Als am 1. Mai 2004 durch die EU-Osterweiterung zehn neue Mitglieder der Europäischen Union (EU) beitraten, gingen dem unter anderem in Deutschland nicht immer seriös geführte Diskussionen über die Auswirkungen voraus. Insbesondere die Angst vor hohen Einwanderungsströmen, Lohndumping und die Abwanderung der heimischen Industrie auf Grund der niedrigeren Produktionskosten bestimmten die Diskussion. Das Ziel dieser Arbeit ist es daher die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Folgen der EU-Osterweiterung aufzuzeigen. Um die Auswirkungen, sowohl auf die Beitrittsländer, als auch auf die bisherigen Mitgliedsstaaten analysieren zu können, bedarf es zunächst einer genaueren Untersuchung der wirtschaftlichen Entwicklung und Ausgangssituation in den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEL). Dem wird im zweiten Kapitel Rechnung getragen, indem zunächst die makroökonomische Entwicklung und Arbeitsmarktsituation, die Auswirkung von ausländischen Direktinvestitionen, dann die Höhe der Reallöhne und Lohnstückkosten, sowie die institutionellen Rahmenbedingungen untersucht werden. Im dritten Abschnitt werden dann die theoretischen Grundlagen für eine Analyse der Osterweiterung gelegt, sowie die laut Theorie zu erwarteten Auswirkungen aufgezeigt. In Kapitel vier und fünf werden dann unter Berücksichtigung neuster Studien die Auswirkungen sowohl auf die alten als auch auf die neuen Mitgliedsstaaten der EU analysiert, bevor im letzten dann ein wirtschaftspolitischer Ausblick gegeben wird.
Inhaltsverzeichnis
1.) Einführung in die Problematik
2.) Analyse der Ausgangslage der Beitrittsländer im Vergleich zu den alten Mitgliedsstaaten
2.1) Strukturelle makroökonomische Entwicklung und Situation auf dem Arbeitsmarkt
2.2) Umfang, Bedeutung und Struktur des Außenhandels mit der „alten“ EU
2.3) Analyse der ausländischen Direktinvestitionen
2.4) Pro Kopf Einkommen, Reallöhne und Lohnstückkosten
2.5) Institutionelle Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt
2.5.1) Lohnersatzleistungen und Lohnnebenkosten
2.5.2) Tarifsystem und Kündigungsschutz
3.) Theoretische Grundlagen und mögliche Effekte der Osterweiterung
3.1) Das Heckscher-Ohlin-Samuelson-Modell
3.2) Die neoklassische, die neue und die moderne ökonomische Migrationstheorie
4.) Auswirkungen des EU-Beitritts auf die MOEL
4.1) Die EU-Sozialcharta und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte der MOEL
4.2) Veränderung des Außenhandels und daraus resultierende Effekte
4.3) Veränderung der ausländischen Direktinvestitionen
5.) Konsequenzen der EU-Osterweiterung für die „alten“ Mitgliedsländer
5.1) Auswirkungen einer zunehmender Ost-West-Wanderung
5.1.1) Schätzung des Migrationspotentials
5.1.2) Auswirkungen zusätzlicher Migration
5.2) Effekte der Integration der Gütermärkte
5.3) Integration der Kapitalmärkte
5.4) Erhöhung des Reformdrucks und Beschleunigung des Strukturwandels
5.5) Effekte der Finanzierung der EU-Osterweiterung
6.) Wirtschaftspolitscher Ausblick
Literaturverzeichnis:
Abbildungsverzeichnis:
1.) Einführung in die Problematik
Als am 1. Mai 2004 durch die EU-Osterweiterung zehn neue Mitglieder der Europäischen Union (EU) beitraten, gingen dem unter anderem in Deutschland nicht immer seriös geführte Diskussionen über die Auswirkungen voraus. Insbesondere die Angst vor hohen Einwanderungsströmen, Lohndumping und die Abwanderung der heimischen Industrie auf Grund der niedrigeren Produktionskosten bestimmten die Diskussion. Das Ziel dieser Arbeit ist es daher die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Folgen der EU-Osterweiterung aufzuzeigen.
Um die Auswirkungen, sowohl auf die Beitrittsländer, als auch auf die bisherigen Mitgliedsstaaten analysieren zu können, bedarf es zunächst einer genaueren Untersuchung der wirtschaftlichen Entwicklung und Ausgangssituation in den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEL). Dem wird im zweiten Kapitel Rechnung getragen, indem zunächst die makroökonomische Entwicklung und Arbeitsmarktsituation, die Auswirkung von ausländischen Direktinvestitionen, dann die Höhe der Reallöhne und Lohnstückkosten, sowie die institutionellen Rahmenbedingungen untersucht werden. Im dritten Abschnitt werden dann die theoretischen Grundlagen für eine Analyse der Osterweiterung gelegt, sowie die laut Theorie zu erwarteten Auswirkungen aufgezeigt. In Kapitel vier und fünf werden dann unter Berücksichtigung neuster Studien die Auswirkungen sowohl auf die alten als auch auf die neuen Mitgliedsstaaten der EU analysiert, bevor im letzten dann ein wirtschaftspolitischer Ausblick gegeben wird.
2.) Analyse der Ausgangslage der Beitrittsländer im Vergleich zu den alten Mitgliedsstaaten
2.1) Strukturelle makroökonomische Entwicklung und Situation auf dem Arbeitsmarkt
Aufgrund des Anpassungsprozesses hin zu offen, kapitalistisch orientierten Volkswirtschaften sahen sich die EU-Beitrittländer aus Mittel- und Osteuropa nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit erheblichen Problemen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert. Insbesondere der starke Rückgang des Outputs in den Transformationsländern innerhalb der ersten zwei bis drei Jahre nach der politischen Neuordnung führte auf dem Arbeitsmarkt zu starken negativen Entwicklungen.[1] Im Durchschnitt fiel der Output in den 25 Ländern des ehemaligen Ostblocks um mehr als vierzig Prozent. Betrachtet man jedoch nur die Staaten Mittel- und Osteuropas, so sieht man, dass dort der durchschnittliche Outputverlust im Gegensatz nur 28 Prozent betrug. Die Talsohle wurde dabei bereits 1992 erreicht. Im Jahr 1998 begann sich der Output in 20 der 25 Transformationsländer wieder zu erhöhen. Allerdings erreichten nur wenige Länder das Produktionsniveau des letzten Jahres vor dem Wechsel in ein markt-orientiertes Wirtschaftssystem. Zu diesen Ländern zählten Ungarn, Tschechien, Polen, Slowenien und die Slowakei, wobei die beiden letzt genannten das ursprüngliche Niveau wieder voll erreicht haben, Polen übertraf es sogar.[2]
Die beste Entwicklung wurde somit von den neuen EU-Staaten erzielt; diese gehörten auch zu der Gruppe der frühen Reform-Staaten, die ihren Reformkurs konsequent weiterverfolgten, die geringste Zeit unter dem kommunistischen System verbrachten und geografisch Westeuropa am nächsten liegen. Der Anpassungsprozess äußerte sich insbesondere in einer substantiellen Veränderung der Zusammensetzung der Beschäftigung. Mit der Entstehung eines Dienstleistungssektors und der voranschreitenden Deindustrialisierung wurden die durch die Planwirtschaft hervorgerufenen Verzerrungen der Beschäftigungsstruktur in fast allen MOE- Ländern beseitigt. Dies führte zu einer drastischen Senkung der sektoralen Beschäftigung in der Industrie. Neben dem Industriesektor war auch der landwirtschaftliche Bereich diesem Anpassungsdruck ausge-setzt.[3] Bezüglich des Anteils der in der Landwirtschaft beschäftigten Personen liegen die neuen Mitgliedsstaaten als Ganzes dennoch weiterhin über dem EU-Durchschnitt. Den geringsten Anteil, und damit fast auf Höhe des EU-Niveaus, wiesen 2001 Tschechien, Ungarn und die Slowakei mit Werten zwischen 5 und 6 Prozent aus. Die höchste landwirtschaftliche Beschäftigung hatte Polen mit fast 20 Prozent. Dies deutet darauf hin, dass in Polen der Agrarbereich der Bevölkerung teilweise als Zufluchtssektor zur Sicherstellung der eigenen Lebensmittelversorgung dient.[4]
Diese Strukturanpassung der Wirtschaftssektoren bedingte in den ersten Jahren des Transformationsprozesses eine starke Erhöhung der Arbeitslosenquote, die mit zweistelligen Werten selbst das hohe westeuropäische Niveau teilweise übertraf.[5] Allerdings spielt hier auch die hohe Partizipationsrate der erwerbsfähigen Bevölkerung am Arbeitsmarkt in der Zeit vor 1989 eine entscheidende Rolle.[6] Ihren Höhepunkt erreichten die Arbeitslosenraten in den meisten Ländern Mitte 1990 (Vgl. Abb. 1). Eine ausgezeichnete Performance zeigten dabei Slowenien und Ungarn, deren Arbeitslosenquoten 2005 bei 6,3 bzw. 7,1 v.H. lagen. Tschechien ist mit 7,9 v.H. auf Höhe des EU-Durchschnitts. In den anderen Staaten war die Rate weiterhin sehr hoch, so dass die MOEL als Ganzes trotz der beginnenden Erholung weiterhin über dem EU-Durchschnitt lag (Vgl. Abb. 2).[7]
2.2) Umfang, Bedeutung und Struktur des Außenhandels mit der „alten“ EU
Im Laufe des Transmissionsprozesses ist das Volumen des Außenhandels zwischen der EU und den Bewerberländern mit hohen Raten gewachsen. In der Zeit von 1988 bis 1998 sind die Exporte von der EU in die MOEL um das 6,5 fache, Importe von den MOEL in die EU um das 4,5 fache gestiegen.[8] Im Durchschnitt beträgt der Handelsanteil mit den EU-Staaten circa 60 Prozent des gesamten Außenhandels der Länder Mittel- und Osteuropas.[9] Im Jahr 2001 entfielen dabei 25 Prozent der Exporte der MOEL allein auf die Bundesrepublik, die für Tschechien, Polen, Ungarn und Slowenien den bedeutendsten Handelspartner innerhalb der EU 15 Staaten darstellt. Dadurch nimmt Deutschland eine Schlüsselposition beim Außenhandel mit den MOE Ländern.[10] Allerdings muss berücksichtigt werden, dass der EU-Markt zwar für die MOEL von hoher Bedeutung ist, umgekehrt allerdings deren Märkte für die Exporteure der EU bisher eher von geringer Relevanz sind.[11] Bezüglich der Struktur des Außenhandels lässt sich feststellen, dass im Laufe des Transformationsprozesses der Anteil des inter-industriellen Handels zurückgegangen ist, wohingegen der intra-industrielle Teil an Bedeutung gewonnen hat. Dies deutet darauf hin, dass die EU mit der Zeit ihren Vorteil bei der Produktion humankapitalintensiver Güter gegenüber den MOEL einbüßen wird.[12] So stieg der Importanteil technologisch anspruchsvoller Produkte nach Deutschland auf 55 %, wohingegen der Anteil an arbeitsintensiven Gütern wie Textilien auf 10 % zurückging.[13] In einzelnen Wirtschaftsteilen zeichnet sich dennoch eine zunehmende Arbeitsteilung zwischen humankapitalintensiven und weniger humankapitalintensiven Produktionsprozessen ab.[14]
2.3) Analyse der ausländischen Direktinvestitionen
Ausländische Direktinvestitionen („foreign direct investement“ FDI) sind eine entscheidende Komponente des Transformationsprozesses der mittel- und osteuropäischen Länder. FDI erhöhen nicht nur das knappe Finanzkapital, sondern tragen auch zu einem grenzüberschreitenden Wissens- und Technologietransfer bei.[15] Somit ermöglichen FDI auch weitere Produktivitätssteigerungen in den MOEL und helfen diesen weiter wirtschaftlich zu den westeuropäischen Ländern aufzuschließen zu können. Allein zwischen 1993 und 1998 wurden durch die Europäische Union 59 Milliarden DM netto in die MOEL investiert. Die zunehmende Bedeutung der FDIs zeigt sich auch an ihrem gestiegenen Anteil relativ zum Bruttoinlandsprodukt. 1993 lag dieser noch im Durchschnitt bei 1,8 Prozent, 1998 hatte er sich bereits auf 4 Prozent erhöht. Estland nimmt dabei mit 11,0 Prozent die Spitzenposition ein, Slowenien bildet mit 0,8 Prozent das Schlusslicht.[16]
2.4) Pro Kopf Einkommen, Reallöhne und Lohnstückkosten
Die Einkommenssituation zu Beginn der Erweiterung ist von erheblichen Diskrepanzen zwischen den Beitrittsländern und der EU geprägt. Das Gefälle beim Pro-Kopf Einkommen beträgt zu laufenden Wechselkursen im Durchschnitt 15 Prozent des Niveaus der EU-15 Staaten. Für die Bruttolöhne ergibt sich durchschnittlich ein eben so hoher Unterschied (Vgl. Abb. 3). Die Ursache dafür liegt insbesondere in den abweichenden Faktorausstattungen und Faktorproduktivitäten, die beide Seiten aufweisen.[17] Entsprechend des noch geringen Entwicklungsniveaus sind auch die Lohnkosten in den MOEL noch sehr gering. Im Jahr 2003 betrugen diese für den industriellen Sektor und den Dienstleistungsbereich durchschnittlich 4,21 €. Im Gegensatz zu 22,70 € für die EU-15 (ohne Belgien und Italien). Die niedrigsten Löhne werden dabei in Lettland, Litauen und Slowenien bezahlt. Ein relativ hohes Lohnniveau weißen hingegen Slowenien mit 8,98 € und Polen mit 4,46 € auf.[18]
Dennoch muss festgehalten werden, dass sich die Reallöhne (in ECU) zwischen 1995 und 1997 um zehn bis 20 % erhöht haben. Dies führte dazu, dass 1997 der Monatsverdienst in Tschechien, Polen und Ungarn ungefähr dem portugiesischen Mindestlohn entsprach, weiterhin jedoch über dem Durchschnittslohn lag. Doch selbst wenn das jährliche Pro-Kopf Einkommen der MOEL um 2 % schneller wächst als in der EU-15, wird es insgesamt mindestens noch zwei Jahrzehnte dauern, bis sich das durchschnittliche Wohlstandniveau der MOEL dem der EU-15 Staaten angeglichen hat.[19]
Auch die Lohnstückkosten in den MOEL entsprachen 1997, trotz einer geringern durchschnittlichen Arbeitsproduktivität, nur zu einem Bruchteil des Niveaus der übrigen EU. Werden zusätzlich die Lohnnebenkosten berücksichtigt, so ist der Unterschied noch signifikanter. Da sich das Lohnwachstum, wie bereits erwähnt, stark beschleunigt hat und für manche Länder deshalb über dem Produktivitätswachstum lag, hat sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit, gemessen an den Lohnstückkosten, schrittweise verschlechtert.[20]
2.5) Institutionelle Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt
2.5.1) Lohnersatzleistungen und Lohnnebenkosten
Bedingt durch die sozialen Härten des Transformationsprozesses kam bereits Anfang der neunziger Jahre seitens der Bevölkerung in vielen MOE Staaten die Forderung nach der Errichtung sozialer Sicherungssysteme auf. Es wurden daraufhin Programme zur Arbeitslosenentschädigung, Frühpensionierung und Sozialhilfe initiiert, ohne die weit reichenden Konsequenzen und Folgekosten zu berücksichtigen. Durch den Vergleich von registrierten Arbeitslosen und ermittelter Arbeitslosigkeit kann man Rückschlüsse auf Anreizmechanismen und Natur der Arbeitslosigkeit ziehen. Werte weit unterhalb von eins deuten dabei auf unattraktive Ersatz- und Sozialleistungen. Werte über eins hingegen lassen darauf schließen, dass entweder viele arbeitslos Registrierte aufgehört haben zu suchen, oder dass eine dauerhafte Meldung Voraussetzung für weiter Unterstützungszahlungen ist.[21] Tschechien, Ungarn, Slowenien und die Slowakei weißen die höchsten Werte auf, wohingegen Estland und Lettland die niedrigsten haben (Vgl. Abb. 4).
Lohnnebenkosten erfüllen in den MOEL, im Gegensatz zu den westeuropäischen Ländern, den Zweck freiwillig vereinbarte Leistungen, um qualifiziertes Personal zu rekrutieren und zu binden. Allerdings erhöhte sich in den neuen EU-Mitgliedsstaaten die Besteuerung der Löhne, entweder direkt oder durch Abgaben für Sozialfonds. Grund dafür ist, dass die Staaten durch die Privatisierung weiter Teile der Volkswirtschaft große Einkommensausfälle zu verzeichnen hatten. Durch die sozialen Härten des Transformationsprozesses erhöhten sich im Laufe der Zeit die Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme, was eine noch stärkere Besteuerung nach sich zog und viele Staaten in die Fiskalfalle trieb. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu den Arbeitsmärken Westeuropas.[22]
2.5.2) Tarifsystem und Kündigungsschutz
In allen neuen Mitgliedsstaaten existieren Tarifverhandlungssysteme, an denen neben den Arbeitnehmern und Arbeitgebern auch der Staat als Sozialpartner an den Verhandlungen teilnimmt. Ein bedeutendes Versäumnis der Beschäftigungspolitik ist, die relative Schwäche der Arbeitgeberverbände, insbesondere derer im privaten Wirtschaftssektor, zu beheben. Als Gesamtbild aller MOE Staaten lässt sich festhalten, dass die von Konzernen bestimmten Organisationen unterschiedliche Grade der Vertretung und Effektivität bei den Lohnverhandlungen aufweißen.[23]
Bezüglich des Kündigungsschutzes haben die MOEL sich gegen das angelsächsische Modell des „hire at will“ entschieden und westeuropäische Arbeitsmarktregulierungen übernommen. Allerdings ist ihre Durchsetzung in den MOEL weniger strikt als in Westeuropa. So gelten diese Regelungen in vollem Umfang nur für größere Unternehmen. Für kleinere oder ausländische Firmen ergeben sich Ausweichmöglichkeiten, da zu strenge Vorschriften insbesondere erstgenannte Unternehmen entweder aus dem Markt oder in die „Schattenwirtschaft“ drängen können.[24]
3.) Theoretische Grundlagen und mögliche Effekte der Osterweiterung
3.1) Das Heckscher-Ohlin-Samuelson-Modell
Das Heckscher-Ohlin-Samuelson-Modell (HOS-Modell) betrachtet zwei gleich große Länder A und B, die beide zwei handelbare Güter x und z unter dem Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital produzieren. Annahmegemäß geschieht dies mit der gleichen Technologie, das heißt beide Länder haben die gleiche Produktionsfunktion, und bei vollkommener Konkurrenz. Allerdings besitzen beide Länder eine unterschiedliche Faktorausstattung. Land A ist reich mit Kapital versehen, Land B ist reich an Arbeit. Die Produktion des Gutes x benötigt den intensiven Einsatz von Kapital, die von Gut z hingegen ist arbeitsintensiv. Unter Autarkie, also ohne Handel und Faktorbewegungen, ist das Zinsniveau in Land A daher niedriger als in Land B, umgekehrt ist dort allerdings das Lohnniveau geringer. Als Folge davon ist die Produktion von x in A günstiger, und y in B. Bei der Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes werden sich die Länder daher auf die Produktion der Güter spezialisieren, bei denen sie einen komparativen Kostenvorteil haben.[25]
Als weitere Annahmen unterstellt das HOS-Modell Flexibilität der Preise und Vollbeschäftigung, zudem gelten die Prämissen der neoklassischen Produktionsfunktion, also lineare Homogenität und positive (Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenundAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten) aber abnehmende (Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenundAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten) Grenzproduktivität der Produktionsfaktoren.[26]
Geht man nun davon aus, dass die EU reich an Kapital und die MOEL reich an Arbeit ist, so ergeben sich nach dem HOS-Modell bei der Integration der osteuropäischen Staaten in den Wirtschaftsraum der EU für die „alten“ Mitgliedstaaten folgende Implikationen:[27]
- Ein Rückgang des relativen Preises des arbeitsintensiven Gutes.
- Ein Anstieg der Produktion des kapitalintensiven Gutes.
- Die Verringerung des Lohnes relativ zur Entlohnung des Kapitals.
- Die Wanderung von Arbeit vom arbeitsintensiven in den kapitalintensiven Sektor, da Arbeit billiger geworden ist.
- Eine Konstante Beschäftigung und die Erhöhung der Arbeitintensität in beiden Sektoren.
Da im HOS-Modell Außenhandel und Faktormobilität Substitute sind, führt die Wanderung von Kapital in das arbeitsreiche Land und die Emigration von Arbeit in das kapitalreiche Land zu einer Veränderung und schrittweisen Angleichung der Faktorpreise.[28]
Eine Lockerung der recht restriktiven Annahmen des HOS-Modells führt dazu, dass einige weitere Effekte beachtet werden müssen. Da beide Seiten offene Volkswirtschaften sind, muss der Handel mit Drittländern beachtet werden. Eine Veränderung der Gütermarktpreise in der EU findet nur dann statt, wenn das marginale Angebot durch die MOEL verändert wird. Durch die hohen Einkommensdivergenzen könnte eine Spezialisierung der Produktion der MOEL auf in der EU nicht hergestellte Güter erfolgen. Zudem dürften beide Länder mit unterschiedlichen Produktionstechnologien produzieren. Sind diese neutral für das Einsatzverhältnis der Produktionsfaktoren, so erfolgt keine Veränderung der absoluten Preise von Kapital und Arbeit. Zuletzt ist außerdem die perfekte Mobilität von Arbeit und Kapital auf Grund ihrer Bindung an Sach- und Humankapital zu bezweifeln. Dadurch sinkt zwar die Entlohnung der immobilen Faktoren innerhalb der Sektoren, die Angleichung der Faktorpreise beider Länder bleibt jedoch aus.[29]
3.2) Die neoklassische, die neue und die moderne ökonomische Migrationstheorie
Um mögliche Ost-West-Wanderungsströme und ihre Auswirkungen analysieren zu können bedarf es zunächst einiger theoretischer Grundlagen. Die Migrationstheorien beschäftigen sich mit den Gründen, Anreizen und der Entscheidungsfindung internationaler Wanderungsströme.
Im einfachen Fall der neoklassischen Theorie entsteht Migration auf Grund von Lohnunterschieden zwischen dem Einwanderungs- und dem Auswanderungsland. Im HOS Modell (vgl. 3.1) führt eine ungleiche Faktorausstattung zu Lohn- und Zinsdifferenzen zwischen dem kapitalreichen und dem arbeitsreichen Land. Diese Differenzen führen dazu, dass die Arbeitskräfte in das Land mit den höheren Löhnen wandern, umgekehrt strömt Kapital in das Hochzinsland. Als Folge davon kommt es zu einer Annäherung der Faktorpreise. Die Faktorwanderungen enden, wenn die unterschiedlichen Lohn- und Zinsniveaus die Wanderungskosten nicht mehr decken.[30] Berücksichtigt man zusätzlich unterschiedliche Qualifikationen der Arbeitskräfte und nimmt man an, dass das kapitalreiche Land auch über einen hohen Humankapitalbestand verfügt, so ist im kapitalarmen Land die Entlohnung für einfache Arbeiten zwar geringer, allerdings bietet es gleichzeitig qualifizierten Arbeitern eine höhere Humankapitalrendite. Es wird somit zum Einwanderungsland für höher qualifizierte und zum Auswanderungsland für gering qualifizierte Arbeitskräfte.[31]
[...]
[1] Vgl. Belke/Hebler (2002), S. 36.
[2] Vgl. Fischer/Sahay (200), S. 3-5.
[3] Vgl. Belke/Hebler (2002), S. 37f.
[4] Vgl. Europäische Kommission (2002), S. 19f.
[5] Vgl. Burda (1998), S. 66.
[6] Vgl. Belke/Hebler (2002), S. 42.
[7] Vgl. EUROSTAT (2006).
[8] Vgl. Boeri/Brücker (2000), S. c.
[9] Vgl. Sachverständigenrat (2000), S. 147.
[10] Vgl. Accenture (2001), S. 16.
[11] Vgl. Belke/Hebler (2002), S.47.
[12] Vgl. Boeri/Brücker (2000), S. 38 und 42.
[13] DIW (17/2004).
[14] Vgl. Sachverständigenrat (2000), S. 147.
[15] Vgl. Eckert/Rossmeissl (2005), S. 56.
[16] Vgl. Sachverständigenrat (2000), S. 150.
[17] Vgl. Brücker (2000), S. 42f.
[18] Vgl. Breuss (2005), S. 141.
[19] Vgl. Straubhaar (2001), S. 26.
[20] Vgl. Belke/Hebler (2002), S. 61f.
[21] Vgl. Burda (1998), S. 69f
[22] Vgl. Belke/Hebler (2002), S. 68f
[23] Vgl. Bell/Mickiewicz (1999), S. 132 und 134
[24] Vgl. Burda (1998), S. 73.
[25] Vgl. Hebler (2002), S. 54f.
[26] Ebenda
[27] Boeri/Brücker (2000), S. 4.
[28] Ebenda
[29] Brücker (2001), S. 73f.
[30] Vgl. Hebler (2002), S. 154f.
[31] Vgl. Steinmann (1996), S. 39.
- Arbeit zitieren
- Markus Maisch (Autor:in), 2006, Folgen der EU-Osterweiterung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66178
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