Sister Carrie ist nicht nur ein Roman über den Amerikanischen Traum - die Horatio-Alger-Myth- sondern auch ein Buch über die Entstehung der amerikanischen Unterhaltungsindustrie und Konsumgüterindustrie. Oder anders gesagt: “Sister Carrie […]is an account of an ordinary farm girl who comes to Chicago, goes wrong, and prospers.“
Als erster Autor der amerikanischen Literatur wandte sich Dreiser der neuen Konsumkultur der Kaufhäuser und Einkaufspassagen, der Massenpresse und dem Theater zu, die er aus seiner Reportertätigkeit kannte und die er als Orte des Entfachens immer neuer Wünsche - aber damit auch: immer neue Entwürfe des Selbst - begreift. Das Theater und die gesellschaftlichen Rollenspiele sind die zentralen Motive des Romans.
Prägend für den Roman ist sicherlich auch die genaue Beschreibung der echten amerikanischen Wirklichkeit der 1890er Jahre. “Thebook is also a „superior piece of reportorial realism,´ […]. As a reporter, magazine editor, and freelance journalist, Dreiser had written about labor strikes, the theatre, and life on the mean streets. He drew heavily on these experiences to give his fictive world authenticity, even inserting directly into his novel several manuscript pages from his […] magazine piece.”notiert dieTheodore Dreiser Encyclopaedia. Der Autor hat aus der historisch-sozialen Wirklichkeit des amerikanischen Großstadtlebens besonders die Motive des Theaters und der öffentlichen Selbstinszenierung in den Vordergrund gestellt. Die Schauplätze des Romans sind allesamt Orte der öffentlichen Selbstdarstellung, wie besonders an der Aufführung von Under the Gaslight deutlich wird. Die private, eigentlich unbedeutende Aufführung wird zum Ereignis der sozialen Selbstpräsentation im Kreise der illustren Gesellschaft modifiziert.
Gliederung
1. Einleitung
2. Theatergeschehen in Sister Carrie in Bezug zu der amerikanischen Theatergeschichte
2.1. Die Theaterstücke in Sister Carrie
2.1.1. Theater als Reflektor der textinternen Wirklichkeit
2.1.2. Theater als kulturelles Ereignis
2.2. Theater als Entertainment
2.3. Die Rolle der Frau im amerikanischen Theater
3. Sichtweisen der Gesellschaft
4. Carrie und das Theater
4.1. Carrie und die Illusionen
4.2 Carrie und die Schauspielerei
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Sister Carrie ist nicht nur ein Roman über den Amerikanischen Traum – die Horatio-Alger-Myth - sondern auch ein Buch über die Entstehung der amerikanischen Unterhaltungsindustrie und Konsumgüterindustrie[1]. Oder anders gesagt: “Sister Carrie […] is an account of an ordinary farm girl who comes to Chicago, goes wrong, and prospers.“[2]
Als erster Autor der amerikanischen Literatur wandte sich Dreiser der neuen Konsumkultur der Kaufhäuser und Einkaufspassagen, der Massenpresse und dem Theater zu, die er aus seiner Reportertätigkeit kannte und die er als Orte des Entfachens immer neuer Wünsche – aber damit auch: immer neue Entwürfe des Selbst – begreift.[3] Das Theater und die gesellschaftlichen Rollenspiele sind die zentralen Motive des Romans.[4]
Prägend für den Roman ist sicherlich auch die genaue Beschreibung der echten amerikanischen Wirklichkeit der 1890er Jahre. “The book is also a „superior piece of reportorial realism,´ […]. As a reporter, magazine editor, and freelance journalist, Dreiser had written about labor strikes, the theatre, and life on the mean streets. He drew heavily on these experiences to give his fictive world authenticity, even inserting directly into his novel several manuscript pages from his […] magazine piece.” notiert die Theodore Dreiser Encyclopaedia[5].
Der Autor hat aus der historisch-sozialen Wirklichkeit des amerikanischen Großstadtlebens besonders die Motive des Theaters und der öffentlichen Selbstinszenierung in den Vordergrund gestellt. Die Schauplätze des Romans sind allesamt Orte der öffentlichen Selbstdarstellung[6], wie besonders an der Aufführung von Under the Gaslight deutlich wird. Die private, eigentlich unbedeutende Aufführung wird zum Ereignis der sozialen Selbstpräsentation im Kreise der illustren Gesellschaft modifiziert.
Der Topos der Theaterhaftigkeit, wie Müller es bezeichnet, wird auch durch die im Roman genannten Berufe, Orte und durch Carries kometenhaften Aufstieg zum Broadway-Star zum Ausdruck gebracht.[7] Folgerichtig erscheint die genauere Betrachtung der Rolle des Theaters in Sister Carrie wichtig und interessant.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, welche unterschiedlichen Funktionen das Theater im Roman hat. Das historisch-wahre Rollenbild des Theaters in der amerikanischen Gesellschaft um 1900, so wie die damit verbundene Entstehung der heute so eindrucksvollen Unterhaltungs- und Starindustrie werden unter diesem Gesichtspunkt betrachtet. Diese Frage wird in Bezug auf die realen, historischen Stücke, die im Roman genannt werden, kurz betrachtet. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird die Fragestellung auf die Hauptfigur und Namensgeberin des Romans bezogen. Hier soll untersucht werden, welche Rolle das Theater jeweils für die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten spielt, die im Roman durch diverse Charaktere repräsentiert werden. Anschließend gilt es, genauer zu betrachten, was das Theater für Carrie selbst bedeutet und wie und ob es sie verändert, beeinflusst und formt. Angesichts der Fülle der Informationen und der Begrenzung der Seiten wird nicht auf andere Charaktere eingegangen.
2. Theatergeschehen in Sister Carrie in Bezug zu der amerikanischen Theatergeschichte
“T he 1890s were a period of pre-eminence for theatre in American society and culture. By 1900 there were 3000 theatres in the United States and with industry producing at peak levels, the increase in leisure time and disposable income translated into a swell in the popularity of the stage[8] .”
Die Einordnung des Theatergeschehens in Sister Carrie in die Amerikanische Theatergeschichte ist das Thema des nachfolgenden Kapitels. Die Zeit, in der Sister Carrie spielt, die Jahre 1889 bis 1897, sind neben ihrer biographischen Bedeutung für Dreisers Leben[9], bedeutende Jahre in der amerikanischen Theatergeschichte, sie sind die so genannte „ Gilded Age “[10]. Hier liegen die Ursprünge der heutigen Unterhaltungsindustrie, die Rollenbilder und moralischen Wertvorstellungen wurden hier aufgebaut und die historische Realität der Theaterwelt ist eines der Hauptmotive des Romans. Dreiser arbeitet mit der Thematik im Roman auf unterschiedliche Art. Scheinbar unauffällig hat er zeitgenössische Stücke, oft in der Form des Melodrama, in die Handlung eingebaut, die bei genauerer Betrachtung wichtige Funktionen erfüllen[11]. Beispielsweise lässt er Carrie in der Adaption eines zeitgenössischen, erfolgreichen Stückes, eines Melodrama, in der Rolle einer Figur auftreten, die erfolglos um ihre gesellschaftliche Stellung kämpft, auftreten[12].
Das Melodrama war in der „ Gilded Age “ die beliebteste Form des Theaterstücks. Seine Wurzelnliegen in Frankreich, wo es aus dem Gedanken der Demokratie entstanden ist, so dass diejenigen, die nicht lesen konnten, dennoch in der Lage waren das Stück zu verstehen. Konflikte und Gefühle sind reduziert, übertrieben und oppositionell aufgebaut. Es thematisiert den Kampf der Heldinnen, die zumeist die Hauptfiguren sind, gegen unmoralischen Angebote, verwerfliche Strömungen in der Gesellschaft und die Verlockungen des gewissenlosen Kapitalismus.[13]
In der Gesellschaft vollzieht sich ein Wandel von provinziell zu urban. Immer mehr Teile der Bevölkerung suchen in den Großstädten, mehr oder minder erfolgreich, nach Arbeit und Lebensglück. Auch Carrie und ihre Schwester Millie verlassen das ländliche Wisconsin, um in die Stadt zu gehen. Dieser Schritt ist für beide unumkehrbar, wie an mehreren Stellen des Romans deutlich wird. Millie und ihr Mann sparen auf ein Eigenheim und Carrie zieht nicht einmal angesichts drohender Armut die Option der Rückkehr in Betracht (Ch. 26, p. 239 “In this situation her thoughts went out to her sister […] and to her home at Columbia City, which seemed now a part of something that could not be again”). Die Verteilung der Einkommen ist jedoch höchst ungerecht, was an den zunehmenden Disparitäten in den Großstädten deutlich wird. Dadurch entstehen in der Gesellschaft Spannungen, wie zu Beginn an Carries Arbeitssuche und später der drohenden Armut in New York gezeigt wird.
Diese Spannung beschäftigte auch die zeitgenössischen Künstler und Autoren. Im Zuge der Entwicklung wurde das Landleben immer mehr verklärt und mit Werten wir Stabilität, Familie, Zusammenhalt, Bescheidenheit und anderen, die „Unmoral“ des Stadtlebens kontrastierenden Begriffen aufgewertet.[14] Dies begründete u. a. den Erfolg des zeitgenössischen Romans und Theaterstücks „ Rip van Winkle “ von Washington Irving, ebenso wie „ The Old Homestead “ von Denman Thompson, welche beide im Text eine Rolle spielen.
Dieses Thema wird im nachfolgenden Kapitel näher erläutert.
2.1. Die Theaterstücke in Sister Carrie
Das Theater ist in seiner Rolle als Unterhaltungsmedium in Sister Carrie durchgehend präsent. Immer wieder werden Bezüge zu zeitgenössischen Stücken und Aufführungen hergestellt, bekannte zeitgenössische Schauspieler, Produzenten und Theatergebäude werden erwähnt und präzise und detailliert von Dreiser beschrieben.
Die Stücke werden von Dreiser funktionalisiert. Er verwendet sie als Kontrastmittel, um Aspekte zu betonen, als Verstärker und Kommentare, die nicht explizit sondern subtil Ungesagtes andeuten. Auch sollen die Stücke Sachverhalte verdeutlichen oder Atmosphäre entstehen lassen.
Carries Debüt im privaten Rahmen in Chicago ist eine Adaption eines realen, erfolgreichen Melodrams, Under The Gaslight. Das Stück ist ironisch eingesetzt, denn, “Laura’s expulsion from established society ironically parallels what happens to Hurstwood […]. Furthermore, Carries first success comes in a play that expounds the rewards which come with the virtuous life while her own life proves the opposite.”[15] An diesem kurzen Beispiel wird bereits deutlich, dass die im Text erwähnten Stücke nicht zufällig in den Roman eingebunden sind. Daher erachte ich es für wichtig, sie gesondert nach ihren Funktionen im Text genauer zu betrachten. Bei meiner Auswahl der Stücke habe ich nur diese berücksichtigt, denen sich eine Funktion klar zuordnen lässt.
Nachfolgend habe ich die von mir untersuchten Stücke, die im Text erwähnt werden, nach ihren Funktionen im Roman geordnet.
2.1.1. Theater als Reflektor der textinternen Wirklichkeit
The Mikado Ch. 8, p. 77, “ […] an opera which was hilariously popular at that time”,
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
The Mikado,
Quelle: Sister Carrie and The Theater
Das Stück beschreibt, wie der Sohn eines Mikado zustimmt, geköpft zu werden, nachdem er einen Monat lang mit der Frau zusammen gelebt hat, die er liebt.
Das erste Stück, welches Carrie und Drouet zusammen besuchen.
Sicherlich nicht zufällig handelt es sich hier um ein Stück, dessen zentrales Motiv die Verkleidung ist. Damit wird innerhalb des Romans dieses Motiv gespiegelt, denn die Täuschung, bzw. Illusion mithilfe von Kleidung ist quasi Carries „Hauptanliegen“. Sie möchte sich durch andere Kleidung verändern, besser aussehen und gesellschaftlichen Status erlangen, den sie de facto nicht hat. Dieses wird deutlich, da Carrie vor dem Theater ihre ehemaligen Arbeitskollegen trifft, die sich den Besuch des Stückes nicht leisten können und nur vor dem Theater stehen. Ch. 8, p. 77f “Carrie felt as if some great tide had rolled between them. The old dress and the old machine came back.” Das Meeresmotiv betont hier den Schicksalsaspekt und die Zufälligkeit, aber auch die Unabänderlichkeit der Ereignisse, die Carrie jetzt von ihren ehemaligen Kollegen trennen. Dies ist gleichzeitig eine Andeutung auf die ungleiche Verteilung des Reichtums in der Realität in Amerika in den 1880er Jahren. Arm und Reich sind deutlich voneinander getrennt.
The Covenant Ch. 14, p. 135, “The scene was one in The Covenant , in which the wife listened to the seductive voice of a lover in the absence of her husband.”
Carrie, Hurstwood und Drouet besuchen das Stück zusammen. Hier nimmt die kurze Beschreibung des Stückes bereits vorweg, wie sich die Beziehung zwischen Carrie und Hurstwood entwickeln wird.
Rip van Winkle Ch. 12, p. 111,
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Stück basiert auf der literarischen Vorlage von Washington Irving. Der Plot beschreibt, wie ein Mann in die Berge geht, Alkohol trinkt und einschläft. Als er aufwacht ist viel Zeit vergangen und er wird nicht mehr erkannt in seinem Dorf. Das Ende des Stückes von Dion Boucicault endet mit dem Versprechen des Mannes, nüchtern zu bleiben und dem Versprechen der Ehefrau, eine bessere Gattin zu werden.
Beim ersten gemeinsamen Besuch eines Theaterstücks mit Carrie, Hurstwood und Drouet, wird Hurstwood von seinem Sohn im Theater gesehen.
Wie Tice C. Miller in seinem Aufsatz „ Plays and Playwrights – Civil War to 1896“ feststellt, ist Rip van Winkle nicht nur ein Klassiker der amerikanischen Literatur, sondern auch ein Exempel der amerikanischen Kultur.[16]
“It is not surprising, that Boucicault´s melodramas were successful. The rapid change in American society after the Civil War had pushed the population from small towns and farms into the city to create a new and restless urban audience. Bruce McConachie argues, that his melodramas helped create a sense of identity for bourgeois audiences troubled with questions of class and authenticity. They promoted middle-class values such as virtue, thrift, hard work, domesticity, and patriotism[17].“
Die Funktion des Stückes im Roman ist der Kontrast. Die hohe Moral und Vorbildfunktion, welche das Stück auf das zeitgenössische Publikum ausgeübt hat, verfehlt ihre Wirkung an den Hauptfiguren des Romans völlig. Die Charaktere haben bereits hier Schwierigkeiten mit der moralischen Zuordnung ihrer Handlungen. Sowohl Drouets und Carries Verhältnis und ihre „Scheinehe“, als auch Hurstwoods ehebrecherische Avancen zu Carrie sind höchst unmoralisch. Alle drei genießen zudem den Luxus der Konsums in vollen Zügen. Damit ist ihr Großstadtleben völlig unbeeindruckt von der in Rip van Winkle vorgelebten ländlich-heilen Welt.
[...]
[1] vergl. Blanche H. Gelfant “What ´more´ can Carrie want”, Cambridge Companion To American Realism And Naturalism.
[2] Dreiser, T., S. 154.
[3] Amerikanische Literaturgeschichte, S. 216.
[4] Müller, K., S. 53.
[5] A Theodore Dreiser Encyclopaedia, p. 334.
[6] Müller, K., S. 54.
[7] Müller, K., S. 54.
[8] Sister Carrie and The Theatre.
[9] Vergl. Richard Lehan, „Theodore Dreiser – his world and his novels“, p. 55.
[10] McNamara, B., S. 379.
[11] A Theodore Dreiser Encyclopaedia, p. 199
[12] Miller, T. R., p. 237.
[13] The Cambridge History of American Theatre, p. 2f.
[14] Postlewait, T., p. 149.
[15] Lehan, R.,1969, p. 78.
[16] Miller, T., S. 234ff.
[17] ebd.
- Citar trabajo
- Magdalena Drywa (Autor), 2006, Funktionen des Theaters in Dreisers Sister Carrie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65424
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.