Die Faktoren Religion und Konfession haben in den letzten Jahren in der historischen Antisemitismusforschung an Bedeutung gewonnen. An Hand der Forschungen von Olaf Blaschke zum Katholizismus und Wolfgang Heinrichs zum Protestantismus soll das Verhältnis von Antisemitismus und Konfession für die Zeit des Kaiserreichs ausgeleuchtet werden.
Antisemitismus und Konfession im deutschen Kaiserreich
Anmerkungen zu „Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im deutschen Kaiserreich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Bd.122), Göttingen 1997.“ und „Wolfgang E. Heinrichs, Das Judenbild im Protestantismus im deutschen Kaiserreich. Ein Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des deutschen Bürgertums in der Krise der Moderne, Köln 2000.“
Noch vor wenigen Jahrzehnten herrschte Konsens unter Historikern, im 19. Jahrhundert ein Zeitalter der Säkularisierung zu sehen. Mittlerweile haben Neuzeithistoriker die historische Wirkungsmächtigkeit von Religion wiederentdeckt, und man spricht von parallelen De- und Rechristianisierungsprozessen oder sogar vom „zweiten konfessionellen Zeitalter“.[1] Dieser Paradigmenwechsel hat sich auch in der Antisemitismusforschung bemerkbar gemacht.
In der Erforschung des modernen Antisemitismus hat man lange Zeit die Faktoren Religion und Konfession sträflich vernachlässigt. Dies hängt wohl u.a. damit zusammen, dass man vorrangig nach den geistesgeschichtlichen Wurzeln des Nationalsozialismus fahndete und die Entstehung und Entwicklung des Rassenantisemitismus gegenüber anderen Spielarten der Judenfeindschaft privilegierte. Man definierte den Antisemitismus als „postemanzipatorisches Phänomen“ und betonte den Paradigmenwechsel von Religion zu Rasse, der erst die Bedingung der Möglichkeit für die nationalsozialistische Vernichtungspolitik geschaffen habe.[2] Dass die Säkularisierungsthese die Faktoren Religion und Konfession nicht völlig eliminieren konnte, ist insbesondere auf zwei zentrale Befunde der Antisemitismusforschung zurückzuführen. Erstens erwiesen sich die Stereotypen und Feindbilder des mittelalterlichen religiösen Antijudaismus als Strukturen längerer Dauer, welche in die Bild-, Sprach- und Gedankenwelt des modernen Antisemitismus integriert wurden.[3] In der Forschung ist umstritten, ob es sich dabei um tatsächliche Tradierung oder um eine aktive Wiederbelebung durch die Antisemiten, im Sinne einer „Erfindung von Tradition“, handelt.[4] Die Präsenz religiöser Elemente im modernen Antisemitismus ist jedoch nicht zu leugnen. Man geht mittlerweile eher von fließenden Übergängen aus, anstatt von einem Paradigmenwechsel von Religion zu Rasse. Zweitens stellte man bei der Analyse der Trägerschichten des Antisemitismus fest, dass offenbar Protestanten ungleich anfälliger für antisemitisches Gedankengut waren als Katholiken. Die NSDAP war in protestantischen Regionen wesentlich erfolgreicher als in katholischen. Die Forschung hat dies einerseits auf die Minderheitensituation der Katholiken im Deutschen Reich und ihre Milieubildung vor dem Hintergrund des Kulturkampfs zurückgeführt. Die Verteidigung religiöser Rechte und Privilegien gegenüber dem protestantisch geprägten Nationalstaat habe eine aggressive Haltung gegenüber anderen religiösen und nationalen Minderheiten ausgeschlossen. Andererseits sei der Rassenantisemitismus mit der Ultramonatnisierung des deutschen Katholizismus, d.h. der Ausrichtung auf eine romzentrierte Weltkirche, inkompatibel gewesen.
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[1] Vgl. Hartmut Lehmann (Hg.), Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 1997; Olaf Blaschke, Das 19. Jahrhundert. Ein zweites konfessionelles Zeitalter?, in: GG 26 (2000), S. 38- 75.
[2] Paradigmatisch für diese These sind vor allem die Arbeiten Reinhard Rürups: Vgl. Reinhard Rürup, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfarge“ in der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1987. Bilanzierend Ders., Der moderne Antisemitismus und die Entwicklung der historischen Antisemitismusforschung, in: Werner Bergmann/ Mona Körte (Hg.), Antisemitismusforschung in den Wissenschaften, Berlin 2004, S. 117- 135.
[3] Vgl. Stefan Rohrbacher/ Michael Schmidt, Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile, Reinbek 1991.
[4] Zu dieser Kontroverse: Christhard Hoffmann, Christlicher Antijudaismus und moderner Antisemitismus. Zusammenhänge und Differenzen als Problem der historischen Antisemitismusforschung, in: Leonore Siegele- Wenschkewitz (Hg.), Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen, Frankfurt a.M. 1994, S. 293-317.
- Citation du texte
- Thomas Gräfe (Auteur), 2004, Antisemitismus und Konfession im deutschen Kaiserreich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66700
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