Am 29. Dezember 1996 wurde in Guatemala ein Friedensvertrag unterschrieben, der den 36-jährigen Bürgerkrieg offiziell beendete. Die beiden unterzeichnenden Parteien waren die vereinigten Guerillastreitkräfte und die konservative Regierung.
Die folgende Abhandlung beinhaltet eine umfassende Darstellung des Friedensprozesses, wobei die einzelnen Akteure und ihre Rolle beleuchtet werden. Es wird geklärt, ob sich die guatemaltekische Demokratie bereits in einem konsolidierten Stadium befindet und nach welchen Kriterien dies überhaupt messbar ist. Die zentrale Frage wird jedoch sein, ob und wie weit der Friedensschluss zu einer Transformation der guatemaltekischen Gesellschaft beigetragen hat und wie die Mehrheit der Bevölkerung dem neuen Pakt gegenübersteht. Darüber hinaus wird auch auf die besondere Rolle der beiden Wahrheitskommissionen eingegangen, die sich seit Mitte der 90er Jahre mit dem schwierigen Thema der Vergangenheitsaufarbeitung auseinandersetzen.
Inhalt
1 Einleitung
2 Vorbedingungen
3 Der Weg zum Frieden (1986-1996)
3.1 Der Inhalt des Friedensvertrages
3.2 Akteure
3.3 Die Arbeit der Wahrheitskommissionen
4 ¿“Paz Firme y Duradera“?
4.1 Guatemala – eine konsolidierte Demokratie?
4.2 Probleme der Nachkriegsgesellschaft
5 Abschließende Bewertung des Friedensprozesses
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Am 29. Dezember 1996 wurde in Guatemala ein Friedensvertrag mit dem Titel Acuerdo de Paz Firme y Duradera[1] unterschrieben, welcher den 36-jährigen Bürgerkrieg offiziell beendete. Die beiden unterzeichnenden Parteien waren die vereinigten Guerillastreitkräfte URNG (Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca) sowie die rechts-konservative Regierung unter dem demokratisch gewählten Präsidenten Álvaro Arzú.
Doch heute, mehr als sechs Jahre nach dem formellen Ende des Bürgerkrieges, sind viele nationale und internationale Beobachter der Meinung, dass der einst gefeierte Friedensprozess kurz vor dem Aus steht. Viele Punkte des Vertrages wurden nicht oder nur unzureichend umgesetzt und in wirtschaftlicher Hinsicht befindet sich das mittelamerikanische Land in einer schweren Krise. Allgemein kann festgehalten werden, dass sich die sozioökonomische Situation besonders auf dem Land sogar noch schlimmer darstellt als zu Kriegszeiten[2]. So schrieb etwa der SPIEGEL im März 2003, dass das Friedensabkommen von 1996 unter Experten praktisch als gescheitert gilt, da die Streitkräfte nicht wie vorgesehen reduziert und zahlreiche Verbrechen der Militärdiktatur nie aufgeklärt wurden[3]. Doch ist diese Einschätzung tatsächlich zutreffend? Kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Friedensschluss lediglich um ein Abkommen zur Beibehaltung des politischen Status Quo handelte, um tiefgreifende strukturelle Änderungen zu vermeiden?
Im Folgenden soll versucht werden, eine umfassende Darstellung des Friedensprozesses zu geben, wobei die einzelnen Akteure und ihre Rolle beleuchtet werden.
Es wird geklärt, ob sich die guatemaltekische Demokratie bereits in einem konsolidierten Stadium befindet und nach welchen Kriterien dies überhaupt messbar ist. Die zentrale Frage wird jedoch sein, ob und wie weit der Friedensschluss zu einer Transformation der guatemaltekischen Gesellschaft beigetragen hat und wie die Mehrheit der Bevölkerung dem neuen Pakt gegenübersteht. Darüber hinaus wird auch auf die besondere Rolle der beiden Wahrheitskommissionen eingegangen, die sich seit Mitte der 90er Jahre mit dem schwierigen Thema der Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzen.
2 Vorbedingungen
Nachdem 1954 die demokratisch gewählte Regierung von Jacobo Árbenz unter Beteiligung der CIA gestürzt worden war, kam es in der Folge zu einer Vielzahl von Militärregierungen, die entweder aufgrund von Putschen oder mit Hilfe gefälschter Wahlen an die Macht gelangten[4]. Die meisten dieser Regime waren mehr oder minder auf das Wohlwollen der USA angewiesen, die im Kontext des kalten Krieges jegliches Aufkeimen „kommunistischer Subversion“ verhindern wollten. Obwohl Árbenz kein Kommunist war, hatte er mit dem Gedanken einer groß angelegten Landreform gespielt, die auch US-Interessen berührt hätte. Die Tatsache, dass er brachliegende Ländereien des US-Konzerns UFCO (United Fruit Company) verstaatlichen wollte, war für die USA ausreichend genug, einen Putsch herbeizuführen. Nach dem Erfolg der kubanischen Revolution zusätzlich sensibilisiert, war für die Strategen im State Department klar, dass man derartige Entwicklungen, zumal in der eigenen Hemisphäre, in Zukunft um jeden Preis verhindern musste. Die Militärs, die Guatemala von 1954 bis 1985 regierten, waren daher ohne Ausnahme antikommunistisch orientiert und in ihren politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen von den USA abhängig. Der Grad der Repression war von Regime zu Regime unterschiedlich. Phasen relativer Freiheit, mit zugelassener Opposition, Gewerkschaften, Pressefreiheit usw. konnten schnell und unvorhersehbar in Phasen totaler Unterdrückung münden. Im Vordergrund stand dabei stets die Bekämpfung des sogenannten „inneren Feindes“, der Guerilla.
Verschiedene dieser aufständischen Gruppen hatten sich bereits Anfang der 60er Jahre gebildet, um die Regierung gewaltsam zu stürzen bzw. einen Volksaufstand herbeizuführen. Die meisten der Bewegungen scheiterten jedoch rasch und konnten mühelos von den Regierungstruppen aufgerieben werden. Die USA erkannten schnell die Bedrohung und steigerten stetig ihre Militärhilfe. Bis zu dem Punkt, dass Guatemala in den 80er Jahren mehr Militärhilfe als jedes andere zentralamerikanische Land erhielt und somit über die best ausgebildetste und best ausgerüstetste Armee der Region verfügte[5]. Dennoch gelang es der Guerilla mit der Zeit, sich besser zu organisieren und dem Militär zum Teil empfindliche Niederlagen zuzufügen. Die Strategie der Militärs bestand im Gegenzug darin, den Grad der Repression noch zu erhöhen und dadurch dem „Fisch das Wasser zu entziehen“, sprich die ländliche Bevölkerung zu eliminieren, die man für die Basis der Guerilla hielt. Ab 1978 stieg der Grad der Repression derart, dass es kontinuierlich zu Massakern auf dem Land kam, wobei in erster Linie indígenas, die die Mehrheit der Bevölkerung stellen (ca. 60 %[6]), getötet wurden. Vor allem unter den Generälen Romeo Lucas García und Efraín Ríos Montt kam es zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen und einem regelrechten Genozid an der indigenen Landbevölkerung. Ganze Dörfer wurden ausradiert oder umgesiedelt und man wandte die Taktik der “tierra arrasada“ an. Doch die Aufständischen hatten aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und, um in Zukunft koordinierter vorzugehen, vereinigten sich die vier wichtigsten Gruppierungen im Jahre 1982 zur URNG. Im Gegensatz zum Nachbarland El Salvador, wo die Guerilla zeitweise kurz davor stand, den militärischen Sieg zu erringen, stellte die URNG jedoch zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Bedrohung des guatemaltekischen Staatsapparates dar. Anfang der 80er Jahre schien die ca. 2000 Mann starke Gruppe sogar vollständig besiegt zu sein. Ihre Ausgangsposition für eventuelle Friedensverhandlungen mit der Regierung war daher denkbar schlecht.
Trotz der militärischen Unterlegenheit der Guerilla wurden in Guatemala insgesamt mehr Zivilisten ermordet als in jedem anderen zentralamerikanischen Land während der konfliktreichen 70er und 80er Jahre. Schätzungen zufolge fielen zwischen 1960 und 1996 über 200.000 Menschen dem bewaffneten Konflikt zum Opfer. Die meisten waren indígenas. Lediglich drei Prozent der Ermordeten werden dabei der Guerilla angelastet, während alle übrigen auf das Konto der Armee und des staatlichen Geheimdienstes gehen[7].
Als die staatliche Repression unter Ríos Montt ihren Höhepunkt erreicht hatte, konnte nicht einmal mehr von einer „Fassadendemokratie“ die Rede sein. 1982/83 wurde die Verfassung außer Kraft gesetzt, sämtliche Parteien verboten, die Pressezensur eingeführt sowie zahlreiche Notstandsgesetze erlassen. Die Militärregierungen unter Lucas García (1978-82) und Ríos Montt (1982-83) bekämpften den „inneren Feind“ derart massiv, dass selbst die USA sich von Guatemala abwandten[8] und das Land international zunehmend isoliert wurde. Nach einem Militärputsch gegen Ríos Montt wurde das Land zwar weiterhin von Militärs regiert, doch bestand ab 1984 erstmals die Aussicht einer vorsichtigen demokratischen Öffnung.
In diesem Jahr fanden Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung statt, wobei linke Gruppierungen vorerst ausgeschlossen blieben. Mit 16,3% der Stimmen konnten die Christdemokraten einen Sieg erringen und forderten daher die direkte Übernahme der Regierung. Bevor es jedoch 1985 zu einer neuen Verfassung und Wahlen kam, sicherte sich das Militär umfangreiche Sonderrechte und lehnte einen formalen Friedensschluss ab. Der Grund dafür war, dass man die Guerilla für militärisch besiegt hielt und auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei politischen Entscheidungen anstrebte. Wichtige Akteure bei dem Versuch eine vorsichtige “apertura“ herbeizuführen, waren die katholische Kirche und vor allem der Unternehmerverband CACIF (Comité de Asociaciones Agrícolas, Comerciales, Industriales y Financieras). Dieser war nicht mit der Wirtschaftspolitik der Militärs einverstanden und zeigte sich besorgt über die zunehmende internationale Isolierung des Landes. 1985 gelang es den Unternehmern dafür zu sorgen, dass liberale Prinzipien und das Recht auf Eigentum in der Verfassung verankert wurden. Eine Agrarreform wurde dagegen kategorisch ausgeschlossen, da die exportorientierte Agrarproduktion nach wie vor den wichtigsten Wirtschaftszweig Guatemalas darstellt[9].
3 Der Weg zum Frieden (1986-1996)
1985 kam es zu den ersten demokratischen Wahlen seit dem Sturz der Regierung Árbenz. Zahlreiche Parteien wurden neu gegründet und auch die Rolle des Militärs wurde neu definiert. Die Kämpfe zwischen Guerilla und Armee gingen jedoch zunächst weiter und die Menschenrechtslage blieb im Allgemeinen angespannt. Zusätzlich wurde das Land von einer schweren wirtschaftlichen Krise getroffen, wodurch sich die soziale Situation auf dem Land noch beträchtlich verschlimmerte. Unter dem christdemokratischen Präsidenten Vinicio Cerezo wurde ab 1986 versucht, einen Verhandlungsfrieden mit der Guerilla zu erreichen, wobei jedoch alle Parteien die realen Machtverhältnisse im Lande anerkennen mussten. Das Militär behielt sich weiterhin das Recht vor, für die innere Ordnung zu sorgen und zahlreiche Putschversuche steigerten die Abhängigkeit des Präsidenten vom sogenannten „verfassungstreuen“ Flügel der Armee[10]. Zivile Selbstverteidigungsgruppen, die PAC (Patrullas de Autodefensa Civil), wurden legalisiert und weiter ausgebaut. Bei diesen Gruppen handelte es sich zumeist um indígenas, die mit leichten Waffen ausgestattet unter der Führung eines Militärs zum Zwangsdienst gegen die Guerilla herangezogen wurden. Den PAC werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, insbesondere Massaker an der Zivilbevölkerung, vorgeworfen[11].
1987 wurde auch auf Druck der internationalen Gemeinschaft der Vertrag von Esquipulas unterzeichnet, der die Basis für die Eröffnung der Friedens-verhandlungen darstellte. Mehrere Putschversuche sowie die Weigerung des Militärs an den Friedensverhandlungen teilzunehmen sorgten jedoch für ein vorzeitiges Ende des Friedensprozesses. Nachdem die Guerilla die Kämpfe wieder intensiviert hatte und das Land sich auf eine schwere Wirtschaftskrise zu bewegte, hatte die Regierung Cerezo die Unterstützung des CACIF und der Militärs verloren. Eine neue Welle politisch motivierter Gewalt in der Hauptstadt und auf dem Lande sorgte dafür, dass auch die Mehrheit der Bevölkerung der Regierung einen Verhandlungsfrieden nicht mehr zutraute[12].
Im Jahre 1990 wurde Jorge Serrano Elías zum Präsidenten gewählt und der Friedensprozess ging in eine neue Runde. Aufgrund starken internationalen Druckes von Seiten der UNO wurden zahlreiche Abkommen unterzeichnet, die jedoch zunächst keine Änderung der Situation bewirkten. Das Ende des Ost-West Konfliktes sowie neue militärische Erfolge der Guerilla brachten das Militär allerdings dazu, seine Rolle und seine ideologische Ausrichtung zu überdenken. Schon lange hatten sich innerhalb des Militärs zwei Flügel herauskristallisiert, von denen der eine “sindicato“ (verfassungstreu) und der andere “cofradía“ (Hardliner) genannt wurde.
Der eigentliche Beginn der Friedensverhandlungen kam dann im Jahre 1994 zustande. Unter dem Präsidenten Ramiro de León Carpio, dem ehemaligen UN-Menschenrechtsbeauftragten für Guatemala[13], wurden zahlreiche Abkommen unterschrieben, die alle in den definitiven Friedensvertrag von 1996 aufgenommen wurden. Neu entstandene Bürgerbewegungen formierten sich in der ASC (Asamblea de la Sociedad Civil), beim Militär setzte sich endgültig der „verfassungstreue“ Flügel durch und die URNG wandelte sich zur politischen Partei.
Unter dem Nachfolger León Carpios, dem konservativen Demokraten Álvaro Arzú, konnte am 29. Dezember 1996 ein Friedensvertrag unterzeichnet werden, der sämtliche Abkommen seit 1994 für rechtsgültig erklärte und somit den Bürgerkrieg formell beendete.
[...]
[1] United Nations (1994-96).
[2] Vgl. UNDP (1999).
[3] Vgl. DER SPIEGEL vom 10. 03. 2003.
[4] Im Folgenden stütze ich mich auf Le Bot (1997), S. 39-230.
[5] Vgl. Sanahuja (1998), S. 180-186.
[6] Die Angaben zum Anteil der indigenen Bevölkerung unterliegen starken Schwankungen. Die guatemaltekische Regierung geht beispielsweise davon aus, dass die Zahl der indígenas bei unter 40% liegt, während andere Quellen von über 70% sprechen. Vgl. hierzu Le Bot (1997), S. 29 f.
[7] Siehe CEH (1999), S. 85.
[8] Dies gilt für die Carter-Administration (1977-81), die aufgrund der gravierenden Menschenrechtsverletzungen ab 1977 ihre Militärhilfe an Guatemala einstellte. Unter der Reagan-Administration (1981-89) wurde dieser Schritt jedoch wieder rückgängig gemacht.
[9] Mehreren Studien zufolge weist Guatemala den schärfsten Kontrast zwischen Landkonzentration auf der einen und extremer Landzersplitterung auf der anderen Seite in ganz Lateinamerika auf. Zur Agrarexportproduktion und zur Landverteilung siehe Bendel (1995), S. 129-132.
[10] Vgl. Molkentin (2002), S. 192 ff.
[11] Vgl. ODHAG (1998), S. 9-19.
[12] Siehe Molkentin (2002), S. 200.
[13] Der Menschenrechtsbeauftragte (Procurador de los Derechos Humanos) wird gemäß der Verfassung von 1985 für eine Dauer von fünf Jahren vom Parlament gewählt.
- Citation du texte
- Sven Schuster (Auteur), 2003, Guatemala: der gescheiterte Frieden? Überlegungen zur gesellschaftlichen und politischen Entwicklung nach 1996, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65770
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