Hartz IV 4 you ist eine kleine Geschichte, die zeigt, wie "benachteiligte" Jugendliche ihre Zukunft sehen.
Entstanden ist dieses Essay nach einer Wochenendefreizeit mit 10 männlichen Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren.
Wohl wissend, dass diese Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen haben, hat mir diese Freizeit gezeigt, warum viele der Jugendlichen resignieren, warum es teilweise so schwer ist, sie zu motivieren. Sie sehen eine Perspektive für sich, die keine ist.
Aber lesen Sie selbst.
Es ist eine kurze Geschichte.
Und urteilen Sie selbst.
Bitte denken Sie daran, dass auch diese Menschen, Teile der Gesellschaft sind.
Hartz IV 4 you
Total aufgekratzt stehen acht männliche Jugendliche am vereinbarten Treffpunkt. Viel zu früh eigentlich, war doch erst 10.00 Uhr als Treffen angesagt.
Beladen mit Schlafsack, Bettzeug und dem, was man so braucht, wenn es sich um einen Ausflug handelt, warten die 15- bis 16-jährigen geduldig im Regen auf die Betreuerinnen.
Unruhe macht sich breit unter der bunt gemischten Truppe. Ein Ausflug in ein Pfadfinderhaus, das kennt keiner von ihnen und überhaupt: Ausflüge? Mal raus aus dem Ghetto? Ein ganz neue Erfahrung für fast alle. Okay. Klassenfahrt haben alle schon mal erlebt, aber das jetzt, so ganz ohne Lehrer und Schule, das ist doch etwas anderes.
„Sie kommen!“ hört Anna schon von weitem.
„Aber wo ist Nicole?“, kommt die unsichere Frage aus der Gruppe.
„Auch da!“ ruft ein anderer. „Endlich !“ ist die letzte Bemerkung, die Anna von weitem vernimmt bevor sie die Gruppe erreicht.
„Gute Morge“, sagt Karim in gebrochenem Deutsch und begrüßt die Betreuerinnen mit Handschlag. Die anderen Jugendlichen folgen seinem Beispiel. „Hallo Turgay“. Anna und Nicole erwidern den Gruß eines Jugendlichen. Die Begrüßung per Handschlag, ein gutes Ritual, welches den Jugendlichen immer wieder zeigt, ihr seid uns wichtig.
Tausend Fragen auf einmal. Aufgeregtheit und Unsicherheit sind zu spüren, aber es prasseln Fragen über Fragen, von den Jugendlichen die zu 75% einen Migrationshintergrund haben, auf die Betreuerinnen ein. Auch ungewohnt die Situation, mit zwei weiblichen Betreuerinnen in eine Kurzfreizeit zu fahren; haben Frauen doch hier einen Stellenwert, den wir nicht haben werden. Wir sind nicht da zum Kochen, wir sind nicht da zum Putzen. Wir sind eine Gruppe und wir machen alles zusammen.
„Habt ihr alle eure Schlafsäcke dabei?“, fragt Nicole, denn sie weiß ‚ohne wird es kalt’. Keiner der Jugendlichen weiß wirklich, was ihn erwartet. Ein Dachboden mit Isomatten, keine Dusche, keine Heizung, aber ein Kamin, mit dem der kleine Ess-/Wohnraum und der Dachboden beheizt werden können. 3,50 Euro pro Mensch und pro Übernachtung. Mehr ist nicht drin. Aber es hat schon was und, für eine Übernachtung braucht man auch nicht unbedingt eine Dusche. Wer dennoch auf die Dusche nicht verzichten möchte, einen Schlauch, angeschlossen an eine Kaltwasserleitung außerhalb des Hauses, gibt es auch.
„Ich fahre mit Anna“, sagt einer der Jungs. „Ich auch“, kommt von einem anderen. Dann wird die Entscheidung umgeschmissen und man will doch mit Nicole fahren. Dies geht noch ein 5 Minuten hin und her, bis jeder sich entschieden hat, in welchem Fahrzeug er seinen Platz finden wird. Anna und Nicole können sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Es ist ja keine Weltreise, sondern eine Fahrt von 30 Minuten Dauer. Für die Jungs dagegen handelt es sich um ein enorm wichtiges Ereignis.
Die Fahrt geht los und ist kurz darauf schon wieder beendet. Die Jugendlichen, von Neugier getrieben, stürmen das Haus.
„Wo schlafen wir?“ kommt prompt die erste Frage, als alle 10 Personen in dem schon jetzt engen Ess- und Wohnbereich stehen.
„Na, alle auf dem Dachboden“, ruft Nicole, und deutet auf eine steile Holzstiege, die keinerlei Ähnlichkeit mehr mit einer Treppe hat, sondern wie eine überdimensionale Leiter aussieht, die ganz gerade aufgestellt an der Wand befestigt ist. „Ihr könnt eure Sachen hochbringen und die Isomatten verteilen“, fügt sie hinzu.
Es dauert einen Moment, bis die Jungs diesen Schreck überwunden haben und verunsichert nach oben klettern. Dann geht alles ganz schnell. Die Schlafsäcke und persönlichen Dinge werden nach oben geschafft. Luka und Martin bauen sich in dem abgetrennten Teil, der zwei Leuten Platz bietet und eigentlich den Betreuerinnen vorbehalten war, ein Nest. Anna und Nicole beschließen, unten vor dem Kamin zu schlafen, wie sie es auf fast jeder Freizeit tun, mit dem Wissen, dass andere Teilnehmer es ihnen gleichtun werden. Kurz darauf stehen alle Acht wieder unten.
Großkotzig, laut, manchmal pöbelnd, so kennt man sie, die Jugendlichen mit der großen Klappe. Bei solchen Gruppen wechselt man gerne auf die andere Straßenseite, wenn man ihnen im Alltag begegnet; kann mit der lauten Art und ihrer Darstellung nicht umgehen. Hier stehen sie jetzt – verunsichert und handzahm. Nichts ist mehr erkennbar von ihrem „ungehobelten“ Verhalten.
Demian fragt ganz lieb: „Können wir rausgehen?“
„Was für eine Frage! Natürlich könnt ihr rausgehen. Schaut euch um!“ schickt Nicole die Kids auf den Weg.
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- Ulrike-Anna Kindler (Autor), 2006, Hartz IV 4 you, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65594