Beschäftigt man sich mit der Struktur des Verhältnisses zwischen Richard Strauss und seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal, so stellt man fest, dass trotz – oder gerade auf Grund – der umfangreichen Literatur, die sich schon mit dieser Kollaboration befasst hat, die Deutungen auseinander gehen.
So gibt es Stimmen, die die Zusammenarbeit der beiden Künstler als eine lange Geschichte von Missverständnissen bezeichnen. Doch es gibt auch die Stimmen derer, die die Kollaboration Strauss’ und Hofmannsthals für eine außergewöhnlich gelungene halten.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Struktur des Verhältnisses zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal exemplarisch an den Opern »Elektra«, »Ariadne auf Naxos« und »Die Ägyptische Helena« kritisch zu beleuchten.
1. Problemstellung
Beschäftigt man sich mit der Struktur des Verhältnisses zwischen Richard Strauss und seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal, so stellt man fest, dass trotz – oder gerade auf Grund – der umfangreichen Literatur, die sich schon mit dieser Kollaboration befasst hat, die Deutungen auseinander gehen.
So gibt es Stimmen, die die Zusammenarbeit der beiden Künstler als eine lange Geschichte von Missverständnissen bezeichnen. Diese Ansicht wird hauptsächlich von Literaturwissenschaftlern vertreten, die sich in ihrer Argumentation auf den Briefwechsel stützen, aus dem natürlich an einigen Stellen auch Meinungsverschiedenheiten und gelegentliches Unverständnis des Anderen hervor gehen. Wie Stephan Kohler es formuliert galten diese Bemühungen meist dem Ziel, „die Souveränität der geistigen Potenz Hofmannsthals gegenüber derjenigen von Strauss effektvoll unter Beweis zu stellen“,[1] oder um es mit Steven Paul Scher zu sagen: „the antagonism between poet and composer has been magnified out of proportion“.[2] Doch es gibt auch die Stimmen derer, die die Kollaboration Strauss’ und Hofmannsthals für eine außergewöhnlich gelungene halten, wie Willi Schuh, der versuchte, das Märchen vom unverstandenen Dichter Hofmannsthal zu widerlegen.[3]
Ziel dieser Arbeit ist es, die Struktur des Verhältnisses zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal exemplarisch an den Opern Elektra, Ariadne auf Naxos und Die Ägyptische Helena kritisch zu beleuchten.
2. «Elektra»
Die Oper Elektra stellt den Beginn der Zusammenarbeit zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal dar. Nachdem letzterer bereits im Jahr 1900 an Strauss mit dem Wunsch herangetreten war, ein von ihm verfasstes Ballett von Strauss vertonen zu lassen, war es im Jahr 1906 Strauss, der an Hofmannsthal herantrat. Strauss hatte Hofmannsthals Drama Elektra gesehen und hegte den Wunsch, dieses als Oper zu vertonen. Während er noch einige Jahre vorher Hofmannsthals Anliegen abwies, bat er Hofmannsthal, noch bevor über die Zusammenarbeit an Elektra entschieden war,
„[ihm] in allem Komponierbaren von Ihrer Hand [Hofmannsthals] das Vorrecht zu lassen. Ihre Art entspricht so sehr der meinen, wir sind füreinander geboren und werden sicher Schönes zusammen leisten, wenn Sie mir treu bleiben.“[4]
Zu diesem Zeitpunkt mag diese Aussage durchaus verwundern, denn eine Prognose über den Erfolg einer Kollaboration zu treffen, bevor diese überhaupt begonnen wurde, scheint gewagt. Die Tatsache, dass Strauss Recht behalten sollte, relativiert dies insofern, als man sich fragt, ob Strauss Hofmannsthal wirklich so sicher einschätzen konnte, oder ob es ein glücklicher Zufall war, der die beiden auf produktive Weise die nächsten 23 Jahre verband.
Elektra kommt in der Zusammenarbeit zwischen Strauss und Hofmannsthal nicht nur auf Grund der Erstmaligkeit eine besondere Bedeutung zu, sondern auch dadurch dass es sich um die Adaptation eines Dramentextes zum Opernlibretto handelt. Auch wenn Hofmannsthal bei der Auswahl der Themen für die folgenden Opern immer auf bereits existierende Stoffe zurückgriff, war dies die einzig direkte Umwandlung eines Dramas. Diese andere Herangehensweise äußert sich auch im Briefwechsel. Die Anzahl der Briefe, die sich mit Elektra beschäftigen, ist – verglichen mit den anderen gemeinsamen Werken – relativ gering. Darüber hinaus handeln sie oft von der wirtschaftlichen Abwicklung mit den Verlagen und weniger als in den folgenden Kollaborationen von Inhaltlichem.
a) Das Libretto
So wie Hofmannsthals Drama eine Neuinterpretation der Tragödie Sophokles’ darstellt, so wurde in gewisser Weise auch Strauss’ Adaptation eine Neuinterpretation des Dramas.[5] Die Veränderungen am Dramentext gehen in vielen Fällen auf Wünsche Strauss’ zurück, der die Gewichtung der Figuren in der Oper veränderte: die Rolle des Orest, der bereits im Drama eher eine untergeordnete Rolle spielt, wird zum Beispiel in der Oper weiter reduziert.
Betrachtet man die Entstehung dieses Librettos im Vergleich mit den Folgenden, scheint es untypisch, wie fraglos Hofmannsthal auf Strauss’ Veränderungswünsche eingeht. Nicht dass Hofmannsthal nicht auch in späteren Jahren auf Vorschläge Strauss’ eingegangen wäre, aber der Briefwechsel belegt in vielen Fällen auch rege Diskussionen, die in diesem Fall fehlen. Joanna Bottenberg vermutet den Grund für diese Ergebenheit dem Komponisten gegenüber in Hofmannsthals Wunsch, dem Komponisten zu gefallen und von ihm über die Anforderungen eines Opern-Librettos zu lernen.[6]
Veränderungen im Libretto betreffen nicht nur die Gewichtung der Figur des Orest, sondern auch Chrysothemis. Elektras Schwester Chrysothemis, die ihr im Drama diametral gegenüber steht, tut dies zwar in der Oper immer noch, hat aber einen Großteil an Text eingebüßt. In der ersten Szene zwischen Elektra und Chrysothemis, wurden 95 Zeilen Chrysothemis’ gestrichen, deren emotionaler Inhalt teilweise durch die Musik wiedergegeben werden soll.[7] Im Vergleich zum Drama bedeutet dies jedoch eine einschneidende Reduktion der Chrysothemis-Rolle.
Weitere Streichungen nahm Strauss in der Begegnung zwischen Elektra und ihrer Mutter Klytämnestra vor. In dieser Szene wird Klytämnestra im Drama immer wieder von sarkastischen Kommentaren Elektras unterbrochen – ein Vorgang, der musikalisch schwer umzusetzen ist, da die Textzeilen der beiden Charaktere eine sehr unterschiedliche musikalische Behandlung erfordern würden und somit keine einheitliche musikalische Linie möglich wäre. Strauss entschied sich deswegen, diesen Teil der Szene ganz wegzulassen.
Doch Strauss nahm nicht nur Streichungen von Textpassagen vor, er stellte sie auch nach seinen Bedürfnissen um. So strich er in der besagten Szene zwischen Elektra und Klytämnestra 20 Zeilen Elektras, um sie durch 13 andere aus der vorangegangenen Szene zwischen Elektra und Chrysothemis zu ersetzen. Ziel der Umstellung war hier eine Veränderung des Schwerpunktes dieser Szene.
Auch in der Szene in der Elektra ihren Bruder Orest erkennt, nahm Strauss umfangreiche Veränderungen vor, um der Musik an dieser Stelle Raum für einen Höhepunkt zu geben. Strauss folgte dem Bedürfnis, Elektra hier musikalisch einen längeren Steigerungsprozess ausführen zu lassen.
Im abschließenden Duett zwischen Elektra und Chrysothemis nahm Strauss keine Streichungen vor, sondern bat seinen Librettisten um weiteres Material:
„Bitte drücken Sie noch ein bisschen, es kommen sicher noch etwa 8 Verse für jede heraus, ich muss hier Material haben, um beliebig steigern zu können. 8, 16, 20 Verse, soviel Sie können und alles in derselben ekstatischen Stimmung und immer sich steigernd.“ (Bw. 22.06.1908, S. 37)
Offensichtlich benötigte Strauss hier eine textliche Grundlage anhand derer er die Ekstase, in die sich Elektra hineinsteigert, komponieren konnte.
b) Die Musik
Es erscheint vielleicht fragwürdig bei der Untersuchung der Kooperation eines Librettisten mit einem Komponisten, ein eigenes Kapitel der Musik zu widmen. Denn im Allgemeinen ist in einer solchen Kooperation die Musik ausschließlich die Angelegenheit des Komponisten. Während es natürlich erscheint, dass der Komponist Einfluss auf die Form des Librettos nimmt, ist es nicht so selbstverständlich, dass der Librettist Ansprüche an die Musik stellt. Doch bei Hofmannsthal war es durchaus üblich, dass er mit seinen Texten Strauss auch mitteilte, wie er sich gewisse Stellen vertont vorstellte. Bereits bei der Arbeit am Rosenkavalier schrieb Hofmannsthal an Strauss:
„Lassen Sie sich für den letzten Akt einen altmodischen, teils süßen, teils frechen Wiener Walzer einfallen, der den ganzen Akt durchweben muss.“ (Bw. 24.04.2909, S. 58)
Doch bei Elektra überließ der Dichter die Musik wirklich voll und ganz dem Komponisten. Angesichts der Neuheit der Kollaboration ist sicher verständlich, dass Hofmannsthal, der von sich sagte, nichts von Musik zu verstehen, die Zusammenarbeit nicht gefährden wollte, indem er seine Kompetenzen überschritt. Und wo Hofmannsthal doch einmal einen Vorschlag die Musik betreffend macht, bemüht er sich gleich, deutlich zu machen, dass die endgültige Entscheidung natürlich beim Komponisten liegt.[8]
[...]
[1] Stephan Kohler: „Musikalische Struktur und sprachliches Bewusstsein. Quellenkritische Ansätze zur Erforschung der Wort-Ton-Relation bei Richard Strauss“ in Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft, Bern/ Stuttgart 10/1990, S. 119
[2] Steven Paul Scher: „The Strauss-Hofmannsthal operatic experiment: tradition, modernity or avant-garde?“ in Revue de littérature comparée, 3/1987, S. 369
[3] Willi Schuh: Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss. Legende und Wirklichkeit, München 1964
[4] Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal, 11.03.1906. Richard Strauss/ Hugo von Hofmannsthal: Briefwechsel, Willi Schuh (Hrsg.), 5. Auflage, Zürich 1978, S. 18
Alle folgenden Verweise auf den Briefwechsel werden in Klammern im Text unter Verwendung der Abkürzung „Bw.“ erfolgen.
[5] Joanna Bottenberg: Shared Creation. Words and Music in the Hofmannsthal-Strauss Operas, Frankfurt am Main 1996, S. 100
[6] ebd., S. 102
[7] ebd., S. 105
[8] Im Brief vom 18.07.1906 schlägt Hofmannsthal vor, statt eines Dieners eine ganze Gruppe einzusetzen, da er sich vorstellt, Strauss könne das musikalisch effektvoll umsetzen.
- Quote paper
- Katharina Kierig (Author), 2005, Die Struktur der Zusammenarbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66732
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