Archiv – einer der „geheimnisvollsten“ und immer noch wenig besuchten außerschulischen Lernorte im Geschichtsunterricht. Aus welchem Grund meiden viele Lehrer und Lehrerinnen diese ausgesprochen reiche berührende Quelle an Geschichtsmaterial? Aus Angst vor dem großen Zeitaufwand und Vorbereitung des Unterrichts außerhalb des Klassenzimmers? Aus Unsicherheit, eine „andere“ Geschichte den Schülern zu vermitteln – etwas entfernt von den großen nationalen oder internationalen historischen Ereignissen – mit dem Schwerpunkt auf der Lokal- und Regionalgeschichte? Vielleicht fehlt den Lehrern und Lehrerinnen einfach die Archiverfahrung: gewisse Kenntnisse über Stoffvermittlung und Unterrichtsformen, die für die Archivarbeit sinnvoll wären? Vielleicht sind Lehrpersonen einfach der Meinung, dass Schüler gar nicht in der Lage sind, mit Archivalien zu arbeiten?
Selbstverständlich gibt es einige Schwierigkeiten und Hindernisse in Bezug auf erfolgreiche Arbeit der Schüler im Archiv. Es werden oft außerordentliche Unterrichtssituation, Schrift- und Sprachbarrieren genannt. Lehrer und Lehrerinnen sollten mit archivbezogenen Methoden, sowie Gruppen- oder Projektarbeit, vertraut sein, bei der Durchführung inhaltliche und organisatorische Hilfestellung durch Fachleute – Archivare - einholen. Alle diese Hindernisse sind aber unter bestimmten Voraussetzungen und vernünftiger Planung des Unterrichts leicht zu beseitigen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Fragestellung
2 Gesamter Überblick über die Akten
3 Die Form einer Akte
4 Finanzierung der Kleinkinderschulen und Kinderpflegen
4.1 Geschichte und Aufgaben des Wohltätigkeitsvereins
4.2 Geläufige Währung
5 Geschichte der Entstehung der Kleinkinderanstalten in Württemberg
6 Inhalte der Akten
6.1 Allgemeine Informationen über die
Kleinkinderanstalten im Verwaltungsbezirk
Ludwigsburg um 1855
6.2 Aufgaben der Kleinkinderschulen
6.3 Ausbildung der Betreuungspersonen
6.4 Jahresberichte
6.5 Erster Rechenschaftsbericht des Frauenvereins
für die Kleinkinderschulen 1833-1838
7 Archiv als Lernort im Geschichtsunterricht
7.1 Bezug zum Bildungsplan
7.2 Ziele der Archivpägagogik
7.3 Methodische Umsetzung des archivpädagogischen
Themas ´Kleinkinderschulen´ in einer 7. Hauptschulklasse
8 Fazit
9 Verwendete Literatur und Materialien
1 Einleitung und Fragestellung
Archiv – einer der „geheimnisvollsten“ und immer noch wenig besuchten außerschulischen Lernorte im Geschichtsunterricht. Aus welchem Grund meiden viele Lehrer und Lehrerinnen diese ausgesprochen reiche berührende Quelle an Geschichtsmaterial? Aus Angst vor dem großen Zeitaufwand und Vorbereitung des Unterrichts außerhalb des Klassenzimmers? Aus Unsicherheit, eine „andere“ Geschichte den Schülern zu vermitteln – etwas entfernt von den großen nationalen oder internationalen historischen Ereignissen – mit dem Schwerpunkt auf der Lokal- und Regionalgeschichte? Vielleicht fehlt den Lehrern und Lehrerinnen einfach die Archiverfahrung: gewisse Kenntnisse über Stoffvermittlung und Unterrichtsformen, die für die Archivarbeit sinnvoll wären? Vielleicht sind Lehrpersonen einfach der Meinung, dass Schüler gar nicht in der Lage sind, mit Archivalien zu arbeiten?
Selbstverständlich gibt es einige Schwierigkeiten und Hindernisse in Bezug auf erfolgreiche Arbeit der Schüler im Archiv. Es werden oft außerordentliche Unterrichtssituation, Schrift- und Sprachbarrieren genannt. Lehrer und Lehrerinnen sollten mit archivbezogenen Methoden, sowie Gruppen- oder Projektarbeit, vertraut sein, bei der Durchführung inhaltliche und organisatorische Hilfestellung durch Fachleute – Archivare - einholen. Alle diese Hindernisse sind aber unter bestimmten Voraussetzungen und vernünftiger Planung des Unterrichts leicht zu beseitigen.
Das alle wichtigste beim Unterricht im Archiv ist, dass Schüler und Schülerinnen eine unmittelbare Begegnung mit den Zeugnissen aus der Vergangenheit erleben, dass Geschichte kein abstraktes Schulfach mehr ist, welches man anhand Bilder, Tabellen, Zeitleisten, Filme und sonstigen vermittelt bekommt, sondern man kann die Geschichte – Archivbestandteile - anfassen, riechen, damit arbeiten. Die Einzigartigkeit dieses historischen Lernortes liegt darin, dass die höchste „Authentizität und Ganzheitlichkeit seines Überlieferungsgutes“ ist garantiert(vgl. WUERFEL, 2000, S. 21-22).
Diese Anfangsprobleme bzgl. Archivarbeit haben mit Sicherheit nicht nur Schüler und Lehrer, sondern auch wir Studenten. Die Ankündigung des archivpädagogischen Seminars im Vorlesungsverzeichnis von unserem Dozenten Herrn Dr. H.-H. Pöschko machte mich sehr neugierig und ich entschied mich, daran teilzunehmen. Ich hatte schon Erfahrung von der Unterrichtsgestaltung des Herrn Dozenten und wusste, dass er Neigung zur außergewöhnlichen, besser gesagt alternativen Unterrichtsformen und –methoden hat. Aus dem Grund am ersten Tag unseres Seminars im Staatsarchiv Ludwigsburg hatte ich Mischgefühle, war etwas beunruhigt und unsicher, ob ich in der Lage sein würde, die Aufgaben des Dozenten zu bewältigen. Die zusätzlichen Schwierigkeiten in meinem Fall(und ich muss es immer wieder erwähnen!) lagen darin, dass Deutsch nicht meine Muttersprache ist und bei der Entschlüsselung der Texte ich auf größere Hindernisse als meine Kommilitonen und Kommilitoninnen mich stoßen würde.
Die Arbeitsatmosphäre im Seminar war aber gegen Erwartungen sehr entspannt und locker, im Lesesaal war immer sehr ruhig. Die Bedingten waren ständig hilfsbereit und für unsere Fragen offen. Wir bildeten kleine Gruppen und jede Gruppe bekam ein Thema zur Bearbeitung. Uns standen folgende Themen zur Auswahl:
- Schulnotprobleme (überlastete Schüler) in Württemberg, 1890-1911;
- Schule und Gesundheit: Schulärzte in Württemberg, 1906-1911;
- Ausstattung von Klassenzimmern vor 100 Jahren in Württemberg, 1833-1909;
- Abrügung von Schulversäumnissen im Schwarzwaldkreis, Reutlingen, 1862-1884;
- Schulversäumnisse und Schulzucht in Backnang, 1880-1930;
- Schulbesuch von Hausierer- und Zigeunerkindern in Güglingen, 1894-1914;
- Schulskandal in Botenheim(ein Lehrer wird gemobbt), 1882-1883, 1907, 1911-1912;
- Kleinkinderschulen in Ludwigsburg 1833-1838, Druck.
Da der Begriff `Kleinkinderschulen` mir neu war und ich noch nie zuvor ihm begegnet bin, entschied ich mich das Thema zu bearbeiten. Dabei unterstützte mich meine Kommilitonin Jasmin Podrug.
2 Gesamter Überblick über die Akten
Im Staatsarchiv Ludwigsburg bei der Bearbeitung des Themas `Kleinkinderschulen` wurde mir und meiner Kommilitonin folgende Archivalien zur Verfügung gestellt: F 181 III Bü 418 mit einer Besonderheit darin – der gedruckten Version von der `Ersten Rechenschaftsbericht des Frauenvereins für die Kleinkinderschule in Ludwigsburg für die Zeit vom 20.9.1833 – 31.12.1838`. Nach dem ersten Überblick über die Akten fiel uns auf, dass sie alphabethisch eingeordnet waren. Die Entstehung und Entwicklung der Kleinkinderschulen in Württemberg wurde in dem Zeitraum von 1806 bis 1938 verfolgt und dokumentiert. Dabei handelte es sich um verschiedene geschichtliche Epochen, sowie die Blütezeit des Königreiches Württemberg, die Aufhebung 1918 der Monarchie und die Entstehung der Weimarer Republik, die Machergreifung von Nationalsozialisten. Im Hintergrund bei der Bearbeitung der Akten kam auch die Zeit der Industrialisierung und Währungsreform von 1873 im Deutschen Reich zum Ausdruck.
Bei der Arbeit im Archiv hatten wir unmittelbaren Zugang zu schriftlichen Quellen: Gegenstandprotokollen, Jahresberichten, dem Rechenschaftsbericht des Frauenvereins. Anhand dieser schriftlichen Überreste versuchten wir die Vergangenheit in Bezug auf unser Thema zu rekonstruieren, allerdings waren diese Versuche nicht immer erfolgreich und unser Wissen über das Thema lückenhaft. Aus dem Grund bei der Entschlüsselung der Texte brauchten wir ziemlich oft die Hilfe unseres Dozenten, vor allem bei den handschriftlichen Quellen. Ich persönlich bekam auch die Unterstützung von einer Fachfrau, einer Archivarin die schon seit Jahren im Staatsarchiv Ludwigsburg tätig ist.
Wie bekannt geben die Quellen keine direkten Antworten auf bestimmte Fragen, sondern „enthalten lediglich Daten verschiedener Art, die als Anhaltspunkte für mögliche und nicht mögliche Antworten dienen können“(vgl. BOROWSKY, 1989, S. 124). Im Unterschied zur Fachliteratur die schon die Ergebnisse bereits geleisteter Forschungsarbeit darstellt bieten schriftliche Quellen so zu sagen „rohes Material“ zur Rekonstruktion der Vergangenheit.
Unsere Aufgabe bestand darin, die vorhandenen Quellen in Bezug auf unser Thema `Kleinkinderschulen` zu systematisieren, auszuwerten und zu interpretieren. Die Arbeit im Staatsarchiv Ludwigsburg bekam einen wissenschaftlichen Charakter und ich persönlich ein neues unbekanntes Gefühl, auf empirischer Basis selbst ein Thema auszuarbeiten. Als Ergänzung zum Thema stand uns selbstverständlich auch die Sekundärliteratur zur Verfügung: ein ganz alter Aufsatz, so zu sagen Rarität, vom damaligen Lehrer im Hall J. Fr. Bofinger „Die Kleinkinderschulen und Kinderpflegen Württembergs“, 1865 datiert, Inventar der Bestände der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins […] „Akten zur Wohltätigkeits- und Sozialpolitik Württembergs im 19. und 20. Jahrhundert“, von W. Schmierer und anderen bearbeitet. Bei der Ausarbeitung des didaktischen Teils meiner Hausarbeit war mir die archivpädagogische Handreichung von Maria Würfel „Erlebniswelt Archiv“ sehr hilfreich.
Aus dem Grund hatte ich die Chance die Information aus der Fachliteratur und aus den zur Verfügung stehenden Akten zu vergleichen. Mithilfe dieses geregelten Verfahrens der Quellenbearbeitung war ich in der Lage, das vorhandene Wissen über Kleinkinderschulen in Württemberg zu überprüfen und zu erweitern. Damit leistete ich einen kleinen Beitrag zur historischen Forschung in Bezug auf dieses Thema und war mit meinen Ergebnissen im Allgemeinen zufrieden.
3 Die Form einer Akte
Verwaltungsbezirk Ludwigsburg um 1835 stellte eine kleinere Verwaltungseinheit als heutiger Landkreis dar. Die Landkreiseinrichtungen wurden erst 1938 nach den Veränderungen im Verwaltungssystem von Nationalsozialisten eingeführt. Darüber hinaus bei der Bearbeitung der Akten hatten wir meistens mit dem Schriftgut aus so genannter Ära der Oberämter zu tun.
Zum größten Teil standen uns die handschriftlichen Quellen zu Verfügung, welche zusätzliche Probleme für uns Studenten bereiteten. Manche Schriftstücke waren absolut nicht lesbar, entweder aufgrund undefinierbarer Handschrift eines der damaligen Beamten, oder schlechten Zustandes des Quellenmaterials selbst(obwohl der zweite Grund ziemlich selten in unseren Akten vorkam).
Ein zusätzliches Problem hatte ich persönlich in Bezug auf die damalige Schrift, wie ich schon oben betonte. Da die Schreibweise im 19. Jahrhundert von der heutigen Standardschriftsprache ziemlich abweicht, war ich oft nicht in der Lage ein bestimmtes Wort zu erkennen und darüber hinaus den Sinn eines bestimmten Satzes zu verstehen. Dieser Fakt machte für mich die Arbeit mit Archivalien noch spannender, weil ich neugieriger geworden bin und auf jeden Fall wissen wollte, welche Botschaft jedes Schriftstück in sich verbirgt. Meiner Kommilitonin Jasmin Podrug fiel die Entschlüsselung der Texte offensichtlich leichter als mir, aber trotzdem nicht ganz problemlos. Aus dem Grund nahmen wir oft in Anspruch die Hilfe unseres Dozenten und ich persönlich die Hilfe meiner bekannten Archivarin.
Die Akten, die in dem Zeitraum von ca. 1900 bis 1938 entstanden sind, waren natürlich viel leichter zu lesen und damit zu arbeiten. An der Stelle hatten wir schon mit gedrucktem Quellenmaterial zu tun, was unser Arbeitstempo beschleunigte. Ich gehe davon aus, dass die Entwicklung der mechanischen Schreibmaschine in Deutschland 1882/83 die Arbeit der Verwaltungsangestellten sehr erleichterte.
Mir scheint es sinnvoll darauf hinzuweisen, dass jede Akte eine bestimmte äußere Form hat, obwohl die Verwaltungsunterlagen die schon etwas später entstanden sind eine komplexere Struktur aufweisen:
- Ort, Datum
- Absender
- Empfänger
- Gegenstand(Themen) des Schreibens
- Unterschrift des zuständigen Beamten
- Siegel der zuständigen Behörde(des Amtes)
Meine Aussage möchte ich mit einigen Beispielen belegen, damit sie glaubhaft erscheint.
1 Ort, Datum: Stuttgart, 28. April 1835(gedruckt)
Absender: Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins
Empfänger: an die sämtlichen Oberamtsleitungen des
Wohltätigkeitsvereins
Inhaltsangabe: „ Da die Kleinkinderschulen auch in Württemberg nach und nach immer mehr Eingang finden und von Zeit zu Zeit Anfragen über die Einrichtung der Kinderpflegen…“(leider lückenhaft)
2 Ort, Datum: Beihingen, 22. Februar 1846(Handschrift)
Absender: (leider lückenhaft)
Empfänger: (leider lückenhaft)
Inhaltsangabe: ein Bericht des Oberamtmanns betrifft die Bewilligung einer Holzzulage für den Schulmeister Krieger in Beihingen zur Heizung der Kleinkinderschulen.
3 Ort, Datum: Ossweil, 18. April 1850(Handschrift)
Absender: Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins
Empfänger: Königliches Gemeinschaftliches Oberamt Ludwigsburg
Inhaltsangabe: Gemeinde Ossweil bekommt von der Zentralleitung 30. Gulden. Aufgrund „ungünstiger ökonomischer Verhältnisse in dieser Gemeinde“ möchte die Zentralleitung „einen gleichhohen Beitrag für künftige Jahre nicht mit Sicherheit in Aussicht stellen.“
4 Ort, Datum: Aldingen, 18. April 1898(Handschrift)
Absender: Schreiben der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins
Empfänger: an das Oberamt Ludwigsburg
Inhaltsangabe: die Zentralleitung unterstützt das Pfarramt Aldingen mit einem Beitrag von 100 M zur Einrichtung einer kleinen Kinderpflege und „stellt darüber hinaus einen jährlichen Beitrag in Aussicht“.
5 Ort, Datum: Stuttgart, 11. November 1909(gedruckt)
Absender: Oberamt Ludwigsburg
Empfänger: an den Bezirkswohltätigkeitsverein Ludwigsburg
Betr.: Kleinkinderpflege in Zuffenhausen
Bericht N2581: „Zu den Kosten der Einrichtung einer 5. Kleinkinderpflege in Zuffenhausen haben wir einen Beitrag von 75 M, zu dem Gehalt der weiteren Kleinkinderpflegerin für die Zeit vom 15. Oktober ds. Js. bis zum 1. April 1910 einen solchen von 25 M, zusammen 100 M, verwilligt und zur Ausbezahlung an das kirchliche evangelische Stadtpfarramt in Zuffenhausen angewiesen“.
6 Ort, Datum: Ossweil, den 23.September 1936(gedruckt)
Absender: Evangelisches Stadtpfarramt
Empfänger: an das Württembergische Oberamt Ludwigsburg
Betr.: Schließung des Kindergartens der ev. Kirchengemeinde
Inhaltsangabe: Es wird über das Auftreten von Mumps im ev. Kindergarten berichtet, aber „die Gefahr einer seuchenartigen Ausbreitung“ scheint „ schon vorüber“ zu sein. „Auch aus einem anderen Grund ist die Wiedereröffnung“ des Kindergartens „wünschenswert“: „die hiesigen Bauern“ sind momentan „bei den Herbstarbeiten den ganzen Tag auf dem Feld. Sie brauchen jetzt mehr als sonst eine Stätte, wo ihre Kinder aufgehoben sind“. Sonst müssten diese Kinder in NS- Kindergärten untergebracht werden.
Anmerkung: Bei der kritischen Auseinandersetzung mit der Form einer Akte bekommen wir viele zusätzliche Informationen, die uns im weiteren Verlauf der Arbeit, z. B. bei der Interpretation und Auswertung des Inhaltes einer Akte, sehr hilfreich sein werden. Laut Maria Würfel liefert eine Akte in ihrer Form folgende Informationen:
- „Durch das Schriftbild erhält man Einblick in die Entwicklung der am Übergang vom 18. zu 19. Jh. üblichen Typographie“;
- „durch Sprachform und Wortwahl liefert die Originalquelle einen Beitrag zur Sprachgeschichte“;
- „Durch Siegel und Kanzleivermerke stellt die Urkunde eine rechtsgeschichtliche Quelle dar und gibt Einblick in die Entwicklung der neuzeitlichen Verwaltung“(WÜRFEL, 2000, S. 20).
4 Finanzierung der Kleinkinderschulen und Kinderpflegen
Nach dem kurzen formalen Überblick über die Akten fällt natürlich auf, dass die bestimmten Begriffe sich immer wieder wiederholen.
- Was ist zum Beispiel ein Wohltätigkeitsverein? Welche Aufgaben hat er und in welcher Verbindung steht er zu den Kleinkinderschulen?
- Warum in verschiedenen Akten tauchen unterschiedliche Zahlungsmittel auf? Was sind Gulden, Kreuzer, Taler? In welcher Wechselbeziehung stehen sie zu Mark und Pfennig?
4.1 Geschichte und Aufgaben des Wohltätigkeitsvereins
Bevor ich auf die Inhalte der Akten übergehe und den Prozess der Entstehung und Entwicklung der Kleinkinderschulen beschreibe, möchte ich erstmal die Ziele und Aufgaben der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins erläuten. Diese Institution ist eng mit der Wohltätigkeits- und Sozialpolitik Württembergs im 19. und 20. Jahrhundert verbunden. Es wäre undenkbar, unterschiedliche Sozial- und Betreuungseinrichtungen in Württemberg ohne die finanzielle Unterstützung ähnlicher Gesellschaften zu gründen.
„Die Gründungsversammlung der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins fand am 29. Dezember 1816 im alten Schloss in Stuttgart statt. Dazu rief Königin Katharina einen Kreis von angesehenen Männern und Frauen zusammen, um ihren mit Genehmigung ihres Gemahls, König Wilhelms I. entworfenen Plan zu einem „Wohltätigkeitsverein“ mitzuteilen“(SCHMIERER u a., 1983, S. 17) Die neue Institution hatte schon ältere Wurzel: seit 1805 existierte in Stuttgart eine „Privatgesellschaft freiwilliger Armenfreunde“, die durch öffentliche Speisungen und Arbeitsbeschaffung die Not der Armen in der Stadt lindern wollte.
Die Mitglieder der Zentralleitung wurden von Königin Katharina(und nach ihrem Tod vom König) berufen und ernannt. Sie repräsentierten alle Bevölkerungsschichten und waren im Wohltätigkeitsverein ehrenamtlich tätig. Die Zentralleitung war keine staatliche Behörde, sondern wurde als besondere Einrichtung angesehen die dem König direkt unterstellt war. Die unmittelbare Leitung hatte sich die Königin vorbehalten.
Zu den zentralen Aufgaben des Wohltätigkeitsvereins zählten die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Kleidern in Notjahren. Der Kampf gegen den Bettel und die Arbeitsbeschaffung bildeten die Schwerpunkte seiner Aktivitäten. „Die Zentralleitung wollte nicht nur aktuelle Notstände beseitigen, sondern die Not an der Wurzel fassen“. Für Kinder wurden „Industrie- u. Arbeitsschulen eingerichtet, „um durch Stroh- und Holzarbeiten Fleiß und Handfertigkeit zu fördern“(vgl. SCHMIERER u a., 1983, S. 18).
Seit der Mitte des 19.Jahrhunderts setzte sich die Zentralleitung für die Bekämpfung der Folgen von Naturkatastrophen und Kriegsnotständen ein. „In der Krisenzeit während und nach dem 1. Weltkrieg half die Zentralleitung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, um der Not zu steuern“: sie organisierte große Geldsammlungen zugunsten der Kinder-, Altes- und Heimatnothilfe. Säuglingsschutz und Jugendfürsorge zählten zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit. Die Zentralleitung war gleichzeitig Geschäftsstelle des Landesausschusses für Kriegsinvalidenfürsorge und der Landesvermittlungsstelle für Heimarbeit an arbeitslose Frauen.
„Über mehr als ein Jahrhundert hinweg war und blieb die Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins die Schaltstelle der Wohlfahrtspflege in Württemberg“(SCHMIERER u a., 1983, S. 18). In der NS-Zeit wurden die Aufgaben der Zentralleitung bemerkbar beschränkt und sie wurde in „Zentralleitung für das Stiftungs- und Anstaltswesen“ umbenannt. Der Bereich der Nothilfe(„Winterhilfswerk“) wurde von der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ kontrolliert.
4.2 Geläufige Währung
Nach dem kurzen Aktenüberblick fällt dem Leser auch auf, dass in unterschiedlichen Berichten und Protokollen von unterschiedlichen Zahlungsmitteln die Rede ist. Dazu gibt es natürlich eine Erklärung. „Vor 1873 hatte es in Deutschland einen Wirrwarr unterschiedlicher Währungs- und Münzsysteme gegeben. Ständiges Umrechnen gehörte zum Wirtschaftsalltag. Jeder Bundesstaat hatte eine eigene Währung und prägte eigene Münzen. Im Norden war die Leitwährung der preußische Taler, eingeteilt in 30 Groschen zu 12 Pfennigen. In Bayern und Württemberg hingegen rechnete man mit Gulden zu 60 Kreuzern.“ Daneben existierten in kleineren Bundesstaaten fünf weitere Münzsysteme. Angesichts dieser Unübersichtlichkeit forderte die Wirtschaft eine Währungsunion.
Am 9. Juli 1873 unterzeichnete Kaiser Wilhelm I. das neue deutsche Münzgesetz. Mit seiner Unterschrift „setzte er den Schlussstrich unter ein Währungschaos aus Gulden, Talern, Franken und vielen anderen Münzen, die im Umlauf waren“. Die neuen Mark- und Pfennigstücke lösten die alten Münzen allerdings nur langsam ab. Einen Stichtag für den Umtausch gab es nicht; man wollte die umlaufenden Münzen vielmehr nach und nach aus dem Verkehr ziehen. Beim Umrechnen hatten es die Norddeutschen, die sich vom Taler auf die Mark umstellen mussten, verhältnismäßig leicht: Hier schrieb das Münzgesetz einen Wechselkurs von eins zu drei vor. Für die an den Gulden gewöhnte Bevölkerung Süddeutschlands dagegen war die Umrechnung in die neue Währung komplizierter: Ein Gulden entsprach 1,71 Mark(vgl. http://www.gebruederbaumann.de/1873_Einführung_Mark.pdf).
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- Arbeit zitieren
- Elena Hahn (Autor:in), 2006, Kleinkinderschulen in Württemberg im 19.-20. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66196
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