„Man muß das Gute tun, damit es in der Welt sei.“
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
Im Rahmen der Untersuchungen zu dem Thema dieser Arbeit wurde eine Diskrepanz zwischen vielfältigen wissenschaftlichen Diskussionen und der angewandten Praxis der Seelsorge an Geschiedenen deutlich. Die praktische Ausführung von einer begleitenden Seelsorge ist gegenwärtig allerdings besonders wichtig. In Deutschland wurde 1995 jede dritte Ehe geschieden, in Großstädten sogar jede zweite. Einige TheologInnen ließen sich auf die Problematik der Seelsorge an Geschiedenen ein und wurden tätig. So folgten sie dem Anspruch des Zitats der Freifrau von Ebner-Eschenbach.
Zunächst werden Probleme angesprochen, die sich hinsichtlich der Seelsorge allgemein in Deutschland zeigen, es folgt die Untersuchung der Seelsorge als angewandtes Scheidungsritual und das Problem der Ehescheidung in der Theologie. Diese Problematiken werden in den Vorüberlegungen und der theologischen Reflexion angesprochen und bearbeitet. Dabei war es für das weitere Vorgehen in der Arbeit wichtig Position zu beziehen. Die besondere Aufgabe der Seelsorge an Geschiedenen konnte demnach auch als Aufgabe der Seelsorge an Geschiedenen wahrgenommen werden.
Bei der Wahl des Konzepts der Seelsorge an Geschiedenen orientierte ich mich an dem obigen Zitat und suchte einen Ansatz der Seelsorge aus, der die praktischen Erfahrungen der Autoren John Patton und Brian Childs aufgreift. Das Konzept wird dargestellt und hinsichtlich bestimmter Fragen ausgewertet. In dem Resümee wird das Erarbeitete zusammengefasst und reflektiert. Dazu beziehe ich Position und gebe Ausblicke, welche mir wünschenswert im Hinblick auf Geschiedene erscheinen, so dass Ehe nicht mehr länger als "lebenslänglich" empfunden werden muß.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Vorüberlegungen
2. Theologische Reflexion über Ehe- und Ehescheidung zur Zeit Jesu
2.1 Ehe und Ehescheidung
2.2 Die Haltung Jesu und der Urgemeinde zur Ehescheidung nach Markus 10,1-
2.3 Auswirkung der theologischen Reflexion auf das Eheverständnis
3. Ein Konzept der Seelsorge an Geschiedenen: Die generationsübergreifende Ehe- und Familienseelsorge
3.1 Scheidung als Versagen des Miteinanders der Generationen
3.2 Scheidung als Beziehungsverlust
3.3 Wie Trennung und Scheidung erlebt wird
3.4 Phasen des Trennungs- und Scheidungsverlaufs
3.6 Ansatz einer Theologie der Scheidung
3.7 Auswertung des Konzepts
3.8 Resümee
4. Quellen- und Literaturverzeichnis
4.1 Monographien
4.2 Aufsätze
4.3 Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
„Man muß das Gute tun, damit es in der Welt sei.“
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
Im Rahmen der Untersuchungen zu dem Thema dieser Arbeit wurde eine Diskrepanz zwischen vielfältigen wissenschaftlichen Diskussionen und der angewandten Praxis der Seelsorge an Geschiedenen deutlich. Die praktische Ausführung von einer begleitenden Seelsorge ist gegenwärtig allerdings besonders wichtig. In Deutschland wurde 1995 jede dritte Ehe geschieden, in Großstädten sogar jede zweite.[1] Einige TheologInnen ließen sich auf die Problematik der Seelsorge an Geschiedenen ein und wurden tätig. So folgten sie dem Anspruch des Zitats der Freifrau von Ebner-Eschenbach.
Zunächst werden Probleme angesprochen, die sich hinsichtlich der Seelsorge allgemein in Deutschland zeigen, es folgt die Untersuchung der Seelsorge als angewandtes Scheidungsritual und das Problem der Ehescheidung in der Theologie. Diese Problematiken werden in den Vorüberlegungen und der theologischen Reflexion angesprochen und bearbeitet. Dabei war es für das weitere Vorgehen in der Arbeit wichtig Position zu beziehen. Die besondere Aufgabe der Seelsorge an Geschiedenen auch als Aufgabe der Seelsorge an Geschiedenen wahrgenommen werden.
Bei der Wahl des Konzepts der Seelsorge an Geschiedenen orientierte ich mich an dem obigen Zitat und suchte einen Ansatz der Seelsorge aus, der die praktischen Erfahrungen der Autoren John Patton und Brian Childs aufgreift. Das Konzept wird dargestellt und hinsichtlich bestimmter Fragen ausgewertet. In dem Resümee wird das Erarbeitete zusammengefasst und reflektiert. Dazu beziehe ich Position und gebe Ausblicke, welche mir wünschenswert im Hinblick auf Geschiedene erscheinen.
1. Vorüberlegungen
Das Problem der Seelsorge besonders in Deutschland begründet Joachim Scharfenberg darauf, dass nach Hans Asmussen und Eduard Thurneysen die Seelsorge die Verkündigung des Evangeliums auf den Kopf des einzelnen zu sei. Das hatte zur Folge, dass die evangelische Seelsorge in einen wahren Dornröschenschlaf versetzt wurde. Die Formel von der Seelsorge wurde unangefochten als Verkündigung tradiert, und die Diskrepanz zwischen einer solchen Theorie und der Praxis, vor die sich der Pfarrer in seinem Alltag gestellt sieht, wurde somit tiefer und unüberbrückbar.[2]
In der amerikanischen Seelsorge zeigte sich dieses Problem aufgrund anderer geistesgeschichtlichen Entwicklungen nicht. Dort wurden die Erkenntnisse der säkularen Humanwissenschaften wie Psychoanalyse und Psychotherapie in die Seelsorge integriert. Zentral wurde die Entdeckung der Wichtigkeit menschlicher Beziehungen für das geistliche Leben und dessen Entwicklung, in welcher der Seelsorger mit seiner ganzen Existenz die Liebe Gottes bezeugt.[3]
Deshalb greift diese Arbeit auch ein Seelsorge-Konzept auf, das die säkularen Humanwissenschaften mit einbezieht, da es m. E. näher an der Wirklichkeit der Menschen ist.
Ein weiteres Problem zeigte sich während der Arbeit zu dem Thema speziell hinsichtlich der Seelsorge an Geschiedenen in Bezug auf Scheidungsrituale. Neben dem seelsorgerlich-beratenden Gespräch kann ein kirchliches Übergangsritual helfen. Es ist momentan allerdings eine Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher Theorie zu Scheidungsritualen[4] und der praktischen Ausführung.
Es gibt z. B. Kirchen in Amerika und der Schweiz, die Scheidungsrituale anbieten.[5]
Gegen die Scheidungsrituale spricht sich Nicole Kuropka u. a. aus. Sie geht davon aus, dass gesellschaftliche Veränderungen zu Übergängen ohne Riten führten (Passages sans rites) wie die Scheidung.[6] Ihr stellt sich die Frage, ob die Menschen überhaupt noch ritualfähig sind. Der Verlust des Lebens in sozialen Gruppen hat das Fehlen der konstituiven Bindung an allgemeine Rituale zur Folge. Das bedeutet, dass den Ritualen die Relevanz verloren geht.
Gerade in Ballungsgebieten der Industriegesellschaft ist einerseits eine Sinnentleerung der Rituale und eine Interessenlosigkeit diesen gegenüber zu verspüren, andererseits tritt auch der Wunsch nach neuen Ritualen auf. Da Riten allerdings aus einer Gruppe erwachsen, würde bei einem angewandtem Scheidungsgottesdienst die Erfahrungsgemeinschaft, aus der ein solcher Ritus erwachsen wäre, fehlen. Hinzu kommt, dass ein theologischer Ritus nicht allein seinen Sinn in der menschlichen Gestaltung erfahren kann. Der theologische Ritus bildet vielmehr die Beziehung Gott-Mensch auf eine anschauliche Weise ab und deutet diesen Zusammenhang. An dieser Stelle wendet sich Rainer Braun auch gegen Scheidungsrituale in der Kirche, da alle kirchenordnungsgemäßen Rituale sich direkt auf biblische Verheißungen gründen und von daher als legitimierende Handlung ihrerseits legitim seien.[7]
Nicole Kuropka weist an dieser Stelle des Weiteren darauf hin, dass der theologische Ritus als Vehikel anmuten würde, gesellschaftliche Probleme zu thematisieren bzw. zu lösen.[8] Nicole Kuropka lässt m. E. die Möglichkeit der Erfahrungsgemeinschaft von einem Scheidungsritual nicht zu. Wenn ein Raum für den Versuch der Entwicklung einer Erfahrungsgemeinschaft der Scheidungsrituale geschaffen wird, dann kann auch in einem theologischen Ritus m. E. auf die Beziehung Gott-Mensch auf eine anschauliche Weise eingegangen werden und die Problematik der Geschiedenen in diesem Zusammenhang beleuchtet werden. Die Bibel hat einige Texte zu bieten, die von Schuld und Vergebung oder von Befreiung sprechen und für Geschiedene in ihrer Problemsituation eine Hilfe bieten könnten. Dabei wird der Anspruch an den gestellt flexibel zu sein und während der begleitenden Beratung des Paares biblische Verheißungen zu suchen, die der Problematik des Paares angemessen sind. M. E. sprechen diese Argumente für die Durchführung eines Scheidungsritual in der Kirche.
2. Theologische Reflexion über Ehe- und Ehescheidung zur Zeit Jesu
2.1 Ehe und Ehescheidung
Das Bild der Ehe in neutestamentlicher Zeit lässt sich mit dem gegenwärtigen Eheverständnis kaum vergleichen. Die Ehe war zur Zeit Jesu eine sachrechtliche Größe, da die Frau mit der Eheschließung in den Besitz des Mannes überging. Simultane Polygamie war nur für Männer möglich, kam aus wirtschaftlichen Gründen immer seltener vor. Häufiger vertreten war sukzessive Polygamie. Ein Mann heiratete mehrere Male, wobei er sich vorher jeweils von seiner früheren Frau trennte. Aufgrund von Deuteronomium 24,1 gab der Mann seiner Frau einen Scheidebrief und entließ sie aus der Ehe. Die Folgen für die Frau waren meistens mit einem empfindlichen sozialen Abstieg verbunden. Von diesem „mainstream“ des jüdischen Eherechts wich lediglich die qumranische Gemeinde ab. Sie lebten die lebenslange Einehe und das damit verbundene Scheidungsverbot.[9]
2.2 Die Haltung Jesu und der Urgemeinde zur Ehescheidung nach Markus 10,1-12
Der Abschnitt beginnt mit einer Ortsangabe und summarischen Schilderungen der Lehrtätigkeit Jesu (Vers 1). Es folgt in Mk 10,2-9 die Auseinandersetzung Jesu mit einer Gruppe Pharisäer über die Ehescheidung. Die Einleitung aus Vers 2 („und sie versuchten ihn damit“) zeigt, dass Jesu Haltung zur Ehescheidung schon bekannt ist. Die Pharisäer wollen Jesus nicht nach seiner Meinung fragen, sondern sie wollen ihn aus der Reserve locken und seine Auffassung, die nicht mit der Tora (Dtn 24,1) übereinstimmt, hören und kundtun. In Mk 10,10-12 findet ein Ortswechsel statt. Jesus belehrt die Jünger daheim nochmals über die Ehescheidung: „Wer sich scheidet von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht ihr gegenüber.“ (Vers 11) Das ursprüngliche Jesuswort ist besonders wichtig für die Reflexion von den Versen 2-9. Der folgende Vers 12 ist vermutlich eine spätere heidenchristliche Ergänzung und wird nicht weiter in der folgenden Auslegung besprochen.
Jesus wendet sich mit seinen Worten aus Vers 11 gegen die verbreitete sukzessive Polygamie. Scheidung und Wiederverheiratung (Dtn 24,1ff.) stehen im Widerstreit mit dem siebten Gebot des Dekalogs: „Du sollst nicht ehebrechen!“ Jesus lehnt Ehescheidung kategorisch ab. Es handelt sich allerdings bei dem Streit um das Scheidungsverbot nicht um eine Auflösung der Tora Jesu, sondern um einen innerjüdischen Streit um die bessere Gerechtigkeit. Darum ergreift Jesus in der Ehescheidungsfrage die Partei durch die schroffe Rechtsungleichheit benachteiligten Frauen. Sein kategorisches Nein zur Scheidung bedeutet Evangelium, Gerechtigkeit und Schalom für die Frauen. Es geht ihm nicht um die abstrakte Institution der Ehe, sondern um Gerechtigkeit in konkreten zwischenmenschlichen Verhältnissen. Er sorgt für die bessere Gerechtigkeit, wie sie das 7. Gebot einfordert.
Seinen Diskussionsgegner entgegnet Jesus deshalb zwei Sätze aus der Tora, die nichts mit dem Scheidungsverbot zu tun haben. Gen 1,27b verweist auf die Begründung der beiden Geschlechter Gottes bei der Erschaffung des Menschen. Gen 2,24 beinhaltet den Drang der beiden Geschlechter zueinander. Mk 10,9 bietet die Schlussfolgerung aus den Zitaten und bezieht diese erst auf Ehescheidung.[10]
[...]
[1] Jacobs, Wolfgang/ Spilker-Jacobs, Angelika, Trennung und Scheidung als Thema in der Seelsorge, in: Bollinger, Regina (Hrsg.), Die Umarmung lösen, Grundlagen und Arbeitmaterialien zur Scheidung in Seelsorge und Gottesdienst, Gütersloh 1997, 13-29, hier: 13.
[2] Scharfenberg, Joachim, Vorwort, in: Stollberg Dietrich, Seelsorge praktisch , Göttingen 1970, 8-14, hier, 10.
[3] Kuropka, Nicole, Es bröckelt in der Mitte, geflickt wird an den Rändern, Eine Auseinandersetzung mit der Forderung nach einem Scheidungsgottesdienst, in: Brakelman, Günter u.a., PTh, 84. Jahrgang, Göttingen 1995, 504-516, hier: 514.
[4] Vgl. dazu den sich gegen ein Scheidungsritual aussprechenden Artikel von Braun, Rainer, Brauchen wir ein Scheidungsritual? , in: ThBeitr, 32. Jahrgang, 2001, 57-62 und den Artikel von Nicole Kuropka, Kuropka, Es bröckelt in der Mitte , 511/512.
[5] In dem Artikel von Straub, Constanze, Das Einschmelzen der Ringe, Wie in der Schweiz kirchliche Scheidungsrituale begangen werden, in: Johann, Friedrich, u.a. (Hrsg.), ZZ, Heft 4, Stuttgart 2001, 8-10 wird berichtet wie in der Schweiz kirchliche Scheidungsrituale durchgeführt werden. Straub weist dabei auf die Tatsache hin, dass das Liturgiebuch der „United Church of Christ“ von 1986 bereits ein Scheidungsritual enthält.
[6] Dabei bildet die Untersuchung über die Passageriten von A. van Gennep die Basis. Auch Nicole Kuropka bezieht sich in ihrem Aufsatz auf die Riten. Dabei beschreibt sie die Passageriten folgendermaßen: „Die Passageriten sind Riten, die an den Wendepunkten des Lebens helfen, die Übergänge in den neuen Lebensabschnitt zu bewältigen. (...) Die größte Aufmerksamkeit widmet van Gennep Geburt, Adoleszenz, Heirat und Tod. Er geht in seiner Untersuchung von Etappe des Lebens aus, die sich in allen Gesellschaften wiederfinden. Die dazugehörenden Zeremonien stellen im Rahmen dieser allgemeingültigen Lebensabschnitte eine Möglichkeit dar, den Eintritt in den neuen Lebensabschnitt (über Rituale der Trennung, des Übergangs und der Eingliederung) zu bewältigen und Ausdrucksformen für diesen Übergang zu finden. In diesem Sinne konnten die kirchlichen Kasualien Taufe, Trauung und Beerdigung sinnvoll ausgedeutet werden.“ Kuropka, Es bröckelt in der Mitte , 511/512.
[7] Braun, Scheidungsritual, 60.
[8] Kuropka, Es bröckelt in der Mitte , 514/515.
[9] Laubert, Ralf, Was Gott nun zusammengefügt,..., Biblisch-theologische Erörterung, in: Bollinger, Regina, Die Umarmung lösen , Grundlagen und Arbeitsmaterialien zur Scheidung in Seelsorge und Gottesdienst, Gütersloh 1997, 56-65, hier: 58f.
[10] Ebd., 59ff.
- Citation du texte
- Jessica Weingart (Auteur), 2006, Die besondere Aufgabe der Seelsorge an Geschiedenen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65958
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