Der Libanon ist im Jahr 2006, trotz dem Ende der Kriegsaktivitäten zwischen Israel und der
Hisbollah durch den UN-Waffenstillstand, von einer Lösung seiner inneren und äußeren Konflikte
weit entfernt. Im Gegenteil, der Vielvölkerstaat zwischen Syrien und Israel, der noch zu Anfang
des letzten Jahrhunderts als „Schweiz des Nahen Ostens“ bezeichnet wurde, ist gegenwärtig
Schauplatz verschiedenster Interessenkonflikte, im Innern wie in seinen Aussenbeziehungen. Die
Regierung hat kaum noch die Kontrolle über die in einigen Landesteilen fast autonom agierende
Hisbollah unter Hassan Nasrallah. Und sie musste andererseits machtlos zusehen, wie Syrien und
Israel die Staatsgrenzen nach Belieben verletzen. Dabei hat der Libanon, im Gegensatz zu anderen
Vielvölkerstaaten, vor und nach dem Bürgerkrieg bewiesen, dass er durchaus imstande ist autonom
und friedlich zu existieren. Denn bei näherem Hinsehen stellt sich erst heraus, dass die Spannungen
innerhalb und außerhalb des Landes zu großen Teilen externe Auslöser haben.
Der Krieg vom Juli und August 2006 ist ein ideales
Beispiel, um ein grundlegendes Verständnis für den Nahostkonflikt zu schaffen, dessen Lösung
eine der großen Aufgaben dieses Jahrhunderts sein wird. Gleichzeitig ist die Zahl der Akteure im
Libanonkrieg im Vergleich zum gesamten Nahostkonflikt gering und damit übersichtlich genug, um
einen verständlichen Einstieg in das Thema zu bieten.
Im Folgenden wird anhand einer chronologischen Aufarbeitung des Libanonkriegs zwischen Israel
und der Hisbollah in den Konflikt eingeführt. Allein bei der Betrachtung des direkten
Kriegsauslösers werden nicht nur die Akteure des Konflikts vorgestellt, sondern es wird sich
gleichzeitig zeigen, in welchen großräumigen Zusammenhängen die Vorgänge stehen. Erst im
Anschluss der Kriegsbilanz werden die Akteure näher analysiert. Dabei werden die wesentlichen
Beweggründe der Gruppen im Libanon; der Hisbollah, der Regierung und der politisch-religiösen
Gruppen genauso erwähnt wie die äußeren Akteure: Israel, Syrien und der Libanon im engeren
Sinn, der politische Westen und die arabische Welt im weiteren Sinn. Ein Ausblick auf mögliche
künftige Entwicklungen und die Suche nach einer Lösung wird am Ende die Ausarbeitung
abschließen.
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Libanon: Daten und Fakten
2 Chronologie des Libanonkriegs 2006
2.1 Grenzüberschreitungen: Die Geiselnahme vom 12. Juli
2.2 „Just reward“: Israels Antwort auf die Hisbollah-Provokation
2.3 Zwischenfälle
2.4 Machtlos im eigenen Land: Libanons Regierung bleibt Zuschauer
2.5 Bilanz: Opfer und wirtschaftliche Kriegsfolgen
2.6 Internationale Intervention: Waffenstillstand nach UN-Resolution 1701
2.7 Letzter Stand: Die Krise nach dem Gemayel-Attentat
3 Hintergründe: Der Libanon im Brennpunkt von Washington, Teheran und Damaskus
3.1 Vielvölkerstaat: Wer ist die größte Macht im Land?
3.2 Hisbollah: Zwischen sozialer Fürsorge und Guerillakrieg unter der Schia
3.3 Am Gängelband? Iranische Verflechtungen zur Hisbollah
3.4 Syriens Vorposten: Wie Damaskus den Konflikt nach Beirut bringt
4 Ausblick: Wie kann der Vielvölker-Libanon funktionieren?
5 Quellen und Literatur
5.1 Literatur
5.2 Internetresourcen
1 Einleitung
Der Libanon ist im Jahr 2006, trotz dem Ende der Kriegsaktivitäten zwischen Israel und der Hisbollah durch den UN-Waffenstillstand, von einer Lösung seiner inneren und äußeren Konflikte weit entfernt. Im Gegenteil, der Vielvölkerstaat zwischen Syrien und Israel, der noch zu Anfang des letzten Jahrhunderts als „Schweiz des Nahen Ostens“ bezeichnet wurde, ist gegenwärtig Schauplatz verschiedenster Interessenkonflikte, im Innern wie in seinen Aussenbeziehungen. Die Regierung hat kaum noch die Kontrolle über die in einigen Landesteilen fast autonom agierende Hisbollah unter Hassan Nasrallah. Und sie musste andererseits machtlos zusehen, wie Syrien und Israel die Staatsgrenzen nach Belieben verletzen. Dabei hat der Libanon, im Gegensatz zu anderen Vielvölkerstaaten, vor und nach dem Bürgerkrieg bewiesen, dass er durchaus imstande ist autonom und friedlich zu existieren. Denn bei näherem Hinsehen stellt sich erst heraus, dass die Spannungen innerhalb und außerhalb des Landes zu großen Teilen externe Auslöser haben.
Ziel dieser Referatsausarbeitung ist nicht, all die komplexen Zusammenhänge der libanesischen Konfliktherde abzubilden - dies kann allenfalls in einer Monographie und selbst dort nicht erschöpfend erreicht werden. Dennoch nimmt diese Arbeit die aktuellen Entwicklungen während und nach dem Libanonkrieg 2006 zum Anlass, einen Einblick in die Hintergründe, Akteure und Interessen des Libanonkonflikts zu geben. Der Krieg vom Juli und August 2006 ist ein ideales Beispiel, um ein grundlegendes Verständnis für den Nahostkonflikt zu schaffen, dessen Lösung eine der großen Aufgaben dieses Jahrhunderts sein wird. Gleichzeitig ist die Zahl der Akteure im Libanonkrieg im Vergleich zum gesamten Nahostkonflikt gering und damit übersichtlich genug, um einen verständlichen Einstieg in das Thema zu bieten.
Im Folgenden wird anhand einer chronologischen Aufarbeitung des Libanonkriegs zwischen Israel und der Hisbollah in den Konflikt eingeführt. Allein bei der Betrachtung des direkten Kriegsauslösers werden nicht nur die Akteure des Konflikts vorgestellt, sondern es wird sich gleichzeitig zeigen, in welchen großräumigen Zusammenhängen die Vorgänge stehen. Erst im Anschluss der Kriegsbilanz werden die Akteure näher analysiert. Dabei werden die wesentlichen Beweggründe der Gruppen im Libanon; der Hisbollah, der Regierung und der politisch-religiösen Gruppen genauso erwähnt wie die äußeren Akteure: Israel, Syrien und der Libanon im engeren Sinn, der politische Westen und die arabische Welt im weiteren Sinn. Ein Ausblick auf mögliche künftige Entwicklungen und die Suche nach einer Lösung wird am Ende die Ausarbeitung abschließen.
Diese Arbeit ist, da es zu aktuellen Ereignissen nahezu kein akademisch aufgearbeitetes Material gibt, bei der Analyse auf aktuelle Presseberichte angewiesen. Um einen ausgewogenen Eindruck zu gewinnen, werden die verschiedensten Titel verwendet, darunter die die Sueddeutsche Zeitung1, die im aktuellen Konflikt eine weitgehend neutrale Haltung eingenommen hatte2. Bei zweifelhaften Angaben und Vorgängen werden, wann immer möglich, verschiedene Quellen hinzugezogen oder in Fußnoten ein Hinweis zur Vertrauenswürdigkeit der Quelle gegeben. Zur weiteren Analyse der Hintergründe dienen außerdem die neuesten Veröffentlichungen zum Thema Nahostkonflikt, beispielsweise die aktuelle Monographie „The Great War for Civilisation3 “ von Robert Fisk, Beirut- Korrespondent der englischen Tageszeitunge „The Independent“ und langjähriger Wahllibanese.
Die deutsche Ausgabe der Wikipedia hat zu diesem Thema außergewöhnlich ausführliche und fundierte Informationen. Falls Angaben in dieser Arbeit auf diesen Artikeln basieren, wurden ausnahmslos nur Informationen mit angegebenen Quellen verwertet und diese Quellen im Original geprüft.
1.1 Libanon: Daten und Fakten
Die Republik Libanon, bis zur Unabhängigkeit 1943 französisches Mandatsgebiet, gehört geographisch zum Nahen Osten und liegt direkt an der Mittelmeerküste. Das Land mit der Hautpstadt Beirut grenzt im Westen an Israel, teilt aber mit Syrien die wesentlich längere Grenze von 379 Kilometer im Osten und Süden des Landes. Der Libanon ist nur 10400 Quadratkilometer groß, rund ein Viertel der Fläche der Schweiz. Klimatisch ist das Land äußerst vielfältig - angefangen vom typischen mediteranen Winterregenklima über strenges Gebirgsklima mit Schneefällen im Libanongebirge bis hin zu den ariden und semi- ariden Gebieten an der südlichen Grenze zu Syrien und dem Anti-Libanongebirge.
Das Land verfügt über wenig Bodenschätze, darunter
Libanon: Karte Kalkgesteine und geringe Eisenerzvorkommen. Im http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/85/ Libanon.png Vergleich zu umliegenden Staaten ist der Libanon relativ wassereich. Langfristig könnte dies weiteres Konfliktpotential bieten.4 Der Libanon verfügt Verläßliche Zahlen zur Bevölkerung des Libanon sind nicht vorhanden, da die letzte Volkszählung im Jahr 1932 durchgeführt wurde. Schätzungen gehen von 3,3 Millionen5 bis rund 4,5 Mio.6 Einwohnern aus, vor allem die Zahl der palästinensischen und kurdischen Flüchtlinge im Land ist kaum bekannt. Details zu relevanten Bevölkerungsgruppen des Vielvölkerstaats folgen im Hauptteil dieser Arbeit. Im Human Development Index belegt der Libanon, trotz seines Bruttoinlandsprodukts von 22,78 Mio. USD (6000 USD pro Kopf) Platz 78. Grund dafür sind im Wesentlichen soziale Nachteile marginalisierter Bevölkerungsgruppen. Die Hauptstadt Beirut kann dagegen mit westlichen Standards verglichen werden.
2 Chronologie des Libanonkriegs 2006
Dieser Abschnitt wird im Folgenden streng chronologisch den Krisenverlauf im Juli und August 2006, wesentliche politische und wirtschaftliche Folgen und besondere Vorfälle behandeln. Ausgehend von direkten Kriegsauslöser, der Geiselnahme israelischer Soldaten vom 12. Juli, wird die Entwicklung bis zum Waffenstillstand durch die UN-Resolution 1701 abgebildet. Nicht immer wird auf Anhieb zu erkennen sein, welche Hintergründe die einzelnen Aktionen und Ereignisse haben. Doch die Antworten darauf sind zu komplex um zusammen mit der Chronologie aufgezeigt zu werden. Das dritten Kapitel wird sich diesen Hintergründen ausführlich widmen.
2.1 Grenzüberschreitungen: Die Geiselnahme vom 12. Juli
Am 12. Juli 2006 entführen Milizen der libanesischen, islamistischen Hisbollah-Bewegung zwei Soldaten der israelischen Armee (IDF), die auf einem israelischen Grenzposten in der Nähe der Stadt Zar'it stationiert waren. Nach israelischen Angaben, die derzeit als wahrscheinlichste Variante gelten, griffen die Hisbollah-Kämpfer den Grenzposten an, wobei drei israelische Soldaten getötet und zwei weitere gefangengenommen wurden. Demnach fand der kriegsauslösende Übergriff auf israelischem Gebiet statt. Eine zur Legitimation eines Krieges durchaus relevante Frage. In Folge der Aktion überquerte ein IDF-Panzer die Grenze zum Libanon um die Angreifer zu verfolgen. Das Fahrzeug wurde dort beim Überfahren einer Mine vollständig zerstört, die vier Insassen starben. Unklar ist bis heute, ob es auch Opfer unter den Angreifern der Hisbollah gab.
Die Verfolgung der Angreifer sorgte vor allem kurz nach dem Ereignis für Verwirrung in den Medien: So hieß es in einer weiteren Version, die israelischen Soldaten seien bei der Infiltration eines libanesischen Dorfes gefangengenommen worden7. Diese Angaben wurden vor allem von der Hisbollah nahestehenden Medien auch später weiter verbreitet, treffen aber offenbar nicht zu.
Nach Angaben der Hisbollah war das direkte Ziel der Aktion, einen Gefangenenaustausch mit von Israel festgehaltenen Milizionären zu erreichen. Einige Berichte legen außerdem die Vermutung nahe, dass auch eine Entlastung der am selben Tag im Gaza-Streifen unter Beschuss liegenden Hamas, die der Hisbollah ideologisch nahesteht, eine Rolle gespielt haben könnte. Die IDF flog bereits seit Tagen Angriffe gegen Stellungen der Palästinenserorganisation in Gaza. Der Hisbollah-Übergriff könnte auch ein Versuch gewesen sein, die Lage dort zu entspannen und Israel von zwei Fronten zu schwächen.
2.2 „ Just reward “ : Israels Antwort auf die Hisbollah-Provokation
Noch am 12. Juli startet die israelische Armee eine großangelegte Offensive als Antwort auf die Hisbollah-Aktion im Libanon. Straßen, Brücken und Hisbollah-Stellungen werden von den IDF bombardiert, angeblich zunächst um eine Verschleppung der entführten Soldaten ins Landesinnere zu verhindern. Israels Regierungchef Ehud Olmert weiß um die Unterstützung der israelischen Bevölkerung, die sich von den Raketenstellungen der Hisbollah im Südlibanon bedroht fühlt und schon im Vorfeld des Krieges regelmäßig Angriffen ausgesetzt war. Die Offensive, von der IDF mit „just reward“ („gerechte Vergeltung“) bezeichnet, zielt aber nicht nur auf die Infrastruktur der Hisbollah. Auch zivile libanesische Ziele werden nach der Kriegserklärung Israels an die Hisbollah vom 13 Juli angegriffen. Darunter der Flughafen von Beirut, und die Autobahn Beirut-Damskus - Symbol der starken Einflussnahme Syriens im Libanon.
Die Operation „just reward“ setzt nach Ansicht Israels auch die libanesische Regierung unter Druck. Sie soll gegen die Hisbollah, die nahezu unbehelligt den Süden des Landes unter Kontrolle hat, vorgehen. Israel fordert vom Libanon ein konsequentes Vorgehen gegen die Hisbollah. Olmert fordert die Entwaffnung der Milizen und will gleichzeitig den Rückhalt, den die Hisbollah vor allem in den schiitischen Bevölkerungsteilen genießt, schwächen.
Der Einsatz der israelischen Luftwaffe zeigt gegenüber den Guerillataktiken der Hisbollah bald deutliche Schwächen. Da sich die Hisbollah, die während der israelischen Angriffe kontinuierlich Kurz- und Mittelstreckenraketen nach Israel abfeuert, dieser Kampfmethode bedient, ist ein Angriff auf ihre Stellungen nicht immer unproblematisch: In Wohngebieten drohen auch zivile Opfer. Daher entschließt sich die israelische Armee "Just reward": Israelische Angriffsziele bis zum 13. August. http://maps.samidoun.org (13.8.2006) bereits früh ihre Aktivitäten auszuweiten. Ab dem 14. Juli beginnt die israelische Luft- und Seeblockade des Libanon, die vor allem den Waffennachschub der Hisbollah unterbinden soll. Ab dem 19. Juli setzt die IDF im Südlibanon auch Bodentruppen ein8, die besser gegen die Hisbollah vorgehen können. Im Süden des Landes und in Beirut bleibt die IDF bei Luftangriffen und dem Einsatz der Marine, die die libanesische Hauptstadt von See aus beschießt.
Israel kündigt nach internationaler Kritik am Vorgehen im Libanon an, die Angriffe im Libanon solange fortzusetzten, bis die Hisbollah ihre Kämpfer aus dem Grenzgebiet zwischen dem Fluss Litani und der „blauen Linie“ - dem Grenzverlauf zwischen Israel und dem Libanon nach der UN- Resolution 425 von 1978 - abzieht. Hisbollah-Raketen, vermutlich aus iranischen Beständen, erreichen zu dieser Zeit bereits die israelische Stadt Haifa, rund 50 Kilometer hinter der blauen Linie.
[...]
1 Sueddeutsche Zeitung. Sueddeutscher Verlag (Hrsg.):
2 Zur politischen Ausrichtung und Bewertung deutscher Tagespresse im Libanonkonflikt bietet dieser Zeit-Artikel einen guten Überblick: http://www.zeit.de/online/2006/31/Libanon-Medienanalyse
3 Fisk, Robert: The great war for civilisation. The conquest of the middle east. New York / London 2005.
4 CIA - the world factbook. https://www.cia.gov/cia/publications/factbook/geos/le.html (30.11.2006) nicht über Ölvorkommen, dennoch tragen einige Ölterminals zur Wirtschaft des Landes bei. Bedeutende Wirtschaftssektoren sind Banken, Landwirtschaft für den Export (darunter Zitrusfrüchte) und chemische Industrie (v.a. Zement).
5 Ebd.
6 http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Libanon.html (5.12.2006)
7 http://www.antiwar.com/blog/2006/07/29/kidnapped-in-lebanon-i-think-not/ (1.12.2006)
8 http://de.wikipedia.org/wiki/Libanonkrieg_2006/Zeitleiste (1.12.2006)
- Arbeit zitieren
- Hagen Schönherr (Autor:in), 2006, Krieg im Libanon - der Libanonkonflikt 2006 als Teil eines übergeordneten Nahostkonflikts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65588
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.