Es ist ein bestätigter Befund, dass Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland ein immer geringer werdendes Interesse an Politik zeigen. Die Öffentlichkeit interpretiert dies sehr voreilig, als ob es sich um eine zunehmende Politikverdrossenheit der Jugend handele und damit um einen Abstand zur Demokratie und der Gesellschaft. Geht man genauer auf die statistischen Zahlen ein, zeigt sich auch zunächst kein von dieser Einschätzung abweichendes Bild: Die 14. Shell-Jugendstudie „Jugend 2002“ deckt auf, dass das politische Interesse bei Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren von 1984 bis 2002 um 21 Prozent gesunken ist. Demnach handelt es sich wohl wirklich um eine tendenzielle Politikverdrossenheit. Beschäftigt man sich jedoch näher mit den Zahlen der Studie und beobachtet aufmerksam die Diskussionen um die politische Eingebundenheit von Jugendlichen, so zeigt sich andererseits, dass sich junge Menschen sehr wohl sozial als auch politisch engagieren. Allerdings nicht mehr vorwiegend in traditionellen Formen der politischen Partizipation, wie z.B. in Parteien oder Verbänden, sondern in unkonventionelleren, offeneren Strukturen, die auch kurzfristige politische Beteiligungsmöglichkeiten offerieren. Es handelt sich dieser These zufolge also weder um eine generelle Politikverdrossenheit, noch um eine dramatische Reduzierung von Partizipation. Das Interesse an Politik ist da und offensichtlich an vielen Beispielen. Dieser Annahme folgend, verschwimmen also die Konturen der Politik, oder besser, sie vollziehen sich einem Wandel. Dies liegt zum Teil darin begründet, dass sich die Motivation, sich politisch zu engagieren, verändert hat.
Ausgehend von den verschiedenen Anlässen der Jugendlichen, sich für Politik zu interessieren und sich ggf. zu engagieren, geht dieser Beitrag der Frage nach dem Ursprung des Interesses oder Desinteresses am politischen Geschehen aus sozialisationstheoretischer Sichtweise nach. Welche konsequenzen hat es, wenn sich Jugendliche dem Staat und seinen Organisationen entziehen? Was kann ungenügende politische Sozialisation der jungen Generation bewirken? Warum ist sie wichtig?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Die Fragestellung
1.2 Die Herangehensweise
2. Wissenschaftliche Diskussion
2.1 Politikverdrossenheit
2.1.1 Zum Begriff
2.1.2 Woher die Politikverdrossenheit kommt
2.2 (Politische) Sozialisation und ihre Bedeutung
2.3 Wenn politische Sozialisation misslingt
2.3.1 Politische Partizipation
2.3.2 Politischer Extremismus
2.3.2.1 Modell einer Typisierung der Gesamtbevölkerung
2.3.2.2 Fazit
3. Schluss
4. Literaturangabe
1. Einleitung
Es ist ein bestätigter Befund, dass Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland ein immer geringer werdendes Interesse an Politik zeigen. Die Öffentlichkeit interpretiert dies sehr voreilig, als ob es sich um eine zunehmende Politikverdrossenheit der Jugend handle und damit um einen Abstand zur Demokratie und der Gesellschaft. Geht man genauer auf die statistischen Zahlen ein, zeigt sich auch zunächst kein von dieser Einschätzung abweichendes Bild: Die 14. Shell-Jugendstudie „Jugend 2002“ deckt auf, dass das politische Interesse bei Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren von 1984 bis 2002 um 21 Prozent gesunken ist. Nur vier Prozent der Jugendlichen bezeichnen sich demnach als stark an Politik interessiert, immerhin 26 Prozent als interessiert, 40 Prozent als weniger interessiert und ganze 30 Prozent sogar als gar nicht interessiert. Demnach handelt es sich wohl wirklich um eine tendenzielle Politikverdrossenheit. (vgl. 14. Shell, 2004, S. 92ff)
Beschäftigt man sich jedoch näher mit den Zahlen der Studie und beobachtet aufmerksam die Diskussionen um die politische Eingebundenheit von Jugendlichen, so zeigt sich andererseits, dass sich junge Menschen sehr wohl sozial als auch politisch engagieren. Allerdings nicht mehr vorwiegend in traditionellen Formen der politischen Partizipation, wie z.B. in Parteien oder Verbänden, welche seit Ende der 80er Jahre einen Mitgliederschwund an jungen Menschen erleiden, sondern in unkonventionelleren, offeneren Strukturen, die auch kurzfristige politische Beteiligungsmöglichkeiten offerieren. Es handelt sich dieser These zufolge also weder um eine generelle Politikverdrossenheit, noch um eine dramatische Reduzierung von Partizipation. Das Interesse an Politik ist da und offensichtlich an vielen Beispielen. „Zu einem nicht unerheblichen Teil formen und konstituieren die Jugendlichen durch die Art und Weise ihres Engagements das mit, was in der Gesellschaft als Politik funktioniert und als solche wahrgenommen wird – oder werden wird.“ (ebd., S. 51) Dieser Annahme folgend, verschwimmen also die Konturen der Politik, oder besser, sie vollziehen sich einem Wandel. Dies liegt zum Teil darin begründet, dass sich die Motivation, sich politisch zu engagieren, verändert hat. War früher noch das Pflichtgefühl, sich beteiligen zu müssen, an der Tagesordnung, so ist heute eher das eigene Interesse mit dem Ziel der Selbstverwirklichung Motor für politische Teilhabe, wobei das Eigeninteresse auch im Sinne des Gemeinwesens liegen kann. Die junge Generation sucht darüber Kontakte und Spaß und möchte ihre Kompetenzen entwickeln. Sieht sie dies auch in traditionellen Verbänden als realisierbar, engagiert sie sich dort ebenso. Wobei das nicht für die Jugend allgemein gilt. (vgl. ebd., S. 44f)
1.1 DIE FRAGESTELLUNG
Wir sehen also verschiedene Anlässe von Jugendlichen, sich für Politik zu interessieren bzw. sich gegebenenfalls auch zu engagieren. Doch woher genau kommt eigentlich dieses Interesse oder Desinteresse am politischen Geschehen? Und warum ist es denn - der öffentlichen Meinung zufolge - so schlimm, dass sich Jugendliche dem Staat und seinen Organisationen entziehen? Was kann ungenügende politische Sozialisation der jungen Generation bewirken? Warum ist sie wichtig?
1.2 HERANGEHENSWEISE
Diesen Fragen möchte ich mich nun zuwenden. Ich werde dafür zunächst auf den Begriff der Politikverdrossenheit – als Kernpunkt meiner Arbeit – eingehen. Anschließend versuche ich die Gründe für Politikverdrossenheit aus sozialisationstheoretischer Sichtweise zu beleuchten und wende mich daher auch intensiv dem Sozialisationskonzept und respektive der politischen Sozialisation zu. Am Anschluss daran stoße ich unweigerlich auf Konsequenzen, die sich aus misslungener Sozialisation, und ergo der Politikverdrossenheit, ergeben, wobei ich mich auf zwei Aspekte konzentrieren werde. Zum Schluss versuche ich meine Thesen noch einmal überblicksartig zusammenzufassen, um dann meine Arbeit mit einem abschließenden Fazit und / oder weiterführenden Fragen zu beenden.
2. Wissenschaftliche Diskussion
2.1 POLITIKVERDROSSENHEIT
2.1.1 ZUM BEGRIFF
Der 14. Shell-Jugendstudie zufolge meint Politikverdrossenheit kein interpretierbares Werturteil zur Charakteristik der Beziehung von Jugendlichen zu Politik und Gesellschaft, sondern fehlendes politisches Interesse und Demokratieverdrossenheit. Nehmen wir den Aspekt der Distanz vom politischen Geschehen auf und schauen uns die Statistiken der 13. Shell-Studie an, so sehen wir, dass die persönlich erlebte Distanz zur Politik bei den 15- bis 24-jährigen tatsächlich ansteigt, und zwar von 19,5 % (1996) auf 20,9 % (1999).[1] (vgl. 14. Shell, 2002, S. 103)
Gert Pickel fasst den Begriff der Politikverdrossenheit noch etwas weiter: Politikverdrossenheit meint aus politikwissenschaftlicher Perspektive die „Negativform der politischen Unterstützung“ (Pickel, 2002, S. 382) gegenüber dem politischen und demokratischen System. Sie äußert sich in einer Unzufriedenheit der Bürger mit Politikern, den staatlichen Institutionen, Parteien und dem gesamten Staatssystem mit seiner Gemeinschaft. Die „diffuse Politikverdrossenheit“ spezifiziert innerhalb des Politikverdrossenheitskonzeptes diese negative Unterstützung. Viele Menschen beziehen durchaus Positionen zur Politik, auch gegen das System gewandte Positionen, die aber nicht immer nur mit einer Unzufriedenheit oder einer generellen Abwendung von den politischen Objekten oder dem demokratischen System zu erklären sind. Vielmehr zeugt z.B. die zunehmende Wahlenthaltung von einer fundamentaleren Distanz vom politischen Geschehen. Eine Gefährdung der Stabilität des demokratischen Systems ist ebenfalls nicht nur mit der tatsächlichen politischen Unzufriedenheit zu erklären denn mit dem Problem der Abschreibung der Legitimität, die die Politik für mehr und mehr Bürger eben nicht mehr zu besitzen scheint. (vgl. ebd., S. 382f) Auf weitere Konsequenzen der Politikverdrossenheit wie die illegale politische Partizipation, die sich auch in der Wahl von Extremparteien äußern kann oder Ausländerfeindlichkeit werde ich noch zu sprechen kommen.
2.1.2 WOHER DIE POLITIKVERDROSSENHEIT KOMMT
Doch wie entsteht eigentlich das fehlende Interesse am politischen Geschehen? Ich möchte hier zwei Aspekte aufgreifen, die sich nicht so leicht voneinander trennen lassen: Das Problem, dass Jugendliche als politikverdrossen abgestempelt werden, resultiert zunächst aus ihrem Verständnis von derselben. Zum einen erleben sie sich als Objekte der Politik, aufgrund ihres Status als „abhängige Unerwachsene“, die nur aufgrund ihrer Konsumentenrolle ökonomisch als angebliche Subjekte wahrgenommen werden (vgl. Heitmeyer, 1992, S. 99). Auf der anderen Seite sehen sie die Politiker und Politikerinnen als Funktionäre von Parteien und Regierungsapparaten, die nach Macht streben und sich nicht mehr unmittelbar für die Interessen ihrer Wähler oder auch Noch-Nicht-Wähler einsetzen. Sie kritisieren ihre Art und Weise zu handeln und Probleme zu lösen und sehen keine Angebote für eine positive Zukunft, um ihrer Orientierungslosigkeit zu entkommen. Sie erleben die Politik eher als jugendverdrossen. (14. Shell, 2002, S. 43) Dieser Vertrauensverlust in die Politik führt dazu, dass sie sich von Parteien und ähnlichen Institutionen wie z.B. Gewerkschaften entfernen und neue Beteiligungsstrukturen suchen. Die Gewerkschaften verloren in nur drei Jahren 37 Prozent ihrer jungen Mitglieder. (13. Shell, 2000, S. 43f) Das ist kein Ausdruck von Aggressivität. Vielmehr lassen die Jugendlichen die staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen einfach links liegen, da sie für sie keine aktuelle oder zukünftige Bedeutung haben. „Wenn man von solchen Organisationen nichts erwartet, kann man von ihnen auch nicht enttäuscht werden.“ (13. Shell, 2000, S. 272)
Die Kritik der Jugend an Politik und Gesellschaft korreliert weiterhin mit prekären Lebenssituationen bzw. mit subjektiv empfundenen geringeren Chancen zur gesellschaftlichen Partizipation. (vgl. 14. Shell, 2002, S. 103f) Auf diesen Einfluss der Lebenslagen der Jugendlichen auf die politische Teilhabebereitschaft macht die Shellstudie immer wieder aufmerksam. Die subjektive Wahrnehmung und die Lebensverhältnisse können unter bestimmten negativen Umständen zu einer Distanz und Entgrenzung von Politik führen. Denn soziale und wirtschaftliche Probleme betreffen die Jugendlichen emotional[2] und haben Einfluss auf die politische Meinungsbildung. (vgl. ebd., S. 45) Gehen wir näher auf die Lebenssituationen von Jugendlichen ein, sehen wir, dass sie unmittelbare Veränderungen erleben, in globale Probleme hineinwachsen, die Auswirkungen des Rückgangs sozialer Bindungen erfahren und einem hohen Druck an Leistung und beruflicher Qualifikation ausgesetzt sind. Sie haben Angst, in Zukunft kein lebenswertes Leben führen zu können, Furcht vor Arbeitslosigkeit und einer Verschlechterung der Ausbildungschancen „und mehr noch die zunehmende Zerstörung der natürlichen Umwelt und der persönlichen Gesundheitschancen". (Palentien u. a., 2004, S. 17).
An diesen Veränderungen sehen wir, dass sich die Jugendlichen gezwungenermaßen mit politischen Themen, die sie persönlich und aktuell betreffen, auseinandersetzen müssen. Die Wissenschaftler meinen daher, dass die Distanz zur Politik auch generell nicht inhaltlich motiviert ist. Die junge Generation ist sehr wohl an gesellschaftlichem Engagement, in den für sie wichtigen Bereichen interessiert. So sprechen sich 84 Prozent der Jugendlichen für das Thema Umweltschutz aus, 62 Prozent finden Engagement im sozialen und privaten Bereich wichtig. Ebenso sind 56 Prozent für Initiativen gegen Rechtsextremismus, 43 Prozent finden das Engagement im Tierschutz und 40 Prozent in der Friedensbewegung signifikant. (vgl. ebd., S. 16f) Wenn sie sich aus diesem Interesse heraus dann engagieren, ziehen sie punktuelle, kurzfristige „Events“ den klassischen Beteiligungsformen vor. Inhalte, die sich dabei an der Mentalität der jungen Menschen orientieren, z.B. globale soziale und ethische Themen, wie auch Umweltschutz und der Anstieg der Arbeitslosigkeit, können so schnell und unkonventionell an eine breite Masse durch Unterschriftensammlungen oder Demonstrationen transportiert werden. (vgl., 14. Shell, 2002, S. 44)
[...]
[1] bezogen auf Westdeutschland
[2] Die Jugendphase ist von tiefgreifenden Identitätserlebnissen und Sinneserfahrungen geprägt. (vgl. Shell 2002, S. ?)
- Citation du texte
- Bernadette Proske (Auteur), 2006, Politikverdrossenheit bei Jugendlichen und ihre Folgen im Kontext politischer Sozialisation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66712
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