten“ (SCHULTHEIS 1988, 57). Zugleich sollte aber auch der Verelendung entgegengewirkt werden. Es zeichnete sich also ein Aufwärtstrend ab, welcher jedoch durch den Code Napoleon 1804 – Napoleons großes Gesetzwerk – von eben diesem, wieder gestoppt wurde. Napoleon I. vertrat das Ideal der Vater-Mutter-Kind-Familie in Frankreich. Mit einer Abkehr von unterstützenden Maßnahmen für allein stehende Mütter und der Erleichterung der Kindsaussetzung durch die Einrichtung der Drehladen erhöhte sich die Zahl der Kindsaussetzungen von 87.000 Kinder im Jahre 1816 wieder auf 130.000 Kinder im Jahre 1833 (vgl. SCHULTHEIS 1988, 59 und SCHULZ 2003, 20). Dieses mit der zunehmenden Entfaltung eines sozialen Gewissens als unerträglich empfundenes Problem galt es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unbedingt zu lösen. Der republikanische Staat reagierte auf diesen Missstand 1874 mit dem Erlass der Loi Roussel, „welcher die Tätigkeit der Ammen regelte und diese der Aufsicht der Behörden unterstellte“ (DETER 2003, 82). Durch die Beaufsichtigung des Ammenwesens erkannte der Staat somit erstmals eine öffentliche Verantwortung für das Wohlergehen der Kinder an. Auch die katholische Kirche nahm sich zunehmend diesem Problem an, indem sie die Ehe zu fördern und die wirtschaftliche Situation junger Eltern zu verbessern versuchte (vgl. ebd.).
2.2 Malthus’ Einfluss in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert
Insgesamt verlief die französische Bevölkerungskurve im Zeitraum 1750 bis 1850 different zu anderen europäischen Ländern. Um 1800 war Frankreich das bevölkerungsreichste europäische Land (ohne Russland), wurde aber dann schnell von anderen überrundet, da schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Geburtenkontrolle durch kontrazeptive Maßnahmen einsetzte. Grundlegend für diese Entwicklung war der Einfluss des britischen Ökonomen T. R. Malthus (1766 bis 1834). Ihm zu Folge war die Größe der Bevölkerung durch die Menge der verfügbaren Nahrungsmittel begrenzt. Malthus warnte vor den Folgen und Gefahren eines exzessiven Bevölkerungswachstums und plädierte für eine strikte Geburtenkontrolle durch den moralisch begründeten Verzicht auf ein eheliches Geschlechtsleben. Malthus Begründungen galten als plausibel, ein strikter Verzicht aber undenkbar, so übernahmen in den 30er Jahren eine Gruppe liberaler Nationalökonomen Teile der malthusianischen Lehre und traten so für einen planvollen Umgang mit der Fortpflanzung ein. Beide Lehren, die malthusianische, als auch die neo-malthusianische führten so zu einer Lockerung des Tabus, das seit Jahrhunderten über der Geburtenkontrolle lag (vgl. SCHULZ 2003, 21f.) und das Bild der Familie wandelte sich von der „fruchtbaren“ zur „geburtenregelnden“ Familie (vgl. SCHULTHEIS 1988, 75). Während es im Jahr 1740 etwa zehn Prozent und zu Beginn der Französischen Revolution vielleicht 20 bis 25 Prozent der Paare waren, welche kontrazeptive Mittel zur Empfängnisverhütung einsetzen, förderte die Epoche der Revolution, in welcher Individualismus und Liberalismus vorherrschten, diese Praxis jedoch nachdrücklich, so dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits über 50 Prozent der Paare verschiedene Verhütungsmethoden anwendeten (vgl. SCHMALE 2000, 162). Der entscheidende Gedanke, der diesen Prozess begeleitete, war der Einstellungswandel in der französischen Bevölkerung. Schon im 16. Jahrhundert verbreitete sich die Meinung, Frankreich sei überbevölkert. Im 18. Jahrhundert begann man dann, dem Kinderreichtum als sozialem Wert zu entsagen. Im Jahr 1901 lag das jährliche Bevölkerungswachstum bei nur mehr 0,13 Prozent, während in Deutschland noch 1,1 Prozent erreicht werden konnten (vgl. ebd., 162 f). Dabei lag in mehreren Jahren die Sterblichkeitsrate über der Geburtenrate, zudem wuchs die Lebenserwartung. Mehr als zwei bis drei Kinder fand man lediglich in Bauernfamilien und im Arbeitermilieu, zumindest, bis 1874 die Kinderarbeit unter 13 Jahren verboten wurde. Im Gegensatz zur katholischen Kirche sah der Staat die Lage anfangs nicht weiter kritisch. Seine Aufgabe war sehr gering und beschränkte sich darauf, verbindliche legale Regelungen zu schaffen, um eben oben genannte Werte zu garantieren. „Weiterhin behandelte die Idee des Individualismus, dass die Individuen für ihr Leben selbst verantwortlich seien und der Staat […] sich nicht in persönliche Angelegenheiten wie Altersvorsorge, Arbeitssituation, Familienangelegenheiten usw. einmischen sollten“ (SCHMIDT 2002, 137 f). Gleichzeitig jedoch waren die sozialen Folgen der schnellen Industrialisierung und Modernisierung unübersehbar. Materielles Elend der breiten Bevölkerungsschichten, unmenschliche Arbeitsbedingungen, mangelnde Möglichkeiten zur Altersvorsorge und vieles mehr kristallisierte sich heraus. Die Arbeiterschaft begann sich alsbald zu so genannten S ocietés de Secours et de Résitance (Vereine auf Gegenseitigkeit) zu organisieren, um, basierend auf dem Solidarprinzip, bestehende soziale Risiken abdecken zu können.
Im 19. Jahrhundert kristallisierten sich dann zwei zentrale Motive für Familienpolitik heraus: das familieninstitutionelle und das bevölkerungspolitische Motiv (vgl. KAUFMANN 1993, 156). Frankreich ist das Land in Europa, in welchem der Bevölkerungsrückgang zuerst einsetzte. Bereits 1830 begann die Geburtenrate im Land erstmals zu stagnieren. „Angesichts des fortgesetzten Bevölkerungswachstums in den übrigen Ländern Europas [vor allem auch in Deutschland] mehrten sich aus nationalen Motiven in Frankreich die Besorgnisse über den Geburtenrückgang“ (KAUFMANN 1993, 156). Dénatalité war das Schlagwort, mit dem die Befürchtung umschrieben wurde, das Land könne sich allmählich entvölkern (vgl. DETER 2003, 81). Schultheis schreibt dazu: „Nicht Familie als eine gesellschaftlich anerkannte Lebensform bildete den Bezugspunkt populationistischer Überlegungen, sondern ein rein quantitatives Konzept des ‚menschlichen Kapitals‘, dessen Produktion und Reproduktion zwar primär im Rahmen der traditionellen agrarwirtschaftlichen Familienorganisation verortet, dieser jedoch keineswegs als eine exklusive Funktion zugeordnet wurde“ (SCHULTHEIS 1988, 50). Gleichberechtigt für die Politik dieser Epoche standen demnach Bevölkerungszugewinne im Rahmen territorialer Expansion oder Integration von Zugewanderten neben der im familialen Kontext geleisteten biologischen Reproduktion. Die Familie wurde nun zum Bezugspunkt gesellschaftlicher Überlegungen und sozialpolitischer Interventionen. Von unterschiedlicher Seite dachte man über die Familie nach und wog ihren Nutzen als Versorgerin, auch im Hinblick auf die öffentliche Fürsorge, ab.
2.3 Sozialpatronage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Einzelne sozialkatholisch inspirierte Unternehmer hatten bereits seit den 1880er Jahren, im Zeitalter der Industrialisierung, Kindergeld oder Geburtsprämien eingeführt. Diese Form der Unterstützung – Sozialpatronage – gewann allgemein an Bedeutung, und immer mehr Berufsgruppen, wie Soldaten und Postbeamte, kamen in den Genuss der Familienzulagen. Der Sozialpatronage lag der Gedanke zu Grunde, dass der Arbeitsfrieden durch eine besondere Fürsorge des Arbeitgebers hergestellt und der Pauperismus so überwunden werden konnte. Die Sozialpatronage legte damit die Grundlagen für das, aus der katholischen Soziallehre späterer Jahre bekannte, Subsidiaritätsprinzip. Arbeitersiedlungen entstanden direkt neben den großen Werken, Arbeits- und Lohnbedingungen wurden, soweit möglich, den Lebensbedingungen angepasst. Neben dem fürsorglichen Charakter sollte diese starke persönliche Bindung auch disziplinierend und kontrollierend wirken (vgl. SCHULZ 2003, 22). Nach Schultheis zählten auch Ziele, wie die Bekämpfung und Einschränkung mütterlicher Erwerbstätigkeit zu denen des Unternehmerkreises (vgl. SCHULTHEIS 1988, 142). Schon zu Zeiten der Sozialpatronage versuchte der Vizepräsident der anthropologischen Gesellschaft in Paris, Adolphe Bertillon, verzweifelt, den Staat wachzurütteln, doch erst seinem gleichnamigen Sohn gelang es mit der Gründung der nationalen Allianz (Alliance Nationale contre la Dépopulation) im Jahr 1896 Einfluss zu nehmen und die Einführung von Familienzulagen in den Blickpunkt der Politik zu rücken.
Die Wurzeln der französischen Familienpolitik sind nach alledem in zwei verschiedenen Intentionen zu suchen: Während der französische Sozialkatholizismus die Familien um ihrer selbst Willen förderte, ging es den nationalliberalen Kreisen in der dritten Republik, allein aus bevölkerungspolitischen Gründen, um die Erhöhung der Geburtenrate. Da sich beide – eigentlich antagonistisch gerichteten – Strömungen in ihren familienpolitischen Zielen aber einig waren, war mit der Wende zum 20. Jahrhundert der Boden für eine fruchtbare Familienpolitik bereitet. Resultierend aus dieser Grundeinstellung entstand 1891 die erste Familienkasse (Caisse de Famille), gegründet vom Unternehmer Léon Harmel. Diese neue Einrichtung gewährte kinderbezogene Lohnzuschläge (vgl. DETER 2003, 83). Die staatliche Antwort auf die nun entstehenden Familienkassen bestand 1898 in der Legalisierung und Förderung der Societés de Secours et de Résitance (vgl. SCHMIDT 2002, 138). Diese Vereine und private Initiativen kamen vor allem dem Mittelstand zu Gute, da es Arbeitern zur damaligen Zeit kaum möglich war, für eine ausreichende Altersversorgung oder Arbeitslosenversicherung zu sparen. Insgesamt relativierte sich der Einfluss des oben beschriebenen Individualismus, die malthusianische Lehre verlor ihre Akzeptanz und zunehmend trat der Fürsorgegedanke, welcher den Staat in die Pflicht nahm, in den Vordergrund. Nicht zuletzt, um den Einfluss der katholischen Kirche zurückzudrängen, wurde die Familienpolitik zunehmend in die staatliche Sozialpolitik integriert. Spätestens mit den Schulgesetzen der 1880er Jahre, durch welche die konfessionellen Schulen zurückgedrängt wurden, galt der Kampf um die Erziehung der Kinder zugunsten des Staates entschieden (vgl. SCHULZ 2003, 26). 1913 begründete dann auch ein Gesetz für kinderreiche Familien (ab vier Kindern) den Anspruch auf diese Familienzulagen (vgl. DETER, 83). Diesem wohlfahrtsstaatlichem Engagement lag ein laizistisch-republikanisches Verständnis der Gleichheit zu Grunde: Der Familienlastenausgleich sollte allen Familien zugängig sein und nicht von der Erwerbsarbeit abhängig sein. Resultierend aus dieser Gleichheit, setzten sich sowohl in konservativen als auch in republikanischen Köpfen wieder die kinderreiche Familie als familien- und bevölkerungspolitische Leitvorstellung durch. Eine Sozialversicherung nach dem Bismarck’schen Modell galt jedoch als zu interventionistisch und wurde damals von den christlichen und liberalen Kräften im Staat konsequent abgelehnt.
„Was für Deutschland die Arbeiterfrage und für England die Armutsfrage war, war für Frankreich die Familienfrage, insbesondere die Frage nach der Stabilisierung und dem Unterhalt der Arbeiterfamilie“ (KAUFMANN 1987, 15). Und so wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts der französische Staat zunehmend in den Bereichen der sozialen Sicherung aktiv. 1905 wurde das Gesetz zur obligatorischen Fürsorge für alte, bedürftige Menschen, welche finanziell von den Gemeinden und dem Staat getragen wurden, erlassen. Auch die Kinderfürsorge für Waisen oder pflegebedürftige Kinder wurde um die Jahrhundertwende staatlich institutionalisiert. Zusätzlich wurden ab 1914 Ehe- und Kinderfreibeträge bei der Einkommenssteuer berücksichtig. Der Code Travail räumte Arbeitnehmern einen Anspruch auf Familienzulagen ein und verpflichtete die Unternehmen den Familienkassen beizutreten. Des Weiteren trug die so genannte „Hausfrauenzulage“ (allocation de la mère au foyer, AMF) wirksam zur staatlichen Geburtenförderung bei (vgl. DETER 2003, 84 f). Dieser Gedanke des Solidarismus, eine Gesellschaftstheorie, welche sich aus dem Leitbild einer umfassenden sozialen Sicherung für alle Individuen und sozialen Gruppen gründet, war der erste Schritt in Richtung einer familienbezogenen Sozialgesetzgebung. Er beeinflusste das demografische Verhalten noch nicht nachdrücklich, belud die Politik aber mit einer neuen Aufgabe, der Familienpolitik.
2.4 Das familienpolitische Rahmengesetz von 1939
Beide Bewegungen, die „familialistische“ des Sozialkatholizismus und die „natalistische“ des Bürgertums, trugen nachhaltig zur allmählichen Entwicklung einer staatlichen Familienpolitik in Frankreich bei. Die 1920 verabschiedete „Deklaration der Rechte der Familien“ galt als Vorbote des am 29. Juli 1939 von der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetzes Code de la Famille. Dieses erklärte die freiwilligen Leistungen der Unternehmer nun zu obligatorischen und löste so das sozialkatholische Unternehmertum als Träger der politique familiale im 20. Jahrhundert ab. Der Code de la Famille bildete den Grundstein für einen konsequenten Ausbau der Familienpolitik in der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg, welche in Frankreich zu einer Kernstruktur in der sozialstaatlichen Entwicklung wurde. Er institutionalisierte ein Familienmodell, welches eine Idealfamilie mit erwerbstätigem Ehemann, einer Hausfrau und Mutter von drei Kindern unterstützte. Zugleich zielte das Gesetz explizit darauf ab, die familienpolitische Praxis zu vereinheitlichen, das Handlungsfeld zu homogenisieren und in staatlichen Händen zu monopolisieren (vgl. SCHULZ 2003, 24). Seither gilt Familienunterstützung in Frankreich als eine Angelegenheit des Staates und Familienpolitik als wichtiger Teil der öffentlichen Politik. Wichtigstes Element der Familienpolitik nach 1939 war und ist bis heute noch die Gleichheit aller Bürger, präsentiert in der Tatsache, dass alle Franzosen, unabhängig ihrer Einkommenssituation, die gleiche Familienunterstützung erhalten. Des Weiteren gibt es eine besondere Förderung des zweiten und auch des dritten Kindes und eine zusätzliche Familienfürsorge für Familien ohne Erwerbseinkommen. Geburtenförderung basiert in Frankreich ganz auf einem Zwei-Verdiener-Haushalt und weist, neben der hohen Frauenerwerbstätigkeit, noch eine Besonderheit auf: eine Vielfalt an Variationen staatlich geförderter privater und öffentlicher Betreuungsmöglichkeiten (vgl. HENRY-HUTHMACHER 2004, 36).
Mit dem Code de la Famille wurden die Grundlagen für diese Familienpolitik in Frankreich geschaffen, von da an wurde in Frankreich ein umfassendes System sozialer Sicherung eingeführt, das bis heute kontinuierlich ausgebaut wurde. Erst in der Nachkriegszeit wurden – angelehnt an den britischen Ökonomen und Politiker Beveridge – Pläne für eine umfassende Sozialversicherung entwickelt. Vor dem Krieg schon wurde eine obligatorische Krankenversicherung für Arbeitnehmer in Industrie und Handel eingeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Regierung dann mit „einem groß angelegten Plan einer umfassenden Sozialversicherung für die gesamte Bevölkerung“ (SCHMIDT 2002, 140). Die Sécurité Sociale wurde 1945 durch Pierre Laroque gegründet. Als Leitideen können hier vor allem angeführt werden; die gesamte Bevölkerung vor den Risiken des Lebens (Alter, Krankheit, Todesfall usw.) zu schützen, ferner eine Vereinheitlichung des gesamten Sozialsystems und schließlich die gemeinsame Verwaltung der Sozialversicherung durch die Leistungsberechtigten und den Staat (vgl. SAINT-JOURS 1981, 232 f). Diese schon mit Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende Institutionalisierung und Laizisierung der Familienpolitik fand ihren vorläufigen Höhepunkt nach dem Krieg, in der Zeit der Libération 1945, z.B. in der Bündelung der verschiedenen Familienausgleichskassen und ihren Leistungen zu einer nationalen Familienkasse (Caisses nationale d’Allocations familiales, CNAF). Diese Kasse fasst heutzutage 125 regionale Tochterkassen unter sich zusammen und beweist so, dass Familienpolitik mehr und mehr zur zentralen staatlichen Struktur und autonom gegenüber der Kirche geworden ist. Die Erwartungshaltung der Bevölkerung bezüglich familienpolitischer Hilfen richtet sich seitdem zunächst an den Staat (vgl. KAUFMANN 1993, 157, DETER 2003, 96 und VEIL 2004, 10). Der Zusammenschluss aller französischen Familienorganisationen zur UNAF (Union Nationales des Associations Familiales), welche auch heute noch als Sozialpartner an allen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Förderung von Familien im Staat beteiligt ist, war demnach unumgänglich (vgl. DIENEL 1992, 14).
2.5 Moderne Familienpolitik im Wohlfahrtsstaat
Mit dem Amtsantritt der Fünften Republik 1958 änderte sich zunächst wenig. Später jedoch, in den 70er Jahren, einer Zeit des sozialen und kulturellen Umbruchs, setzte sich die Neutralität des Staates als neue politische Leitlinie durch. Dies hatte zur Folge, dass sich die traditionelle familienbasierte Bereitstellung von Kindererziehung modifizierte. Die Verantwortung wurde nun zunehmend zwischen den Familien und verschiedenen nichtelterlichen Betreuungsinstitutionen geteilt. Der Staat sollte sich neutral verhalten und so die Entscheidungsfreiheit der Frauen, außer Haus zu arbeiten oder nicht, respektieren (vgl. REUTER 2002, 4 und LETABLIER/JÖNSSON 2003, 91). Die in den 70er Jahren immer noch rückläufigen Geburtenraten galten als Resultat der immer weniger werdenden Familien mit mehr als zwei Kindern. Aus diesem Grund sollte die neue Familienpolitik unter dem Schwerpunkt „drittes Kind“ ausgerichtet werden. Die Reanimierung der klassischen Familienpolitik ging nun, sowohl mit der Bekämpfung der sozialen Armut, als auch mit der Förderung der Vereinbarkeitsfrage einher (vgl. DETER 2003, 89). Dies hatte für die französische Regierung hohe Kosten zur Folge, so schreibt Calot 1978: „Während sich z.B. im Jahr 1970 die Sozialleistungen insgesamt bezogen auf das Volkseinkommen kaum zwischen den einzelnen Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unterschieden haben, erreichte der Anteil der Familienbeihilfen an den Sozialleistungen 7,7 Prozent in der Bundesrepublik Deutschland, 13,9 Prozent in Italien und 21,4 Prozent in Frankreich“ (CALOT 1978, 73 f). Im Jahr 1977 verstärkte die amtierende Regierung unter Valéry Giscard d’Estaing diesen Schwerpunkt durch eine Vielzahl von Reformen. Dazu zählten zusätzliche steuerliche Vergünstigungen ab dem dritten Kind, zinsgünstige Kredite für den Erwerb eines Eigenheimes ab dem dritten Kind, eine Art Mutterschaftsprämie und vieles mehr. Insgesamt 22 verschiedene Anspruchszulagen existierten im Jahr 1977, so viel, dass die Berechtigten allmählich den Überblick über die ihnen zustehenden Leistungen verloren und der Verwaltungsaufwand ins Unermessliche wuchs (vgl. ebd. 92). Die Familienpolitik Giscards kann als primär bevölkerungspolitisch motiviert eingeschätzt werden, denn die Maßnahmen schienen Erfolg zu haben: Ein Anstieg der Geburtenrate lässt sich vor allem auf die Zunahme der Drittgeburten zurück führen.
Ein weiteres Kapitel der französischen Familienpolitik lässt sich mit dem Amtsantritt des sozialistischen Präsidenten Mitterand 1981 aufschlagen. Von da an stand weniger die Förderung kinderreicher Familien, als die Solidarität zwischen den sozialen Gruppen und die Gleichheit zwischen Männern und Frauen im Vordergrund (vgl. LETABLIER/JÖNSSON 2003, 92). Familienunterstützende Maßnahmen der „Neuen Familienpolitik“ richteten sich jetzt auch verstärkt an die Zwei-Kind-Familie. Mit der Erziehungsbeihilfe APE (Allocation Parentale d’Education) entstand eine völlig neuartige Familienunterstützung. Diese wurde ab dem dritten Kind, monatlich zwei Jahre (ab 1986 drei Jahre und auch ab dem zweiten Kind) als Ausgleich für die Erwerbsunterbrechung gezahlt (vgl. DETER 2003, 92 f). Die immer besser werdende Versorgung der Familien in Frankreich führten bald zu einer Überlastung der Familienkassen, welche trotz steigender Abgaben der Unternehmen bald erhebliche Defizite aufweisen mussten. Die Regierung beschloss daraufhin 1991 die Familienleistungen künftig auch durch Steuern zu finanzieren und führte den allgemeinen Sozialbeitrag Contribution Sociale Géneralisé (CSG) ein, welche die Bevölkerung mit einer Sozialabgabe von 1,1 Prozent (1993: 2,4 Prozent) belastete, die Abgaben der Unternehmen jedoch von neun auf 5,4 Prozent senkte. Auch von der Leistungsseite her wurden weitere Verbesserungen vorgenommen; die Sozialversicherungsbeiträge für die Beschäftigung einer Tagesmutter (Assistante Maternelle Agrée, AMA) wurden übernommen und zudem noch weiter bezuschusst (vgl. DETER 2003, 93 f).
In den 90er Jahren wurden die Familienleistungen vor allem in drei Richtungen weiterentwickelt: es wurden Beihilfen für die Erziehung von Kleinkindern gewährt, um Wahlfreiheiten bei der Betreuung von Kleinkindern, z.B. durch Tagesmütter, wurde sich bemüht und das Kindergeld wurde bis zum 20. Lebensjahr des Kindes weitergezahlt (vgl. WAGNER 2004, 17). Mit dem Amtsantritt Raffarins und seiner konservativ-liberalen Regierung im Jahr 2002 entstand erstmals 2003 eine „Familienkonferenz“. Diese Sitzung diente einer neuen Familienpolitik, sie formulierte Grundsätze dieser und bemängelte gleichzeitig die Unübersichtlichkeit der verschiedenen Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Aus diesen Analysen empfahl die Konferenz das neue Zehn-Punkte-Programm PAJE (Prestation d’Accueil du jeune Entfant), welches sich im Wesentlichen an Kinder zwischen null und drei Jahren richten sollte. Übersichtlichkeit bei den Möglichkeiten ihrer Betreuung sollten geschaffen werden. Durch deren Betreuung außerdem Arbeitsplätze geschaffen, die Beschäftigungsquote von Frauen erhöht und so die Wirtschaft angekurbelt werden. Ein weiteres Ziel von PAJE galt der Erhöhung der Geburtenrate auf 2,1 Kinder pro Frau und der besseren Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie. Der Staat subventionierte dieses Programm mit acht Milliarden Euro an Leistungen. Mit dem neuen Programm erhalten Familien ab dem 1. Januar 2004 mit einem Monatseinkommen von unter 4.120 Euro eine einmalige Geburtsprämie von 800 Euro, sowie ein monatliches Kindergeld von 160 Euro während der ersten drei Lebensjahre. Auch erhalten Mütter oder Väter, die zur Erziehung ihres ersten Kindes ihren Beruf aufgeben, ein monatliches Erziehungsgeld von 340 Euro (vgl. ebd., 18 f und SCHMIDT et. al. 2005, 56). Das heutige Bündel familienpolitischer Maßnahmen besteht in Frankreich zusammenfassend aus dem Mutter- und Neugeborenenschutz, der Erziehungsfreistellung und dem Einkommensersatz, den flächendeckenden und flexiblen Kinderbetreuungsbeihilfen, dem Familienlastenausgleich, der sich in Form eines Familiensplittings der Steuern darlegt und den Hilfen für allein Erziehende (vgl. BECKER 2000, 172). Auf die verschiedenen Maßnahmen im Einzelnen soll allerdings erst im Kapitel V. eingegangen werden. Dieses beschreibt die unterschiedlichen Maßnahmen konkret und stellt einen ausführlichen Vergleich mit denen in Deutschland dar.
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