Goytisolo es un autor reconocido, qué duda cabe, pero a la vez
tiene, la obra y el autor, un no sé qué de permanente puesta en
entredicho – algo que es tan engorroso y desapacible como
estimulante –, y sobre él flota una nube de sospecha y al cabo
una destemplanza curiosa.1
Juan Goytisolo, 1931 in Barcelona geboren und heute abwechselnd in Paris und Marrakesch lebend, erbitterter Antifranquist und Exilant, verheiratet und offen homosexuell, gehört zu den zentralen und schillerndsten Gestalten der spanischen Literaturgeschichte. Im Jahre 1970 erschien sein dieser Arbeit zugrunde liegendes Werk Reivindicación del Conde don Julián2. Zusammen mit Señas de identidad (1966) und Juan sin tierra (1975) konstituiert es die Trilogía de Álvaro Mendiola3, die sich zunehmend in den postmodernen Zusammenhang stellt. Reivindicación del Conde don Julián ist der Monolog eines unbenannten spanischen Protagonisten, der von der marokkanischen Stadt Tanger aus, im Angesicht der spanischen Küste, die Geschichte, Kultur und Religion seines verhassten Vaterlandes reflektiert und sich in Gedanken an ihm rächt. Dass dieser zweite Teil der Trilogie zu den Werken Goytisolos gehört, die einen – wie im Eingangszitat beschriebenen – Bann auf den Leser ausüben, ihn aber gleichzeitig verstören und in ihm „una reacción de disgusto, incomodidad o vergüenza“4 hervorrufen, liegt zweifelsohne insbesondere an der Darstellungsweise der Sexualität im Roman. [...]
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1 Sánchez-Ostiz, Miguel: “Riesgo y ventura de Juan Goytisolo”. In: Turia. Revista Cultural. No. 58, Madrid, Nov. 2001. 13.
2 Goytisolo, Juan. Reivindicación del Conde don Julián. 3. Ed. Barcelona: Editorial Seix Barral, 1985. [1. Ed. México: Joaquín Mortiz, 1970]. Anmerkung: Die Angaben der Seitenzahlen der in der vorliegenden Arbeit aus dem Werk übernommenen Zitate korrespondieren mit der 3. Edition von 1985.
3 Goytisolo bezeichnete diese drei Romane als Trilogía de Álvaro Mendiola, womit darauf hingewiesen wird, dass es sich in diesen Romanen um denselben Protagonisten handelt.
4 Vgl. Navajas-Navarro, Gonzalo. Juan Goytisolo: La novela como crítica de España. Los Angeles: University of California, 1975. 207.
Einleitung
Goytisolo es un autor reconocido, qué duda cabe, pero a la vez tiene, la obra y el autor, un no sé qué de permanente puesta en entredicho – algo que es tan engorroso y desapacible como estimulante –, y sobre él flota una nube de sospecha y al cabo una destemplanza curiosa.[1]
Juan Goytisolo, 1931 in Barcelona geboren und heute abwechselnd in Paris und Marrakesch lebend, erbitterter Antifranquist und Exilant, verheiratet und offen homosexuell, gehört zu den zentralen und schillerndsten Gestalten der spanischen Literaturgeschichte. Im Jahre 1970 erschien sein dieser Arbeit zugrunde liegendes Werk Reivindicación del Conde don Julián[2]. Zusammen mit Señas de identidad (1966) und Juan sin tierra (1975) konstituiert es die Trilogía de Álvaro Mendiola[3], die sich zunehmend in den postmodernen Zusammenhang stellt. Reivindicación del Conde don Julián ist der Monolog eines unbenannten spanischen Protagonisten, der von der marokkanischen Stadt Tanger aus, im Angesicht der spanischen Küste, die Geschichte, Kultur und Religion seines verhassten Vaterlandes reflektiert und sich in Gedanken an ihm rächt. Dass dieser zweite Teil der Trilogie zu den Werken Goytisolos gehört, die einen – wie im Eingangszitat beschriebenen – Bann auf den Leser ausüben, ihn aber gleichzeitig verstören und in ihm „una reacción de disgusto, incomodidad o vergüenza“[4] hervorrufen, liegt zweifelsohne insbesondere an der Darstellungsweise der Sexualität im Roman. Zwar tauchen Themen der sexuellen Deviation oder gar Perversion auch in vielen anderen Werken des Autors auf, in Reivindicación del Conde don Julián jedoch erfahren sie breite Behandlung, ziehen sich durch das gesamte Werk und sind – en détail und unverblümt dargestellt – auf provokanteste Weise mit dem Racheakt verbunden[5]. So verwundert es nicht, dass die Veröffentlichung des Buches im damaligen franquistischen Spanien verboten wurde und es, wie auch Señas de identidad, in Mexiko publiziert werden musste. Doch als es dann, nach Francos Tod, auch in Goytisolos Heimatland seine Verbreitung fand, gab es vermutlich so manch einen, der sich wünschte, die Veröffentlichung ungeschehen zu machen, da er sich von dem Werk – vom Conde don Julián – ernsthaft angegriffen fühlte. In der Tat wird Reivindicación del Conde don Julián von seinen Kritikern einhellig als heftiger Angriff auf die moralischen und kulturellen Normen und Wertevorstellungen Spaniens begriffen. Das zentrale Thema des Romans ist die Dekonstruktion der España Sagrada, des christlichen Spanien, seit der Reconquista. Sie versucht als Raum von Mythen, ihre arabisierte interkulturelle Identität zu leugnen, weshalb Reivindicación del Conde don Julián sich zum Ziel setzt, eine Reihe von Klischees, die über Jahrhunderte hinweg das traditionsbewusste Spanien bewahrt hat, zurückzuweisen und zu parodieren.
Die vorliegende Arbeit nimmt es sich zur Aufgabe, die Darstellung, Bedeutung und Rolle der Sexualität in dem Roman zu untersuchen. Sie ist folgendermaßen aufgebaut: Im ersten Kapitel sollen zunächst die Textstellen aufgezeigt werden, in denen Sexualität implizit oder explizit auftaucht. Aufgrund der landeskundlichen Ausrichtung dieser Arbeit wird auf eine Untersuchung der formalen Ebene des Romans weitestgehend verzichtet. Es soll aber überprüft werden, welcher sprachlichen Mittel sich der Autor bei der Darstellung der Sexualität bedient, da dies wichtig für ein Verständnis auf landeskundlicher Ebene ist. Hinsichtlich des Wirkungszusammenhangs zwischen literarischer Produktion und damals herrschender Repression wird im zweiten Kapitel ein Exkurs über den Umgang mit Sexualität während der Franco-Diktatur unternommen. Denn um ein Verständnis darüber zu gewinnen, warum der Autor derartige sexuelle Gräueltaten beschreibt und sie mit der übergeordneten Thematik des Romans verbindet, ist die Kenntnis über das System, unter dem Goytisolo aufwuchs, und vor allem über den Druck, den es auf das spanische Volk in sexueller Hinsicht ausübte, unabdingbar. Im dritten Kapitel wird schließlich der Versuch einer Interpretation unternommen, wobei vor allem geklärt werden soll, inwiefern die im Roman dargestellte Sexualität mit der Dekonstruktion – der Zerstörung der España Sagrada – verwoben ist.
1. Darstellung der Sexualität in Reivindicación del Conde don Julián
Der Titel des Romans bezieht sich auf die legendäre Gestalt eines christlichen Herrschers von Ceuta, der zu Beginn des achten Jahrhunderts regierte und in zahlreichen literarischen Verarbeitungen Spaniens als Inbegriff für Verrat gilt[6]. Julián unterstützte Rodrigo gegen die Söhne des Westgotenkönigs Witiza, damit dieser den Thron, der ihm rechtmäßig nicht zustand, an sich reißen konnte. Später wurde Julián von Rodrigo gedemütigt, da dieser Juliáns Tochter Cava vergewaltigte. Durch die Schändung seiner Tochter selbst in seiner Ehre verletzt, rief Julián aus Rache die Araber zu Hilfe und ließ sie unter dem jemenitischen Feldherrn Tariq Ben Zeyad in Ceuta ein. Er half ihnen, über die Meerenge von Gibraltar auf die Iberische Halbinsel überzusetzen, um das Westgotenreich Rodrigos zu vernichten. Eine Lektüre der verschiedenen Texte, die sich der Legende Juliáns widmen, ergibt, dass hier das Thema der Sexualität in einem punitiven Kontext auftaucht. So heißt es auch, dass Rodrigo letztendlich bestraft wurde, indem er in einer Grube verweilen musste, um dort von hungrigen Schlangen kastriert zu werden. Goytisolo hat den entsprechenden Vers aus der Romance del rey Rodrigo dem vierten Kapitel seines Romans vorangestellt: „Ya me comen, ya me comen por do más pecado había.“[7]
Inspiriert von der Legende lässt Goytisolo den anonymen Protagonisten des Romans in die Rolle des Titelhelden schlüpfen, um den Verrat Juliáns neu aufflammen zu lassen und von Spanien alles vernichtete, im Gedächtnis gelöschte Arabische zurückzufordern. Einen Tag umfasst die Rahmenerzählung, die am Morgen beginnt und am Abend endet. Zwischenzeitlich durchwandert der Protagonist die Medina der Stadt, wobei er mehrmals auf eine amerikanische Touristengruppe stößt; er besucht die spanische Bibliothek Tangers, trifft in einem Café seinen Geliebten Tariq, der denselben Namen trägt wie der historische Invasor, verfolgt dort Sendungen des spanischen Fernsehens und sieht dann in einem Kino den James Bond-Film „Thunderball“. Anschließend besteigt er einen am Meer gelegenen Aussichtsturm, von dem aus er auf die costa enemiga – die spanische Küste – blickt, um dann nach Hause zurückzukehren.
Am Ende des ersten Kapitels wird der Aufenthalt des Protagonisten in arabischen Bädern geschildert:
[...] estás en el umbral del Misterio, en la boca de la infernal Caverna […] húmedo antro virgiliano impregnado de un tenue e indeciso olor a algas […]: en una penumbra brumosa que parece adensarse conforme te adentras en ella[8]
Der Kritiker José Luis Ángeles sieht in dieser Szene eine sexuelle Anspielung: „[…] se describe la entrada de Álvaro en unos baños árabes de connotaciones vaginales [...]”[9]. Mag man hier noch der Ansicht des Kritikers widersprechen können, so lässt die Szene, in der eine amerikanische Touristin von einer Schlange getötet wird, kaum Spielraum für andere Deutungen:
[…] la levantisca sierpe con una raya en zigzag a lo largo del dorso, que torcida esconde, ya que no enroscada, la lasciva cabeza: instilando sin prisa el veneno de sus glándulas cefálicas [...] cuando [la mujer] derrumba de golpe [...] su máscara se ha vuelto negra [...] agoreros buitres dibujan espirales helicoides sobre el cadáver y los gnomos orientales [...] levantan la falda y se arriman a orinar a la gruta[10]
Nachdem die Frau, die der implizite Autor „Mrs. Putifar“ nennt, vom Gift der lasziven Schlange stirbt, heben ihr die orientalischen Gnome mit unflätiger Respektlosigkeit den Rock in die Höhe und urinieren ihr in die „Grotte“. Doch die Attacke der Schlange und die sich ihr anschließende nekrophile Szene laufen nur in der Phantasie des Protagonisten ab, worauf schon sein Ausspruch vor dem grotesken Angriff hindeutet: „es la escena de todos los días, pero cambiarás el final“[11]. Als er danach weiterschlendert, taucht die Touristin plötzlich wieder vor seinen Augen auf, so als ob nichts geschehen wäre[12]. Im selben Kapitel wird Mrs. Putifar ein weiteres Mal für die Phantasie des Protagonisten missbraucht. Als er im Café Haschisch konsumiert und sich dem Rausch hingibt, beschreibt er sich selbst als kleinen Jungen, der Mrs. Putifars „gruta“ erforscht:
[...] agarrándole de la cabeza con una mano y levantándose la falda con la otra : obligado (él?) a penetrar en el vergiliano antro : dejando atrás monte de Venus, labios, himen, clítoris y orificio vaginal para internarse en la oblicua garganta abierta en la excavación pelviana y recorrer miniciosamente las caras anterior y posterior y sus dos bordes y extremidades : antes de cruzar el istmo del útero y adentrarse en una dilatada cavidad en forma de pera, con la base hacia arriba y la parte delgada hacia abajo, colarse en las trompas de Falopio y sus meandros interiormente tapizados de un mullido epitelio vibrátil, avanzar por el tubo visceral que progresivamente se ensancha hasta formar el pabellón de la trompa[13]
Im dritten Kapitel begegnet der Protagonist einem spanischen Rechtsanwalt namens Álvaro Peranzules. Gleich einer Metamorphosenkette verwandelt sich dieser während des Gesprächs mit dem Protagonisten in verschiedene Gestalten. Eine der Gestalten ist die Figur eines promiskuitiven Machos. In umgangssprachlichem, vulgärspanischem Diskurs prahlt er, wie er „Kohle macht“ und wie die „Weiber hinter ihm her sind“:
[...] pues agarráte : medio millón de pesetejas! : lo que, aun después de la última devaluación, no es moco de pavo : y el prestigio y la popularidá : televisión, Nodo y toa la pesca! : y las chavalas así así : que se me comían vivo : casadas, solteras y hasta vírgenes! : ná, que tuve que tomar reconstituyentes, no te digo más! Había, sobretó, una rubita, con unos pechines así, [...] me besaba en la boca y me mordía : te lo juro, majo[14]
Mehr und mehr mutiert der Macho zu einem Zuhälter. Er zeigt dem Protagonisten das Foto einer achtzehnjährigen Französin, die im Bett eine „Wildkatze“ sei, und die er ihm für fünfzig Dirham pro Nacht überlassen möchte. Als dieser ablehnt, wirbt der Zuhälter mit anderen Frauen: „[...] si la francesa no te gusta, tengo también una españolita : un verdadero terremoto! [...] hebrea? marroquina? petite fille? fraulein to fuck? allora, raggazzino innocente?”[15].
In seiner Phantasie betritt der Protagonist das Haus Álvaros, der sich unterdessen in einen christlichen Ritter verwandelt hat. Er begibt sich in die Gemächer der Tochter des Ritters und versteckt sich hinter einem Vorhang, um sie heimlich zu beobachten. Er beschreibt sie wie folgt:
Isabel la Católica es de mediana estatura, bien compuesta en su persona y en la proporción de sus miembros, […] busca los principios superiores de la vida en los libros, en la conversación con los doctos : oye misa diariamente, cumple con las horas canónicas : aprende latín para orar y lo domina como un consumado humanista : su padre le ha enseñado el amor a Dios : a tener honor y ser esclava de la palabra : [...] a ser grave y veraz, casta, continente [...][16]
In heftigem Kontrast zu dieser Charakterisierung Isabels steht nun die sich anschließende Szene, in der sie zuerst betet, dann plötzlich zu masturbieren beginnt und sich selbst geißelt:
la muchacha, vestida de monja, reza devotamente sus oraciones, besa el crucifijo colgado sobre la cabecera de su reclinatorio […]: mientras los Rolling Stones cantan y las ondas sonoras crecen y se multiplican, acuden, irrumpen, penetran, penetran : distraídamente las manos inocentes marcan el voluble compás del ritmo [...] sucesivamente desabrocha la chaquetilla de su pijama, se despoja del pantalón [...] sus piernas [...] abiertas en compás, rotundas, con muslos que convergen hacia el entrevisto tesoro [...] : dirección única, ley del embudo que la hispánica grey acata y sólo el traidor desdeña! : en tanto que índice y pulgar indagan liberaciones próximas y ya presentidas [...] momentos después, humillándose, recoge un estuche en forma alargada y extrae de él el látigo con que diariamente se castiga : la autoflagelación se operará con la reglamentada exactitud de una ceremonia[17]
Der Protagonist reißt ihr sodann die Peitsche aus der Hand, um selbst zuzuschlagen. In diesem Moment verwandelt sich die sadomasochistische Szene in eine surreale: Der Protagonist hört die Stimme eines Sprechers, der ihn und die amerikanische Touristengruppe dazu einlädt, einen Ausflug in die „von keinem Reisenden je erforschte Heilige Grotte“, die Vagina Isabels, zu unternehmen[18]. Wie schon in der Szene, in der der Protagonist als kleiner Junge Mrs. Putifars Vagina erforscht, wird nun detailliert die „Reise“ durch das weibliche Geschlechtsorgan beschrieben. Die Worte, derer sich der Autor dafür bedient, gleichen dem Vokabular einer medizinischen Enzyklopädie gepaart mit metaphorischen Beschreibungen: „perdido tú en las miasmas mefíticas de una musgosa y húmeda expansión de sedimentos vegetales y de inmensas turberas en fermentación, horrible mundo, rezumante y viscoso, de canales, vesículas, glándulas, nervios, arterias, secreciones, membranas y vasos [...]”[19]. Doch am Ende wechselt der Diskurs ins Vulgärspanische. Über vier Seiten wiederholt und variiert der implizite Autor den obszönen Ausdruck “coño“[20]. So verwendet er das Wort, indem er es mit anderen vermischt, wodurch eine Reihe von absurden Neologismen entstehen, die er benutzt, um Spanien zu beschimpfen:
[...] emblema nacional del país de la coña
de todos los coñones que se encoñan con el coñesco país de la coñifera coña donde todo se escoña y descoña y se va para siempre al sacroñismo Coño
del Coño
símbolo de vuestra encoñante y encoñecedora coñadura coñisecular
de la coñihonda y coñisabidilla coñería de la archicoñíca y coñijunta coñición coñipresente
del Coño, coño![21]
Während dieser Szene schlüpft der Protagonist in die Rolle Juliáns. Der implizite Autor fordert Julián auf, den Heerscharen Tariqs ein Zeichen zu geben, um sich mit ihren „harten, strengen Giftnattern“ auf den jungfräulichen, blutbesudelten Körper Isabels zu stürzen und um „[…] forzar las puertas del milenario templo“[22]. Sie beteuert ihre Unschuld, fleht um Schonung und Gnade, doch unterwirft sich letztendlich den „hartnäckigen Kobras“[23]. Und weiter lautet es:
[...] árabes de miembros rudos y piel áspera, manos bastas, boca carnicera
disponed vuestro aguijón venenoso
vírgenes fecundadas por lentos siglos de pudor y recato esperan impacientes vuestra cornada
sus muslos suaves, sus pechos mórbidos, reclaman a gritos la embestida, el mordisco
saltad sobre la ocasión
violad el bastión y el alcázar, la ciudadela y el antro,
el sagrario y la gruta
adentraos sin cuartel en el coto
en el Coño, en el Coño, en el Coño!
[...] a la africana horda de guerreros que hieren, golpean embisten, desarticulan, piernas y brazos, rebanan cuellos, arrancan corrazones, dispersan vísceras en un desaforado jeu de massacre súbito y contagioso [...][24]
Nach diesem Aufruf zur Vergewaltigung und Tötung der Jungfrauen an die Araber endet die Reise durch die Vagina Isabels, und der Protagonist verlässt allmählich seine Gedankenwelt. Kurze Zeit später begibt er sich in ein Kino. Während der Filmvorführung fängt er ein weiteres Mal zu phantasieren an. Er beschreibt eine düstere Karfreitagsprozession von Büßern, Kreuzträgern und Geißlern, angeführt von Mrs. Putifar. Nach und nach verwandelt sich die Prozession in einen tropischen Karnevalszug mit erotisch tanzenden Mulatinnen:
[...] los adustos caballeros cruzados del Cristo de la Buena Muerte ondulan el cuerpo al son de las flautas, desarticulan caderas y hombros al ritmo de los bongós : poseídos del demonio tropical de la música [...] las mulatas florecen dulcemente en sus trajes[25]
Einer der Kapuzenmänner der Prozession entpuppt sich als Julián, der auf der Suche nach junger Beute ist. Er wird vom impliziten Autor auf homoerotische Weise beschrieben. Seine vollen Lippen sind Biss und männlichen Kuss gewohnt. Als er eine katholische Jungfrau sichtet, wendet er sich ihr ohne Gnade zu:
[...] eres tú, Julián, ennoblecido y aureolado de tu secular felonía! : tus pobladas cejas se arquean alertas y tus labios rotundos muestran la afilada blancura de unos dientes habituados al mordisco, al beso varón : tus implacables pupilas indagan juveniles presas y vuelan tras la esquiva silueta de alguna doncella rubia y católica : sin cuartel, sin cuartel![26]
Das vierte Kapitel des Romans beginnt mit einer Parodie des Märchens Caperucita Roja, in dessen Titelgestalt Alvarito – das Diminutivsuffix verweist auf den Protagonisten als Kind – schlüpft. Dieser parodierten Version liegt folgende Handlung zugrunde: Die Mutter schickt Alvarito in den Wald, um der kranken Großmutter einen Besuch abzustatten. Die Großmutter, deren Aussehen den Jungen an einen Mauren erinnert[27], bittet Alvarito, zu ihr ins Bett zu kommen. Julián, der mittlerweile in die Rolle der Großmutter geschlüpft ist, nachdem er sie getötet und ihre geschändete Leiche unter der Matratze versteckt hat, führt nun mit Alvarito den berühmten Dialog, bei dem sich im Original Rotkäppchen über das veränderte Aussehen der Großmutter wundert. Beginnt der Dialog noch identisch mit der traditionellen Version, so weicht er zum Ende von ihr ab:
[...] abuelita, qué bicha tan grande tienes!
es para penetrarte mejor, so imbécil!
y, al punto que dices esto, encovarás la culebra en el niño y le rebanarás el cuello, de un tajo, con tu brillante navaja albaceteña
fondo sonoro : aullido de Alvarito, como cuando uno cae en un pozo, y sin despertar ya jamás[28]
Julián führt dem Jungen seine “Schlange” ein und schneidet ihm den Hals ab. Es kommt wie im gesamten Roman ein phallisches Metapherninventar zum Einsatz: „bicha“ – Schlange – bedeutet hier, zusätzlich untermauert durch das Prädikat „penetrarte“, das Glied Juliáns, mit welchem er in Alvarito eindringt. Ebenso verhält es sich mit der „culebra“, die Julián dem Jungen einführt, und der „navaja albaceteña“, mit der er ihm den Hals abschneidet. Homosexuell-perverses Begehren (Pädophilie), Penetration und Tötung sind hier amalgamiert. Auf diese Todesinszenierung folgt eine weitere: Alvarito nimmt die Gestalt eines Vogels an und begegnet einer Schlange. Da sie unwiderstehlich ist und ihre Opfer magisch anzieht, kann er sich ihr nicht entziehen:
Alvarito-pájaro salta de rama en rama, pero no puede resistir
no puede quitar la vista de la serpiente maligna
una fuerza enigmática le atrae
le hipnotiza
le subyuga [...][29]
[...]
[1] Sánchez-Ostiz, Miguel: “Riesgo y ventura de Juan Goytisolo”. In: Turia. Revista Cultural. No. 58, Madrid, Nov. 2001. 13.
[2] Goytisolo, Juan. Reivindicación del Conde don Julián. 3. Ed. Barcelona: Editorial Seix Barral, 1985. [1. Ed. México: Joaquín Mortiz, 1970]. Anmerkung: Die Angaben der Seitenzahlen der in der vorliegenden Arbeit aus dem Werk übernommenen Zitate korrespondieren mit der 3. Edition von 1985.
[3] Goytisolo bezeichnete diese drei Romane als Trilogía de Álvaro Mendiola, womit darauf hingewiesen wird, dass es sich in diesen Romanen um denselben Protagonisten handelt.
[4] Vgl. Navajas-Navarro, Gonzalo. Juan Goytisolo: La novela como crítica de España. Los Angeles: University of California, 1975. 207.
[5] Inwiefern dies der Fall ist, soll im späteren Verlauf dieser Arbeit genauer untersucht werden.
[6] Zu dem Sagenkreis um Rodrigo und Julián vgl. z.B. Alfonso X. el Sabio, Primera Crónica general de España (13.Jh.) sowie Romance del Conde don Julián im Romancero viejo (anonym, um 1500 entstanden).
[7] Goytisolo, 204. Der Dichter der Romance del rey Rodrigo ist unbekannt.
[8] Goytisolo, 84f.
[9] Ángeles, José Luis. Narraciones imposibles – Juan Goytisolo: Narrativa (1966-1975). New York: Peter Lang, 2006. 50.
[10] Goytisolo, 67f.
[11] Goytisolo, 66.
[12] Vgl. Goytisolo, 69.
[13] Goytisolo, 100.
[14] Goytisolo, 154f.
[15] Goytisolo, 155f.
[16] Goytisolo, 162f.
[17] Goytisolo, 164f.
[18] Vgl. Goytisolo, 166-174.
[19] Goytisolo, 170f.
[20] Vgl. Goytisolo, 171-174.
[21] Goytisolo, 172.
[22] Goytisolo, ebda.
[23] Vgl Goytisolo, ebda.
[24] Goytisolo, 173f.
[25] Goytisolo, 185.
[26] Goytisolo, ebda.
[27] Vgl. Goytisolo, 209.
[28] Goytisolo, 209f.
[29] Goytisolo, 211.
- Arbeit zitieren
- Jasmina Murad (Autor:in), 2006, Darstellung, Bedeutung und Rolle der Sexualität in Juan Goytisolos "Reivindicación del Conde don Julián", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64356
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