Nach heutigem Kenntnisstand wird die Institution Hilfsschule und ihre Lehrerschaft zur Zeit des Nationalsozialismus zunehmend kritisch betrachtet. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Hilfsschulpädagogen trotz der inhumanen Behandlung und Maßnahmen gegen ihrer Schülerschaft durch das NS-Regime keine grundsätzliche Ablehnung gegen die nationalsozialistische Politik zeigte, ist gleichermaßen erschreckend als auch zu hinterfragen. Die Fragestellung dieser Ausarbeitung beleuchtet aus diesem Grund, welche Ursachen für dieses Verhalten der Hilfsschulpädagogen verantwortlich sind. In diesem Rahmen werden ebenso die Funktionen und Aufgaben der NS-Hilfsschule erläutert, welche die Annahme unterstreichen, dass es sich bei dieser Institution um eine schulische Einrichtung mitaus heutiger Sicht - „unpädagogischen“ Wesenszügen handelte. Es wird sich zeigen, dass die Handlungs- und Denkstruktur der Hilfsschulvertreter vornehmlich vom Gedanken der Existenzsicherung und Etablierung innerhalb des gesellschaftlichen Systems geprägt war. Bei der Auseinandersetzung mit der NS-Hilfsschulthematik wurden Quellen verwendet, die als Primärliteratur aus der damaligen Zeit anzusehen sind. Zudem wurde Sekundärliteratur aus der heutigen Zeit verwendet, die diese Thematik ebenso beleuchten. Die verwendeten Texte sind sowohl aus dem Bereich der Pädagogik als auch aus der Geschichte. Um dem Ziel dieser Ausarbeitung gerecht zu werden, sollen im Vorfeld die theoretischen Hintergründe der NS-Behindertenpolitik aufgezeigt werden. Diese Darstellungen verdeutlichen, auf welchen ideologischen Entwicklungen das „rassenhygienische Gedankengut“ der Nationalsozialismus aufbaute. Anschließend wird auf die Praxis der NS-Behindertenpolitik in Bezug auf die Hilfsschule eingegangen. Dieses soll deutlich machen, inwiefern die zuvor dargestellten theoretischen Grundlagen vom NS-Regime umgesetzt wurden. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Hintergründe und praktische Durchführungen in der NS-Behindertenpolitik
2.1 Theoretische Hintergründe der NS-Behindertenpolitik
2.1.1 Sozialdarwinismus
2.1.2 Eugenik und Rassenhygiene
2.1.3 Erbbiologie
2.2 Praktische Durchführungen in der NS-Behindertenpolitik
3. Funktionen und Aufgaben der Institution Hilfsschule im nationalsozialistischen Staatsystem
3.1 „Sammelbecken“ für Erbkranke
3.2 Wirtschaftliche und militärische Brauchbarmachung
4. Kritische Reflexion über die Rolle der Hilfsschullehrer im Nationalsozialismus
5. Anhang
5.1 Literaturverzeichnis
5.2 Anmerkungen
1. Einleitung
„Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muß weggehämmert werden. Es wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. […] Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein.“[i]
Nach heutigem Kenntnisstand wird die Institution Hilfsschule und ihre Lehrerschaft zur Zeit des Nationalsozialismus zunehmend kritisch betrachtet. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Hilfsschulpädagogen trotz der inhumanen Behandlung und Maßnahmen gegen ihrer Schülerschaft durch das NS-Regime keine grundsätzliche Ablehnung gegen die nationalsozialistische Politik zeigte, ist gleichermaßen erschreckend als auch zu hinterfragen. Die Fragestellung dieser Ausarbeitung beleuchtet aus diesem Grund, welche Ursachen für dieses Verhalten der Hilfsschulpädagogen verantwortlich sind. In diesem Rahmen werden ebenso die Funktionen und Aufgaben der NS-Hilfsschule erläutert, welche die Annahme unterstreichen, dass es sich bei dieser Institution um eine schulische Einrichtung mit – aus heutiger Sicht – „unpädagogischen“ Wesenszügen handelte. Es wird sich zeigen, dass die Handlungs- und Denkstruktur der Hilfsschulvertreter vornehmlich vom Gedanken der Existenzsicherung und Etablierung innerhalb des gesellschaftlichen Systems geprägt war.
Bei der Auseinandersetzung mit der NS-Hilfsschulthematik wurden Quellen verwendet, die als Primärliteratur aus der damaligen Zeit anzusehen sind. Zudem wurde Sekundärliteratur aus der heutigen Zeit verwendet, die diese Thematik ebenso beleuchten. Die verwendeten Texte sind sowohl aus dem Bereich der Pädagogik als auch aus der Geschichte.
Um dem Ziel dieser Ausarbeitung gerecht zu werden, sollen im Vorfeld die theoretischen Hintergründe der NS-Behindertenpolitik aufgezeigt werden. Diese Darstellungen verdeutlichen, auf welchen ideologischen Entwicklungen das „rassenhygienische Gedankengut“ der Nationalsozialismus aufbaute. Anschließend wird auf die Praxis der NS-Behindertenpolitik in Bezug auf die Hilfsschule eingegangen. Dieses soll deutlich machen, inwiefern die zuvor dargestellten theoretischen Grundlagen vom NS-Regime umgesetzt wurden. In den letzten Abschnitten wird auf die Bedeutung der Hilfsschule für den Nationalsozialismus eingegangen sowie ein kritischer Blick auf die Rolle des Hilfsschullehrers zur damaligen Zeit geworfen. Zunächst wird hierbei dargestellt, inwiefern die Vertreter der Hilfsschule darum bemüht waren, die Legitimation ihrer Institution im nationalsozialistischen Herrschaftssystem zu verdeutlichen, um anschließend der Fragestellung nachzugehen, welche Ursachen dieses hatte.
2. Darstellung der theoretischen Hintergründe und praktischen Durchführungen in der NS-Behindertenpolitik
Um die Denk- und Argumentationsstruktur der Mehrheit organisierter Hilfsschullehrer im Nationalsozialismus nachvollziehen zu können, bedarf es einer Darstellung der theoretischen Hintergründe des rassenhygienischen Gedankenguts dieser Zeit. Die Sichtweisen der NS-Behindertenpolitik dürfen hierbei keinesfalls als Erscheinungen verstanden werden, die sich erst im Zuge der „Machtergreifung“ 1933 entwickelten. Ihre Grundlegung und deren Verbreitung erfolgten bereits weitaus früher. Unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass sie erst im Nationalsozialismus ihren Höhepunkt erreichten. Im Folgenden werden die entscheidenden theoretischen Hintergründe der NS-Behindertenpolitik dargestellt. Anschließend wird deren Durchführung in der Praxis beschrieben. Hierbei wird ausführlich auf das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ eingegangen sowie die Formen und Auswirkungen der NS-Euthanasie skizziert.
2.1 Theoretische Hintergründe der NS-Behindertenpolitik
Die theoretischen Grundlagen der NS-Behindertenpolitik stützten sich im Wesentlichen auf die folgenden ideologischen Grundsätze:
- Sozialdarwinismus
- Rassenhygiene
- Eugenik
- Erbbiologie
Diese Theorien werden im Folgenden näher dargestellt. Es sei darauf hingewiesen, dass die Begrifflichkeiten inhaltlich nicht voneinander zu trennen sind.
2.1.1 Sozialdarwinismus
Der Sozialdarwinismus stellt eine soziologische Theorie des 19. Jahrhunderts dar, die auf der Grundlage der Evolutionstheorie Charles Darwins beruht. Darwin zufolge herrscht in der Evolution eine „natürliche Selektion“[ii] vor, hierbei unterscheiden sich die Vertreter einer Gattung voneinander. Manche sind an die vorherrschenden Umweltbedingungen besser angepasst als andere. Somit haben diese bessere Möglichkeiten beim ‚Lebenskampf’ („struggle for life“[iii]) und bei der Fortpflanzung. Der Fortbestand dieser „besser angepassten Individuen“ wird durch die Vererbung der genetischen Eigenschaften an die nachfolgende Generation gesichert.
Der Sozialdarwinismus – damals in Deutschland führend vertreten durch Ernst Haeckel – griff die Annahmen Darwins insoweit auf, als dass er dessen Grundaussagen über die biologische Evolutionstheorie auf gesellschaftliche Zusammenhänge übertrug und anwandte. Demnach dominieren die begabten Individuen die Gesellschaft und die weniger Begabten. Es handelt sich somit um einen Kampf „Aller gegen Alle“[iv] oder wie Darwin es ausdrückte, um den „struggle of existence“[v], also den „Kampf ums Dasein“[vi]. Diese Ansichten verstärkten sich seit Ende des 19. Jahrhunderts bis hin zur „Machtergreifung“ 1933. Insbesondere Houston St. Chamberlains Werk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“[vii] von 1899 führte zu einer steigenden Popularität des rassistischen Gedankenguts. Ansatzpunkt der deutschen Sozialdarwinisten des frühen 20. Jahrhunderts war die Annahme, dass die soziale Leistung und der Wert eines Individuums aus dessen Rasse und erbbiologischer Veranlagung hervorgehen. Da für sie der Prozess einer „natürlichen Selektion“[viii] durch diverse Entwicklungen im 19. Jahrhundert als „unterbrochen“ galt, forderten die Sozialdarwinisten zunehmend ein „aktives Eingreifen“ in dieses Selektionsprinzip. Damit sollte einem befürchteten „Rassenverfall“ des deutschen Volkes entgegengewirkt werden.
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[i] Rauschning, H.: Gespraeche mit Hitler, Zuerich 1940, S. 237.
[ii] Kottow, A.: Der kranke Mann - Zu den Dichotomien Krankheit/Gesundheit und Weiblichkeit/Männlichkeit in Texten um 1900, S. 15. Im Folgenden: Der kranke Mann.
[iii] Ebd.
[iv] Gerhardt, U.: Darwinismus und Soziologie – Zur Frühgeschichte eines langen Abschieds, S. 206.
[v] Kottow, A.: Der kranke Mann, S.15.
[vi] Ebd.
[vii] Chamberlain, H. S.: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, 1912, http://www.hschamberlain.net/grundlagen/abschnitt0_index.html (09.03.2005).
[viii] siehe Fußnote 2
- Citar trabajo
- Bachelor of Arts Stephan Lange (Autor), 2005, Die Funktionen und Aufgaben der Hilfsschule - Eine kritische Betrachtung des Hilfsschullehrers zur Zeit des Nationalsozialismus, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64215
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