Die Evaluation von Unterricht ist ein wesentliches Element für die Weiterentwicklung und Verbesserung des Schulalltages. Neben der Erhebung von Daten über die Ergebnisse von Unterricht bei der Ausbildung verschiedener Kernkompetenzen, wie es in den PISA- und Iglu-Studien geschehen ist, müssen auch die Strukturen des Unterrichtsablaufes selber evaluiert werden. Zu Erkenntnissen über die Struktur von Unterricht gelangt man dabei am besten durch wissenschaftlich fundierte Beobachtungen des eigentlichen Unterrichtsgeschehens, z. B. durch offene oder durch systematische Beobachtungen.
Die reine Beobachtung führt für sich genommen aber noch nicht zu weiterführenden Erkenntnissen. Vielmehr müssen die erhobenen Daten, die meist in Form von Beobachtungsprotokollen vorliegen, interpretiert werden. In der vorliegenden Arbeit soll ein zu diesem Zweck entwickeltes Interpretationsverfahren, die Methode der objektiven Hermeneutik, vorgestellt und auf seine Brauchbarkeit im schulischen Kontext hin untersucht werden. Dazu werden im ersten Teil die theoretischen Grundlagen der Methode sowie ihr praktisches Vorgehen dargestellt. Im zweiten Teil der Arbeit sollen anhand eines Beispieles die Vorteile dieser Methode, aber auch ihre Probleme beim Einsatz in der Unterrichtsforschung, erörtert werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hermeneutik in den Sozialwissenschaften
2.1 Die Methode der objektiven Hermeneutik
2.2 Das praktische Vorgehen der objektiven Hermeneutik
3. Objektiv-hermeneutische Analyse von Unterricht
3.1 Möglicher Erkenntnisgewinn
3.2 Probleme der Anwendung im Schulalltag
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Evaluation von Unterricht ist ein wesentliches Element für die Weiterentwicklung und Verbesserung des Schulalltages. Neben der Erhebung von Daten über die Ergebnisse von Unterricht bei der Ausbildung verschiedener Kernkompetenzen, wie es in den PISA- und Iglu-Studien geschehen ist, müssen auch die Strukturen des Unterrichtsablaufes selber evaluiert werden. Zu Erkenntnissen über die Struktur von Unterricht gelangt man dabei am besten durch wissenschaftlich fundierte Beobachtungen des eigentlichen Unterrichtsgeschehens, z. B. durch offene oder durch systematische Beobachtungen.[1]
Die reine Beobachtung führt für sich genommen aber noch nicht zu weiterführenden Erkenntnissen. Vielmehr müssen die erhobenen Daten, die meist in Form von Beobachtungsprotokollen vorliegen, interpretiert werden. In der vorliegenden Arbeit soll ein zu diesem Zweck entwickeltes Interpretationsverfahren, die Methode der objektiven Hermeneutik, vorgestellt und auf seine Brauchbarkeit im schulischen Kontext hin untersucht werden. Dazu werden im ersten Teil die theoretischen Grundlagen der Methode sowie ihr praktisches Vorgehen dargestellt. Im zweiten Teil der Arbeit sollen anhand eines Beispieles die Vorteile dieser Methode, aber auch ihre Probleme beim Einsatz in der Unterrichtsforschung, erörtert werden.
2. Hermeneutik in den Sozialwissenschaften
Als Hermeneutik, abgeleitet vom griechischen Wort Hermëneutikë, bezeichnet man die Kunst bzw. die wissenschaftliche Methode der Auslegung. Folgt man der Unterscheidung von Wilhelm Dilthey, so sind es in erster Linie die Geisteswissenschaften, deren Vorgehen geradezu zwangsläufig ein Hermeneutisches sein muss: Ausgehend von der Psychologie entwickelte er den Begriff des 'Verstehens' und brachte ihn in Stellung gegen eine 'erklärende' Psychologie, deren Methode sich am schematischen und generalisierenden Modell der kausal operierenden Naturwissenschaften orientierte. Anstelle einer kausal-logischen Erklärung von Einzelphänomenen setzte er das Verstehen der Struktur, in welche diese eingebettet sind.[2]
Im Gefolge des zunehmenden Interesses für die interpretative Soziologie und den qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung hat sich das hermeneutische Vorgehen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts als Methode im Bereich der Soziologie etabliert und mittlerweile in ein Vielzahl von Spezialmethoden aufgefächert.[3]Allerdings muss hier angemerkt werden, dass nicht in allen Fällen auch eine systematische Auseinandersetzung mit den Theorien der Hermeneutik erfolgt, so dass Kurt zu dem Schluss gelangt: „die Potentiale der Hermeneutik sind in der Soziologie noch weitgehend unausgeschöpft.“[4]
Allgemein gesprochen, kann man unter hermeneutischem Vorgehen eine methodisch geleitete Rekonstruktion eines ursprünglichen Sinnzusammenhanges verstehen, wobei dieser abgebildet ist in einem sprachlichen Gebilde, z. B. einem Text. Die Grundforderung des hermeneutischen Vorgehens ist dabei, dass die einzelnen Teile des Textes nicht atomar betrachtet werden, sondern aus dem Sinnzusammenhang des gesamten Textes heraus verstanden werden.
Das Ziel eines hermeneutischen Vorgehens in der Soziologie im Allgemeinen, wie auch bei der Bewertung von Unterrichtsabläufen im Besonderen, ist das Verständnis von sozialen Handlungsabläufen, d. h. von menschlichem Verhalten. Ein solches Verständnis, soll es objektiv und mittels eines methodisch kontrollierten Verfahrens herbeigeführt werden, kann aber immer nur im Nachhinein erfolgen.[5]Die zu interpretierenden Texte müssen demnach ein genaues Protokoll der sozialen Situation sein, die verstanden werden soll, beispielsweise eine Unterrichtsstunde. Im Folgenden soll nun kurz die von Ullrich Oevermann entwickelte Methode der objektiven Hermeneutik dargestellt werden.
2.1 Die Methode der objektiven Hermeneutik
Der Ausgangspunkt für die Entwicklung der objektiven Hermeneutik war die Notwendigkeit, Protokolle innerfamiliärer Interaktionen unter sozialisationstheoretischen Gesichtspunkten zu interpretieren. Dabei hat sich gezeigt, das die Handlungsstrukturen der Subjekte „weder als bloße Imprägnaturen von Relationen in der Außenwelt noch als monologische Entfaltungen präexistenter homologer Ausstattungen“[6]adäquat verstanden werden können. Sie sind vielmehr das Ergebnis der Rekonstruktion von Sinngehalten, die das handelnde Subjekt selber in der Interaktion vornimmt.[7]Um also eine Handlung angemessen verstehen zu können, ist es nötig, die möglichen Sinngehalte, die in einer Interaktion enthalten sein können, möglichst umfassend darzustellen.
Oevermann spricht in diesem Zusammenhang von den latenten Sinnstrukturen einer Interaktion. Damit ist zunächst gemeint, dass es innerhalb des Textes, welcher ja die Interaktion abbildet, zwei unterscheidbare Realitätsebenen gibt. Zum einen existieren Sinngehalte, über die sich die Interaktionspartner voll bewusst sind, bzw. solche die explizit geäußert werden. Oevermann spricht hier von „subjektiv intentional repräsentierten Bedeutungen“ des Textes. Auf der anderen Seite existieren die sogenannten latenten Sinnstrukturen, also Bedeutungen von Äußerungen, die den handelnden Subjekten zwar nicht oder zumindest nicht vollständig bewusst sind, die aber dennoch in einer sozialen Situation prinzipiell eine Wirkung entfalten können.[8]Das Auffinden solcher latenten Sinnstrukturen ist das vorrangige Ziel der objektiven Hermeneutik, denn obwohl sie gleichsam im Verborgenen liegen, konstituieren sie doch die maßgeblichen Bedeutungsstrukturen der beobachteten sozialen Situation. Insofern ist ein angemessenes, d. i. objektives Verständnis erst möglich durch eine Explikation der latenten Sinnstrukturen.
Nach Oevermann sind vor allem drei Einflussfaktoren maßgeblich für die im empirischen Normalfall auftretende Differenz der latenten und den subjektiv-intentional repräsentierten Sinnstrukturen. Der Erste und insbesondere für die Analyse von Unterrichtsgeschehen wichtige Faktor besteht in den „entwicklungsstandspezifischen Verkürzungen in der subjektiv-intentionalen Realisierung von latenten Sinnstrukturen.“[9]Da die Sozialisation wie auch die Wahrnehmungs- und Interpretationskapazitäten bei Kindern und Jugendlichen noch nicht abgeschlossen sind, sind auch die Voraussetzungen für die bewusste Erfassung latenter Sinngehalte prinzipiell nicht gegeben. Das bedeutet, je niedriger der Entwicklungsstand, bzw. je jünger das beobachtete Individuum ist, desto weniger ist es auch in der Lage, mögliche latente Bedeutungen seiner Handlungen zu erkennen.
[...]
[1]Vgl. Hermann, Joachim / Höfer, Christoph, Evaluation in der Schule – Unterrichtsevaluation. Berichte und Materialien aus der Praxis, Gütersloh 1999, S. 69.
[2]Vgl. Hirschberger, Johannes, Geschichte der Philosophie. Band II: Neuzeit und Gegenwart, Frechen o.J., S. 583-586.
[3]Vgl. Kurt, Roland, Hermeneutik, Eine sozialwissenschaftliche Einführung, Konstanz 2004, S. 234ff.
[4]Ebd., S. 236.
[5]Vgl. ebd., S. 237ff.
[6]Oevermann, Ullrich u.a., Die Methodologie einer »objektiven Hermeneutik« und ihre allgemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften, in: Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.), Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften, Stuttgart 1979, S. 353.
[7]Vgl. ebd., S. 352ff.
[8]Vgl. ebd., S. 366ff.
[9]Vgl. ebd., S. 384.
- Quote paper
- Martin Kutschke (Author), 2006, Objektive Hermeneutik im Schulalltag - Möglichkeiten und Grenzen eines hermeneutischen Vorgehens in der Unterrichtsforschung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64418
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