Abstract
Der Text behandelt eine metalinguistische Debatte, „die [im Grunde bereits /MH] seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Geschichte der Linguistik durchzogen hat“ (Jäger 1993a: 77), die „Jäger-Bierwisch-Grewendorf-Debatte“. Der Disput wird zwischen Funktionalisten und Strukturalisten (Mead vs. Chomsky) geführt. Er geht der Frage nach dem Untersuchungsgegenstand der Linguistik nach. In einem ersten Teil soll die Debatte zwischen Ludwig Jäger – er tritt auf als vehementer Verteidiger von funktionsorientierten Theorien – auf der einen sowie Manfred Bierwisch und Günther Grewendorf – zwei generativen Grammatikern – auf der anderen Seite vorgestellt werden. In einem zweiten Teil wird zu beiden Positionen kritisch Stellung genommen, wobei mittels prak¬tischer Beispiele versucht wird, die Leistungsfähigkeit und die Art und Weise der beiden Herange¬hensweisen an das Phänomen Sprache deutlich zu machen. Am Ende wird versucht eine Synthese zu formulieren.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Jäger-Bierwisch-Grewendorf-Debatte
2.1. Zur Einführung: Struktur vs. Funktion?
2.2. Was immer Sprachwissenschaft auch sein mag. Die Position Ludwig Jägers
2.2.1. Ludwig Jägers Kritik
2.2.2. Ludwig Jägers Plädoyer
2.2.3. Anmerkungen zu Ludwig Jäger
2.3. Die strukturalistischen Antworten
2.3.1. Manfred Bierwisch: Lud wig Jägers Kampf mit den Windmühlen
2.3.2. Günther Gre wendorfs Antwort
2.3.3. Zur „Lu xussuite des Kognitivismus“
2.4. Jäger reloaded: Chomsk y’s problem. Anmerkungen zu den Strukturalisten
3. Funktion und Struktur
3.1. Theoretische Überlegungen
3.2. Beispiele
4. Schlusswort
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Der herkömmliche Sprachbegriff beinhaltet allzu heterogene Phänomene, als dass er den Objektbereich einer wissenschaftlichen Disziplin konstituieren könnte“ (Lüdtke 1985: 105). Diese Aussage mutet etwas befremd- lich an, denn sie scheint eine wissenschaftliche Disziplin als Ganzes - oder zumindest deren Gegenstandsbe- reich - in Frage zu stellen: die Linguistik. Das Wort „Linguistik“ heisst, aus dem Lateinischen und Griechi- schen übersetzt, etwa: die (erlernte) Fertigkeit mit Sprache umzugehen (linguistike techne). Was aber beinhal- tet der Begriff Sprache? Folgen wir der Einteilung Saussures (1967), wonach die Sprache in Langue (das Sprachsystem - aber auch hier ergeben sich bereits Unstimmigkeiten1 ) und in Parole („alles Regelhafte und Soziale in einer Einzelsprache“ [vgl. Ágel 1997: 67]) einzuteilen ist, oder betrachten wir Sprache im Wittgen- steinschen Sinne, wonach sich die Bedeutung eines Wortes aus ihrem Gebrauch bestimmt? Folgt man Saus- sures Einteilung, lässt sich die linguistische Fachwelt in zwei Lager aufteilen, die Semiotiker und die Semiolo- gen, oder - in Anlehnung an Ágel (1997) - die Strukturalisten und die Funktionalisten. Anhand einiger Beispiele soll versucht werden, diese unterschiedlichen Herangehensweisen an das Phänomen Sprache zu verdeutli- chen.
(1) Es ist sehr kalt hier.
Diese Äusserung kann man auf verschiedene Art und Weise analysieren:
- Man kann sie als einen indirekten Sprechakt ansehen und sich somit als Pragmatiker betätigen. Die Frage wäre hier: Was ist die kommunikative Funktion dieser Aussage?
- Eine rein grammatische (strukturelle) Analyse ist durchaus möglich. Die einzelnen Wörter lassen sich problemlos den jeweiligen Wortarten (z.B. nach Glinz) zuordnen, ebenso die Satzglieder.
- Ein Vertreter der generativen Grammatik würde sich fragen, was jemand im Kopf haben muss, um einen solchen Satz äussern zu können. Kompetenz forschung ist hier das Stichwort.
Ein weiteres Beispiel: Worin liegt der Unterschied zwischen den folgenden Sätzen:
(2) Der Mann kauft das Haus.
(3) Das Haus wird vom Mann gekauft.
- Aus pragmatischer Sicht lässt sich hier ein Unterschied in der Perspektive ausmachen.
- Rein formal-syntaktisch betrachtet liegt im zweiten Satz die Passivalternative des ersten vor, mehr nicht.
- Semantisch gesehen wird mit beiden Sätzen der gleiche Vorgang beschrieben, nämlich der Kauf eines Hauses.
So schlimm, wie man nach dem Zitat Lüdtkes meinen könnte, steht es um die Linguistik als wis- senschaftliche Disziplin doch nicht - sowieso wird sie als Disziplin nach wie vor betrieben. Dennoch gibt es eine metawissenschaftliche Debatte um das Erkenntnisobjekt der Sprach wissenschaft, „die seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Geschichte der Linguistik durchzogen hat“ (Jäger 1993a: 77). Um ein jüngeres Kapitel dieser Debatte wird es in der vorliegenden Arbeit gehen: um die Jäger-Bierwisch-Grewendorf-Debatte.
In einem ersten Teil wollen wir die Debatte zwischen Ludwig Jäger - er tritt auf als vehementer Verteidiger von funktionsorientierten Theorien - auf der einen sowie Manfred Bierwisch und Günther Grewendorf - zwei generativen Grammatikern - auf der anderen Seite vorstellen.
In einem zweiten Teil nehmen wir zu beiden Positionen kritisch Stellung, wobei wir mittels praktischer Beispiele versuchen, die Leistungsfähigkeit und die Art und Weise der beiden Herangehensweisen an das Phänomen Sprache deutlich zu machen.
Zur Einführung werden wir nun einige weitere einführende Beispiele geben, die den Unterschied zwischen struktureller und funktionaler Betrachtungsweise oder eben den Unterschied zwischen den zwei konkurrierenden Paradigmen deutlich machen sollen.
2. Die Jäger-Bierwisch-Grewendorf-Debatte
2.1. Zur Einführung: Struktur vs. Funktion?
Die Semiotik wird bekannterweise in die drei Teilgebiete Syntax, Semantik und Pragmatik eingeteilt. Insbesondere die Pragmatik, aber auch bis zu einem gewissen Teil die Semantik untersuchen die Funktion einer natürlichsprachlichen Äusserung. Die Syntax untersucht oder hat als Ziel die Korrektheit grammatischer Strukturen. Das Feld scheint klar abgesteckt. Allerdings kommt man schnell einmal an die Grenzen einer klaren Gebietsdefinition, wie unser erstes Beispiel zeigt.
(4) Peter begiesst die Blumen.
(5) Die Blumen werden von Peter begossen.
Syntaktisch unterscheiden sich die Sätze (1) und (2). Der zweite Satz ist die Passivversion des ersten. Das lässt sich klar bestimmen und die Regeln lassen sich in jeder Schülergrammatik nachschlagen. Wo liegt nun der Unterschied zwischen den beiden Sätzen auf der pragmatischen und der semantischen Ebene? Oder anders gefragt: Welche kommunikative Funktion hat die Wahl einer Passivkonstruktion im Gegensatz zur aktiven? Mit solchen Fragen beschäftigt sich ein dem funktionalistischen Paradigma zugehöriger Linguist. In seinem Buch „Deutsche Syntax funktional“ weist Welke (2002: 6f.) darauf hin, dass es verschiedene Arten von „grammatisch relevanten Relationen“ gibt. Er unterschiedet deren vier. In dieser Arbeit sind vor allem die Punkte 2. und 4. von Bedeutung, die anderen seien der Vollständigkeit halber hier trotzdem aufgeführt.
1. Nur formal bestimmte Relationen: In diese Gruppe von syntaktischen Relationen gehören zum Beispiel das Genus der Substantive im Deutschen oder Komposita wie Brombeere (nach Welke 2002: 7)
2. Formal bestimmte und semantisch interpretierbare Relationen: Solche Relationen lassen sich sehr gut an Deutschen Komposita erklären. So schliesst der Rezipient eines Wortes wie Kartenspiel allein aus der Struktur der Äusserung, dass es sich hier nicht etwa um eine Spielkarte handelt. Hier lässt sich sehr schön sehen, dass Struktur und Funktion nicht so streng voneinander zu trennen sind, wie manche Lin- guisten es gerne hätten. Welke (2002: 9) spricht von „Motiviertheit“ vs. „Arbitrarität“. Karte ist arbiträr, „Karten spiel “ jedoch motiviert.
3. Semantische Relationen ohne formalsyntaktische Repräsentanz.
4. Einander widersprechende formale und semantische Relationen. Solche Relationen liegen nach Welke (2002: 16) dann vor, „ wenn die formalsyntaktische Form leerläuft“ und sich der Rezipient (Welke spricht immer vom „Hörer“, wir bevorzugen den Begriff des Rezipienten, da mit diesem auch der Leser mitge- meint ist) den Sinn mittels Weltwissen aufbauen muss. Als ein Beispiel soll die Äusserung „Deutschland dauert länger“ dienen. Damit ist (oder war) gemeint, dass der Wiedervereinigungsprozess in Deutschland noch etwas länger dauern werde. Ein Land kann ja nicht „länger dauern“. Hier muss der Rezipient sein Weltwissen einbringen. Warum aber hat der Sender (Schreiber oder Sprecher) gerade diese Konstruktion gewählt? Vielleicht, weil sie etwas griffiger klingt? Hier kommen wir wieder ins Feld der Pragmatik. Nach diesen einführenden Beispielen sollte deutlich geworden sein, dass Struktur und (kommunikative) Funktion nicht strikt voneinander zu trennen sind, dass sie in mancher Weise zusammenhängen und sich gegenseitig bedingen.
Nun wollen wir uns aber der Debatte zuwenden, in der sich ein Funktionalist (Ludwig Jäger) und zwei Strukturalisten (Manfred Bierwisch, Günther Grewendorf) um das Erkenntnisobjekt Sprache und allgemein um den Modus operandi in der Sprachwissenschaft auf metawissenschaftlicher Ebene „die Köpfe einschlagen“. Wir stellen, der Reihenfolge der Beiträge in der „Zeitschrift für Sprach wissenschaft“ folgend, zuerst den Beitrag Jägers vor, dann die beiden Repliken der Strukturalisten sowie zuletzt Jägers Duplik.
2.2. Was immer Sprachwissenschaft auch sein mag. Die Position Ludwig Jägers
Ludwig Jäger hat die Debatte mit seinem Aufsatz „Language, whatever that may be“ ausgelöst, einem Text, mit dem er die Vertreter der generativen Grammatik, die (post-)strukturalistischen Sprachwissenschafter, her- ausforderte.
2.2.1. Ludwig Jägers Kritik
Zu Beginn seines Aufsatzes postuliert Jäger einen „Grundgegensatz“ zwischen „strukturorientierten“ und „funktionsorientierten“ Sprachtheorien. Jäger spricht von „Chomsky-Theorien“ beziehungsweise „Mead- Theorien“2. Während erstere einen „systematischen Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion der Sprache“ ablehnen, postulieren die „Mead-Theorien“ genau diesen Zusammenhang (Jäger 1993a: 78). Die „Chomsky-Theorien“ nehmen eine „wesentliche konzeptuelle Unterscheidung“ vor „zwischen (1) der Spra- che als einem bestimmten kognitiven System, als einem Wissen-System (system of knowledge), das im mind/brain inkorporiert ist […] und (2) verschiedenen Prozessierungs-S ystemen des mind/brain, die in der einen oder anderen Weise auf das Wissens-S ystem zugreifen“ (Jäger 1993a: 78, nach Chomsk y 1990: 632). Gegenstand der linguistischen Untersuchung diesen Zuschnitts ist nun einzig das kognitive System. Die „Mead-Theorien“ hingegen betrachten Sprache mit Searle als ein „wesentlich auf Kommunikation ausgerichte- tes S ystem“ (Searle 1974: 436). Mit Mead führt Jäger an, dass der Geist ohne gesellschaftliche Um welt nie hätte Ausdruck finden, ja überhaupt nicht hätte existieren können. Ebenso werden nach diesem Ansatz „Sub- jekt, Geist und Bewusstsein als Entitäten, die sich nur über (vor allem zeichenförmige) Entäusserungshand- lungen zu konstituieren vermögen“, betrachtet (Jäger 1993a: 79). Überträgt man diesen Ansatz auf die Lingu- istik, so hat das zur Folge, dass das Augenmerk nicht hauptsächlich auf der Struktur sprachlicher Äusserun- gen liegt, sondern vielmehr die Anwendung der Sprache, die Interaktion von Sprechhandlungssubjekten, ins Zentrum tritt.
Jäger stellt dann zwei Thesen auf. Die erste lautet, dass sich die „linguistische Fachgeschichte […] in ihrem Mainstream“ als „Geschichte einer iterativen Verdrängung von Mead-Theorien durch Chomsky-Theorien“ beschreiben liesse (1993a: 79). Die zweite These: „Die Geschichte der Chomsky-Theorien ist eine Erosionsgeschichte des Erkenntnisgegenstandes Sprache […]“. Sprache sei im Verlauf dieser Entwicklung zu einem „so strukturalistisch verschlankten Erkenntnisobjekt geworden, dass es die Identität einer Disziplin Sprachwissenschaft nicht mehr zu gewährleisten vermag“ (1993a: 79).
Ludwig Jäger macht sich nun daran, die Sprache als Erkenntnisobjekt der Sprachwissenschaften zurückzu- gewinnen. Er macht der Sprachwissenschaft schlechthin den Vorwurf, „seit der ersten Hälfte des 19. Jahr- hunderts bis in ihre jüngste Entwicklungsphase“ sich „ausschliesslich an naturwissenschaftlichen Wissen- schaftsmodellen und Forschungslogiken“ (1993a: 83) orientiert zu haben, und dabei, ähnlich diesen Vorbil- dern, einem Reifewahn anheim gefallen zu sein. Jäger spricht von einem „Prozess, in dem die aufeinander- folgenden Stadien des Selbstverdachtes auf Reife mit der ständig fortgeschriebenen Makulierung der Theorien aus der anwachsenden Vorgeschichte einhergehen“ (1993a: 84f.). Der nächste Vorwurf Jägers folgt sogleich: „In der Linguistik hat sich bis heute weithin nicht herumgesprochen, dass die Bereitschaft zur Reflexion der - bestimmten Modellierungen des Erkenntnisgegenstandes Sprache zugrundeliegenden - impliziten Erkenntnis- postulate nicht gleichbedeutend ist mit der Aufgabe wissenschaftlicher Standards.“ (1993a: 86). Jäger fragt, ob nicht an die Stelle der durch den „Selbstverdacht auf Reife“ immer wieder eintretenden Brüche mit der eigenen Vergangenheit eine „historisch-systematische Reflexion der genuinen Scheiternsbedingungen der verschiede- nen Gegenstandsmodellierungen des Erkenntnisobjektes Sprache geboten wäre, die sich in der Geschichte der Linguistik abgelöst haben (1993a: 89). Die Sprachwissenschaft strukturalistischen Zuschnittes ist nach Jä- ger durch ein „zutiefst unhistorisches Denken geprägt […], das einer Reflexion der historischen Genese der jeweils rezenten Theoriegestalten keine systematische Bedeutung zumisst“ (1993a: 96). Sie habe sich „aus dem Krankenzimmer der Geisteswissenschaften“ verabschiedet und sich „in die Luxussuite des Kognitivis- mus“ umbetten lassen (1993a: 94). Den Kognitivismus bezeichnet Jäger als dasjenige Theoriesdesign des „Aggressors“ (1993a: 92), das der Mainstream-Linguistik „am zukunftsträchtigsten schien“ (1993a: 92).
Die Linguistik steht vor einer Herausforderung: „Neuropsychologie und Neurobiologie auf der einen, die Kogni- tionswissenschaften und die Künstliche-Intelligenz-Forschung auf der anderen Seite“ schickten sich an, der Sprachwissenschaft ihr ureigenstes Erkenntnisobjekt streitig zu machen, ja die „Sprachwissenschaft - what ever that may be - “ stehe davor, „die Definitionsmacht über ihren Erkenntnisgegenstand Sprache“ endgültig zu verlieren (1993a: 90). Ludwig Jäger sieht keine Zukunft darin, sich mit dem „Aggressor“ zu identifizieren, in Chomsk ys Betrachtungsweise werde Sprache zu einem Epiphänomen reduziert (1993a: 95).
Jäger konstatiert demnach „drei Signaturen der linguistischen Fachgeschichte“: „(1) Die Geschichte der Sprachwissenschaft ist eine Anpassungsgeschichte;
(2) sie ist eine Geschichte der Erosion ihres Erkenntnisgegenstandes und sie ist
(3) die Geschichte der Verdrängung der eigenen Theoriegeschichte.“ (1993a: 95).
Zusammenfassen liesse sich die bisher dargestellte Position Ludwig Jägers etwa so:
(I) Die momentane Sprach wissenschaft befindet sich derzeit nicht bloss in der üblichen - durch naturwissenschaftlichen Reifewahn stets erneut erzeugten - Sackgasse, nein, sie ist sogar in Gefahr, ihres Erkenntnisobjektes Sprache - what ever that may be - beraubt zu werden;
(II) anstatt diese negative Entwicklung zu befördern, sie durch inadäquate Anpassung an den „Aggressor“ (v.a. die Neurowissenschaften) noch zu beschleunigen, sollte sich die Sprachwissenschaft einerseits auf ihre Wurzeln besinnen und die (historische und methodologische) Reflektion über das eigene Tun und seine Ursachen zur Selbstverständlichkeit werden lassen, andererseits aber gerade in der Beschäftigung mit den „Aggressoren“ mehr Ernsthaftigkeit und Wissenschaftlichkeit an den Tag legen.
2.2.2. Ludwig Jägers Plädoyer
Wofür nun plädiert Ludwig Jäger? Angesichts der vorherrschenden „Selbstauflösungstendenz, die das Stan- dard-Reaktionsmodell der Linguistik generiert hat“, liege es auf der Hand, dass „eine grundsätzliche Selbstbe- sinnung notwendig ist; eine Selbstbesinnung, die die ausgegrenzten, verdrängten und makulierten historischen Traditionen des Faches - insbesondere das Mead-Paradigma - wieder in dessen systematischen Diskurs zurückholt.“ In diesem Sinne meint Jäger: „Der aufgeklärt humane Horizont der anthropologischen Sprachidee Humboldts und Saussures, die gewaltige empirische Sprachkenntnis beider Linguisten, das methodische Niveau ihrer sprachvergleichenden Forschung, die sprachphilosophische Fundiertheit der semiologischen Rahmentheorie und ihre vorurteilslose Offenheit zu den natur- und geisteswissenschaftlichen Nachbardiszipli- nen markieren m. E. einen Wissenschaftsstandard, der in der gegenwärtigen Krise orientierende Bedeutung erlangen könnte“ (Jäger 1993a: 97).
Die Sprach wissenschaft solle sich aber keineswegs aus dem „Horizont naturwissenschaftlicher Forschung“ zurückziehen, sondern „die naturwissenschaftliche Forschung ernsthafter in den linguistischen Wissenschaftsdiskurs“ einbeziehen, „als das gerade da geschieht, wo ständig von ihr die Rede ist“ (1993a: 97). Jäger konstatiert auch, dass es „gegenwärtig so zu sein“ scheint, „dass die theoretischen Modellierungen von Sprache und Geist aus dem Kontext der Mead-Theorien eher mit den empirischen Befunden kompatibel sind, die die Evolutionsbiologie und die jüngere neurologische Forschung geliefert haben […] als dies für Chomsky-Theorien der Fall ist“ (1993a: 98, Hervorhebung im Original).
Zum Schluss plädiert Jäger für die „Rückgewinnung eines theoretischen Zentrums der Sprachwissenschaft, das die Einheit der philologischen Wissenschaften durch eine Theorie begründet, die die strukturalen und funktionalen, die systematischen und medialen Eigenschaften der Sprache in einer genuinen Sprachidee entfaltet“ (Jäger 1993a: 98, Hervorhebungen im Original).
2.2.3. An merkungen zu Ludwig Jäger
Es muss festgehalten werden, dass es sich bei Jägers Aufsatz um eine Polemik handelt - daher der etwas rauhe Ton, der der Sache selbst nicht gerade dient. Eine zweite und bedeutendere Feststellung ist, dass Jäger sich um den Untersuchungsgegenstand seiner Disziplin - nämlich die Sprache selbst - wenig kümmert. Gewiss, der Aufsatz sollte eine metawissenschaftliche Debatte auslösen, was auch gelang, dennoch wäre es interessant zu wissen, was er denn ganz konkret vorschlagen würde, damit die Sprachwissenschaft sich der seiner Meinung nach drohenden Pleite entziehen kann.
Was Jäger seinen Gegnern, den „strukturorientierten“ „Chomsky-Theoretikern“ vorwirft, ist zuerst einmal, dass sie sich nicht um den Rahmen kümmern, um den Horizont, in den ihre streng methodische Forschungs- tätigkeit eingebettet ist. Dass hier eine Horizontverengung auf seiten der Generativisten vorliegt, scheint klar, ihre Rede von den mysteries hilft diesbezüglich auch nicht weiter, suggeriert sie doch, dass die von Jäger aufgeworfenen Fragen letztendlich nicht klärbar seien.
[...]
1 Coseriu (1988: 3) weist darauf hin, dass die Einteilung langue - parole zwar weitgehend der Einteilung Chomskys Einteilung in Kom- petenz und Performanz entspricht, dass aber Chomskys Termini vorzuziehen sind, „weil sie eindeutiger sind, und weil sie das, was gemeint ist, nicht nur benennen, sondern auch schon charakterisieren.“
2 Nach George Herbert Mead (1863-1931). Hier sei ein einschlägiges Zitat gegeben, das deutlich macht, warum Jäger die funktionalisti- schen Theorien so nennt: "Allein in dem organisierten Verhalten des Menschen kann die bare Beziehung zwischen Ereignissen und Dingen in Bedeutung übergehen, und nur im Verhalten wird Ereignissen und Dingen Bedeutung verliehen." (Philosophie der Sozialität, S. 58). Die Verwendung der Bezeichnung „Chomsky-Theorien“ wirft auf den in der Folge u.a. historisch argumentierenden Jäger ein etwas seltsames Licht, etwa wenn er von den „Chomsky-Theorien der letzten einhundertsechzig Jahre“ spricht (Jäger 1993a: 96).
- Arbeit zitieren
- Matthias Hofer (Autor:in), Flurin Casura (Autor:in), 2004, Die metalinguistische Debatte von Jäger, Bierwisch, Grewendorf: Sprache zwischen Struktur und Funktion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65523
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