Regelmäßig prägt das Thema der ungleichen Bildungschancen in Deutschland die politische und mediale Diskussion. Nicht erst seit PISA liefern zahlreiche Studien zum Thema, Ergebnisse, aus denen folgende Kausalitätsbeziehungen abgeleitet werden: soziale Herkunft eines Kindes, insbesondere Einkommen und Bildung der Eltern beeinflussen in entscheidendem Maße den Bildungswerdegang und den Bildungserfolg von Schulkindern in Deutschland. Schlagwörter, wie z.B. “Armutskarriere” und “absteigendes Prekariat”, die zum einen die Chancenungleichheit von Kindern aus sozial schwächeren Schichten verdeutlichen sollen, zum anderen auf eine eklatante Ungleichheit in der Bevölkerung hinweisen, machen die Runde.
Zusätzlich angeheizt wird die Debatte von Seiten der Bildungsökonomie, die behauptet, Wissen sei die wichtigste Ressource moderner Gesellschaften und entscheidend für wirtschaftliches Wachstum und die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft. Aus Sicht der Humankapitaltheorie ist Bildung ein Kapital, das die höchste Rendite abwirft, wenn es maximiert wird. Die Nicht-Ausschöpfung von Bildungsreserven ist eine Verschwendung von Humankapital und schadet der Wirtschaft und muss deshalb unbedingt vermieden werden. Es wird somit behauptet, die Bildungsproduktion sei auf den Arbeitsmarkt angepasst. Grundlegend für die Bildungsökonomie ist zudem die These, dass jeder Einzelne gewillt ist, in seine eigene Bildung zu investieren, um seine eigene Produktivität bzw. sein Einkommen zu steigern. Nach dieser Theorie gäbe es in einer Gesellschaft, in der das Bildungssystem sowie der Einzelne an die qualitatitven und quantitativen Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst ist, eigentlich keinen Raum für Chancenungleichheit.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das intermediäre “Theoriekonzept” Bourdieus
3. Die illusionäre Chancengleichheit nach Bourdieu
3.1 Bildungsexpansion oder Ungleichheitsexpansion?
3.2 Chancengleicheit oder Chancengerechtigkeit?
3.3 Die Rolle des (Bildungs-)Habitus und der Begabungsideologie
4. Die rationale Pädagogik
5. Schlußbetrachtung
6. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Regelmäßig prägt das Thema der ungleichen Bildungschancen in Deutschland die politische und mediale Diskussion. Nicht erst seit PISA liefern zahlreiche Studien zum Thema, Ergebnisse, aus denen folgende Kausalitätsbeziehungen abgeleitet werden: soziale Herkunft[1] eines Kindes, insbesondere Einkommen und Bildung der Eltern beeinflussen in entscheidendem Maße den Bildungswerdegang und den Bildungserfolg von Schulkindern in Deutschland. Schlagwörter, wie z.B. “Armutskarriere” und “absteigendes Prekariat”, die zum einen die Chancenungleichheit von Kindern aus sozial schwächeren Schichten verdeutlichen sollen, zum anderen auf eine eklatante Ungleichheit in der Bevölkerung hinweisen, machen die Runde.
Zusätzlich angeheizt wird die Debatte von Seiten der Bildungsökonomie, die behauptet, Wissen sei die wichtigste Ressource moderner Gesellschaften und entscheidend für wirtschaftliches Wachstum und die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft[2]. Aus Sicht der Humankapitaltheorie ist Bildung ein Kapital, das die höchste Rendite abwirft, wenn es maximiert wird. Die Nicht-Ausschöpfung von Bildungsreserven ist eine Verschwendung von Humankapital und schadet der Wirtschaft und muss deshalb unbedingt vermieden werden. Es wird somit behauptet, die Bildungsproduktion sei auf den Arbeitsmarkt angepasst. Grundlegend für die Bildungsökonomie ist zudem die These, dass jeder Einzelne gewillt ist, in seine eigene Bildung zu investieren, um seine eigene Produktivität bzw. sein Einkommen zu steigern[3]. Nach dieser Theorie gäbe es in einer Gesellschaft, in der das Bildungssystem sowie der Einzelne an die qualitatitven und quantitativen Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst ist, eigentlich keinen Raum für Chancenungleichheit.
Wichtig ist, dass alle diese Diskussionen vor dem Hintergrund der ideologischen Vorstellung einer Chancengleichheit geführt werden, die gleiche Bildungschancen für alle fordert. Immer wieder wird versucht diesem Ziel mit Hilfe von Bildungsreformen näher zu kommen. Inwiefern vielleicht das ganze Bildungssystem als solches nur durch diese ungleich verteilten Chancen autonom bestehen kann, wird nicht gefragt. Gleichzeitig beherzigen die zahlreichen Reformbemühungen im Bildungsbereich eher Chancengerechtigkeit und stützen die vorherrschende Begabungsideologie, als dass sie zu einer ernsthaften Chancengleichheit beitragen. Denn nach wie vor funktioniert “das Schulsystem, als bestände seine Funktion nicht darin auszubilden, sondern zu eliminieren. Besser: in dem Maß, wie es eliminiert, gelingt es ihm, die Verlierer davon zu überzeugen, dass sie selbst für ihre Eliminierung verantwortlich sind” (Bourdieu in Steinrü>Diese Hausarbeit basiert auf den theoretischen Annahmen Bourdieus und vorwiegend auf seinen Arbeiten zum Thema Bildungschancengleichheit aus den frühen und späten 1960er Jahren in Frankreich[4]. Vorgestellt und diskutiert werden sollen seine wichtigsten Forschungsergebnisse und das von ihm erdachte Lösungskonzept einer rationalen Pädagogik. Diese Hausarbeit geht weniger auf die Besonderheiten seiner methodischen Vorgehensweise und die spezifischen Befunde zur französischen Studentenpopulation der 60er Jahre ein, sondern versucht die allgemein relevanten Aspekte zu betonen, die für das deutsche Bildungssystem[5] nach wie vor konstitutiv sind. In einer abschließenden Betrachtung wird versucht, die Bourdieu’schen Ergebnisse in den gegenwärtigen, politisch und gesellschaftlich geprägten Bildungsverhältnissen in Deutschland zu integrieren. Zunächst soll knapp die Bedeutung der theoretischen Konstrukte Bourdieus im Rahmen intermediärer Theoriekonzepte herausgestellt werden.
2. Das intermediäre “Theoriekonzept” Bourdieus
Bourdieu liefert keine systematisch umfassende Gesellschaftstheorie, sondern vielmehr eine Reihe von theoretisch konzeptuellen Begriffen, die untereinander in Verbindung stehen und sich wechselseitig definieren und jeweils für sich isoliert betrachtet keinen Sinn machen[6]. Grob unterschieden werden eine Habitus-, Kapital- und Feldtheorie[7]. Seine theoretische Vorgehensweise gründet stets auf dem Vorsatz, einseitige Denkhaltungen zu überwinden. Die Einseitigkeit einer rein subjektivistischen und einer rein objektivistischen Denkweise. Er versucht diese beiden Erkenntnisweisen beziehungweise ihre Vorteile mit Hilfe der “praxeologischen Erkenntnis”[8] (Schwingel 1995, S. 43) und des Habitus-Konzepts zu verbinden. “Von allen Gegensätzen, die die Sozialwissenschaften künstlich spalten, ist die grundlegendste und verderblichste der zwischen Subjektivismus und Objektivismus” (Bourdieu in Schwingel: 1995, S. 41). Das objektivistische Denken geht weitgehend von Durkheim begründet, bei dem “soziale Erscheinungen Dinge [werden] und wie Dinge betrachtet werden [müssen] (...) lösgelöst von den bewussten Subjekten” (Durkheim 1961, S. 125). Das Problem des rein objektivistischen Denkens liegt in der gänzlichen Ausblendung des sozialen Akteurs und der totalen Überordnung sozialer Tatsachen, wohingegen der Subjektivismus die Utopie eines, die soziale Welt durchschauenden sozialen Akteurs entwirft – lösgelöst von jeglichen Strukturen. Wie lässt sich dieser Gegensatz des subjektivistischen und objektivistischen Denkens bzw. wie lassen sich Theorie und Praxis vereinen?
- “Im Hinblick auf diese Fragestellung fungiert die Habitustheorie als ‘Theorie der praktischen Erkenntnis der sozialen Welt’” (Schwingel 1995, S. 60). Jede soziale Handlung, die sich in Form von Praxis konstituiert, muss in ihrer zeitlichen, historischen und sozialen Einbettung gesehen werden, sonst kann ihre jeweilige Logik nicht bestimmt werden. Der Habitus eines Menschen ist das, was ihn historisch und gesellschaftlich unbewusst prägt und die Dispositionsschemata seines Sehens, Denkens und Handelns liefert. Er versieht soziale Handlungen mit Sinn und ergibt sich aus der sozialen Position der Akteure in der Sozialstruktur einer Gesellschaft: der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse. Er symbolisiert zugleich die Existenz einer sozialen Ungleichheit. Jedoch ist “der Habitus ist nicht nur strukturierende Struktur, sondern auch strukturierte Struktur” (Bourdieu 1979, S. 279). Einerseits ist der Habitus die Verinnerlichung des sozialen Daseins (=strukturierte Struktur) und der damit verbundenen objektiven Bedingungen, andererseits ist er mit diesen nicht vollkommen identisch und strukturiert sie wieder durch die Praxis der sozialen Handlungen, die er prägt (= strukturierende Struktur). Habitus und Struktur sind zwar träge, aber müssen prozesshaft gedacht werden, da sie einem zeitlichen und geschichtlichen Kontinuum unterliegen. Mit objektiven Bedingungen sind die Gegebenheiten des jeweils gegebenen gesellschaftlichen Feldes im sozialen Raum genauso gemeint, wie die, durch die soziale Position und des Feldes bedingte Verfügbarkeit über die drei von Bourdieu unterschiedenen Kapitalsorten: das soziale, kulturelle und ökonomische Kapital[9].
Die objektiven Strukturen können nicht ohne das Subjekt gedacht werden, da sie sich erst praktisch realisieren und zum Ausdruck kommen, wenn sie von diesem verinnerlicht werden. Nach diesem kurzen Überblick über die besondere erkenntnistheoretische Funktion der Habitustheorie, folgt im nächsten Punkt eine Zusammenfassung der wichtigsten Thesen der Bildungssoziologie Bourdieus. Ensprechend dem eben Gesagten, darf bei der Untersuchung des Bildungssystems dessen historische und soziale Funktion nicht aus den Augen verloren werden.
[...]
[1] Die soziale Herkunft beinhaltet natürlich auch das Merkmal der ausländischen Abstammung.
[2] Wobei moderne Gesellschaften als „Wissensgesellschaften“ bezeichnet werden. (vgl. Schettkat, Ronald, 2002:
Bildungs- und Wirtschaftswachstum. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 35. Jg., 4 oder
Wachstumseffekte einer bevölkerungsorientierten Familienpolitik 2006 (Hg.) Ministerium für Jugend für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend; einzusehen unter: http://www.bmfsfj.de/Kategorien/Publikationen/ Publikationen,did=86680.html
[3] vgl. Wößmann, Ludger 2004: Was macht die Bildungsökonomik, und warum Human“kapital“? S. 7-10 in:
Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hg.): Investitionsgut Bildung. Workshop „Investition in
Humankapital“, 7. Juni, Bonn.
[4] In Deutschland wurden seine zwei Studien über das französische Hochschulsystem „Les Heritiers“ (1964) und „La Réproduction, Eléments pour une Théorie du Système d’Enseignement“ (1979), die er zusammen mit mit Jean-Claude Passeron durchgeführt hat, im Jahre 1971 zusammengefasst unter dem Titel „Die Illusion der Chancengleichheit“ veröffentlicht.
[5] Obwohl sich das von Bourdieu untersuchte französische Hochschulsystem stark von dem deutschen Hochschulsystem unterscheidet, sind seine Forschungsergebnisse und Schlussfolgerungen bezüglich des Bildungssystems nach wie vor von allgemein bedeutender Brisanz, dass dies möglich erscheint.
[6] Es ist nicht das Anliegen dieser Hausarbeit alle theoretischen Konzepte Bourdieus explizit zu erläutern. Dieser Abschnitt fokussiert spezifisch auf der Habitustheorie, um die Bedeutung der Bourdieuschen „Theorien“ im Rahmen intermediärer Erkenntnistheorien zu verdeutlichen.
[7] Vgl. Bourdieu: Eine Einführung (2005). (Hg.) Fuchs-Heinritz & König. UTB. UVK Verlagsgesellschaft mbH. Konstanz. (S. 113-169) à wobei das Habituskonzept als Kernstück der Bourdieu’schen Soziologie gilt.
[8] „Praxeologisch“ im Sinne von „die Praxis und Theorie“ verbindend [Anm. die Verfasserin] (s.a. weiter unten)
[9] Weiterhin unterscheidet Bourdieu noch das symbolische Kapital, in welches die anderen drei Kapitalsorten transformiert werden können, und welches grob als Prestige bezeichnet werden kann. Auf dieses soll hier nicht näher eingegangen werden. (vgl. Bourdieu 1979). Bourdieu unterscheidet im Verlauf seiner wissenschaftlichen Arbeiten je nach Erkenntnisinteresse weitere Unterarten. (vgl. Schwingel, S. 95)
- Citar trabajo
- Stephanie Koch (Autor), 2006, Chancengleichheit ausgeschlossen - Eine Betrachtung anhand der Erklärungsansätze von Pierre Bourdieu, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66471
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