Der Tagesspiegel titelte am 1. Mai 2005:
„Der Turmbau zu Brüssel – Das neue Euroland spricht in 20 Sprachen. Oder wird Englisch zur heimlichen Amtssprache? Zwischenbilanz nach einem Jahr Erweiterung“ (Fetscher 2005, 25).
Europa wird immer größer und damit immer vielfältiger, sowohl aus kultureller wie auch aus sprachlicher Perspektive. Mittlerweile umfasst die Europäische Union 25 Länder und besitzt damit 20 Amtssprachen (vgl. ebd.). Ganz aktuell ist die Diskussion der europäischen Bildung mit den dazugehörigen Schlagwörtern der Multilingualität und Multikulturalität. Ist es Ziel eine Sprache für alle BürgerInnen Europas festzulegen oder soll jedes Land seine Sprache(n) beibehalten? Die sprachlich-kulturelle Pluralität stellt die Obersten Europas vor ein Problem. Niemand will, dass „seine“ Sprache wegrationalisiert wird und trotzdem wollen sich alle irgendwie verständigen. Bildung und Erziehung in einem Europa, das schon jetzt sehr stark von Migration und dazugehöriger Mobilität geprägt ist und es auch in Zukunft noch sein wird, sollte und ist teilweise schon fokussiert auf kulturelle und sprachliche Vielfalt. Das zusammenwachsende Europa steht vor der Aufgabe jedem Land und jeder Sprache gerecht zu werden. Eine Aufgabe, mit der sich die Schweiz schon lange auseinandersetzt. Die Schweiz ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein relativ kleines Land, doch es besitzt „viel“ Sprache oder genauer gesagt Sprachpotential. „Formal, historisch und politisch [ist die Schweiz] vier-, jedoch infolge verschiedener Einwanderungswellen vielsprachig.“ (Allemann-Ghionda 1994a, 11). Wie die Schweiz sich der Aufgabe einer mehrsprachigen Bildung in einem vielsprachigen Land stellt, soll in dieser Arbeit veranschaulicht werden. Außerdem wird die Theorie der Realität gegenübergestellt. Zeigt die Praxis, was in Gesetzen verlangt wird? Wer hält sich an die Grundsätze und wie werden sie umgesetzt? Es erfolgt zuerst ein Überblick über die Sprachen der Schweiz, gefolgt von der Erläuterung der aktuellen Sprachenpolitik. Dann widmet sich die Arbeit der Vorschulbildung und Sprache(n) in der Schule. Im Anschluss wird der Mythos des polyglotten Schweizers der Realität gegenübergestellt. Um in der Praxis zu verbleiben, werden an dieser Stelle einige Besonderheiten der Schweiz aufgezeigt. Zum Abschluss der Arbeit wird ein Fazit gezogen.
Gliederung
0. Einleitung
1. Sprachen in der Schweiz
1.1. Geschichtliche Entwicklung
1.2. Gegenwärtige Sprachenverteilung
1.3. Mehrsprachigkeit der Kantone
1.4. Das Deutsche und das Rätoromanische
2. Sprache(n) und Politik
2.1. Definition des Begriffes Sprach(en)politik
2.2. Zuständigkeiten in der Schweiz
2.3. Sprachregelungen der Schweiz
2.3.1. Sprachenfreiheit
2.3.2. Territorialitätsprinzip
2.3.3. Allgemeines zu den Sprachen in der Bundesverfassung
3.Vorschulbildung und Sprache(n) in der Schule
3.1. Vorschulbildung
3.2. Sprache(n) in der Schule
3.3. Einführung von Fremdsprachen
4. Mehrsprachigkeit - Der Mythos vom multilingualen Schweizer
5. Eigenheiten der Schweiz
5.1. Der Röstigraben
5.2. Der Polentagraben
5.3. Immersionsunterricht
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
9. Abkürzungsverzeichnis
0. Einleitung
Der Tagesspiegel titelte am 1. Mai 2005:
„Der Turmbau zu Brüssel – Das neue Euroland spricht in 20 Sprachen. Oder wird Englisch zur heimlichen Amtssprache? Zwischenbilanz nach einem Jahr Erweiterung“ (Fetscher 2005, 25).
Europa wird immer größer und damit immer vielfältiger, sowohl aus kultureller wie auch aus sprachlicher Perspektive. Mittlerweile umfasst die Europäische Union 25 Länder und besitzt damit 20 Amtssprachen (vgl. ebd.). Ganz aktuell ist die Diskussion der europäischen Bildung mit den dazugehörigen Schlagwörtern der Multilingualität und Multikulturalität. Ist es Ziel eine Sprache für alle BürgerInnen Europas festzulegen oder soll jedes Land seine Sprache(n) beibehalten? Die sprachlich-kulturelle Pluralität stellt die Obersten Europas vor ein Problem. Niemand will, dass „seine“ Sprache wegrationalisiert wird und trotzdem wollen sich alle irgendwie verständigen. Bildung und Erziehung in einem Europa, das schon jetzt sehr stark von Migration und dazugehöriger Mobilität geprägt ist und es auch in Zukunft noch sein wird, sollte und ist teilweise schon fokussiert auf kulturelle und sprachliche Vielfalt. Das zusammenwachsende Europa steht vor der Aufgabe jedem Land und jeder Sprache gerecht zu werden. Eine Aufgabe, mit der sich die Schweiz schon lange auseinandersetzt. Die Schweiz ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein relativ kleines Land, doch es besitzt „viel“ Sprache oder genauer gesagt Sprachpotential. „Formal, historisch und politisch [ist die Schweiz] vier-, jedoch infolge verschiedener Einwanderungswellen vielsprachig.“ (Allemann-Ghionda 1994a, 11). Wie die Schweiz sich der Aufgabe einer mehrsprachigen Bildung in einem vielsprachigen Land stellt, soll in dieser Arbeit veranschaulicht werden. Außerdem wird die Theorie der Realität gegenübergestellt. Zeigt die Praxis, was in Gesetzen verlangt wird? Wer hält sich an die Grundsätze und wie werden sie umgesetzt? Es erfolgt zuerst ein Überblick über die Sprachen der Schweiz, gefolgt von der Erläuterung der aktuellen Sprachenpolitik. Dann widmet sich die Arbeit der Vorschulbildung und Sprache(n) in der Schule. Im Anschluss wird der Mythos des polyglotten Schweizers der Realität gegenübergestellt. Um in der Praxis zu verbleiben, werden an dieser Stelle einige Besonderheiten der Schweiz aufgezeigt. Zum Abschluss der Arbeit wird ein Fazit gezogen.
1. Sprachen in der Schweiz
Im Folgenden wird zuerst ein kurzer Überblick über die historische Entwicklung der Sprachen in der Schweiz gegeben. Im Anschluss wird der Status Quo aufgezeigt. Dies beinhaltet das Aufzeigen der aktuellen Sprachverteilung, die Präsentation der Entwicklung und Zusammensetzung der Nichtlandessprachen und das Angeben der Entwicklungstendenzen aller Sprachen in der Schweiz. Am Schluss wird die Bedeutung des Deutschen und des Rätoromanischen näher erläutert.
1.1. Geschichtliche Entwicklung
Bis 1798 galt die Schweiz offiziell als einsprachiges Land, mit der Amtssprache Deutsch. Jegliche andere Sprache wurde nicht anerkannt und hatte somit keine Chance offizielle Sprache zu werden. Obwohl jeweils die deutschsprachigen Menschen in die Regionen der Anderssprachigen zogen, setzten sie ihre Sprache durch und stellten die regional ansässige Sprache in der Hierarchie unter sich. Sogar 1481 als das mehrheitlich französischsprachige Freiburg in den Schweizerischen Bund eintrat, war Deutsch die Hauptsprache und hatte sehr großes Ansehen, so dass gerade die Menschen aus der oberen Schicht schnell ihre Namen eindeutschten. Erst als 1798, aufgrund der Französischen Revolution, die gesamte Machtstruktur der Alten Eidgenossenschaft zerbrach, wurde auch die Sprachenfrage neu geregelt. In der nun folgenden Helvetischen Republik wurden die anderssprachigen Kantone als gleichwertig anerkannt. Diese Ansätze der Schweiz, hin zu einem mehrsprachigen Staat, verfestigten sich als 1848 der moderne Bundesstaat entstand. Zu diesem Zeitpunkt wurde dann auch das Rätoromanische als Nationalsprache anerkannt (vgl. Dürmüller 1996, 11ff.).
1.2. Gegenwärtige Sprachenverteilung
Im Jahr 2000 sprachen fast zwei Drittel der gesamtschweizerischen Bevölkerung Deutsch und stellten damit den größten Bereich dar. Die zweitgrößte Mehrheit der Schweizer ist französischsprachig und die drittgrößte italienischsprachig. Das Rätoromanische ist nur sehr schwach vertreten, nicht einmal 1 % der Bevölkerung spricht diese Sprache. In Abbildung 1 wird ersichtlich, wie sich diese Sprachgruppen regional verteilen. Es zeichnen sich ziemlich deutliche Grenzen zwischen den einzelnen Sprachregionen ab. Deutsch genießt, wie auch schon in der geschichtlichen Entwicklung der Sprachen ersichtlich, eine Vormachtstellung.
Mit 9% ist der Anteil der anderssprachigen Menschen in der Schweiz ziemlich groß. Durch verschiedene Immigrationswellen kamen Ausländer in die Schweiz und ließen sich dort nieder. Je nach politischer Lage in der Welt kamen und kommen die Menschen aus anderen europäischen Ländern, um vor dem Krieg zu flüchten oder sie emigrieren aus einem Nachbarland der Schweiz. Im Jahr 2003 kam jeder fünfte Ausländer aus Italien. Doch schon an zweiter Stelle steht Serbien-Montenegro mit 13,3% Anteil an der Gesamtausländerzahl. Gefolgt von Portugal mit 10% und Deutschland mit 9% (vgl. Schweizerische Bundeskanzlei 2005, 8). Diese Zahlen sind immer wieder Veränderungen unterworfen, je nach dem wie sich die weltpolitische Lage ändert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Sprachregionen der Schweiz (Jahr 2000)
Mittlerweile kann man davon sprechen, dass sich die Viersprachigkeit der Schweiz immer weiter zu einer Vielsprachigkeit entwickelt. Dazu ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Sprachen in der Schweiz von 1950 bis 2000:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Entwicklung der prozentualen Anteile der Sprachen der gesamten
Wohnbevölkerung 1950 - 2000
Es wird ersichtlich, dass die Bevölkerungsgruppe der Deutschsprachigen in den letzten 50 Jahren immer weiter abgenommen hat und es ist anzunehmen dass diese Entwicklung anhalten wird. Im Gegensatz dazu haben die Vertreter der Nichtlandessprachen in einem Zeitraum von 40 Jahren sehr stark zugenommen und auch hier ist anzunehmen, dass diese Tendenz anhält. Allerdings nicht mehr in so starkem Ausmaße wie bis 1990, das lässt sich aus der Entwicklung von 1990 bis 2000 schließen. Das Italienische und das Rätoromanische zeigen eher einer Tendenz der Verkleinerung ihrer Sprachgruppen.
1.3. Mehrsprachigkeit der Kantone
Insgesamt gibt es in der Schweiz 22 offiziell einsprachige Kantone, wovon 17 Deutsch, vier Französisch und einer Italienisch als Amtssprache besitzen. Die drei Kantone Bern, Freiburg und Wallis sind zweisprachig (Deutsch und Französisch). Nur ein einziger Kanton ist dreisprachig, in Graubünden spricht man Deutsch, Italienisch und Rätoromanisch (vgl. Präsenz Schweiz PRS 2005). Des Weiteren gibt es noch die zwei zweisprachigen Städte Biel und Freiburg (Deutsch und Französisch) (vgl. Janich et al. 2002, 42).
1.4. Das Deutsche und das Rätoromanische
Das Deutsche ist in der Schweiz gleichzusetzen mit dem Schwyzertütsch (Schweizerdeutsch), welches verschiedene Dialekte umfasst. Die Schweizerdeutschen Dialekte sind die eigentliche Muttersprache der Deutschschweizer. Das Hochdeutsch, was oft auch als Schriftdeutsch bezeichnet wird, wird erst mit Eintritt in die Schule erlernt. So dass im mündlichen Sprachgebrauch der Dialekt vorherrscht und nur bei offiziellen Anlässen, wie z.B. Gerichtsverhandlungen, oder in der Schriftsprache, wie z.B. bei wissenschaftlichen Hausarbeiten, das Hochdeutsche genutzt wird. Trotzdem wird das Hochdeutsche nicht als Varietät des Deutschen in der Schweiz betrachtet, denn ihm ist durch die Bundesverfassung die Stellung einer Nationalsprache zugestanden (vgl. ebd. 42f.)
Das Rätoromanische ist in der Schweiz die kleinste Sprachgruppe und wird genauer als Bündnerromanisch bezeichnet, da es anderenfalls leicht zu Missverständnissen kommen kann. Denn das Rätoromanische kann auch die gesamte Sprachfamilie des Rätoromanischen charakterisieren. Die meisten Sprecher des Rätoromanischen leben im Kanton Graubünden. Jedoch ist die Zahl der Rätoromanischen sprechenden Bevölkerung im Laufe der Zeit immer weiter zurückgegangen. „[B]ekannten sich im Jahre 1880 noch knapp 40% der Bevölkerung des Kantons Graubünden […] zum Bündnerromanischen als Muttersprache, […] [gaben] 1990 nur mehr 17% […] an […], Bündnerromanisch als bestbeherrschte Sprache zu verwenden.“ (Janich et al. 2002, 232).
Die rätoromanische Sprachgruppe setzt sich insgesamt aus fünf bzw. sechs verschiedenen Sprachen zusammen: Sursilvan, Sutsilvan, Surmiran, Puter, Vallader und Rumantsch Grischun. Wobei das Letztere 1982 als Kompromiss zwischen den fünf Sprachen eingeführt wurde. Diese künstliche Standardsprache wird vor allem für amtliche Zwecke eingesetzt (vgl. Präsenz Schweiz PRS 2005).
2. Sprache(n) und Politik
In diesem Kapitel steht am Anfang eine kurze Diskussion zur Unterscheidung von Sprach- und Sprachenpolitik. Im Anschluss wird sich dann gleich wieder konkret auf die Schweiz bezogen, in dem erläutert wird, wo die einzelnen Zuständigkeiten im Bereich der Sprachen in der Schweiz liegen. Darauf folgend werden die beiden Grundsätze der Schweiz, Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip, näher vorgestellt.
2.1. Definition des Begriffes Sprach(en)politik
Zuallererst stellt sich die Frage, ob man bei der Verbindung von Sprache(n) und Politik von Sprachpolitik oder von Sprachenpolitik reden soll. Bezieht sich der erste Begriff wirklich nur auf die Beziehung einer Sprache zur Politik oder kann man darunter auch alle Sprachen eines Landes fassen und wie mit ihnen im Land politisch umgegangen wird? Oder muss man immer den Mehrzahlbegriff benutzen, um deutlich zu machen, dass kein Land nur eine einzige Sprache besitzt?
Dorothee Goeze (Encarta Enzyklopädie 2004) geht davon aus, dass Sprachpolitik die „Bezeichnung für die Einflussnahme staatlicher Organe auf Sprachgebrauch, Normierung und Standardisierung einer Sprache“ meint. Wohingegen ihrer Meinung nach Sprachenpolitik „auf verschiedene Sprachen abzielt“ und dieser Begriff auch „die Entscheidung über die Auswahl einer Verwaltungssprache in einer mehrsprachigen Sprechergemeinschaft oder die Entscheidung über die Festsetzung von Verwaltungssprachen bei internationalen Konferenzen oder die Unterrichtssprache bei Symposien“ umfasst.
Meiner Meinung nach schließt auch der Begriff Sprachenpolitik nicht aus, dass der Staat Sprache im Gebrauch und in der Standardisierung beeinflusst. Vielmehr scheint es doch tatsächlich so zu sein, dass der Unterschied nur in der singulären oder pluralen Bedeutung liegt. Offensichtlich ist, dass Sprachenpolitik auf jeden Fall mindestens zwei Sprachen umfasst, was bei Sprachpolitik bezweifelt werden kann.
[...]
- Citar trabajo
- Antje Kurzmann (Autor), 2005, Multilingualität und Sprachenpolitik in der Schweiz, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66310
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