Lucien Tesnière (1893-1954) ist als Begründer der modernen Dependenzgrammatik bekannt geworden, und sein Hauptwerk (Drucklegung posthum, 1959) "Eléments de Syntaxe Structurale" gehört sicher zu den wichtigeren Entwürfen der theoretischen Linguistik.
Die Resonanz auf sein Werk war vor allem in Deutschland beträchtlich. Sowohl die Vorzüge als auch die Schwächen seiner Theorie haben zur Beschäftigung mit ihr geführt, und es wurden Versuche zur Weiterentwicklung unternommen, um die Theorie auf tragfähigeren Grundlagen zu revidieren.
In Teil 1 der vorliegenden Arbeit wird die Theorie Tesnières mit ihren Basiselementen Konnexion, Junktion und Translation sowie der Beschränkung auf nur vier Wortklassen und der Setzung des Verbs als oberste Hierarchiestufe des Satzes kurz vorgestellt.
Der Weiterentwicklungsansatz von Hans-Jürgen Heringer steht im Interesse von Teil 2 der Arbeit. Heringers Ansatz wird - begrenzt auf die Aufstellung seines Regelsystems für Verbalsätze des Deutschen - auf die Übereinstimmung mit den formalen Bedingungen Tesnières hin untersucht und - kritisch kommentiert - dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Theorie Tesnières
2. Heringers Regelsystem für Verbalsätze des Deutschen als Versuch einer Weiterentwicklung der Theorie Tesnières
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Einleitung
Lucien Tesnière (1893-1954) ist als Begründer der modernen Dependenz-grammatik bekannt geworden, und „sein Hauptwerk (Drucklegung posthum, 1959), „Eléments de Syntaxe Structurale“, gehört sicher zu den wichtigeren Entwürfen der theoretischen Linguistik“.[1]
Die Resonanz auf sein Werk war vor allem in Deutschland beträchtlich. Sowohl die Vorzüge als auch die Schwächen seiner Theorie haben zur Beschäftigung mit ihr geführt, und es wurden Versuche zur Weiterentwicklung unternommen, „um die Theorie auf tragfähigeren Grundlagen zu revidieren“.[2]
In Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit soll die Theorie Tesnières mit ihren Basiselementen Konnexion, Junktion und Translation sowie der Beschrän-kung auf vier Wortklassen und der Setzung des Verbs als oberste Hierarchiestufe des Satzes kurz vorgestellt werden.
Der Weiterentwicklungsansatz von Hans-Jürgen Heringer steht im Interesse von Kapitel 2 der Arbeit. Er soll – begrenzt auf die Aufstellung seines Regelsystems für Verbalsätze des Deutschen – auf seine Übereinstimmung mit den formalen Bedingungen Tesnières hin untersucht und kritisch kommentiert dargestellt werden.
1. Die Theorie Tesnières
„Tesnières Gegenstand ist die Ausdrucksstruktur aller Sätze im Sprach-system, also nichts anderes als Wilhelm von Humboldts innere Sprach-form[3] auf der Ebene der Syntax.“[4]
So ist die äußere Form des Satzes Gegenstand der Morphologie, die innere Form jedoch Gegenstand der Syntax, die autonom ist.[5]
Um die Struktur eines Satzes sichtbar machen zu können, geht Tesnière über die Annahme des Satzes als lineare Abfolge, als Kette von Wörtern hinaus: ein Satz ist als organische Einheit anzusehen; dessen Elemente die Wörter sind, zwischen denen das Bewusstsein des Lesers/Hörers hierarchische Verbindungen feststellt. Diese Abhängigkeitsrelation (oder auch Dependenzrelation) nennt Tesnière Konnexion. Sie verbindet einen übergeordneten Term (Regens) mit einem untergeordneten Term (Dependens).
Als höchste Hierarchiestufe legt Tesnière das Verb fest. Die Fähigkeit des Verbs, Stellen für Mitspieler (Aktanten) zu öffnen, die besetzt werden müssen, also obligatorisch sind, oder frei hinzutreten können, also fakultativ sind, nennt Tesnière Valenz. Die Valenz eines Verbs ist somit entscheidend für die hierarchischen Beziehungen innerhalb eines Satzes. Ein Beispiel für die Konnexion gibt er mit dem Satz „Alfred spricht“, der aus drei Elementen besteht: Alfred, spricht und der Verbindung dieser beiden Elemente, die durch kein äußeres Merkmal angezeigt wird. Für den Beispielsatz gilt: Alfred ist dependent von spricht, spricht regiert Alfred. In einem Stemma (ein Graph, dessen Knoten durch Wörter belegt sind und dessen Kanten die Konnexionen bezeichnen) wird der Satz wie folgt dargestellt:
Tesnière vernachlässigt also die lineare Abfolge der Wörter (die eindimensionale Wortkette) zu Gunsten einer strukturellen Darstellung.
„Der Begriff der Konnexion (als Abhängigkeitsbeziehung) dient dem Versuch, die syntaktische Form der Sprache, die sich ja beliebig mehr-dimensional denken lässt, wenigstens zweidimensional angemessen zu erklären.“[6]
Tesnière unterteilt die Wörter in Vollwörter und Leerwörter (Auf die Problematik, die sich aus der Einteilung in Voll- und Leerwörter ergibt, soll hier nicht eingegangen werden.). Unter Vollwörtern versteht er Wörter, die semantisch gefüllt sind, mit denen sich eine Vorstellung verbinden lässt. Die Vollwörter teilt er in vier Klassen ein: Verb, Substantiv, Adjektiv und Adverb. Die Leerwörter werden ebenfalls (nach ihrer Funktion) in Klassen eingeteilt. Leerwörter mit nebenordnender Funktion nennt er Junktive (und, oder etc.), solche mit unterordnender Funktion Translative (dass, weil etc). Im virtuellen Stemma werden sie repräsentiert durch j und t. Um auch die Kategorien innerhalb der Vollwörter in einem virtuellen Stemma darstellen zu können, führt Tesnière folgende Symbole ein:
I = Verb
O = Substantiv
A = Adjektiv
E = Adverb
Die Dependenzrelationen zwischen diesen Kategorien setzt er folgendermaßen fest:
I ← vom Verb hängen direkt ab: Substantiv und/oder Adverb
O ← vom Substantiv hängen direkt ab: Adjektiv und/oder Adverb
A ← vom Adjektiv hängt ab: Adverb
E ← vom Adverb hängt ab: Adverb
Die Leerwörter spielen im Netz der Konnexionen keine Rolle, Tesnière
fasst sie als „grammatische Werkzeuge auf, „die die Struktur des Satzes spezifizieren, indem sie seinen Aufbau modifizieren“, wobei die Junktive diese Aufgabe in „quantitativer“, die Translative in „qualitativer“ Weise erfüllen.[7]
[...]
[1] Baumgärtner, Klaus: Spracherklärung mit den Mitteln der Abhängigkeitsstruktur. In: Beiträge zur Sprachkunde und Informationsverarbeitung, Heft 5, München 1965,
[2] Weber, Heinz Josef: Dependenzgrammatik: Ein Arbeitsbuch., Tübingen 1992,
[3] [3] Vgl. Humboldt, Wilhelm von: Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, hrsg. v. Alexander von Humboldt, Berlin 1836, 2. Nachdruck nach Dümmlers Original-Ausgabe von 1836, Bonn 1967
[4] Baumgärtner, Klaus: a.a.O.,
[5] Siehe Anmerkung (1)
[6] Baumgärtner, Klaus: a.a.O.,
[7] Tesnière, Lucien: Grundzüge der strukturalen Syntax, hrsg. u. übersetzt v. Ulrich Engel, Stuttgart 1980,
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- MA Annette Wallbruch (Author), 1995, Die Weiterentwicklung der Dependenzgrammatik Tesnières am Beispiel eines Regelsystems für Verbalsätze des Deutschen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65135
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