„Wahrhaftig, Sie haben das große Zeitdrama geschaffen, das Gestern, Heut u. Morgen, die Tragödie die wir erlebten u. noch erleben, künstlerisch bewältigt. […] In dem König, der das Volk nur losgeben will, um es egoistisch zu missbrauchen; in Julian, der es geistig nährt u. mündig macht; in dem heiligen Aufruhr Sigismunds u. und der Meuterei des Gemeinen durch Oliver; in der tröstlichen Jugendbewegung des Kinderkönigs, der die Zukunft hat: haben Sie schöpferisch u. gleichnishaft das Zeitalter gestaltet, dessen Zeugen, Mithandelnde, Mitleidende wir waren.“ 1
Dieser Auszug entstammt einem Brief, den Josef Nadler an Hugo von Hofmannsthal im Jahre 1926 schreibt, ein Jahr, nachdem Hofmannsthal die erste Fassung des Trauerspiels Der Turm vollendet hat. Tatsächlich spiegelt Hugo von Hofmannsthal in diesem Stück, das sich an Calderons Schauspiel Das Leben ein Traum orientiert, die krisenhafte Zeit des Falls der Habsburgermonarchie, des ersten Weltkriegs, der Geburt der ersten österreichischen Republik, und der Nachkriegswehen in ein vergangenes Jahrhundert, in ein sagenhaftes Königreich Polen.
Dieses Werk, das als das politischste Hugo von Hofmannsthals gilt, zeugt von einer kritischen Einstellung gegenüber seiner jüngsten Geschichte und damit von der Wandlung des Autors vom Beginn seines politischen Engagements im ersten Weltkrieg an bis zu der Zeit, in der der Turm entsteht. Der bürgerliche Hofmannsthal hat sich zunächst viele Jahre kaum öffentlich mit der politischen Lage der Monarchie beschäftigt, was sich beim Ausbruch des ersten Weltkriegs grundlegend ändert. Hofmannsthal zieht positiv gesinnt in diesen Krieg und betätigt sich als glühender Monarchist publizistisch und politisch im Kriegsfürsorgeamt. Er ist tief bestürzt, als die Monarchie unter der Last des Krieges zerbricht. In den Jahren, in denen die drei Fassungen des Turms entstehen, ist Hofmannsthal längst ein Kritiker des Königshauses und träumt von einem neuen, gewandelten Europa.
Inwiefern, und warum sich diese Wandlung vollzieht, soll in der folgenden Arbeit anhand der realpolitischen und gegenwartsgeschichtlichen Tatsachen zu Hofmannsthals Zeit und ihrem Einfluss auf die erste Fassung des Turm untersucht werden.
1 Zit. Nach: Hugo von Hofmannsthal und Josef Nadler in Briefen. Mitgeteilt von Werner Volke. In: Hofmannsthal, Hugo von: Der Turm. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Hrsg. von Werner Bellmann, Stuttgart: Reclam 2000 (Reclam 18041). S. 199
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Hinweise auf reale geschichtlich-politische Ereignisse im Turm
2. Hofmannsthals Haltung
2.1. zum Königshaus der Habsburger
2.2. zum Adel
2.3. zum Krieg
3. Politische Strömungen in Österreich und im Turm
3.1. Kapitalismus der Oberschicht
3.2. Gewalt als Resultat
3.3. Faschismus
3.4. Antisemitismus
4. Hofmannsthals Entwurf des „Neuen Europa“
Schlussteil
Einleitung
„Wahrhaftig, Sie haben das große Zeitdrama geschaffen, das Gestern, Heut u. Morgen, die Tragödie die wir erlebten u. noch erleben, künstlerisch bewältigt. […] In dem König, der das Volk nur losgeben will, um es egoistisch zu missbrauchen; in Julian, der es geistig nährt u. mündig macht; in dem heiligen Aufruhr Sigismunds u. und der Meuterei des Gemeinen durch Oliver; in der tröstlichen Jugendbewegung des Kinderkönigs, der die Zukunft hat: haben Sie schöpferisch u. gleichnishaft das Zeitalter gestaltet, dessen Zeugen, Mithandelnde, Mitleidende wir waren.“[1]
Dieser Auszug entstammt einem Brief, den Josef Nadler an Hugo von Hofmannsthal im Jahre 1926 schreibt, ein Jahr, nachdem Hofmannsthal die erste Fassung des Trauerspiels Der Turm vollendet hat. Tatsächlich spiegelt Hugo von Hofmannsthal in diesem Stück, das sich an Calderons Schauspiel Das Leben ein Traum orientiert, die krisenhafte Zeit des Falls der Habsburgermonarchie, des ersten Weltkriegs, der Geburt der ersten österreichischen Republik, und der Nachkriegswehen in ein vergangenes Jahrhundert, in ein sagenhaftes Königreich Polen. Die Welt, die sich uns im Turm eröffnet, ist eine vom Aufruhr und Krieg gebeutelte. Ein korrumpiertes Königshaus und ein hoffnungslos dekadenter Adel führen zum Sturz eines Reiches, das von diesem Augenblick an von Gewalt regiert wird und Faschismus sowie Antisemitismus einen geeigneten Nährboden bietet. Der Erlöser, der im Turm entfesselt wird, tritt dieser Welt durch die Verkörperung hoher Ideale entgegen und kämpft für eine utopische Wiedergeburt.
Dieses Werk, das als das politischste Hugo von Hofmannsthals gilt, zeugt von einer kritischen Einstellung gegenüber seiner jüngsten Geschichte und damit von der Wandlung des Autors vom Beginn seines politischen Engagements im ersten Weltkrieg an bis zu der Zeit, in der der Turm entsteht. Der bürgerliche Hofmannsthal hat sich zunächst viele Jahre kaum öffentlich mit der politischen Lage der Monarchie beschäftigt, was sich beim Ausbruch des ersten Weltkriegs grundlegend ändert. Hofmannsthal zieht positiv gesinnt in diesen Krieg und betätigt sich als glühender Monarchist publizistisch und politisch im Kriegsfürsorgeamt. Er ist tief bestürzt, als die Monarchie unter der Last des Krieges zerbricht. „Für Hofmannsthal bedeutet das Fortleben der Donaumonarchie über ihr geschichtliches Ende hinaus eine Lebensnotwendigkeit, nie zuvor vergegenwärtigt sie sich ihm derart lebendig und notwendig wie nach ihrem Untergang.“[2] In den Jahren allerdings, in denen die drei Fassungen des Turm s entstehen, ist Hofmannsthal längst ein Kritiker des Königshauses und träumt von einem neuen, gewandelten Europa.
Inwiefern, und warum sich diese Wandlung vollzieht, soll in der folgenden Arbeit anhand der realpolitischen und gegenwartsgeschichtlichen Tatsachen zu Hofmannsthals Zeit und ihrem Einfluss auf die erste Fassung des Turm untersucht werden.
1. Hinweise auf reale geschichtlich-politische Ereignisse im Turm
Die Turm fassung, die 1925 erscheint, liefert zahlreiche Anspielungen auf die realen politisch-geschichtlichen Ereignisse, die deutlich zeigen, dass sich der Turm parallel zu der von Hofmannsthal erlebten österreichischen Geschichte setzen lässt. Ebenso wie die Herrschaft der Habsburger fällt auch im Turm eine Monarchie – die des König Basilius. Dass hier tatsächlich die Donaumonarchie mit der basilischen in Beziehung gesetzt wird, zeigt sich dadurch, dass sie von König Basilius als „die Krone, geflochten aus dreien Kronen“[3] benannt wird. Auch soll Sigismund Erbe „dreier Kronen“ (HT, 87, 9f) sein. Es handelt sich hier um die symbolischen Bezeichnungen für die Kronen Österreichs, Ungarns und Böhmens, die vereinigt das habsburgische Reich darstellen. Außerdem sind im Turm keinerlei Hinweise enthalten, was König Basilius sonst so bezeichnet haben könnte. Auch die Zweiteilung des Habsburgerreiches in Österreich und Ungarn wird im Turm von Sigismund angeklagt: „Der Sohn gegen den Vater, Herrschaft gegen Herrschaft, Gewalt gegen Gewalt“ (HT, 137, 2f)
Weiterhin ist von einem „vierjährigen Krieg unter Basilius“ (HT, 128, 28f) die Rede, der „verloren worden“ (HT, 47, 11) ist. Vier Jahre dauert auch der erste Weltkrieg, dessen Ende auch das Ende der Habsburger ist, und auch wenn die Herrschaft des Basilius auch nach dem Krieg noch besteht, ist sie dennoch schwer angeschlagen und neigt sich ihrem Ende zu. („Nun aber ist seit Jahr und Tag die Hölle los gegen uns, und es lauert eine Verschwörung gegen unser Glück […], und wir können die Rädelsführer nicht greifen“) (HT, 40, 13ff)
Die Tatsache, dass das Habsburger Reich in Dutzende von nach Autonomie strebenden Völker und Nationalgruppen zersplittert ist, findet sich ebenfalls wieder. Die sprachlichen sowie religiösen Konflikte der österreichisch-ungarischen Bevölkerung manifestieren sich deutlich in Aufständen und Unruhen, vor allem der Ungarn, Tschechen, Rumänen und Südslawen, die zu bändigen durch halbherzige Kompromisse immer wieder nur zeitweise möglich ist. „1899 meint Kaiser Franz Joseph lakonisch: Österreich befindet sich im Zustand latenter Revolution.“[4] Dieser Zustand schwächte die Position des Monarchen Franz
Joseph I. immanent, und auch im Turm ist analog ein Beitrag zum Zusammenbruch der alten Ordnung. So sagt Sigismund, nach dem Fall der basilischen Herrschaft: “Eure kleinen Reiche aber, eure Häuser, die ihr gegeneinander baut, und euren Glauben, den ihr gegeneinander habt, die achte ich nicht […].“ (HT, 139, 16ff) Auch, dass Basilius „den Städten ihre Freiheit nehmen“ (HT, 56, 5) will, führt zu den Konflikten, mit denen sich auch Kaiser Franz Josef I. konfrontiert sieht.
Hofmannsthal, der sich vor allem während der Entstehung des Turm sehr mit der älteren Geschichte Österreichs beschäftigt, zum Beispiel durch die Lektüre vieler Biographien großer Staatsmänner, lässt auch diese Erkenntnisse in den Turm einfließen. Es heißt, als von der Spaltung des Reiches die Rede ist: „aber als ein drittes gegen beide, […] brach Asien herein und wollte Herr sein in unserem Hause“ (HT, 137, 9f) Hier tritt die Geschichte in unmittelbare Beziehung zu dem jüngst erlebten Weltkrieg, denn Hofmannsthal hatte durch seine Studien die Auffassung gewonnen, dass sich das Vergangene wiederholt: „Die eigene Geschichte verstehen wir und erleben sie wieder, und es ist uns wie der gestrige Tag, dass die Basteien Wiens den asiatischen Sturm abwehren mussten, wie heute der Karpathenwall ihn abwehrt.“[5]
2.1 Hofmannsthals Haltung zum Königshaus der Habsburger
Dass Hofmannsthal im Turm Bezug auf die realen Ereignisse der österreichischen Geschichte nimmt, ist klar zu erkennen. Fraglich aber ist, ob die Äußerungen über König Basilius, den Adel und den Krieg als Fiktion oder persönliche Einstellung des Autors gewertet werden können.
Inwiefern kann sein König Basilius in Parallele mit dem tatsächlichen Kaiser Franz Josef I., bzw. seinem Nachfolger Kaiser Karl gerückt werden? Tatsächlich mangelt es nicht an Kritik gegenüber Basilius. Er wird zum Beispiel von Julian als „den alten Bock mit einer Krone auf“ (HT, 93, 23f) bezeichnet. Der Großalmosenier, der einmal ein Kanzler Basilius` war, sich aber von seinem König in ein Kloster zurückgezogen hat („Wo war deine Menschheit, die sich hätte verbinden können mit der meinigen?“(HT, 48, 4f)) sagt zu Basilius, der ihn um Rat sucht:
„Denn ein Mensch fängt dort an, wo ein viehisch gelüstender Leib überwältigt ist und unter die Füße gebracht von Wesenheit. Das war nicht deine Sache. Dein Wollen sitzt unter dem Nabel und dein Unvermögen in der Herzgrube; unter deinen Haaren war die Bosheit und der stinkende Hochmut ist dir durch die Nase gegangen: […]“ (HT, 48, 5ff)
Auch der König selbst gibt Zeugnis von seiner Eitelkeit und Selbstüberschätzung: „Eines Königs Hand ist beredter als die Zunge des Weisen.“ (HT, 85, 5f) Nirgendwo im Turm findet sich ein Aspekt aus dem sich schließen lässt, dass Hofmannsthal Kaiser Franz Josef oder Kaiser Karl derartig einschätzt. Auch in der Sekundärliteratur taucht keine negative Äußerung in Bezug auf die Persönlichkeit der Monarchen auf, denn „schon die Forschung hat festgestellt, wie wenig Aussagen über das Kaiserhaus bei Hofmannsthal existieren. Kaiser Franz Joseph wird kaum erwähnt und nur bei Kriegsbeginn an deutsche Freunde im Sinne österreichischer Propaganda.“[6], Deswegen kann man nur spekulieren, ob es hier um eine Einschätzung der Staatsmänner geht oder vielmehr um eine Kritiknahme am damaligen Staatswesen an sich. Zum Beispiel warnt Basilius seinen Sohn Sigismund: „eines ist Königen not: dass sie sich ihrer bösen Ratgeber zu erwehren lernen“ (HT, 86, 28)
Dass die Monarchie Franz Josephs von Hofmannsthal jedoch generell auch kritisch gesehen wird, zeigt sich in einem 1917 verfassten Brief an Josef Redlich:
„Diese beiden, äußere u. innere Politik sind ja eines, die Trennung ist nur eine gedankliche, darf nie in Schematismus ausarten; dass sie dies unter Franz Joseph getan hat, […], eine quietistische äußere Politik ohne Gefühl für die innere zu führen, hat uns auf einen so mißlichen Punkt gebracht, uns auch nach außen so compromittiert.“[7]
2.2 Hofmannsthals Haltung zum Adel
Doch nicht nur die Monarchie ist im Zentrum des Versagens zu sehen, sondern auch der Adel erhält im Turm ein durchaus negatives Bild. Der Adel, den Hofmannsthal als die geistigen Träger des Staats sieht, missbraucht seinen Stand, nicht etwa um der Monarchie zu dienen und sich intellektuell zu entwickeln, sondern vielmehr um sein persönliches Fortkommen zu sichern. Julian, der diesen Stand der Intellektuellen im Turm repräsentiert, nutzt seine Möglichkeiten, um Sigismund für seine Zwecke zu missbrauchen. Der Arzt erkennt dies und wirft Julian vor: „Was ihr suchet, ist schärfere Wollust: Herrschaft, unbedingte Gewalt des Befehlens.“ (HT, 30, 20f)
[...]
[1] Zit. Nach: Hugo von Hofmannsthal und Josef Nadler in Briefen. Mitgeteilt von Werner Volke. In:
Hofmannsthal, Hugo von: Der Turm. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Hrsg. von Werner Bellmann, Stuttgart:
Reclam 2000 (Reclam 18041). S. 199
[2] Perrig, Severin, Hugo von Hoffmannsthal und die zwanziger Jahre, Frankfurt am Main, Lang 1994. S.25
[3] Hofmannsthal, Hugo von: Der Turm. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Hrsg. von Werner Bellmann, Stuttgart:
Reclam 2000 (Reclam 18041).
Das Werk „Der Turm“ Hugo von Hofmannsthals wird im Folgenden unter Verwendung der Sigle >HT< und
Angabe der entsprechenden arabischen Seitenzahl und Zeilen zitiert nach diser Ausgabe.
[4] Perrig, Severin, Hugo von Hofmannsthal und die zwanziger Jahre, Frankfurt am Main, Lang 1994. S. 47
[5] Ebd. S.173
[6] Ebd. S.28
[7] Ebd., S.28f
- Citation du texte
- Laura Helm (Auteur), 2005, Hugo von Hofmannsthal "Der Turm" - Historische und politische Aspekte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64090
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