Täglich hat es der Mensch mit Erklärungen und Verständnisproblemen zu tun. Ob freitagabends bei Günter Jauch, tagsüber in Schule, Studium und Beruf oder wenn das Kleinkind fragt, weshalb der Himmel blau ist. In dieser Arbeit sollen allerdings methodische Arbeitsweisen beleuchtet werden, die nicht viel mit den alltäglich benutzten Begriffen von Erklären und Verstehen zu tun haben. Was sind Kriterien für eine gute Erklärung innerhalb der Geisteswissenschaften? Welche Methoden werden angewendet? Und worin liegen die Unterschiede zu den Naturwissenschaften? In der wissenschaftlichen Forschung gibt es zwei Hauptströmungen. Dies sind zum einen die deskriptiven Wissenschaften, zum anderen die theoretischen Wissenschaften. Die deskriptiven Wissenschaften beschäftigen sich mit der Feststellung und Entdeckung von Tatsachen. Zu ihnen gehören die Geistes- und Humanwissenschaften. Zum Aufgabenfeld der theoretischen Wissenschaften - beispielsweise der theoretischen Physik - gehört die Konstruktion von Theorien und Hypothesen. Zur Theorienbildung gibt es außerdem zwei Hauptabsichten: die Voraussage beziehungsweise Vorwegnahme von Tatsachen und die Erklärung bekannter Tatsachen und das Verständlichmachen derer. Diese Einteilung ist für erste Schritte annehmbar, um sich in etwa orientieren zu können. Jedoch sind diese beiden Definitionen in sich nicht so eng gefasst, als dass man sie streng voneinander unterscheiden könnte. Theoretische Grundlagen von Tatsachen und deren reales Existieren sind begrifflich zumeist schwer zu trennen. Voraussage und Erklärung differenzieren sich in der zeitlichen Perspektive: die Voraussage bezieht sich auf die Zukunft, die Erklärung auf Geschehenes in der Vergangenheit.
Es gibt zwei Arten von Erklärungen, die kausale Erklärung (auch ‚mechanistische’ Erklärung) und die teleologische Erklärung (auch ‚finalistisch’). Ich werde in dieser Arbeit vorrangig auf das Schema der kausalen Erklärungen eingehen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Das DN-Modell
3. Erklären in der Geschichtswissenschaft
3.1 Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Beispiel für eine geschichtswissenschaftlich geführte Erklärung (nach von Wright)
3.2 Marx’ „geschichtliche [] Notwendigkeit“ des Sozialismus und Poppers Analyse
4. Verstehen in der Geschichtswissenschaft
5. Der Vergleich mit den Naturwissenschaften
Literatur
1. Einleitung
Täglich hat es der Mensch mit Erklärungen und Verständnisproblemen zu tun. Ob freitagabends bei Günter Jauch, tagsüber in Schule, Studium und Beruf oder wenn das Kleinkind fragt, weshalb der Himmel blau ist.
In dieser Arbeit sollen allerdings methodische Arbeitsweisen beleuchtet werden, die nicht viel mit den alltäglich benutzten Begriffen von Erklären und Verstehen zu tun haben.
Was sind Kriterien für eine gute Erklärung innerhalb der Geisteswissenschaften? Welche Methoden werden angewendet? Und worin liegen die Unterschiede zu den Naturwissenschaften?
In der wissenschaftlichen Forschung gibt es zwei Hauptströmungen. Dies sind zum einen die deskriptiven Wissenschaften, zum anderen die theoretischen Wissenschaften. Die deskriptiven Wissenschaften beschäftigen sich mit der Feststellung und Entdeckung von Tatsachen. Zu ihnen gehören die Geistes- und Humanwissenschaften. Zum Aufgabenfeld der theoretischen Wissenschaften – beispielsweise der theoretischen Physik – gehört die Konstruktion von Theorien und Hypothesen. Zur Theorienbildung gibt es außerdem zwei Hauptabsichten: die Voraussage beziehungsweise Vorwegnahme von Tatsachen und die Erklärung bekannter Tatsachen und das Verständlichmachen derer. Diese Einteilung ist für erste Schritte annehmbar, um sich in etwa orientieren zu können. Jedoch sind diese beiden Definitionen in sich nicht so eng gefasst, als dass man sie streng voneinander unterscheiden könnte. Theoretische Grundlagen von Tatsachen und deren reales Existieren sind begrifflich zumeist schwer zu trennen. Voraussage und Erklärung differenzieren sich in der zeitlichen Perspektive: die Voraussage bezieht sich auf die Zukunft, die Erklärung auf Geschehenes in der Vergangenheit.
Es gibt zwei Arten von Erklärungen, die kausale Erklärung (auch ‚mechanistische’ Erklärung) und die teleologische Erklärung (auch ‚finalistisch’). Ich werde in dieser Arbeit vorrangig auf das Schema der kausalen Erklärungen eingehen.
Eine weitere Trennung besteht in den beiden Haupttraditionen methodologischen Denkens.
Hauptvertreter der einen Tradition, der Wissenschaftstheorie, waren Auguste Comte und John Stuart Mill. Von Comte stammt auch die Alternativbezeichnung des Positivismus. Der Positivismus trägt sich aus drei Grundgedanken oder Grundannahmen. Es existiert die Idee einer einzigen wissenschaftlichen Methode für alle wissenschaftlichen Untersuchungen. Dieser methodologische Monismus will also versuchen, aus der Vielzahl methodischer Vorgehensweisen ein Modell zu entwickeln, das in jedem Falle anwendbar ist. Zweiter Grundgedanke ist die Positionierung der mathematischen Physik als exakteste Naturwissenschaft und die daraus hervorgehende Maßgabe an alle anderen Wissenschaften, sich mit ihr zu messen beziehungsweise an ihr zu messen. Die dritte Annahme ist die der Subsumption sämtlicher individueller Sachverhalte unter jeweils passende allgemein anerkannte hypothetische Naturgesetze, also die Alleingültigkeit der kausalen Erklärung, wobei der Begriff der Alleingültigkeit in diesem Falle nicht logisch zu verstehen ist, sondern lediglich zum Ausdruck bringen soll, dass teleologische Erklärungen im Verständnis des Positivismus nicht zu akzeptieren seien.[1]
Die andere Haupttradition methodologischen Denkens ist die Hermeneutik seit Ende des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die Wissenschaftstheorie, die in einigen Fällen auch Idealismus oder antipositivistische Wissenschaftstheorie genannt wird. Bedeutende Vertreter dieser Strömung waren Johann Gustav Droysen, Wilhelm Dilthey, Georg Simmel und Max Weber. In dieser Strömung wird die Vorstellung der Physik als Idealwissenschaft abgelehnt und dem methodologischen Monismus des Positivismus widersprochen. Es bestünde ein Gegensatz zwischen deskriptiver und theoretischer Wissenschaften, und beide seien in ihrer Existenz wichtig, zumal die einen singuläre Phänomene und Individualitäten zum Gegenstand hätten und die anderen Generalisierungen vornähmen[2].
Droysen entwickelte eine methodologische Dichotomie zwischen ‚Erklären’ und ‚Verstehen’. In den Naturwissenschaften werde erklärt, in der Historik Erscheinungen versucht zu verstehen. Dilthey hat diesen Ansatz systematisch ausgearbeitet und verwendete für den Bereich des Verstehens den Begriff der ‚Geisteswissenschaften’.
Beginnen soll diese Arbeit mit dem Hempel-Oppenheim-Schema der wissenschaftlichen Erklärung, um eine Grundlage zu legen für die folgenden Kapitel des Erklärens und des Verstehens in der Geschichtswissenschaft.
2. Das DN-Modell
Das deduktiv-nomologische Modell oder Hempel-Oppenheim-Schema (HO-Schema) wurde 1948 von Carl Gustav Hempel und Paul Oppenheim entwickelt[3].
Eine wissenschaftliche Erklärung besteht laut dem DN-Modell aus zwei hauptsächlichen Teilen. Das eine ist das Explanandum, der Satz, der das zu Erklärende beschreibt, also der zu präzisierende Methodenbegriff beziehungsweise erklärungsbedürftige Aussagen; das andere ist das Explanans, die Klasse der Sätze, die den Beweis für die Annahme erbringen, also die erklärenden Aussagen. Sowohl im Explanandum als auch im Explanans können singuläre und universelle Aussagen auftreten.
Es gibt verschiedene Adäquatheitsbedingungen, die das Explanans erfüllen muss, um das Explanandum nutzbringend zu erklären. Was in anderen Worten heißt, ohne die erfüllten Bedingungen kann keine deduktiv-nomologische Erklärung gefolgert werden.
Die erste Bedingung ist die, dass das Explanandum logisch aus dem Explanans folgen muss. Überdies müssen alle Sätze, die das Explanans bilden, wahr sein und empirischen Gehalt besitzen, das heißt, erklärend relevant sein. Demzufolge muss die Erklärung die Form eines deduktiv gültigen Arguments haben, in dem die Konklusion zwingend aus den Prämissen folgt. Beide Prämissen sind notwendig, da zum einen aus Gesetzen allein keine Tatsachen geschlossen werden können und zum anderen die Antezedensbedingungen (hier: Randbedingungen) singulärer Form sind. Das ist die deduktive Komponente des Modells.
Als zweite Bedingung muss das Explanans mindestens ein Naturgesetz enthalten, das eine grundlegende Rolle einnimmt. Es muss so beschaffen sein, dass es, fiele diese Prämisse weg, zu keiner gültigen Ableitung kommen würde, also nicht schon allein aus den Randbedingungen gefolgert werden kann.
[...]
[1] cf. von Wright 18
[2] cf. von Wright 19
[3] erstmals in Hempel / Oppenheim
- Quote paper
- Sarah Bachmann (Author), 2006, Erklären und Verstehen in den Geisteswissenschaften - speziell in der Geschichte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66283
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