In dieser Arbeit wird, ausgehend von allgemeinen kunstwissenschaftlichen Darstellungen sowie von literaturwissenschaftlichen Beiträgen über den „literarischen Jugendstil“, eine Stilanalyse des Romans „Der Tod Georgs“ von Richard Beer-Hofmann entwickelt.
Unter Verwendung der induktiven Methode wurden zunächst einzelne, für den Jugenstil mit seiner besonderen Charakteristik gemäße Textpassagen ausfindig gemacht und hinsichtlich ihrer stiltypischen Auffälligkeiten untersucht. Es wurde ermittelt, inwieweit die Anlehnung an Motive aus der Natur sowie deren ornamentale Verarbeitung, aber auch Merkmale wie Traum, Verwendung mystischer Figuren, Verklärung anzutreffen sind. Das für den Jugendstil kennzeichnende Hauptaugenmerk auf das Schöne bis in alle Lebensbereiche hinein findet in der Literatur seinen Ausdruck in einem auffälligen Ästhetizismus. In dieser Arbeit wird hinterfragt, ob Beer-Hofmann in seinem Roman diesem Prinzip durchgängig treu bleibt.
Arthur Schnitzler weist in einem Brief an Beer-Hofmann darauf hin, dass an einer Stelle des Werkes ein Bruch zu verzeichnen sei („Sie setzen sich sozusagen plötzlich an eine andre Orgel“). Ausgehend von dieser Kritik stellt sich die Frage, ob dieses Werk vollständig dem Jugenstil zuzuordnen ist oder diese Stelle signifikant für eine Abweichung, Richtungsänderung bzw. einen Stilwechsel ist. Die Untersuchung dieser Frage soll die induktive Methode mit Blick auf das gesamte Werk als Einheit abrunden.
Inhalt
1. Einleitung
2. Jugendstil
2.1. Der Jugendstil als Epoche
2.2. Stilelemente des Jugendstils
2.3. Literarischer Jugendstil
3. „Der Tod Georgs“ – Elemente des Jugendstils im Roman
3.1. Sehnsucht nach Glück
3.2. Der Traum
3.3. Die Bahnfahrt
3.4. Im Park
4. Der Roman als Gesamtwerk
5. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweis
1. Einleitung
In meiner Arbeit möchte ich, ausgehend von allgemeinen kunstwissenschaftlichen Darstellungen sowie von literaturwissenschaftlichen Beiträgen über den „literarischen Jugendstil“, eine Stilanalyse des Romans „Der Tod Georgs“ von Richard Beer-Hofmann entwickeln.
Unter Verwendung der induktiven Methode werde ich zunächst einzelne, für den Jugenstil mit seiner besonderen Charakteristik gemäße Textpassagen ausfindig machen und hinsichtlich ihrer stiltypischen Auffälligkeiten untersuchen. Es gilt zu ermitteln, inwieweit die Anlehnung an Motive aus der Natur sowie deren ornamentale Verarbeitung, aber auch Merkmale wie Traum, Verwendung mystischer Figuren, Verklärung anzutreffen sind.
Das für den Jugendstil kennzeichnende Hauptaugenmerk auf das Schöne bis in alle Lebensbereiche hinein findet in der Literatur seinen Ausdruck in einem auffälligen Ästhetizismus. Ich möchte hinterfragen, ob Beer-Hofmann in seinem Roman diesem Prinzip durchgängig treu bleibt.
Arthur Schnitzler weist in einem Brief an Beer-Hofmann darauf hin, dass an einer Stelle des Werkes ein Bruch zu verzeichnen sei („Sie setzen sich sozusagen plötzlich an eine andre Orgel“[1] ). Ausgehend von dieser Kritik stelle ich die Frage, ob dieses Werk vollständig dem Jugenstil zuzuordnen ist oder diese Stelle signifikant für eine Abweichung, Richtungsänderung bzw. einen Stilwechsel ist. Die Untersuchung dieser Frage soll die induktive Methode mit Blick auf das gesamte Werk als Einheit abrunden.
2. Jugendstil
2.1. Der Jugendstil als Epoche
Mit zunehmender Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand innerhalb der Künstlerschaft dieser Zeit das Bedürfnis, dieser rasanten Entwicklung etwas entgegen zu setzen. Wurden in den Jahrzehnten zuvor bereits vergangene Stilepochen aufgegriffen und neu verarbeitet (Neo-Gotik, Neo-Renaissance usw.), war es nun wichtig, etwas völlig Neues, Eigenes, einen aus sich selbst heraus entstandenen Stil zu entwickeln. „Die Welt hatte sich geändert, aber es gab noch keinen Stil, der diese Veränderung ausdrücken und sichtbar machen konnte. Das neue Zeitalter drückte sich noch immer in den Formen des alten aus: Klassik, Gotik, Renaissance, Barock oder Louis-quinze. Der Jugendstil war der erste Stil, der seinen Anfang nicht in der europäischen Geschichte hatte. Aber er war der erste Stil des neuen Jahrhunderts. Das erklärt auch, warum er sich so schnell und hektisch durchsetzte.“[2]
Die Bezeichnungen für diese Epoche sind in den einzelnen Ländern verschieden, drücken aber alle etwas Gleichgeartetes aus: „Art Nouveau“ in Frankreich, „Modern Style“ in England, „Jugendstil“ in Deutschland und Österreich. Alle Begriffe stehen für den Aufbruch, für etwas Modernes, Neues.
Der Pariser Geschäftsmann Samuel Bing war prägend für die Epoche des Jugendstils. Mit seinem Geschäft „Maison de l’Art Nouveau“ gelang ihm die Synthese aus Kommerz und Kunst, die dem Streben der neuen Stilrichtung, eine moderne Schönheit für alle Alltagsgegenstände zu entwickeln, sehr entsprach.[3]
Die neue Kunstrichtung zeichnete sich besonders durch eine Dekorativität aus, die sich durch alle Lebensbereiche zog, von der Architektur über die Innenausstattung von Räumen über deren Mobiliar bis hin zu den kleinen und kleinsten Gegenständen des Alltags, wie Schmuck, Besteck, Geschirr usw. Darüber hinaus fand diese dekorative Gestaltungskunst namentlich in den Druckerzeugnissen jener Zeit ihren ausgeprägten Niederschlag.
Besonders typisch für die Stilepoche des Jugendstils war das Miteinander der einzelnen Vertreter der jeweiligen Künste bzw. Kunsthandwerke. Das Ergebnis dessen sind gewissermaßen Gesamtkunstwerke, wie man noch heute an manchem Bauwerk oder Druckerzeugnis jener Zeit nachvollziehen kann.
Insgesamt umfasst die Epoche des Jugendstils einen Zeitraum von etwa 25 Jahren, von 1880 bis ca. 1905.
2.2. Stilelemente des Jugendstils
Stilbildend für den Jugendstil ist das Ornament – nicht sich permanent wiederholend, sondern sich stetig wandelnd. Im Zusammenhang damit ist das Verschwinden gerader Linien und rechter Winkel zu vermerken.
„Der Jugendstil lehnte gerade Linien und den rechten Winkel ab und bevorzugte ornamentale, vegetabile und florale Formen.“[4]
Die Formensprache findet in der Hinwendung zu Motiven aus der Natur, besonders pflanzlichen, sowie in charakteristischen welligen Strukturen einen neuen Ausdruck.
„Auch der Mensch ist nur Welle im ewigen Strom des Werdens und Vergehens.“[5]
Typisch ist eine starke Stilisierung der verwendeten Motive und Formen. Ebenso ist das Prinzip der Enträumlichung und Flächigkeit, als Einheit stiftend, charakteristisch.
„Die Flächenordnung ist ein Mittel, jenen Zusammenhang der Dinge, die totale Einheit spürbar zu machen, die den Grundzug der Weltinterpretation jener Epoche ausmacht. Was die Dinge in der Wirklichkeit als isoliert, von einander getrennt und unterschieden erscheinen läßt, ist ihre körperhafte Dreidimensionalität, ihr raumverdrängendes Volumen.“[6]
Damit einher geht eine Vereinfachung, ein Verzicht auf individualisierende Details. „Diese relative Entindividualisierung läßt die Dinge deutlicher als Manifestationen der einen und gleichen Substanz erscheinen. Die Reduktion des Individuellen bedeutet eine Steigerung des Universellen.“[7]
In der Kunst des Jugendstils ist in vielen Bereichen eine Auseinandersetzung mit Themen und Motiven aus der Mythologie zu beobachten. Dadurch werden bestimmte Stimmungen erzeugt, die sphärisch anmuten. Die dargestellten Wesen werden zu einer Art „Zwischenwesen“:
„Alles geht hier ineinander über, Wasser in Pflanzen, Pflanzen in Schwäne oder Schlangenleiber, diese in menschliche Glieder, ja die Schriftzeichen selber verschlingen sich als Geäst oder sind in Flammen und schwelenden Rauch verwandelt. Allen Arten von Zwischenwesen kommt darum ein hoher Rang im Arsenal der dekorativen Motive zu. Vorab den mythologischen.“[8]
Die Frauenfiguren des Jugendstils sind meist so genannte „femme fragile“.
„Eine femme fragile dagegen ist von zarter, zierlicher Gestalt mit blasser Haut, übergroßen Augen und einem reichen Haarwuchs, der in starkem Kontrast zu ihrer körperlichen Dürftigkeit steht. Als Frau ist sie kränklich (oft Schwindsucht), sie tendiert dazu, asexuell zu sein und lebt das distanzierte Leben einer Aristokratin. Den Genüssen des Lebens steht sie mit Verachtung gegenüber und findet ihre Erfüllung allein im schönen Sterben.“[9]
In den Landschaftsdarstellungen des Jugendstils spielt vorzugsweise Wasser eine Rolle, gepaart mit besonderen jahres- oder tageszeitlichen Stimmungen, wie Frühling, Herbst, Nacht oder Morgengrauen.
Bei all’ diesen verschiedenen Gestaltungsvarianten und –techniken in den Künsten dieser Stilepoche ist stets in erster Linie der Wunsch nach Verschönerung des Lebens maßgeblich.
2.3 Literarischer Jugendstil
Eine gewisse literarische Epoche als „literarischen Jugendstil“ zu benennen und einzugrenzen, stellte sich in der Literaturwissenschaft als Problem dar. Die Literatur der Zeit um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde mit den verschiedensten Gattungsbegriffen versehen, wie Impressionismus, Neue Romantik, Symbolismus oder auch Décadence.[10] Diese Begriffe wurden teilweise synonym verwendet.
Wenn man den literarischen Jugendstil überhaupt zuordnen wollte, dann müsste man ihn zwischen dem Naturalismus und dem Expressionismus ansiedeln. „Vom Naturalismus (und von dessen verfeinerter Form: dem Impressionismus) unterscheidet sich der Jugendstil auf den ersten Blick dadurch, daß ihm nicht mehr ‚alles Seiende’ zum Gegenstand wird; er trifft vielmehr eine sehr enge Auswahl der zulässigen Themen und Motive und baut aus ihr formierend und deformierend die Jugenstilwelt auf. An die Stelle der Impression tritt die Arabeske. Die Elemente dieser Jugendstilwelt sind aber noch nicht so ausschließlich auf eine übermächtige innere Vision bezogen, wie das später im Expressionismus der Fall sein wird.“[11]
Ebenso wie für die anderen Kunstgattungen bedeutete der Jugendstil für die Literatur eine Stilwende, die sich in erster Linie gegen den Stil des Wilhelminischen Neubarock richtete. Die Kunst suchte sich Ausdrucksmöglichkeiten, um gegen verfestigte Traditionen zu protestieren, neue Werte und Formen zu finden, einen neuen Aufbruch zu wagen.
Parallel zur bildenden Kunst findet sich auch in der Literatur die als Ornament gestaltete Linie. „Das ist gegen den Naturalismus und dessen streng mimetische Repräsentationslehre gedacht, und zwar mit der Begründung, daß das ‚Leben’ ein ‚Strom’ sei.“[12] Ebenso ist das Ineinanderübergehen von Elementen, die normalerweise nur separat existieren können, auch für die Dichtung charakteristisch. Der Frauentyp der „femme fragile“ tritt als literarische Figur gleichermaßen wie im Bildschaffen jener Zeit auf.
Übernatürliche Schönheit, übertriebener Ästhetizismus ist gattungsübergreifend, wie auch die mystische Verarbeitung von Naturerscheinungen. Für alle Kunstgattungen innerhalb des Jugendstils gilt, dass es sich um eine dekorative Stilrichtung handelt. Stiltypisch ist die Enträumlichung des Dargestellten, dass die so geschaffene Flächigkeit eine optimale Basis für das Dekorative bildet. „Die dreidimensionale Körperwelt wird auf zwei Ausdehnungen zurückgezogen und in diesem Rahmen dekorativ gruppiert. Der physische Hintergrund, die physische Ferne ist aufgehoben. Alles ist nah und gleichmäßig nah.“[13]
Vermittels der Sprache werden auch in der Dichtung äußerst dekorative Szenerien bzw. Topoi beschrieben.
Über die mit der bildenden Kunst vergleichbaren Attribute des Jugendstils hinaus gilt es, Merkmale zu fixieren, die besonders für den literarischen Jugendstil bezeichnend sind.
Die Literatur bringt die Figur des dandyhaften Ästheten ins Spiel, der sich (wie auch die knabenhafte, kränkelnde Frauenfigur) oft seinem solipsistischen, narzisstischen Gedankenstrom hingibt. Der asexuellen Frauenfigur gegenüber stehen, meist als Traumbilder in Erscheinung tretende, ausufernde religiöse Kulthandlungen, gepaart mit ekstatischem Erotismus.
[...]
[1] Schnitzler, Arthur. Beer-Hofmann, Richard: Briefwechsel. 1891 – 1931. Hg. von Konstanze Fliedl. Wien [u.a.] 1992, S. 144
[2] [Hardy, William]: Jugendstil. Hamburg 1987, S. 8
[3] vgl. ebd., S. 9 - 11
[4] ebd.
[5] Rasch, Wolfdietrich: Fläche, Welle, Ornament. Zur Deutung der nachimpressionistischen Malerei und des Jugendstils. In: Rasch, Wolfdietrich: Zur deutschen Literatur seit der Jahrhundertwende. Gesammelte Aufsätze. Stuttgart 1967, S. 201
[6] ebd., S. 191
[7] ebd., S. 192
[8] Sternberger, Dolf: Über den Jugendstil und andere Essays. Hamburg 1956, S. 14
[9] http://www.fs-rewi.uni-bonn.de/ss/ss9a7.htm letzter Zugriff: 25.12.2005, 21:58 Uhr
[10] vgl.: Jahrhundertwende. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1890 – 1910. Hg. von Erich Ruprecht und Dieter Bänsch. Stuttgart 1981, S. XVII
[11] Jost, Dominik: Literarischer Jugendstil. 2., erg. Aufl., Stuttgart 1980 (= Sammlung Metzler, Bd. 81. Realien zur Literatur. Abt. Deutsche Literaturgeschichte), S. 6
[12] Blasberg, Cornelia: Jugendstil-Literatur. Schwierigkeiten mit einem Bindestrich. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft, Bd. 72 (1998), 4, S. 688
[13] ebd., S. 6
- Quote paper
- Dietlinde Schmalfuß-Plicht (Author), 2006, "Der Tod Georgs" von Richard Beer-Hofmann - ein Roman des Jugendstils?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65226
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