Der Sozialstaat steht vor grossen Herausforderungen. Gesellschaftliche Entwicklungen wie der wachsende Anteil an älteren Menschen in der Bevölkerung, die steigende Zahl von Langzeitarbeitslosen und die zunehmenden Kosten für das Gesundheitssystem führen zu immer grösseren Ansprüchen gegenüber dem Sozialstaat. Gleichzeitig erodiert die Anzahl der Erwerbstätigen, die den Sozialstaat finanzieren sollen. Kann der Sozialstaat in Zukunft Unterstützungsbeiträge und Renten für Kranke, alte Menschen, Erwerbslose, Verarmte, Invalide usw. noch finanzieren, wenn deren Zahl stetig steigt?
Kritiker des Sozialstaates bemängeln, der Sozialstaat sei mit seinen Leistungen zu freigiebig, was ihn zunehmend überfordere; da wirksame Kontrollen fehlen, lasse sich nicht verhindern, dass von Sozialleistungen auch nicht anspruchsberechtigte Menschen profitieren; infolge der sich verschärfenden Weltmarktkonkurrenz müsse der Sozialstaat „entschlackt“ werden, wolle man die Konkurrenzfähigkeit und das erreichte Wohlstandsniveau halten. Der Sozialstaat gilt vor allem bei seinen neoliberalen Kritikern als von der ökonomisch-technologischen Entwicklung überholt, als Hemmschuh der Wirtschaft und als grosses Investitionshindernis.
Bürgerschaftliche Argumentationen sind in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts populär geworden, als das Vertrauen in die Integrationskraft des Sozialstaates nach zu lassen schien und neue Modelle der sozialen Sicherung jenseits sozialstaatlicher Regulation gesucht wurden. Eine Sozialstaatskritik ist, dass das sozialstaatliche Sicherungsmodell im Widerspruch zu den emanzipatorischen Ansprüchen des Individuums am Ende des 20 Jahrhunderts stehe und so den pluralisierten Lebensformen nicht mehr gerecht werde. Der Sozialstaat verstaatliche und kollektiviere die Verantwortung für den individuellen Lebenslauf und das Gemeinwohl. Es wird eine bürgernahe Öffnung des Sozialstaates gefordert, welcher sich als Dienstleistungsstaat für die individualisierten Menschen begreifen soll. Der Bürger könne das Gemeinwohl am effizientesten stärken, wenn er Verantwortung für sich selbst und andere übernehme. Ausserhalb des Staatswesens soll aus den bürgerlichen Individualkräften heraus ein neues Gemeinwohl entstehen, in dem die Bürger/innen selbst das aktive regulierende Element sind.
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Aufbau
1.3 Abgrenzungen
2 Freiwilligenarbeit
2.1 Begriffsklärung
2.2 Freiwilligenarbeit in der Schweiz
3 Der Sozialstaat/Wohlfahrtsstaat
3.1 Definition
3.2 Zur Entwicklung des Sozialstaates
4 Kommunitarismus nach Etzioni
4.1 Die Kommunitaristische Bewegung
4.2 Neudefinition des Wohlfahrtsstaates
5 Folgen und Grenzen von Freiwilligenarbeit im sozialen Bereich
5.1 Beziehung zwischen `Helfer` und `Hilfeempfänger`
5.2 Freiwilligenarbeit und Geschlecht
5.3 Wandel der Freiwilligenarbeit
5.4 Rekrutierung von Freiwilligen
5.5 Förderung freiwilliger Arbeit
5.5.1 Schweizerischer Sozialzeitausweis
5.5.2 Steuerabzug
5.5.3 AHV-Bonus
5.5.4 Corporate Volunteering
5.5.5 Obligatorische Sozialzeit
5.6 Freiwilligenarbeit als Substitut für professionelle Arbeit
5.7 `Protoprofessionalisierung` freiwilliger Arbeit
5.8 Deprofessionalisierung sozialer Berufe
5.9 `Community`
6 Fazit
7 Literatur
1 Einleitung
Der Sozialstaat steht vor grossen Herausforderungen. Gesellschaftliche Entwicklungen wie der wachsende Anteil an älteren Menschen in der Bevölkerung, die steigende Zahl von Langzeitarbeitslosen und die zunehmenden Kosten für das Gesundheitssystem führen zu immer grösseren Ansprüchen gegenüber dem Sozialstaat. Gleichzeitig erodiert die Anzahl der Erwerbstätigen, die den Sozialstaat finanzieren sollen. Kann der Sozialstaat in Zukunft Unterstützungsbeiträge und Renten für Kranke, alte Menschen, Erwerbslose, Verarmte, Invalide usw. noch finanzieren, wenn deren Zahl stetig steigt?
Kritiker des Sozialstaates bemängeln, der Sozialstaat sei mit seinen Leistungen zu freigiebig, was ihn zunehmend überfordere; da wirksame Kontrollen fehlen, lasse sich nicht verhindern, dass von Sozialleistungen auch nicht anspruchsberechtigte Menschen profitieren; infolge der sich verschärfenden Weltmarktkonkurrenz müsse der Sozialstaat „entschlackt“ werden, wolle man die Konkurrenzfähigkeit und das erreichte Wohlstandsniveau halten. Der Sozialstaat gilt vor allem bei seinen neoliberalen Kritikern als von der ökonomisch-technologischen Entwicklung überholt, als Hemmschuh der Wirtschaft und als grosses Investitionshindernis.
Bürgerschaftliche Argumentationen sind in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts populär geworden, als das Vertrauen in die Integrationskraft des Sozialstaates nach zu lassen schien und neue Modelle der sozialen Sicherung jenseits sozialstaatlicher Regulation gesucht wurden. Eine Sozialstaatskritik ist, dass das sozialstaatliche Sicherungsmodell im Widerspruch zu den emanzipatorischen Ansprüchen des Individuums am Ende des 20 Jahrhunderts stehe und so den pluralisierten Lebensformen nicht mehr gerecht werde. Der Sozialstaat verstaatliche und kollektiviere die Verantwortung für den individuellen Lebenslauf und das Gemeinwohl. Es wird eine bürgernahe Öffnung des Sozialstaates gefordert, welcher sich als Dienstleistungsstaat für die individualisierten Menschen begreifen soll. Der Bürger könne das Gemeinwohl am effizientesten stärken, wenn er Verantwortung für sich selbst und andere übernehme. Ausserhalb des Staatswesens soll aus den bürgerlichen Individualkräften heraus ein neues Gemeinwohl entstehen, in dem die Bürger/innen selbst das aktive regulierende Element sind.
Eine der bürgerschaftlichen Bewegungen, die ausgehend von Nordamerika seit den achtziger Jahren zunehmend Einfluss in der praktischen Politik gewonnen hat, ist der Kommunitarismus. Die kommunitaristische Strömung kritisiert den Kapitalismus von links sowie den Sozialstaat von rechts. Einerseits wird der reine Kapitalismus, die Ausrichtung der Gesellschaft auf das Profitstreben und der rücksichtslose Individualismus kritisiert, anderseits wird kritisiert, dass der Sozialstaat zu schnell eingreife, zu viele Pflichten übernehme und dadurch den ausgeprägten Individualismus fördere. Einer seiner Gründer ist Amitai Etzioni. Der Kommunitarismus hat unter anderem auch bei Joschka Fischer und Bill Clinton Anklang gefunden.
1.1 Fragestellung
Etzioni plädiert für mehr soziales Engagement des Einzelnen (Soziale Mitverantwortung) und für den Abbau des Sozialstaates. Gemeinschaften sollen einen grossen Teil der Aufgaben übernehmen, die momentan noch vom Staat wahrgenommen werden. Dies geschieht allerdings nicht von selbst: „Je weniger der Staat ihre Funktionen übernimmt, um so mehr werden sie sich selbst darum kümmern“ (Etzioni 1997:238). Etzioni fordert einen Rückzug des Staates in vielen Bereichen, um die zivilgesellschaftlichen Akteure wieder in Position zu bringen, die Verantwortung für sich und andere übernehmen sollen. Ein Mittel dazu sieht er in der Freiwilligenarbeit. Dies gibt Anlass zur Klärung folgender Fragen:
- Was sind die Folgen, wenn Dienstleistungen im sozialen Bereich durch Freiwilligenarbeit ersetzt werden?
- Wo liegen die Grenzen der Freiwilligenarbeit im sozialen Bereich?
1.2 Aufbau
Der Aufbau der vorliegenden Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel. Im Folgenden wird im Kapitel 2 der Begriff Freiwilligenarbeit geklärt und auf die Freiwilligenarbeit in der Schweiz eingegangen. Im Kapitel 3 wird, nach der Definition von Sozialstaat/Wohlfahrtsstaat, die Entwicklung des Sozialstaates erläutert. Im Kapitel 4 wird auf die kommunitaristische Bewegung eingegangen und Etzioni’s Vorstellung eines kommunitaristischen Sozialstaates. Danach werden im Kapitel 5 die Folgen und die Grenzen von Freiwilligenarbeit im sozialen Bereich diskutiert. Kapitel 6 schliesslich fasst die wichtigsten Überlegungen zusammen.
1.3 Abgrenzungen
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Kommunitarismus nach Etzioni. Es wird aus der Theorie von Etzioni nur auf den Aspekt der Freiwilligenarbeit im sozialen Bereich eingegangen. Grenzen und Folgen von Freiwilligenarbeit wird lediglich in Bezug auf die Schweiz diskutiert.
2 Freiwilligenarbeit
2.1 Begriffsklärung
Charakteristisch für Freiwilligenarbeit sind folgende Merkmale (vgl. Hanhart et al. 2000:17f.):
- Es wird kein Lohn ausbezahlt, bloss Spesen werden entschädigt.
- Das Engagement ist freiwillig.
- Freiwilligenarbeit ist eine Ergänzung zur Erwerbsarbeit oder anderen Tätigkeiten. Der zeitliche Einsatz ist deshalb beschränkt und soll vier bis acht Stunden pro Woche nicht überschreiten.
- Der gesellschaftliche Nutzen besteht darin, dass das freiwillige Engagement zu Gunsten von Dritten erbracht wird.
- Freiwillige Tätigkeiten erfordern bestimmte Kompetenzen. Die ausübende Person profitiert aber ebenfalls von ihrem Engagement (persönliche Nutzen, wie z.B. Anerkennung, soziale Kontakte, Förderung bestimmter Fähigkeiten, etc.).
- Zwei Bedingungen müssen bei freiwilligen Tätigkeiten erfüllt sein: ein gesichertes, hinreichendes Einkommen und genügend freie Zeit.
Herbert Ammann (2004) unterscheidet `formelle` Freiwilligenarbeit von `informeller` Freiwilligenarbeit:
„Es wird zwischen formeller freiwilliger Arbeit im Rahmen einer gemeinnützigen Organisation und informeller freiwilliger Arbeit im unmittelbaren sozialen, verwandtschaftlichen und nachbarschaftlichem Umfeld unterschieden.“ (ebd.:14)
Ruth Brack (1986) benutzt für `formelle` resp. `informelle` Freiwilligenarbeit die Begriffe `organisierte` und `nicht organisierte` Freiwilligenarbeit.
Innerhalb der Freiwilligenarbeit unterscheidet Eva Nadai (1996) Freiwillige, die Basisarbeit verrichten, von solchen, die ehrenamtlich tätig sind. Sie lassen sich entlang der Dimensionen Rekrutierung, Funktion und Tätigkeitsfeld abgrenzen:
„ Basisarbeit nennen wir eine freiwillige Tätigkeit im betreuerischen/pflegerischen oder administrativen/organisatorischen Bereich, die im Auftrag und unter Anleitung ausgeübt wird. Unter Ehrenam t verstehen wir eine Position im organisatorischen Bereich mit Entscheidungs-, Führungs- oder Repräsentationsfunktion, in die jemand gewählt oder berufen wird.“ (ebd.:10)
Christoph Badelt (2004) benutzt für Freiwilligenarbeit den umgangssprachlichen Begriff `unbezahlte Arbeit` im Gegensatz zu `bezahlter Arbeit`. Er begründet dies damit, dass man „Freiwilligenarbeit als produktive Arbeitsleistung definieren kann, die Leistungsbeziehern ausserhalb des eigenen Haushaltes zufliesst, der aber kein monetärer Gegenfluss gegenüber steht“ (Badelt 2004:46).
In der vorliegenden Arbeit soll `Freiwilligenarbeit` als Oberbegriff für die formelle Freiwilligenarbeit verwendet werden.
2.2 Freiwilligenarbeit in der Schweiz
Die Schweiz gehört - im Vergleich zu den Ländern Europas - zu den Ländern mit dem höchsten Anteil an freiwillig Tätigen. Innerhalb der Schweiz ist der Anteil in der Romandie und in der italienischen Schweiz geringer als in der Deutschschweiz. Hanspeter Kriesi (2004) führt dies auf die stärker ausgebaute direkte Demokratie in der deutschsprachigen Schweiz zurück, die grössere Partizipation in der Politik ermöglicht. In der Schweiz wird Freiwilligenarbeit überwiegend im Rahmen von Sportvereinen (18%) geleistet. An zweiter Stelle folgt Freiwilligenarbeit in Wohltätigkeitsvereinen (7%), gefolgt von kulturellen, kirchlichen Vereinen, Hobbyvereinigungen und Jugendverbände. In Jugendverbänden wird Freiwilligenarbeit aber nur noch von einem Schweizer auf 25 geleistet. Weit abgeschlagen sind die etablierten Grossorganisationen (Parteien, Gewerkschaften, Berufsverbände). (vgl. Kriesi 2004:79ff.)
Schweizerinnen und Schweizer leisteten 1997 während durchschnittlich 14 Stunden pro Monat formelle Freiwilligenarbeit und etwa gleich viel informelle Freiwilligenarbeit (vgl. Bühlmann/Schmid 1999:46ff.). Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Freiwilligenarbeit ist enorm. Zu Marktpreisen wären diese unbezahlten Arbeiten mit einem Wert von ungefähr 20 Milliarden[1] Franken zu veranschlagen. Die im Rahmen von Vereinen und Organisationen verrichtete formelle Freiwilligenarbeit sowie die informell geleistete Arbeit für Dritte wie Nachbarschaftshilfe, Betreuung von Kindern, die nicht im selbem Haushalt leben, usw. sind je rund 10 Milliarden Franken wert. (vgl. Carigiet 2004:120f.)
3 Der Sozialstaat/Wohlfahrtsstaat
3.1 Definition
Es gibt eine Kontroverse darüber, ob die Begriffe `Sozialstaat` und `Wohlfahrtsstaat` dieselbe Bedeutung haben. In dieser Arbeit werden beide Begriffe als Synonyme verwendet. Der moderne Wohlfahrtsstaat definiert Christoph Butterwegge (1999) als:
„(…) ein Gemeinwesen, das die Benachteiligung grösserer Gruppen im ökonomischen Reproduktionsprozess (Alte, Kranke, Behinderte, Erwerbslose usw.) durch Geld-, Sach- und/oder personenbezogene Dienstleistungen des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesens kompensiert, sei es aus öffentlichen Haushalten oder über beitragsfinanzierte Versicherungssysteme, die soziale Teilhabe aller Bürger/innen gewährleistet und – per Rechtsanspruch – sicherstellt, dass niemand von einer allgemeinen Wohlstandsmehrung ausgeschlossen wird (soziale Gerechtigkeit).“ (ebd.:15)
3.2 Zur Entwicklung des Sozialstaates
Die Herausbildung wohlfahrtsstaatlicher Regime ab dem 19. Jahrhundert gehört zu den wesentlichen Kennzeichen der europäischen Moderne. Das Ende der bis dahin gültigen Zunftverfassungen und die Auflösung der Ständegesellschaft in der Folge von Industrialisierung und liberal-kapitalistischer Markwirtschaft führten die Arbeitenden zwar einerseits aus ihren alten Bindungen in eine bis dahin ungekannte Form der Existenzsicherung. Anderseits waren die Arbeitnehmer neuen Gefährdungen wie erhöhtem Unfallrisiko, der Gefahr von Arbeitslosigkeit sowie dem Risiko von Verelendung bei Invalidität und Alter schutzlos ausgesetzt (vgl. Ritter 1998:11). Die Überwindung dieser neuen Herausforderungen wurde zur Geburtsstunde des modernen Wohlfahrtsstaates „mit seiner erneuten Regulierung wichtiger Teile der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und später immer weiterer Kreise der Bevölkerung“ (ebd.). Die sozialpolitischen Massnahmen waren der „Versuch, die soziale Existenz der von diesem umfassenden Wandel betroffenen Menschen zu sichern und gleichzeitig die bestehende Ordnung von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat gegen revolutionäre Umbrüche zu schützen“ (ebd.).
Das System der sozialen Sicherung hat sich in der Schweiz seit der Gründung des Bundesstaates im Jahre 1848 herausgebildet. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde der Wohlfahrtsstaat durch Verfassungsrevisionen sowie durch zahlreiche Gesetze und Verordnungen weiter ausgebaut. Antonin Wagner (1999) zählt das Schweizerische Sicherungssystem zum Typ der `dritten Wohlfahrtsregime`, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass intermediäre Träger zwischen Markt und Staat in die soziale Sicherung einbezogen sind und mit weitgehender Selbstverwaltung ausgestattet sind. Wagner bezeichnet den Schweizerischen Wohlfahrtsstaat als `kommunitarischen Wohlfahrtsstaat`, weil zusätzlich zum Zusammenspiel von privater Initiative und staatlicher Verantwortung auch territoriale Gemeinwesen (Föderalismus) in ihrer Ausprägung als Ortsgemeinden und funktionale Gemeinschaften in Form freiwilliger, auf Gegenseitigkeit beruhender Zusammenschlüsse bei der sozialen Sicherung eine wichtige Rolle spielen. (vgl. Wagner 1999:17)
Die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates ist eine Entwicklung der Rationalisierung, Monetarisierung, Professionalisierung und Bürokratisierung sozialer Hilfe. Soziale Leistungen werden vermehrt über Sozialversicherungen finanziert und zunehmend professionalisiert, was zur Folge hat, dass gewisse private Hilfeleistungen verdrängt werden (vgl. Füglistaler/Pedergnana 1996:57f.). Im Sozialstaat bedarf es keiner persönlichen Beziehung zwischen dem `Geber` und dem `Nehmer`. Das Verhältnis zwischen `Helfer` und `Hilfesuchendem` verliert seine persönliche, emotionale Qualität und wird zu einer unpersönlichen Transaktion. Die funktional differenzierte Gesellschaft institutionalisiert Hilfe primär mittels bürokratischer Organisationen, die auf das Helfen spezialisiert sind. Damit wird der Empfänger von der persönlichen Dankbarkeitspflicht befreit. Rechtsansprüche der Bürger/innen gegenüber staatlichen oder halbstaatlichen Einrichtungen ersetzen traditionale Formen der Armenpolitik (wie z.B. religiöse Motivation der sozialen Hilfe). Somit verliert die soziale Hilfe ihre moralische Dimension (vgl. Huf 1998:117).
Es tritt eine Ambivalenz von Rationalisierungsprozessen in der sozialen Hilfe auf. Einerseits wird Hilfe generalisiert, professionalisiert, nach verlässlichen Regeln und unabhängig von persönlichen Erwägungen des Sozialarbeiters erledigt, andererseits entstehen neue Abhängigkeiten. Notlagen, die keiner vordefinierten Situation oder keinem Programm zu geordnet werden können, sind für die Organisation nicht wahrnehmbar und somit nicht bearbeitbar (ebd.:120). Des Weiteren entsteht ein Dilemma durch die Verrechtlichungstendenzen. Der Sozialstaat strebt zwar Gleichheit und Freiheit an, aber Desintegration und Freiheitsgefährdung sind die Folgen (ebd.:122).
Es wird konstatiert, dass die staatliche Bürokratie zu schwerfällig ist, zu bürokratisch, zu viel bevormundet und private Initiativen unterdrückt. Der Wohlfahrtsstaat wird als entfremdet und undurchschaubar wahrgenommen. Rufe nach Entstaatlichung, bürgernaher Sozialpolitik und Subsidiarität schliessen sich dieser Diagnose häufig an (vgl. Huf 1998:121).
Der heutige Sozialstaat steht vor grossen Herausforderungen. Gesellschaftliche Entwicklungen wie die Überalterung, die zunehmende Arbeitslosigkeit, Wandel der Lebensformen (u.a. Geburtenrückgang) und neue Armutsformen (z.B. geschiedene, unterhaltspflichtige Personen; Alleinerziehende) führen zu wachsenden Ansprüchen an den Sozialstaat. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass „Sozialpolitik nicht nur ein ökonomischer Kostenfaktor ist, sondern auch eine Ressource des Wirtschaftsstandortes und kann vor allem in ihren Wirkungen nicht auf die ökonomische Dimension beschränkt werden“ (Huf 1998:212).
[...]
[1] Anhand des Spezialistenansatzes berechnet. 20 Milliarden Franken hätten aufgewendet werden müssen, wenn die untersuchten Arbeiten gegen Entgelt von Fachleuten verrichtet worden wären. Für jede unbezahlte Tätigkeit wurden Äquivalenzgruppen gebildet. (vgl. Carigiet 2004:120f.)
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- Karolina Weber (Author), 2005, Freiwilligenarbeit als Lösung sozialstaatlicher Probleme?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65320
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