Politische Erziehung ist Ausdruck eines Problems, vor dem jede menschliche Gesellschaft
stand und steht: die entwickelten politischen Strukturen der nachwachsenden Generation zu
vermitteln, damit sie ein wertvolles Mitglied der Gemeinschaft wird. Was auch als politische
Sozialisation bezeichnet wird meint in letzter Konsequenz nichts anderes, als den Menschen –
in welcher Form auch immer – zu formen, ihm gewisse „Werthaltungen, Einstellungen,
Überzeugungen, Wissensbestände und Handlungsdispositionen“ (Wolfgang Sander) mit auf den Weg zu geben.
Dies erfolgte im Laufe der Geschichte mit verschiedenen Methoden und Zielsetzungen, die
immer von der jeweiligen Zweckbestimmung und dem ideengeschichtlichen Hintergrund des
Staates – und damit seiner Einstellung zum Menschen und seiner Erziehung – abhingen.
Ziel dieser Arbeit ist es, die politische Erziehung zweier auf den ersten Blick gegensätzlicher
Staaten zu untersuchen und zu vergleichen: die des Kaiserreichs unter Wilhelm II und die der
DDR unter Walter Ulbricht und Erich Honecker.
Es soll die These untersucht werden, dass Ziele und Inhalte der politischen Erziehung beider Staaten deckungsgleich waren.
Dazu werden zunächst die Zielsetzungen der politischen Erziehung unter Hinzunahme
amtlicher Dokumente verglichen, im weiteren Verlauf der Arbeit wird mit Hilfe zweier ausgewählter Inhalte, dem Militarismus und dem Nationalismus, auf konkreterer Ebene verglichen, inwiefern die beiden Staaten in
den vermittelten Inhalten der politischen Erziehung übereinstimmten. Im direkten Anschluss
wird auch untersucht, inwiefern die zu vermittelnden Inhalte akzeptiert wurden: ob die
politische Erziehung also erfolgreich oder erfolglos war.
Es wird sich zeigen, dass die politische Bildung in beiden Fällen eher eine politische Erziehung hin zum Untertan war. Sie diente dabei der Legitimierung der jeweiligen Herrschaft. In Bezug auf die These lässt sich feststellen, dass in ihren Zielen und Inhalten die politische Erziehung beider Staaten deckungsgleich war.
In der Akzeptanz in der Bevölkerung unterschieden sie sich marginal, ihre Wirkung – die
Herrschaftssicherung – verfehlten sie beide.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung – Tradition der Staatsbürgererziehung
2. Funktionsbestimmung politischer Bildung
2.1 Kaiserreich
2.2 DDR
3. Notwendigkeit der politischen Erziehung im Marxismus-Leninismus
4. Militarismus
4.1 Definition
4.2 Kaiserreich
4.3 DDR
5. Nationalismus
5.1 Definition
5.2 Kaiserreich
5.3 DDR
6. Ergebnis und Ausblick
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung – Tradition der Staatsbürgererziehung
Politische Erziehung ist Ausdruck eines Problems, vor dem jede menschliche Gesellschaft stand und steht: die entwickelten politischen Strukturen der nachwachsenden Generation zu vermitteln, damit sie ein wertvolles Mitglied der Gemeinschaft wird. Was auch als politische Sozialisation bezeichnet wird meint in letzter Konsequenz nichts anderes, als den Menschen – in welcher Form auch immer – zu formen, ihm gewisse „Werthaltungen, Einstellungen, Überzeugungen, Wissensbestände und Handlungsdispositionen“ mit auf den Weg zu geben.[1] Dies erfolgte im Laufe der Geschichte mit verschiedenen Methoden und Zielsetzungen, die immer von der jeweiligen Zweckbestimmung und dem ideengeschichtlichen Hintergrund des Staates – und damit seiner Einstellung zum Menschen und seiner Erziehung – abhingen.
Die Entwicklungsgeschichte der modernen politischen Erziehung und Bildung in Deutschland reicht in die Fürstentümer des 17. Jahrhunderts zurück.[2] Das Hauptaugenmerk dieser ‚monarchischen politischen Erziehung‘ lag dabei auf ihrer Funktionsbestimmung zur Abwehr revolutionärer Ideen und Sicherung der monarchistischen Herrschaft. Ihr zu Grunde lagen ein „harmonistische[s] Staats- und Gesellschaftsbild [...] [und] der Glaube an die Möglichkeit einsichtsvollen Zusammenwirkens von Regierenden und Regierten“. Hinzu kommt die Idee der Nation als prägende politische Kraft.[3]
Doch auch die Weimarer Republik, die Nationalsozialisten und beide deutsche Staaten nach 1945 bedienten sich der politischen Erziehung und Bildung.
Ziel dieser Arbeit ist es, die politische Erziehung zweier auf den ersten Blick gegensätzlicher Staaten zu untersuchen und zu vergleichen: die des Kaiserreichs unter Wilhelm II und die der DDR unter Walter Ulbricht und Erich Honecker.
Es soll die These untersucht werden, dass Ziele und Inhalte der politischen Erziehung beider Staaten deckungsgleich waren.
Dazu werden zunächst die Zielsetzungen der politischen Erziehung unter Hinzunahme amtlicher Dokumente verglichen, denn das Ziel pädagogischer Einwirkungen ist unmittelbarer Ausdruck der gesellschaftlichen Anforderungen an den Menschen.[4]
Im weiteren Verlauf der Arbeit wird mit Hilfe zweier ausgewählter Inhalte, dem Militarismus und dem Nationalismus, auf konkreterer Ebene verglichen, inwiefern die beiden Staaten in den vermittelten Inhalten der politischen Erziehung übereinstimmten. Im direkten Anschluss wird auch untersucht, inwiefern die zu vermittelnden Inhalte akzeptiert wurden: ob die politische Erziehung also erfolgreich oder erfolglos war.
Dabei wird auch immer wieder die Anknüpfung an die ideengeschichtlichen Hintergründe[5] beider Staaten, vor allem aber der DDR, gesucht.
2. Funktionsbestimmung politischer Bildung
2.1 Kaiserreich
Die Kabinettsordre von Kaiser Wilhelm II. vom 1. Mai 1889[6] wurde auch als „der erste wirksame Weckruf zur Einführung staatsbürgerlichen Unterrichts“ bezeichnet.[7] In ihr und in der Rede, die Kaiser Wilhelm II. auf der Schulkonferenz 1890 hielt[8], lässt sich die Aufgabe, die er der politischen Erziehung zugedachte, gut erkennen. Eingebettet ist dieser ‚Weckruf‘ in den historischen Kontext der stärker werdenden Arbeiterbewegung. Gerade nach den Sozialistengesetzen erfuhr die sozialdemokratische Bewegung regen Zulauf, konservative Kreise sahen sich nach neuen Methoden um, der sozialdemokratischen Bewegung Einhalt zu gebieten: „Der in Preußen so beliebte Gendarm hatte versagt, war abgetreten, jetzt Schulmeister vor!“[9]
In allererster Linie hatte die politische Erziehung nach den Wünschen des Kaisers der „Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen entgegenzuwirken“. Dies sollte durch die „Pflege der Gottesfurcht und der Liebe zum Vaterlande“ erreicht werden, die Jugend sollte erkennen, dass die Lehren der Sozialdemokratie für den einzelnen „verderblich“ sind und nur die Staatsgewalt „dem Einzelnen seine Familie, seine Freiheit, seine Rechte schützen kann.“ Um dies zu untermauern sollte „durch statistische Tatsachen“ nachgewiesen werden, wie Preußens Könige konsequent die Lebensbedingungen der kleinen Leute verbessert hätten. Im Religionsunterricht hingegen solle die ethische Seite stärker in den Vordergrund gerückt werden.[10]
Bereits an diesen Passagen lassen sich Kernpunkte der monarchistischen politischen Bildung erkennen: Die Abwehr revolutionärer Ideen soll durch Diffamierung, Umdeutung der Geschichte und einen verstärkten Moralanspruch an die Bürger erreicht werden. Im Kern wird das eigene Herrschaftssystem (der monarchische Staat) der konkurrierenden Kraft (der sozialdemokratischen Bewegung) gegenüber als Überlegen dargestellt, die Ideen der Gegner mit Untergang und Verderben gleichgesetzt.
In der Eröffnungsrede auf der Schulkonferenz von 1890 wird Kaiser Wilhelm II. deutlicher. Er beklagt den Mangel einer nationalen Basis und die fehlende Charakterbildung in den Schulen. Der Jugend solle klargemacht werden, dass „das neue Staatswesen [gemeint ist das geeinte Deutsche Reich nach 1871, Verf.] dazu da wäre, um erhalten zu werden“.[11] Schließlich solle die Belebung des „vaterländischen Sinnes“ auch im Geschichts- und Deutschunterricht erfolgen.[12]
Hier wird deutlich, wie die staatsbürgerliche Erziehung ausgeweitet werden sollte, um ihre Wirkungsmacht zu erhöhen. Die Verknüpfung mit dem Deutsch- und Geschichtsunterricht bietet sich an, da hier ohnehin Themen behandelt werden, die der Förderung des Nationalbewusstseins zuträglich sind. Gerade auf die Vaterlandsliebe wird ein besonderer Wert gelegt.
Zusammenfassend sollen folgende Punkte der politischen Erziehung im Kaiserreich herausgehoben werden: Es ging um die Abwehr revolutionärer Ideen, was mit Hilfe der Ausformung einer patriotischen, nationalen Gesinnung, Ergebenheit zum Herrscher, Umdeutung der Geschichte und einer diffamierenden Darstellung der Folgen der Umsetzung gegnerischer Ideen auf der Basis rudimentärer Kenntnisse in ausgewählten Stoffbereichen erfolgen sollte.
Es bleibt dennoch festzuhalten, dass der Versuch der Etablierung eines eigenen Faches zur staatsbürgerlichen Erziehung im Großen und Ganzen scheiterte. Oft wurde diese Aufgabe lediglich an den Geschichtslehrer abdelegiert, und lediglich in Preußen wurde ein Schulfach zur staatsbürgerlichen Erziehung in den oberen Klassen der höheren Lehranstalten eingeführt. Vielmehr erreichte Kaiser Wilhelm II. mit seiner Initiative langfristig das genaue Gegenteil dessen, was er ursprünglich beabsichtigt hatte: Es kam zu einer regen Diskussion über die staatsbürgerliche Erziehung, und nicht selten wurden konträre Standpunkte formuliert und vertreten.[13]
2.2 DDR
In der DDR gab es das Fach Staatsbürgerkunde ab dem Schuljahr 1957/58, vorher hieß es Gegenwartskunde. Die Richtlinien des DDR-Bildungswesens gab der IV. Pädagogische Kongress im August 1949 vor: Die Lehrer sollten sich als „politische Lehrer“ verstehen, die ihr Handeln an den Lehren des Marxismus orientierten.[14]
Der Lehrplan formuliert die Ziele des Unterrichts so: Die Schüler sollen für den Sozialismus in jeder Situation Partei ergreifen, ihre ganze Kraft für die „Weiterführung der sozialistischen Revolution“ einsetzen. Das Denken, Fühlen und Handeln soll im Sinne der kommunistischen Ideale erfolgen. Der Sozialismus wird als überlegene Gesellschaftsordnung dargestellt, andauernde Betonung erfährt dabei die Rolle der SED und ihrer „Führung“ der arbeitenden Klasse. Die Vorzüge des Sozialismus sind gegenüber dem Imperialismus hervorzuheben. Der Unterricht dient der „weltanschauliche [n] , politische [n] und moralische [n] Erziehung“ (Hervorhebung im Original). Weiterhin sollen die Schüler diese Grundkenntnisse zur Grundlage ihres Denkens, Verhaltens und Handelns machen.[15]
Bei den Schülern sollte die Überzeugung hervorgerufen werden, dass sie zur Sicherung und Wahrung der Errungenschaften des Sozialismus berufen sind. Grundlage allen Wissens ist der Erwerb des Marxismus-Leninismus als wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse. Der Lebensstandard wird als große Errungenschaft der arbeitenden Bevölkerung unter Führung der SED dargestellt. Die Betonung der Gesetzmäßigkeit der historischen und gesellschaftlichen Entwicklung erfolgt in allen Jahrgängen.[16]
Die zu vermittelnden Wissensbestände und Verhaltensdispositionen entsprechen den Wesensmerkmalen der ‚allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit‘, die das Erziehungsziel darstellte. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf dem politischen Bewusstsein. Das Jugendgesetz von 1974 präzisierte die Erziehungsziele: Die jungen Menschen sollen den sozialistischen Ideen „treu ergeben“ sein, „als Patrioten und Internationalisten denken und handeln, den Sozialismus stärken und gegen alle Feinde zuverlässig schützen.“[17] Die zu vermittelnden Werte und Tugenden sind „Kollektivbewusstsein und Hilfsbereitschaft, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, Ehrlichkeit und Bescheidenheit, Mut und Standhaftigkeit, Ausdauer und Disziplin, Achtung vor den Älteren, ihren Leistungen und Verdiensten sowie verantwortungsvolles Verhalten zum anderen Geschlecht“.[18]
[...]
[1] Sander, Wolfgang: Theorie der politischen Bildung: Geschichte – didaktische Konzeptionen – aktuelle Tendenzen und Probleme. In: Sander, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch politische Bildung. Bonn 2005, S. 13
[2] Vgl. Kuhn, Hans-Werner; Massing, Peter; Skuhr, Werner (Hrsg.): Politische Bildung in Deutschland. Entwicklung – Stand – Perspektiven. 2. Auflage, Opladen 1993, S. 13; vgl. auch Röhrig, Paul: Politische Bildung. Herkunft und Aufgabe. Stuttgart 1964, S. 39
[3] Kuhn; Massing; Skuhr (Hrsg.): Politische Bildung, S. 14
[4] Vgl. Schmitt, Karl: Politische Erziehung in der DDR. Ziele und Methoden des politischen Unterrichts an den allgemeinbildenden Schulen der DDR. Paderborn 1980, S. 29
[5] Für das Kaiserreich gestaltet sich das aber als schwierig, da es anders als in der DDR kein zusammenhängendes, schriftlich festgehaltenes theoretisches Konstrukt gibt, sich die Monarchie zudem seit dem Römischen Reich stetig weiterentwickelte und unterschiedlichsten gesellschaftlichen Strömungen unterlag. Eine umfassende Untersuchung der ideengeschichtlichen Hintergründe des Kaiserreiches würde zudem den Umfang dieser Arbeit um ein vielfaches Ausdehnen.
[6] Abgedruckt in: Kuhn; Massing; Skuhr (Hrsg.): Politische Bildung, S. 35f
[7] Spranger, Eduard: Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung, 2. Auflage, Bonn 1957; zitiert nach: Kuhn; Massing; Skuhr (Hrsg.): Politische Bildung, S. 13
[8] Abgedruckt in: ebd., S. 37f
[9] Rühlmann, Paul: Politische Bildung, S.105; zitiert nach Kuhn; Massing; Skuhr (Hrsg.): Politische Bildung, S. 16
[10] Alle vorherigen Zitate aus: ebd., S. 35f
[11] Ebd., S. 37
[12] Hornung, Klaus: Etappen politischer Pädgogik in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9/61, S. 117; zitiert nach: Kuhn; Massing; Skuhr (Hrsg.): Politische Bildung, S. 17
[13] Vgl. Kuhn; Massing; Skuhr (Hrsg.): Politische Bildung, S. 33; vgl. auch: Borcherding, Karl: Wege und Ziele politischer Bildung in Deutschland. Materialsammlung zur Entwicklung der politischen Bildung in den Schulen 1871 – 1965. München 1965, S. 11
[14] Schmitt, Karl: Politische Erziehung, S. 21f
[15] Alle vorherigen Zitate aus: Lehrplan der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule. Staatsbürgerkunde Klasse 7 – 10. Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik, Ministerium für Volksbildung. Berlin 1988, S. 4f
[16] Vgl. ebd., S. 6ff
[17] Ebd.
[18] Ebd.
- Citar trabajo
- Michael Draeger (Autor), 2006, Politische Bildung unter Kaiser Wilhelm II, Ulbricht und Honecker, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64054
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