In der vorliegenden Arbeit soll der Aspekt karma im Hinduismus unter religionsökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Ziel der Arbeit ist es, sowohl negative als auch positive Auswirkungen der Karma-Lehre auf Gesellschaft und Wirtschaft Indiens herauszuarbeiten. Gerade die sozio-ökonomisch hemmenden Aspekte des Karmas wurden über die letzten Jahrzehnte viel diskutiert. Hingegen ist die Ansicht, dass das Karma vor allem das wirtschaftliche Leben positiv beeinflussen kann, eine neue Sichtweise, die im Hauptteil entsprechend bearbeitet werden soll.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Die Religionsökonomie – Ein Überblick
2 Ein Längsschnitt der Entstehung des Hinduismus in Indien
3 Ein Längsschnitt der ökonomischen Entwicklung Indiens
4 Die Lehre vom Karma: Eine religionsökonomische Betrachtung
Resümee
Literaturverzeichnis
Einleitung
In der vorliegenden Arbeit soll der Aspekt karma im Hinduismus unter religionsökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Ziel der Arbeit ist es, sowohl negative als auch positive Auswirkungen der Karma-Lehre auf Gesellschaft und Wirtschaft Indiens herauszuarbeiten. Gerade die sozio-ökonomisch hemmenden Aspekte des Karmas wurden über die letzten Jahrzehnte viel diskutiert. Hingegen ist die Ansicht, dass das Karma vor allem das wirtschaftliche Leben positiv beeinflussen kann, eine neue Sichtweise, die im Hauptteil entsprechend bearbeitet werden soll.
Das 21. Jahrhundert ist geprägt von einer neuen Arbeitsmoral und -ethik. In der komparativen Länderstudie „Die neue Arbeitsmoral“[1] wird auch der Faktor Religion für die Untersuchung berücksichtigt. Die „Religion [ist] eine Mitspielerin in der Entwicklung von globalen und lokalen Systemen“[2]. Folglich darf die Bedeutung religiöser Elemente besonders in einem Land wie Indien nicht übersehen oder unterschätzt werden. Schon vor 100 Jahren war sich der deutsche Soziologe und Volkswirtschaftler Max Weber dessen bewusst, dass es Interdependenzen zwischen Politik, Wirtschaft und Religion in Indien immer gab und geben wird.[3]
Obwohl viele Wissenschaftler im Westen, unter anderem auch Dirk Bronger[4], den Hinduismus mit seinem Kastensystem und der damit verbundenen Endogamie[5] als einen die Wirtschaft Indiens hemmenden Faktor betrachten, muss darauf hingewiesen werden, dass es einige Gesichtspunkte im hinduistischen Glauben gibt, die letztlich eine stimulierende Nebenwirkung auf die indische Wirtschaft haben, wie später noch gezeigt wird. Im Rahmen dieser Arbeit wird lediglich das religiöse Element karma berücksichtigt.
Indien, mittlerweile ein industrielles Schwellenland und Global Player auf der internationalen politischen und wirtschaftlichen Bühne, ist nach wie vor ein Land extremer Polarisierungen.[6] So muss festgestellt werden, dass qualitativ hochwertigen Universitäten, hoch qualifizierten Arbeitern und einem unermesslichen Reichtum in vielen indischen Familien große Armut, Analphabetentum und Kinderarbeit gegenüberstehen.[7] Seit dem 15. August 1947, als Indien über Nacht eine unabhängige Republik mit der größten demokratischen Verfassung der Welt wurde, wurden in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Bildung große Fortschritte erzielt. Auf den folgenden Seiten soll unter anderem gezeigt und diskutiert werden, inwiefern das Element karma mit dem derzeitigen wirtschaftlichen Erfolg Indiens positiv oder negativ korreliert.
Bevor auf das zentrale Thema der vorliegenden Arbeit eingegangen werden kann, soll eine kurze religionsökonomische Einbindung der Thematik, ein Überblick über die Entwicklung des Hinduismus auf dem Subkontinent sowie ein Abriss über die wirtschaftliche Entwicklung Indiens helfen, die anschließenden Darlegungen besser nachzuvollziehen.
1 Die Religionsökonomie – Ein Überblick
Die Religionsökonomie ist eine neue Subdisziplin innerhalb der Religions-wissenschaften und beschäftigt sich verstärkt mit religiösen, ökonomischen, politischen und soziologischen Fragestellungen. Unbestritten betrachten auch andere religions-wissenschaftliche Subdisziplinen wie die Religionssoziologie, Religionsethnologie oder Religionspsychologie derartige Thematiken, allerdings wurde die wirtschaftliche Ebene oftmals nur peripher diskutiert. Hingegen geht die Religionsökonomie ganz bewusst von Interdependenzen zwischen Religion und Wirtschaft aus. Sie versucht zu klären, auf welche Art und Weise religiöse Strukturen das ökonomische Denken und Handeln von Individuen, Gruppen und Gesellschaften beeinflusst und verändert.[8]
Ein Grund für die stetige Ausdifferenzierung der Religionswissenschaft liegt sicherlich in der zunehmenden Komplexität kulturwissenschaftlicher Fragestellungen. Die meisten Wissenschaften mussten mit der Zeit erkennen, dass sie an die Grenzen dessen stoßen, was zu absorbieren möglich ist. Eine stetige Spezialisierung innerhalb der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen war essentiell, so auch im Bereich der Religionswissenschaft. Vier wesentliche Perspektiven macht sich die Religionsökonomie zur Aufgabe:[9]
1. die Finanzierung von Religionen
2. das Verhältnis von Religion und Wirtschaft unter dem Dach einer Kulturtheorie
3. ökonomische Theorien als Gegenstand der Religionswissenschaft
4. ökonomische Theorien als Modelle der Religionswissenschaft für bestimmte Vorgänge in ihrem Gegenstandsbereich
Die Formulierung jener religionsökonomischen Perspektiven zeigt deutlich, dass es hier in der Tat um neoklassische wirtschaftliche Fragestellungen geht, wie unter anderem auch die Nutzenoptimierung sowohl für die religiösen Institutionen als auch für die Gesellschaft selbst.[10] Gerade in Ländern mit einer verfassungsrechtlichen Trennung von Kirche und Staat ist die Institution Kirche als ein wirtschaftliches Individuum denselben ökonomischen Gesetzen unterworfen wie andere Unternehmen.
Der Hauptteil der vorliegenden Arbeit wird sich mit einer religionsökonomischen Betrachtung der Karma-Lehre im Hinduismus beschäftigen. Religionsökonomisch deshalb, weil das religiöse Element Karma in ein Verhältnis zur wirtschaftlichen Situation Indiens im 21. Jahrhundert gesetzt werden soll. Im Rahmen der folgenden Betrachtung ist vor allem die zweite Perspektive, die sich mit der Frage des Verhältnisses von Religion und Wirtschaft unter dem Dach einer Kulturtheorie beschäftigt, von großem Interesse. Es soll geklärt werden, ob und inwiefern die Lehre vom Karma „die Mentalität und auf diesem Wege das Wirtschaftsverhalten“[11] auf dem Subkontinent negativ oder positiv beeinflusst. Aus heutiger wissenschaftlicher Sicht ist es evident, dass wirtschaftliches Handeln und Denken von Individuen und Haushalten mit religiösen Vorstellungen korreliert.[12] So erkannte auch Marcel Mauss in seinem Werk „Die Gabe“, dass es religiöse Elemente im Hinduismus gibt, die - wie beispielsweise der Ablauf von Gabe und Gegengabe - sowohl religiös als auch wirtschaftlich interpretiert werden können.[13] Wenngleich Axel Michaels kritisiert, dass sich Mauss lediglich auf brahmanische Quellen berief und übersah, dass es im Hinduismus verschiedene Motive für eine Gabe gebe,[14] muss dennoch anerkannt werden, dass Mauss eine bedeutende Vorarbeit für die Interdependenzen zwischen Religion und Wirtschaft leistete, auch für den Hinduismus.
Unumstritten stellt die Untersuchung und Analyse religiöser Elemente und Verhaltensmustern die Wissenschaft vor erhebliche Herausforderungen, da zum einen nach wie vor in den meisten Ländern nur wenig Statistiken über religiöses Datenmaterial vorliegt und zum anderen viele religiöse Aspekte kaum oder gar nicht objektiv und wissenschaftlich bewertet werden können.[15] Daher muss im Vorhinein darauf hingewiesen werden, dass auch die Karma-Lehre nur schwer nach streng wissenschaftlichen Vorstellungen beurteilt werden kann, jedoch soll mit Hilfe von entsprechender Primär- und Sekundärliteratur und verschiedenen empirischen Untersuchungen von Ländern und Unternehmen versucht werden, die Korrelation zwischen Karma und indischer Wirtschaft schrittweise herauszuarbeiten.
2 Ein Längsschnitt der Entstehung des Hinduismus in Indien
Der folgende Abschnitt bezieht sich auf das Werk von Axel Michaels „Der Hinduismus“[16], da er auf der einen Seite historische und kulturelle Zusammenhänge im Hinduismus gut darstellt und auf der anderen Seite international als Autorität für hinduistische Fragestellungen anerkannt ist.
Gleich zu Anfang muss darauf hingewiesen werden, dass „der Hinduismus als eine zusammenhängende Religion ein Konstrukt des Westens“[17] ist:
„Heute weiß man, ohne dies zugeben zu wollen, daß der Hinduismus nichts ist als eine von der europäischen Wissenschaft gezüchtete Orchidee. Sie ist viel zu schön, um sie auszureißen, aber sie ist eine Retortenpflanze: In der Natur gibt es sie nicht.“[18]
Dennoch wird auf den nächsten Seiten versucht, eine Entwicklungsgeschichte des hinduistischen Glaubens mit allen seinen religiösen Verflechtungen und Subreligionen aufzuzeigen, freilich nur, soweit dies möglich ist. „Denn welche Traditionen als hinduistisch bezeichnet werden können, ist innerhalb und außerhalb Indiens umstritten.“[19]
Die Entstehung des Hinduismus bzw. hinduistischer Glaubensströmungen lässt sich in sechs Epochen unterteilen: eine erste Epoche, die noch weniger von hinduistischen Glaubensvorstellungen geprägt ist, ist die Zeit der vorvedischen Religionen bis ca. 1750 v. Chr. Diese Epoche zeichnet sich aus durch neolithische und chalkolithische Siedlungen in ganz Indien und Kulturen der südostasiatischen Urbevölkerung, der Mundas und Dravidas. Darüber hinaus findet sich aus dieser Zeit archäologisches Material, welches auf die hoch entwickelten Stadtkulturen von Harappa, Mohenjo-Daro und anderen Siedlungen im Stromgebiet des Indus, oft auch Harappa- oder Industal-Zivilisation genannt, hinweist.
Mit der zweiten Epoche, die ca. von 1750 bis 500 v. Chr. datiert wird, ist der Beginn bzw. die Entwicklung der Vedischen Religion verbunden. Ab ca. 1750 v. Chr. drangen indoiranische Stammesgruppen, vornehmlich Viehnomaden von Zentralasien oder dem vorderen Orient, sowohl in friedlichen als auch kriegerischen Streifzügen in den nördlichen Punjab ein. Diese indoiranischen Invasoren bezeichneten sich selbst als ārya[20], wobei dieser Begriff bereits im Rg-Veda eher für eine kulturelle und linguistische als für eine rassische Grenze steht. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Epoche der Vedischen Religion in eine früh-, mittel- und spätvedische Phase unterteilen lässt.
Ein weiterer signifikanter Schritt zu den hinduistischen Glaubensströmungen hin beginnt mit der Epoche des Asketischen Reformismus, die in der Zeit von 500 bis 200 v. Chr. anzusetzen ist. Religionsgeschichtlich relevant ist in dieser Zeit die Tatsache, dass erstmals Arbeit als solche freigesetzt wurde, mit der Konsequenz, dass sich lose Personalverbände statt fester verwandtschaftlicher Gemeinschaften bilden konnten. Obgleich die Brahmanen, die Kaste der Gelehrten und Kleriker und zugleich höchste Kaste überhaupt, das Monopol auf das Opferwesen weiterhin fest innehatten, kam aufgrund der ökonomischen Wandlungen zunehmend Kritik an der brahmanischen Art und Weise dieses Rituals auf. „Asketische Reformbewegungen blieben nicht mehr auf einen lokalen Wirkungskreis begrenzt.“[21] Eng verbunden mit diesem asketischen Reformismus ist die Entstehung und Ausbreitung des Buddhismus und Jainismus. Diese Epoche des Umbruchs zeichnet sich durch einen religiösen Eklektizismus und durch die Gegenreaktion auf Fremdherrschaften bzw. ausländische Invasoren aus, wobei sich die für den Hinduismus signifikante Fähigkeit zur Adaption und Vereinnahmung religiöser Fremdeinflüsse in dieser Zeit verstärkt gezeigt hatte.
Der Klassische Hinduismus, die vierte Epoche, findet seinen Anfang ca. 200 v. Chr. und dauert bis 1100 n. Chr. an. Bereits mit dem Zeitalter des asketischen Reformismus waren viele Elemente der vedischen Religion verloren gegangen. Die Kultur Indiens wurde letztlich auch durch andere Einflüsse, die auf den maritimen Handelsbeziehungen mit dem Römischen Reich, Zentralasien und Südostasien beruhten, beeinflusst. „Diese Indisierung, teilweise auch Hinduisierung [insofern von einem klar definierten hinduistischen Glauben in dieser Zeit gesprochen werden kann] weiter Regionen vollzog sich ohne militärische Eroberungen und wird von dem Indologen Wilhelm Rau deshalb zu den welthistorischen Leistungen Indiens gezählt.“[22] Auffällig ist, dass nach wie vor die Bedeutung vedischer Religion und Tradition für den Hinduismus sowohl von Wissenschaftlern als auch Laien überschätzt wird. Natürlich ist eine Entwicklung der hinduistischen Glaubensströmungen aus den vedischen Religionen nicht abzustreiten und offensichtlich. Allerdings ist eine erhebliche Modifikation der religiösen Terminologie zu beobachten. „Alle Schlüsselbegriffe des Hinduismus sind nicht oder nur in einem ganz anderen Sinne vedisch.“[23] So ist z. B. die ethisierte Seelenwanderung mit Tatvergeltung (karma) eher eine hinduistische als eine vedische Vorstellung. Auch die soziale Ordnung des Kastensystems, die Praxis der Witwenverbrennung, das Verbot der Wiederverheiratung, die Errichtung von Götterbildern und Tempel, den Pñjª-Gottesdienst wie auch Yoga, Wallfahrten, den postulierten Vegetarismus und die Sakralisierung des Rindes sind in der vedischen Glaubensvorstellung gar nicht oder nur teilweise zu finden. Es ist eine notwendige Konsequenz, zwischen der vedischen Religion und den Hindu-Religionen einen epochalen Einschnitt zu machen.
[...]
[1] Jaufmann & Pfaff (2000), S. 38 ff.
[2] Koch, Anne: Religionsökonomie. Vorarbeiten zu einer Teildisziplin der Religionswissenschaft (eingereicht bei: „Zeitschrift für Religionswissenschaft“), S. 2.
[3] vgl. Weber, Max: Religionssoziologie (Teil II)- Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, Hinduismus und Buddhismus, (siehe http://www.uni-potsdam.de/u/paed/Flitner/Flitner/Weber/WEWRII.pdf, 26. Dezember 2005).
[4] Bronger (1996).
[5] ebd., S. 20.
[6] Bronger (1996), S. 26.
[7] http://www.suedasien.net/laender/indien/wirtschaft.htm, 27. Oktober 2005.
[8] vgl. Iannaccone (1998) , in: Journal of Economic Literature, September 1998, S. 1465.
[9] vgl. Koch, in: Held, Kubon-Gilke & Sturn (2007), S. 7.
[10] vgl. ebd., S. 7.
[11] Koch, Anne: Religionsökonomie. Vorarbeiten zu einer Teildisziplin der Religionswissenschaft (eingereicht bei: „Zeitschrift für Religionswissenschaft“), S. 8.
[12] vgl . Iannaccone (1998), in: Journal of Economic Literature, September 1998, S. 1475.
[13] vgl. Mauss (1990), S. 135-148.
[14] vgl. Michaels (1997), in: Numen, Vol. 44 (1997), S. 247.
[15] vgl. Iannaccone (1998), in: Journal of Economic Literature, September 1998, S. 1467.
[16] Michaels (1998).
[17] ebd., S. 27.
[18] ebd., S. 27.
[19] ebd., S. 27.
[20] Michaels (1998), S. 49.
[21] ebd., S. 54.
[22] ebd., S. 55.
[23] ebd., S. 56.
- Citar trabajo
- Ishan Hegele (Autor), 2006, Die Lehre vom Karma - Eine religionsökonomische Betrachtung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64059
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