Erst in den achtziger Jahren entdeckten die Sozialwissenschaften Lebensstile als wichtige Elemente der Sozialstruktur, die das menschliche Verhalten entscheidend beeinflussen, zum Beispiel Konsum- oder Wahlentscheidungen. Somit sind sie unabhängige Variablen und nicht, wie zuvor angenommen, von zentralen Sozialstrukturen abhängig.
Mittlerweile existiert eine erhebliche Zahl von Konsumententypologien und Lebensstilklassifikationen. Von ihnen wird erwartet, das Verhalten besser vorhersagen zu können als klassische demographische oder sozio-ökonomische Variablen. Vor allem im Marketing finden Lebensstile große Beachtung, da ihr Einfluss auf die Präferenzen für ein bestimmtes Spektrum an Produkten erkannt wurde.
Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wie Lebensstile entstehen. Dabei müssen mehrere Teilfragen berücksichtigt werden: Wie bildet eine Person einen individuellen Lebensstil aus? Wieso unterscheiden sich die Lebensstile unterschiedlicher Personen? Und wieso sind oftmals auch sehr ähnliche Lebensstile bei unterschiedlichen Personen vorzufinden?
Zunächst werden die Grundlagen der Lebensstilforschung vorgestellt und ihre Entwicklung zusammenfassend beschrieben. Die Arbeit defineirt wesentliche Begriffe, grenzt sie voneinander ab und legt die beiden grundsätzlichen Positionen in der Herangehensweise an Lebensstile dar.
Im Vordergrund steht die Frage nach der Entstehung von Lebensstilen auf der Mikro- und der Makroebene. Ziel ist, eine schlüssige Verbindung von der Ebene des individuellen Verhaltens zur Ebene der gesellschaftlichen Struktur aufzuzeigen. Dazu werden Ansätze aus verschiedenen Wissenschaften herangezogen und miteinander verbunden, vornehmlich aus der Psychologie und der Soziologie, da nur so ein umfassendes Bild der Entstehung von Lebensstilen gezeichnet werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Überblick über die Lebensstilforschung
2.1 Geschichte der Lebensstilforschung
2.2 Lebensstil und Milieu
2.2.1 Lebensstil
2.2.2 Milieu
2.3 Determinanten des Lebensstils – unterschiedliche Positionen
3. Entstehung von Lebensstilen
3.1 Individuelles Verhalten
3.1.1 Psychische Verhaltensdeterminanten
3.1.2 Umweltdeterminanten des Verhaltens
3.2 Lebensstilbildung auf der Ebene des Individuums
3.3 Mikro-Makro-Verknüpfung
4. Fazit
5. Literatur
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Das Gesamtsystem der psychischen Verhaltensdeterminanten
Abb. 2: Übersicht über die psychischen Verhaltensdeterminanten
Abb. 3: Das System der Umweltvariablen
Abb. 4: Der Einfluss der physischen Umwelt auf das individuelle Verhalten
Abb. 5: Die Umweltdeterminanten des Verhaltens
Abb. 6: Ablauf sozialer Segregation
1. Einleitung
Lange Zeit wurden Milieus und Lebensstile in der wissenschaftlichen Diskussion vernachlässigt, sie galten als von zentralen Sozialstrukturen abhängige Variablen. Erst in den achtziger Jahren wurden Lebensstile als wichtige Elemente der Sozialstruktur entdeckt, die das menschliche Verhalten entscheidend beeinflussen, zum Beispiel spielen sie eine erhebliche Rolle bei Konsum- oder Wahlentscheidungen oder dem Umgang mit den objektiven Lebensbedingungen. Somit sind sie also unabhängige Variablen. Mitunter nehmen Milieus und Lebensstile auch die Züge intervenierender Variablen an, beispielsweise tragen sie entscheidend zur Identitätsfindung innerhalb gegebener Bedingungen bei (Vgl. HRADIL 1992: 7).
Mittlerweile existiert eine erhebliche Zahl von Konsumententypologien und Lebensstilklassifikationen. Von ihnen wird erwartet, das Verhalten besser vorhersagen zu können als klassische demographische oder sozio-ökonomische Variablen (Vgl. HARTMANN 1999: 11). Vor allem im Marketing finden Lebensstile große Beachtung, da ihr Einfluss auf die Präferenzen für ein bestimmtes Spektrum an Produkten erkannt wurde (Vgl. NIESCHLAG / DICHTL / HÖRSCHGEN: 86).
Die vorliegende Arbeit will sich nicht mit der Frage beschäftigen, welche unterschiedlichen Konzepte und Studien im Bereich der Lebensstilforschung existieren – ihre Zahl wäre für diesen Rahmen zu groß, und ähnliche Anstrengungen wurden bereits unternommen. Hier soll der Frage nachgegangen werden, wie Lebensstile entstehen. Dabei müssen mehrere Teilfragen berücksichtigt werden: Wie bildet eine Person einen individuellen Lebensstil aus? Wieso unterscheiden sich die Lebensstile unterschiedlicher Personen? Und wieso sind, im genauen Gegenteil, oftmals auch sehr ähnliche Lebensstile bei unterschiedlichen Personen vorzufinden?
Zunächst sollen im zweiten Kapitel die Grundlagen der Lebensstilforschung vorgestellt, in einer raschen Zusammenfassung ihre Entwicklung beschrieben werden. Danach werden wesentliche Begriffe definiert und voneinander abgegrenzt und die beiden grundsätzlichen Positionen in der Herangehensweise an Lebensstile dargelegt.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage nach der Entstehung von Lebensstilen auf der Mikro- und der Makroebene. Ziel ist, eine schlüssige Verbindung von der Ebene des individuellen Verhaltens zur Ebene der gesellschaftlichen Struktur aufzuzeigen. Für eine die Mikro- und Makroebene berücksichtigende Erklärung der Entstehung von Lebensstilen ist es unerlässlich, Ansätze aus verschiedenen Wissenschaften heranzuziehen, hier aus der Psychologie und der Soziologie, da für sich genommen keine ausreicht, das Phänomen der Lebensstilbildung zu erklären. Ziel dieser Arbeit ist somit nicht, ein vollkommen neues und umfassendes Modell der Entstehung von Lebensstilen zu entwerfen, das sämtliche Erkenntnisse aus den beiden Disziplinen Psychologie und Soziologie einbezieht.
In einem Schlusswort sollen die wichtigsten Ergebnisse und Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst werden.
2. Überblick über die Lebensstilforschung
2.1 Geschichte der Lebensstilforschung
Bereits im antiken Griechenland beschäftigten sich Philosophen mit Lebensstilen und dem empfohlenen Umgang mit Gütern, Genüssen und Begierden. Die zwei Hauptrichtungen sprachen sich hierzu in vollkommen gegensätzlicher Weise aus: Auf der einen Seite waren die Kyniker davon überzeugt, dass der Mensch nur Glück erlangen kann, indem er sich unabhängig macht von äußeren Gütern, da Äußerlichkeiten wieder verloren gehen können. Auf der anderen Seite vertraten die Hedonisten die Auffassung, dass die sinnliche Lust oder der Genuss das einzige Ziel allen Handels ist, wobei sie jedoch gleichzeitig kluge und besonnene Abwägung und langfristiges Handeln propagierten (Vgl. MEINHOLD 2001: 33f).
Während die antiken Ansätze eher normativer Natur waren, versucht die Lebensstilforschung des zwanzigsten Jahrhunderts die vorherrschende Sozialstruktur zu beschreiben. Ziel ist nicht mehr, eine Anleitung zum guten, richtigen Leben zu geben, sondern (Konsum-) Verhalten vorherzusagen und Märkte zu segmentieren, um Personen mit unterschiedlichem Kaufverhalten und Reaktionsbereitschaft auf Marketingmaßnahmen zu identifizieren (Vgl. HARTMANN 1999: 11, 49). „Unter Marktsegmentierung versteht man die Aufteilung eines Gesamtmarkt in hinsichtlich ihrer Marktreaktion intern weit gehend homogene und extern weitgehend heterogene Teilmärkte“ (PEPELS 1999: 264). In den fünfziger Jahren herrschten Klassen- und Schichtenmodelle vor, welche die Gesellschaft in drei Gruppen einteilten: Ober-, Mittel- und Unterschicht. Die Zugehörigkeit zu diesen Schichten wurde als von Bildung, Beruf und Einkommen abhängig angesehen – im Vordergrund standen also demographische Variablen (Vgl. MÜLLER-SCHNEIDER 1994: 53). Nach damaliger Ansicht wurden Menschen in Klassen hineingeboren und konnten sie aufgrund gesellschaftlicher Normen und ökonomischen Mangel nicht verlassen, allenfalls nach unten (Vgl. DRIESEBERG 1995: 54). In den siebziger Jahren wurde Kritik an den Klassen- und Schichtmodellen laut, da die Auflösung der traditionellen Schichten zu beobachten war. Ursache dieser Erosion war sozialer Wandel: Die Menschen verfügten über mehr Geld, mehr freie Zeit, mehr und bessere Bildung sowie soziale Mobilität, das heißt der Wechsel zwischen sozialen Gruppen wurde immer einfacher. Hinzu kamen Veränderungen im gesellschaftlichen Wertesystem, die als Pluralisierung und Differenzierung bezeichnet werden können, sowie die Individualisierung des Lebenslaufes, wodurch kaum noch signifikante Gemeinsamkeiten zwischen den Lebensentwürfen der Menschen bestehen (Vgl. GEORG 1998: 18-36). Durch die Auflösung traditioneller Klassen setzte eine Diversifizierung und Individualisierung von Lebensstilen ein: Für breite Bevölkerungsteile nahmen Entscheidungsfreiheit und Wahloptionen zu, sowohl was Alltagspräferenzen angeht als auch biografische Abläufe und Wertorientierungen. Dies führt zu einer horizontalen Differenzierung – anstelle einer vertikalen (Vgl. ebd.: 49f). Lebensstile sind heute weitgehend individuell gestaltbar, und die Entscheidung für oder gegen eine Lebensstiloption ist von subjektiven Faktoren abhängig, aber auch von Zufall und externen Auslösern. Faktisch besteht also Wahlfreiheit, aber in der Realität treten nun neue Zwänge auf, die institutioneller Natur sind: Die Verfügbarkeit und Verteilung von gesellschaftlichen Positionen, von Dienstleistungen und staatlichen Leistungen entscheiden den Lebensstil maßgeblich mit (Vgl. DRIESEBERG 1995: 33, 59).
Die Klassen- und Schichtenmodelle waren mit Sicherheit nicht vollkommen falsch – eine so sehr auf materielle Werte und beruflichen Erfolg ausgerichtete Gesellschaft wie die moderne Industriegesellschaft muss eine vertikal gegliederte Sozialstruktur aufweisen. Aber: „Offenkundig hat aber die Sozialstrukturanalyse jener Zeit die ökonomischen, vertikalen und deterministischen Tendenzen stark vereinfacht und überzogen“ (HRADIL 1992: 11). Die herkömmlichen, auf Klassen und Schichten basierenden Lebensführungsmodelle schienen vor allem der Praxis überholt, ihre Erklärungsleistung nicht mehr ausreichend. Die demographische Segmentierung wurde deshalb unter anderem durch psychologisch fundierte Variablen ergänzt, analog zur Demographie wurde der Begriff der Psychographie geprägt. Psychographie bedeutet die Klassifikation von Personen nach mentalen Eigenschaften und Persönlichkeitsdispositionen, nach Einstellungen, Interessen und Meinungen (Vgl. HARTMANN 1999: 49f). Da solche partialen Herangehensweisen für sich allein zu kurz greifen, weil sie niemals isoliert auf das individuelle Verhalten wirken, wurden Typologien entwickelt, die diese Segmentierungskriterien unter einem Dach zu vereinen versuchen und das Verhalten unter anderem von sozio-demographischen, psychologischen und normativen Faktoren abhängig machen: Die Lebensstilansätze. (Vgl. PEPELS 1999: 275).
Mittlerweile gibt es einige bekannte Segmentierungsmodelle, welche die Bedeutung des Lebensstils für das Marketing aufgreifen, beispielsweise der AIO-Ansatz, der VALS-Ansatz, die Socio-Styles und Euro-Styles sowie die Sinus-Milieus.
2.2 Lebensstil und Milieu
Als Folge der Kritik an den Klassen- und Schichtenmodellen, die vereinfacht ausgedrückt vor allem darauf abzielte, dass Beruf und Schichtzugehörigkeit die innere Haltung und das Verhalten bestimme, wurden von einigen Autoren Lebensstil- und Milieumodelle als Ergänzung zu den bisherigen Ansätzen vorgeschlagen (Vgl. GEORG 1998: 17). Eine Abgrenzung der Begriffe Lebensstil und Milieu erscheint an dieser Stelle sinnvoll, da diese häufig synonym verwendet werden, was nur bedingt richtig ist.
2.2.1 Lebensstil
Lebensstile sind „relativ stabile, ganzheitliche und routinisierte Muster der Organisation von expressiv-ästhetischen Wahlprozessen, mit den dimensionalen Bestandteilen der sozialen Lage, der individuellen und kollektiven Sinnstrukturen und der manifest-expressiven Stilisierungsebene“ (GEORG 1998: 13). Oder anders: „Als Lebensstil bezeichnen wir eine Kombination typischer Verhaltensmuster einer Person oder Personengruppe (…) Der Lebensstil umfaßt: Muster des beobachtbaren Verhaltens und Muster von psychischen („inneren“) Größen“ (KROEBER-RIEL / WEINBERG 1999: 547). Lebensstile sind relativ stabil und bilden Alltagsroutinen zur Reduzierung der Komplexität der Lebensumwelt eines Individuums. Zudem sind sie für andere äußerlich wahrnehmbar, da sie sich in beobachtbares Verhalten auswirken, aber auch latente Dispositionen wie Einstellungen und Werthaltungen gehören zum Lebensstil. Der Begriff des Lebensstils zielt also auf das einzelne Individuum ab, auf die Handlungsausführung (Vgl. HRADIL 1992: 17f). Die beiden wesentlichen Funktionen des Lebensstils sind der Ausdruck von Identität und Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe einerseits, von Abgrenzung von anderen Personen oder Gruppen andererseits (Vgl. DRIESEBERG 1995: 8).
2.2.2 Milieu
Der Milieubegriff wird in der Forschungsliteratur zum Thema nicht einheitlich verwendet.
Nach Sichtung der Beiträge ist festzuhalten, dass einige Autoren das Milieu als die Umweltbedingungen begreifen, welche die Menschen prägen, also dass „in der neueren sozialwissenschaftlichen Forschung unter ‚Milieus’ Kontexte von oft heterogenen Umweltbedingungen verstanden werden (seien sie materieller oder immaterieller Art, natürlich oder gesellschaftlich entstanden, ökonomisch, politisch-administrativ oder sozio-kulturell einzuordnen), die von bestimmten Bevölkerungsgruppen auf bestimmte Weise wahrgenommen und genutzt werden, so daß sich bestimmte Lebensformen herausbilden“ (HRADIL 1992: 17). Andere Autoren fassen als Milieu die Personengruppen auf, die von bestimmten Umweltbedingungen geprägt werden, beispielsweise Milieus als „soziale Gruppierungen, die auf der Basis ähnlicher sozialer Lagemerkmale durch je spezifische Alltagspraktiken und Mentalitäten, Selbst- und Fremdbilder charakterisiert sind und sich durch diese wechselseitig voneinander abgrenzen. Jedes konkrete Milieu bildet spezifische Alltagskulturen als Ausdruck ähnlicher individueller Fähigkeiten und Handlungsstrategien einerseits und vorhandener Lebensbedingungen andererseits aus“ (SEGERT / ZIERKE 1997: 31).
Sämtliche Definitionen zu sichten und auf ihren Inhalt hin zu untersuchen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Festgehalten werden soll an dieser Stelle, dass das Milieu ein ambivalentes Konstrukt ist, das sowohl Umweltbedingungen umfasst, welche die Menschen prägen, als auch die Menschen selbst, die ihrerseits auch aktiv Einfluss auf ihre Umgebung nehmen. Diese Deutung entspricht dem alltäglichen Sprachgebrauchs des Begriffs.
Wichtig ist: Während Lebensstile vor allem Muster individuellen Handelns darstellen, bezieht sich der Begriff des Milieus auf die allgemeinen sozialen, kulturellen und ökonomischen Lebensbedingungen sowie die in ihnen lebenden Menschen und ihre Lebensführungskonzepte (Vgl. ZERGER 2000: 79). Aus Lebensstilen, also individuellen Verhaltensmustern, können aber durch soziale Interaktionsprozesse überindividuelle Muster gleichartiger Lebensführung, also Milieus werden, so dass man Milieus auch als bezüglich Lebensstil und Mentalität sehr homogene Personengruppen bezeichnen könnte (Vgl. KONIETZKA 1995: 116). Welcher Art diese Interaktionsprozesse sind, wird später noch genauer beschrieben werden. Dabei ist zu beachten, dass ein Milieu nicht Personen mit gleicher Umwelt umfasst, sondern Personen mit gleichem Verhältnis zur oder Verständnis der Umwelt (Vgl. HRADIL 1992: 17).
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- Arbeit zitieren
- Monika Schraft (Autor:in), 2006, Die Entstehung von Lebensstilen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64049
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