Was halten Sie davon, einen neuen Blickwinkel kennen zu lernen?
Wir alle wissen, dass es insbesondere außerhalb des westlichen Lebensstandards Millionen Menschen gibt, die in sozialen, ökonomischen und hygienischen Verhältnissen leben müssen, die für uns teilweise unvorstellbar sind. Das dies Krankheiten auslöst, brauche ich Ihnen nicht zu erläutern. Genauso wahr ist aber auch, dass es dort Menschen gibt die nicht krank sind sondern gesund und aktiv, obwohl sie unter genau denselben Bedingungen leben. Der amerikanische Medizinsoziologe Aron Antonowski hat sich daraufhin die Frage gestellt "Was erhält Menschen gesund?". Als Gegenstück zum medizinischen Ansatz "Was macht Menschen krank?", der als pathogenetisch bezeichnet wird, nennt er seinen Ansatz salutogenetisch. Er ermittelt verschiedene Faktoren, die dabei eine Rolle spielen und mich hat speziell die Frage beschäftigt, inwiefern der Humor Anteil daran haben könnte, dass Menschen gesund bleiben oder wieder schneller gesund werden.
INHALTSVERZEICHNISS
1 Annäherung an das Thema
2 Der Autor Aaron Antonovsky
3 Ungewohntes Denken: Pathogenese versus Salutogenese
4 Das Gesundheits-Krankheitskontinuum
5 Stressoren und Widerstandsressourcen
6 Das Kohärenzgefühl
6.1 Die drei Teilkomponenten
6.2 Ausbildung des Kohärenzgefühls
7 Die Bedeutung für die Gesundheitswissenschaft
8 Humor - eine ernste Sache
9 Humor und Salutogenese
10 Humor und Pflege
11 Resümee
Literaturverzeichnis
1 Annäherung an das Thema
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“
(HESSE 2003, 450)
Der Schriftsteller Herrmann Hesse zeichnet in seinem Gedicht Stufen ein optimistisches Bild der Zukunft.
Zweifelsohne gibt es Menschen, die seine Zukunftssicht nicht teilen. Für sie bedeuten Zukunft und Veränderung (Anfang) Unsicherheit, Zweifel, Ungewissheit bis hin zur Zukunftsangst.
Wie gehen Menschen mit den Herausforderungen des Lebens um?
Wie beurteilen und bewältigen sie die alltäglichen Anforderungen?
Eine Frage, der sich die Wissenschaft im Rahmen der Stressforschung stellt.
„Die wohl einflussreichste Streßbewältigungstheorie [sic!] ist das transaktionale Steßmodell [sic!] (Lazarus, 1966; 1981; Lazarus & Folkman, 1987)“ (BENGEL u.a., 2001, 60). Es betont den relationalen Charakter von Stress. Ein Stressprozess wird demnach nie allein durch Faktoren der Umwelt oder der Person ausgelöst sondern ist ein Produkt von Bewertungsprozessen. Stress ist somit individuell und abhängig von der Informationsverarbeitung der Person und situationsbezogener Variablen. Das empfinden von Stress ist keine feste Größe sondern kann durch die Art der Informationsverarbeitung beeinflusst werden. Im transaktionalen Stressmodel von Lazarus stehen die individuellen Bewertungsprozesse im Mittelpunkt. Es werden die primäre Bewertung und die sekundäre Bewertung unterschieden.
Die primäre Bewertung bezieht sich darauf, ob eine Situation als Bedrohung, belastendes Ereignis, Herausforderung oder irrelevant eingeschätzt wird. Die sekundäre Bewertung bezieht sich darauf, ob eine als belastend eingeschätzte Situation mit eigenen Mitteln und/oder Unterstützung anderer zu bewältigen ist. Diese Anpassungsleistungen des Individuums bei der Bewältigung von Stress werden Coping (Copingstrategien) genannt. (vgl. BENGEL u.a., 2001, 60,)
Hierauf bezieht sich Aaron Antonovskys Modell der Salutogenese, in dem er die zentrale Aufgabe des Organismus in der Bewältigung von Spannungszuständen sieht. Gelingt diese Bewältigung, schreibt er ihr eine positive gesundheitliche Wirkung zu. Misslingt sie entsteht Stress.
Es sei ausdrücklich angemerkt, dass Antonovsky diesem keineswegs immer eine schädliche Wirkung zuweist. Erst im Zusammenspiel mit Krankheitserregern, Schadstoffen und körperlichen Schwachstellen schreibt er dem Stress eine negative gesundheitliche Wirkung zu (vgl. BENGEL u.a., 2001, 33, ANTONOVSKY, 1997, 26 f.).
Da in der Pflege[1] davon auszugehen ist, dass es sich bei den Patienten[2] um Menschen handelt, bei denen eine Auseinandersetzung mit Krankheitserregern gegeben ist und/oder körperliche Schwachstellen bestehen, liegt ein besonderer Schwerpunkt in der Stärkung von Copingstrategien zur Vermeidung der negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Stress.
An dieser Stelle geraten die Möglichkeiten, die der Humor auch und gerade in der Pflege bietet, ins Visier. Humor kann helfen, Situationen zu „entkrampfen“. Er kann ein Lichtblick sein und nicht umsonst hört man bei der täglichen Arbeit immer wieder auch die Worte „Solange man noch lachen kann …..“ (Quelle unbekannt). Im weiteren Verlauf der Arbeit soll nach der Vorstellung des salutogenetischen Modells von Antonovsky und der Herausarbeitung der Bedeutung für die Gesundheitswissenschaft der Frage nachgegangen werden, ob Humor in der Pflege ein salutogenetischer Ansatz ist.
2 Der Autor Aaron Antonovsky
Aaron Antonovsky wurde 1923 in den Vereinigten Staaten von Amerika geboren. Sein Studium der Geschichte und Wirtschaft konnte er erst nach seinem Wehrdienst in der US-Armee während des zweiten Weltkrieges beenden. Eher durch Zufall kam er mit den wissenschaftlichen Gebieten der Medizinsoziologie und Stressforschung an der Yale-Universität in Kontakt.
1960 emigrierte Antonovsky mit seiner Frau nach Israel. Am Institut für angewandte Sozialforschung in Jerusalem trat er eine Stelle als Medizinsoziologe an. Er wandte sich speziell der Stressforschung und der Erforschung latenter Funktionen des Gesundheitswesens zu.
Das Schlüsselerlebnis zur Entwicklung des salutogenetischen Modells ist verbunden mit einer Untersuchung an Frauen verschiedener ethnischer Gruppen über die Auswirkungen der Menopause. Unter den 1914 bis 1923 geborenen befanden sich auch Frauen, die die unvorstellbaren Schrecken nationalsozialistischer Konzentrationslager überlebt hatten. Nach oft jahrelanger Odyssee waren sie nach Israel ausgewandert, wo sie drei Kriege gegen arabische Nachbarstaaten miterlebten. Trotz all dieser extrem belastenden Erfahrungen befanden sich 29% der Frauen in einem guten physischen und psychischen Zustand. Diese Tatsache war für Antonovsky nach seien eigenen Aussagen der Anlass, sich mit solchen Faktoren auseinanderzusetzen, die dazu beitragen, dass jemand trotz schwerer Belastungen gesund bleibt.
Ab 1972 fällt ihm ein entscheidender Anteil am Aufbau einer gemeindeorientierten medizinischen Fakultät an der Ben Gurion Universität in Negev zu. 1977/78 und 1983/84 führten ihn zwei Gastprofessuren wieder in die USA. Insgesamt veröffentlichte er viele Arbeiten zu dem von ihm entwickelten Modell der Salutogenese, insbesondere seine beiden Bücher von 1979 „Help, stress, and coping: New perspetives on mental and physical well-being“ und 1987 „Unraveling the mystery of helth. How people manage stress an stay well“ (vgl. BENGEL u.a., 2001, 33, FRANKE, 1997, 13.). Aaron Antonovsky starb 1994 im Alter von 71 Jahren in Israel.
3 Ungewohntes Denken: Pathogenese versus Salutogenese
Nicht warum ist oder wird jemand krank sondern warum ist oder wird jemand gesund? Diese salutogenetische Herangehensweise bedeutet eine grundlegend andere Art der Fragestellung, neues ungewohntes Denken bei einem jahrhundertealten pathogenetischem Paradigma.
Der gravierende Unterschied zwischen dem pathogenetischen und dem salutogenetischen Paradigma besteht nach Antonovsky darin, dass ersteres von einer Homöostase als Regelfall ausgeht, Salutogenese hingegen Heterostase als Regelfall annimmt.
Folgt man dem pathogenetischem Modell, befinden sich Menschen normalerweise im Gleichgewicht. Krankheiten entstehen, wenn es durch ungünstige Umstände oder Ereignisse zu einer Beeinflussung dieser Homöostase hin zu einem Ungleichgewicht kommt. Dann muss Energie aufgewendet werden um die Homöostase wieder herzustellen.
Heterostase und Ungleichgewicht hingegen sind der Normalfall im salutogenetischen Modell. Heterostase, Ungleichgewicht, Leiden und Tod gehören als immanente Bestandteile der menschlichen Existenz zum Leben dazu. Der menschliche Organismus unterliegt nach Antonovsky der Tendenz zu Auflösung und Zerfall, der Entropie. „Der Schlüsselbegriff heißt Negative Entropie und er löst die Suche nach nützlichen Inputs in das soziale System, die physikalische Umgebung, den Organismus und niedere Systeme bis hin zur Zellebene aus, um dem immanenten Trend zur Entropie entgenzuwirken.“ (ANTONOVSKY, 1997, 27). Um Chaos und Zerfall zu vermeiden, muss also ein fortlaufender Input an Energie in das System erfolgen. Der Mensch ist einer Flut von Stimuli, ausgesetzt die unentwegte Anpassungsleistungen und aktive Bewältigung erfordern. Er bleibt somit nicht wie von selbst in einem Gleichgewicht, dass nur von gelegentlichen Störungen unterbrochen wird. Bedingt durch diese Annahme, sind Stressoren wegen des Auslösens von Anpassungsleistungen und aktiver Bewältigung gleichzeitig Initiatoren für Wachstum und Weiterentwicklung.
Wie wichtig diese Herausforderungen an den Organismus sind, unterstreicht Antonovsky nochmals, indem er das Individuum im Zustand völliger Entropie als „ … ein Hypnotisierter oder Schlafwandler, in sich selbst abgeschlossen, nur innerhalb seiner selbst integriert, alles andere ignorierend.“ (ANTONOVSKY, 1997, 153) beschreibt.
[...]
[1] Von einer genauen Definition des Begriffes Pflege soll bewusst abgesehen werden. Unter Pflege wird zwar vorwiegend eine helfende Beziehung zwischen professionell Pflegenden und zu Pflegenden verstanden, diese bezieht aber auch die Pflegebeziehung von Laienpflegenden und den von ihnen Gepflegten mit ein.
[2] Bei der Bezeichnung Patienten handelt es sich auch im weiteren Verlauf der Arbeit um Pflegeempfänger.
- Citation du texte
- Thomas Schümann (Auteur), 2006, Salutogenese und Humor. Das Gesundheitskonzept von Aron Antonovsky. Ein salutogenetischer Ansatz in der Pflege?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64242
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