Hanns-Josef Ortheils Roman ,,Abschied von den Kriegsteilnehmern’’, in dem zum Teil autobiographische Elemente auftauchen, ist im Jahre 1992 erschienen. Dieser stellt das letzte Werk eines Nachkriegs-Zyklus des Autors dar, der mit ,,Fermer’’ beginnend über ,,Hecke’’ und ,,Schwerenöter’’ zu ,,Agenten’’ führt. Durch den Erfolg dieser fünf Bücher hat sich Ortheil ,,in die vorderste Riege der repräsentativen deutschen Schriftsteller’’ befördert. Allen gemein ist die Thematik über den Verlust von Erfahrungen, wobei die jeweiligen Protagonisten entweder versuchen, diese wiederzuerlangen oder feststellen, dass sie dazu nicht im Stande sind. Damit verbunden ist eine Selbstfindungsproblematik, die vor allem in dem letzten Werk von Ortheils Nachkriegs-Zyklus besondere Bedeutung erlangt. Diese steht in einem engen Zusammenhang mit der Beziehung des Erzählers zu seinem Vater und dem Generationskonflikt zwischen Kriegsteilnehmern und Nachkriegsgeneration. Somit zählt ,,Abschied von den Kriegsteilnehmern’’ sowohl zur Nachkriegs- als auch zur Elternliteratur. Diese Hausarbeit beschäftigt sich vornehmlich mit der oben genannten Vater-Sohn-Beziehung, deren Zusammenhang mit dem Generationskonflikt und deren Folgen für den Protagonisten des Werkes, was auch dessen Umgang mit der Trauer über seinen Verlust beinhaltet. Zusätzlich tauchen in der Lektüre zwei weitere Vaterbeziehungen auf, die ebenfalls aufgegriffen und näher erläutert werden. Weiterhin wird ein Vergleich dieser ,,familiären’’ Beziehungen angestellt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede gekennzeichnet und zueinander in Verhältnis gesetzt. Dabei wird das Buch in Sinnabschnitte unterteilt, um eine detaillierte Ausarbeitung der verschiedenen Vaterbeziehungen zu gewährleisten.
Inhaltsverzeichnis
1.0 Einleitung
2.0 Vorbemerkungen zur Lektüre
3.0 Die Vater-Sohn-Beziehung
3.1. Verdrängung
3.2. Identitätskrise
3.3. Folgen der Verdrängung und der Identitätskrise
3.4. Generationskonflikt
3.4.1. Die Ursache für das Schriftstellerdasein des Erzählers
3.4.2. Die Rolle des Vaters im zweiten Weltkrieg
3.4.3. Heimatvetreibung
3.5. Die Flucht – ein Ablösungsversuch
3.4. Die Ablösung vom Vater
4.0. Die aufgedrängte Vaterrolle
5.0. Die übernommene Vaterrolle
5.1. Das Kennenlernen
5.2. Das Phantasieren
5.3. Die Dampfschifffahrt
6.0. Vergleich der verschiedenen Vaterbeziehungen
6.1. Die Beziehung des Erzählers zum Vater im Gegensatz zur aufgedrängten Vaterrolle
6.2. Die Beziehung des Erzählers zum Vater im Gegensatz zur übernommenen Vaterrolle
7.0. Fazit
8.0. Anhang
8.1. Bibliographie
1.0 Einleitung
Hanns-Josef Ortheils Roman ,,Abschied von den Kriegsteilnehmern’’, in dem zum Teil autobiographische Elemente auftauchen, ist im Jahre 1992 erschienen. Dieser stellt das letzte Werk eines Nachkriegs-Zyklus des Autors dar, der mit ,,Fermer’’ beginnend über ,,Hecke’’ und ,,Schwerenöter’’ zu ,,Agenten’’ führt. Durch den Erfolg dieser fünf Bücher hat sich Ortheil ,,in die vorderste Riege der repräsentativen deutschen Schriftsteller’’[1] befördert. Allen gemein ist die Thematik über den Verlust von Erfahrungen, wobei die jeweiligen Protagonisten entweder versuchen, diese wiederzuerlangen oder feststellen, dass sie dazu nicht im Stande sind.[2] Damit verbunden ist eine Selbstfindungsproblematik, die vor allem in dem letzten Werk von Ortheils Nachkriegs-Zyklus besondere Bedeutung erlangt. Diese steht in einem engen Zusammenhang mit der Beziehung des Erzählers zu seinem Vater und dem Generationskonflikt zwischen Kriegsteilnehmern und Nachkriegsgeneration. Somit zählt ,,Abschied von den Kriegsteilnehmern’’ sowohl zur Nachkriegs- als auch zur Elternliteratur.[3] Diese Hausarbeit beschäftigt sich vornehmlich mit der oben genannten Vater-Sohn-Beziehung, deren Zusammenhang mit dem Generationskonflikt und deren Folgen für den Protagonisten des Werkes, was auch dessen Umgang mit der Trauer über seinen Verlust beinhaltet. Zusätzlich tauchen in der Lektüre zwei weitere Vaterbeziehungen auf, die ebenfalls aufgegriffen und näher erläutert werden. Weiterhin wird ein Vergleich dieser ,,familiären’’ Beziehungen angestellt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede gekennzeichnet und zueinander in Verhältnis gesetzt. Dabei wird das Buch in Sinnabschnitte unterteilt, um eine detaillierte Ausarbeitung der verschiedenen Vaterbeziehungen zu gewährleisten.
2.0 Vorbemerkungen zur Lektüre
Die wichtigste Person des Romans stellt ein Schriftsteller dar, der das gesamte Werk über namenlos bleibt. Diese Tatsache steht im Gegensatz dazu, dass der Leser durch die Erzählungen des Protagonisten nicht nur einen tiefen Einblick in dessen Gefühls- und Emotionswelt erhält, sondern auch intime Erläuterungen über die familiären Bindungen erfährt. Das führt bei diesem zu einer Irritation, da er in der Realität derartige Gefühlseinblicke nur durch eine freundschaftliche Bindung zu einer Person erlangt. Voraussetzung für eine solche Freundschaft ist, dass man einander mit Namen bekannt ist. Ohne diese Information ist der Aufbau einer engeren Beziehung kaum möglich. Die dadurch vom Autor geschaffene Verwirrung ermöglicht dem Leser unbewusst ein Maß an Objektivität dem Erzähler gegenüber zu erhalten, wodurch er sich nicht zu stark in die Emotionsebene von diesem einfühlt und somit den Blick für die Zusammenhänge von Generationskonflikt, Vaterbeziehung und die Bedeutung für die Gesellschaftsebene offen halten kann.
Weiterhin ist die Lektüre von Rückblendungen und Erinnerungen durchsetzt, was die Zuordnung in eine Chronologie der Ereignisse zwischen Vater und Sohn erschwert beziehungsweise nahezu unmöglich macht. Daher wird das Buch wie bereits oben erwähnt bei der jeweils beschriebenen Vaterbeziehung in Sinnabschnitte unterteilt.
Des Weiteren sei zu der Lektüre kurz angemerkt, dass einige autobiographische Elemente des Autors auftauchen, auf die diese Hausarbeit aber nicht näher eingehen wird.
3.0 Die Vater-Sohn-Beziehung
3.1 Verdrängung
Zu Beginn des Romans wird der Vater des Erzählers zu Grabe getragen. Dessen Tod hatte sich durch häufige Krankheiten bereits angekündigt. Die Warnhinweise dafür, ,,daß es [dem] Vater nicht gut gehe, […], daß der Tod bevorstehe, daß der Tod angekündigt’’[4] sei, wurden dem Sohn durch seine Mutter überbracht. Dieser nahm die Anzeichen nicht ernst, sondern ignorierte sie sogar. Die Reaktion seinerseits erfolgt deshalb, weil er nicht wahr haben will, dass sein Vater ein menschliches Wesen ist, dem etwas wie der Tod zustoßen könnte. Außerdem ging es diesem nach jedem Besuch seines Kindes wieder so gut, dass er wie ein ,,frischer Mann’’[5] aussah. Außerdem versucht der Erzähler, die Konsequenzen des Vatertodes und die zwingend darauf folgenden Gedanken über das Familienoberhaupt von sich zu weisen, indem er die Anhaltspunkte für den baldigen Verlust ausblendet. Dadurch kam es in der Vergangenheit häufig vor, dass die Mitteilungen seiner Mutter über den Zustand ihres Eheannes dazu führten, ihn ,,immer wieder zu irritieren’’.[6]
Ebenso wie er die Krankheiten seines Vaters nicht akzeptierte und ignorierte, geht er auch mit dessen Tod um. Dies macht sich schon bei der Aufbahrung des Toten in der Leichenhalle bemerkbar, da er Stunden neben diesem in der Hoffnung und dem Glauben verbringt, dass der Vater ,,sich jederzeit wieder in einen lebendigen Menschen verwandeln’’[7] könnte. Bei dem Begräbnis wird deutlich, dass der Sohn den Tod des Familienoberhauptes nicht akzeptieren will: ,,Nein, […], mein Vater ist irgendwo, jedenfalls nicht in diesem Sarg’’.[8] Außerdem verdrängt der Erzähler seinen Verlust, da er meint, in dem Sarg liege jemand anderes. Es könne nicht sein Vater sein, denn ,,dann hätte er ja zuvor gestorben sein müssen’’.[9] Der Sohn will das Geschehene nicht wahr haben. Er untersagt sich jegliche Gefühle, die in die Richtung des Akzeptierens und Trauerns gehen würden. Somit erfüllt der Erzähler die erste Entwicklungsperiode in einem Prozess des Trauerns, die Phase des ,,Nicht-Wahrhaben-Wollens’’.[10] In dieser empfindet der Trauernde keine Emotionen und ist starr vor Entsetzen. Auf dieser Entwicklungsstufe befindet sich der Erzähler, weil er den Tod des Vaters verdrängt. Dies geschieht, weil er sich nicht seinen Erinnerungen an diesen geliebten Menschen stellen möchte. Er hat Angst vor den Emotionen, die diese in ihm auslösen könnten. Daher versucht er, ,,alle Erinnerungen aus [seinen] Gedanken fortzuschaufeln, um nichts, rein gar nichts zu empfinden’’.[11] Diese Angst begründet sich in dem Verhalten seiner Mutter, die aufgrund des Verlustes von vier Kindern und den dadurch gebliebenen Sud an Andenken beinahe für immer ihr Sprachvermögen oder ihr Leben verloren hätte. Weiterhin ist er der Meinung, dass ,,man diese Erinnerungen einfach beherrschen lernen’’[12] müsste. Er selbst bezeichnet sich in diesem Können als ,,großen Meister’’, merkt jedoch im weiteren Verlauf der Beerdigung, dass dies nicht der Wahrheit entspricht, da es ihm zunehmend schwerer fällt, die Rückblenden an Situationen mit seinem Erzeuger aufzuhalten. Die einzige Möglichkeit, die ihm bleibt, ist, sich davor zu hüten, ,,der Erinnerung an [seinen] Vater allzu nahe zu kommen’’.[13] Trotz all seiner Bemühungen führt dieses Erlebnis fast zu seinem Zusammenbruch, der noch in weiteren Ursachen begründet ist.
3.2 Identitätskrise
Der schwere Verlust, der dem Erzähler durch den Tod seines Vaters beigebracht wird, führt diesen in eine schwere Identitätskrise. Hier befindet sich der Erzähler auf der zweiten Entwicklungsstufe des Trauerprozesses, der Phase der aufbrechenden Emotionen. In dieser treten häufig Angstgefühle und Ruhelosigkeit auf.[14] Der Protagonist ist der einzig Überlebende von insgesamt fünf Söhnen. Die anderen vier sind entweder während des Krieges oder in der kurz darauf folgenden Nachkriegszeit gestorben. Diese Tatsache bedrückt den Erzähler, da er sich verpflichtet fühlt, nicht nur mit seiner Persönlichkeit vor seinem Vater bestehen zu können, sondern ebenfalls die verstorbenen Brüder ersetzen und präsentieren zu müssen. Weiterhin ist er für den Fortbestand der Familie verantwortlich. Diese Belastung drückt er körperlich aus: ,,Ich trug sie auf meinem Buckel, obwohl ich keinen von ihnen je gekannt hatte’’.[15] Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, nannte ihn sein Vater seinen ,,einzigen Sohn’’.[16] Diese Verantwortung aus seiner Sicht den Eltern gegenüber, seinen einzelnen Platz mit vier weiteren Kindern auszufüllen, setzt ihn unter so großen Druck, dass er ,,vor allem dem Andenken [seiner] Brüder, nicht [sich] selbst’’ dient.[17] In ihm vereinen sich demnach fünf Söhne, also fünf Identitäten, wobei er bei den anderen vieren nur erahnen kann, wie die jeweilige beschaffen ist. Mit dem für ihn plötzlichen Tod seines Vaters konfrontiert, entfallen die andauernden Bemühungen sich als den ,,einzigen Sohn’’ profilieren zu müssen. Somit fällt ebenfalls die Definition seiner Persönlichkeit als Sohn in sich zusammen.[18] Was bleibt, ist eine Identitätskrise, in der ihm die Erklärung für den Sinn seines Daseins auf der Welt entschwindet.
3.3 Folgen der Verdrängung und der Identitätskrise.
Durch die Nichtakzeptanz des väterlichen Todes verliert der Erzähler die Fähigkeit zu trauern. Auch durch seine weiterhin bestehende Weigerung sich an seinen Vater zu erinnern, kann er keine Trauerarbeit aufnehmen. Dies äußert sich darin, dass er weder mit Menschen sprechen kann, die ihm ihr Beileid ausdrücken wollen, noch die Trauerpost bearbeitet. Wenn es nach ihm gehen würde, hätte er am liebsten ,,den ganzen Haufen verbrannt’’.[19] Die Trauerbekundungen bedeuten für ihn, dass sein Vater der Vergangenheit angehört. Weil er aber dessen Ableben ignoriert, muss für seinen Erzeuger eine Zukunft bestehen, wodurch die Trauerpost für ihn unnötig wirkt. Da er sich eine eigene Zukunft ohne seinen Vater ebenfalls nicht vorstellen kann[20], bettet er das Familienoberhaupt in einer Stätte, die sich in seiner Seele befindet.
[...]
[1] Schmitz, Helmut: Der Landvermesser auf der Suche nach der poetischen Heimat. Stuttgart 1997, S. 213.
[2] Vgl. Schmitz, Helmut: Umkreisen, Wiederholen, Weitergeben. Zu Erzählerfiguren und Erzählkonstruktionen in Ortheils ,,Nachkriegs’’-Zyklus. In: Müller, Hans-Rüdiger (Hg.): Die Kunst der Benennung. Autobiographische Bildungsforschung am Beispiel von Hanns-Josef Ortheils Essay ,,Das Element des Elephanten’’. Göttingen 2005, S. 111-112.
[3] Vgl. ebenda, S. 213-214
[4] Ortheil, Hanns-Josef: Abschied von den Kriegsteilnehmern. München 1992, S. 10.
[5] ebenda, S. 11.
[6] Ortheil, Hanns-Josef: Abschied von den Kriegsteilnehmern. München 1992, S. 10.
[7] ebenda, S. 35.
[8] ebenda, S. 9.
[9] ebenda, S. 9.
[10] Kast, Verena: Sich einlassen und loslassen. Neue Lebensmöglichkeiten bei Trauer und Trennung. Breisgau 1994, S. 16.
[11] Ortheil, Hanns-Josef: Abschied von den Kriegsteilnehmern. München 1992, S. 9.
[12] ebenda, S. 13.
[13] ebenda, S. 27.
[14] Vgl. Kast, Verena: Sich einlassen und loslassen. Neue Lebensmöglichkeiten bei Trauer und Trennung. Breisgau 1994, S. 16-17.
[15] Ortheil, Hanns-Josef: Abschied von den Kriegsteilnehmern. München 1992, S. 11.
[16] ebenda, S. 11.
[17] ebenda, S. 12.
[18] Vgl. Schmitz, Helmut: Der Landvermesser auf der Suche nach der poetischen Heimat. Stuttgart 1997, S. 215.
[19] Ortheil, Hanns-Josef: Abschied von den Kriegsteilnehmern. München 1992, S. 39.
[20] Vgl. Ortheil, Hanns-Josef: Abschied von den Kriegsteilnehmern. München 1992, S. 27.
- Citation du texte
- Maria-Carina Holz (Auteur), 2006, Vaterbeziehungen in Hanns-Josef Ortheils "Abschied von den Kriegsteilnehmern", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65263
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