Das Hirschberger Tal, wie wir es heute vorfinden, ist eine mit der Zeit gewachsene Kulturlandschaft. Als Talkessel wird es einerseits vom Riesengebirge und andererseits von der Schneekoppe begrenzt. Neben der natürlichen Schönheit hat es eine Fülle kultureller Sehenswürdigkeiten zu bieten. Mit einer kaum zu findenden hohen Dichte an Burgen und Landschlössern ist es ein ausgezeichnetes Denkmal kultureller Entwicklung. Damit ist das Hirschberger Tal als Kulturlandschaft durch die Natur und durch die menschliche Kultur geprägt. Das eine ohne das andere ist nicht zu denken - nur das Zusammentreffen beider Faktoren bestimmt das letztendliche Aussehen einer Kulturlandschaft. Die natürliche Entwicklung ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Hier soll ein Beitrag zum Verständnis des Werdens der kulturellen Seite geleistet werden. Wovon ist dieses aber abhängig? Manche meinen, die Ideen, die Politik usw. bestimmen als Letztes das kulturelle Werden. Dem ist aber nicht so. Das Denken, und damit die Ideen oder die Politik, resultiert aus einer materiellen Grundlage. Das Leben des Menschen, wie er sein Leben produziert und reproduziert, bestimmt seine Ideen und Vorstellungen. Was hier untersucht werden soll, sind die sozio-ökonomischen Grundlagen dieser Entwicklung. Sie zu betrachten, bringt ein Ergebnis hervor, dass sehr umfangreich ist. Anfangs war geplant, in jener Zeit anzufangen, als die slawischen Stämme damit begannen, in das Gebiet vorzustoßen, welches von den Germanen verlassen wurde. Bis zur Elbe drangen die slawischen Stämme vor und herrschten dort über einige Jahrhunderte. Vom gesellschaftlichen Aufbau unterschieden sie sich kaum von den abgezogenen Germanen. Ihre Gesellschaft glich anfangs einer großen Genossenschaft 1 , in der es kein Privateigentum am Hauptproduktionsmittel - Grund und Boden - gab. Brandrodungen schufen die Grundlagen für den Getreideanbau und die Viehzucht. Eine hohe Mobilität war für die Stämme notwendig, da die Böden schnell erschöpften. Im Gegensatz zu den leichten Böden Großpolens und Masowiens konnte in Schlesien, in dem schwere und fruchtbare Böden vorherrschten, erst mit dem sich langsam verbreitenden eisenbeschlagenen Pflug beackert werden. Anfangs wurde in Einzelhöfen oder kleinen Hofgemeinschaften gesiedelt. Mit dem Anwachsen der Produktivkräfte geriet aber diese Einrichtung ins Wanken. Privateigentum am Grund und Boden und eine zunehmende soziale Differenzierung entstand. [...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kurzer historischer Abriss
Fronhof
Das Lehnwesen
Fehdewesen und Rittertum
Die Burg
Die Entstehung der Stadt
Die Landwirtschaft in Preußen
Die Schichtung der ländlichen Gesellschaft (um 1800)
Der gutsbesitzende Adel
Die Pächter
Die Bauern und die ländlichen Unterschichten
Die „Bauernbefreiung“
Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Hirschberger Tal, wie wir es heute vorfinden, ist eine mit der Zeit gewachsene Kulturlandschaft. Als Talkessel wird es einerseits vom Riesengebirge und andererseits von der Schneekoppe begrenzt. Neben der natürlichen Schönheit hat es eine Fülle kultureller Sehenswürdigkeiten zu bieten. Mit einer kaum zu findenden hohen Dichte an Burgen und Landschlössern ist es ein ausgezeichnetes Denkmal kultureller Entwicklung. Damit ist das Hirschberger Tal als Kulturlandschaft durch die Natur und durch die menschliche Kultur geprägt. Das eine ohne das andere ist nicht zu denken – nur das Zusammentreffen beider Faktoren bestimmt das letztendliche Aussehen einer Kulturlandschaft.
Die natürliche Entwicklung ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Hier soll ein Beitrag zum Verständnis des Werdens der kulturellen Seite geleistet werden. Wovon ist dieses aber abhängig? Manche meinen, die Ideen, die Politik usw. bestimmen als Letztes das kulturelle Werden. Dem ist aber nicht so. Das Denken, und damit die Ideen oder die Politik, resultiert aus einer materiellen Grundlage. Das Leben des Menschen, wie er sein Leben produziert und reproduziert, bestimmt seine Ideen und Vorstellungen. Was hier untersucht werden soll, sind die sozio-ökonomischen Grundlagen dieser Entwicklung. Sie zu betrachten, bringt ein Ergebnis hervor, dass sehr umfangreich ist.
Anfangs war geplant, in jener Zeit anzufangen, als die slawischen Stämme damit begannen, in das Gebiet vorzustoßen, welches von den Germanen verlassen wurde. Bis zur Elbe drangen die slawischen Stämme vor und herrschten dort über einige Jahrhunderte. Vom gesellschaftlichen Aufbau unterschieden sie sich kaum von den abgezogenen Germanen. Ihre Gesellschaft glich anfangs einer großen Genossenschaft[1], in der es kein Privateigentum am Hauptproduktionsmittel – Grund und Boden – gab. Brandrodungen schufen die Grundlagen für den Getreideanbau und die Viehzucht. Eine hohe Mobilität war für die Stämme notwendig, da die Böden schnell erschöpften. Im Gegensatz zu den leichten Böden Großpolens und Masowiens konnte in Schlesien, in dem schwere und fruchtbare Böden vorherrschten, erst mit dem sich langsam verbreitenden eisenbeschlagenen Pflug beackert werden. Anfangs wurde in Einzelhöfen oder kleinen Hofgemeinschaften gesiedelt. Mit dem Anwachsen der Produktivkräfte geriet aber diese Einrichtung ins Wanken. Privateigentum am Grund und Boden und eine zunehmende soziale Differenzierung entstand. Schon früh wurden Unfreie bei den Slawen durch die Sprachwissenschaften nachgewiesen. Unfreie waren rechtlich und politisch von einem Herrn abhängig und mussten für ihn arbeiten und ihm Abgaben entrichten. Dieses Gebiet ist aber zu umfangreich, um es hier darstellen zu können. Deshalb wurde die Entstehung des Feudalismus aus der Urgemeinschaft heraus, weggelassen und wird in einer späteren, umfangreicheren Arbeit wieder aufgenommen werden.
Es war auch geplant, die Ostkolonisation näher zu betrachten. Aber auch dieses Feld erwies sich als zu umfangreich und konnte nicht mit aufgenommen werden. Für die Entstehung einer Kulturlandschaft spielt sie auch nicht die entscheidende Rolle. Zwar kamen deutsche Siedler in die slawischen Gebiete und brachten ihre Kultur mit. Aber ihre Rolle wird weithin überschätzt. Im 14. Jahrhundert machte der deutsche Bevölkerungsanteil in Schlesien lediglich 15 Prozent aus.[2] Das führte sicherlich nicht zu einer Dominanz der deutschen Kultur. Noch in späteren Jahrhunderten ist es nicht zu einer Vermischung der Kulturen gekommen. Ernst Klein schreibt über den Bauernaufstand im Schlesien von 1811:
„Die Gründe für den schlesischen Aufstand ergeben sich nach der Meinung der Berichterstatter aus der besonders ungünstigen Lage, in welcher sich die Landbevölkerung in Schlesien befindet.
Zunächst bestehe schon eine erhebliche Schwierigkeit darin, dass der oberschlesische Bauer im allgemeinen kein Deutsch verstehe, sondern nur einen besonderen Dialekt der polnischen Sprache, der sich vom Hochpolnischen unterscheidet, während die preußischen Beamten wiederum kein Polnisch verstünden. Da es für das Polnische überhaupt, und für diesen Dialekt speziell, an zuverlässigen Dolmetschern fehle, sei stets die Möglichkeit des Missverständnisses gegeben mit allen den daraus folgenden Unzuträglichkeiten.“[3]
Die deutsche Ostkolonisation spielt für die Entstehung der Kulturlandschaft Hirschberger Tal nur eine untergeordnete Rolle. Auch wenn die slawischen Stämme in der Zeit der blutigen Niederwerfung durch die Deutschen nicht dieselbe kulturelle Höhe erreicht hatten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie ihre kulturelle Höherentwicklung den Deutschen zu verdanken hätten. Das Stadtwesen war vorhanden und hatte schon teilweise die Entwicklungsstufe der deutschen Städte erreicht. In der Landwirtschaft wurden kleine Neuerungen durch die ankommenden Siedler mitgebracht, die Struktur der Gesellschaft wurde dadurch aber keineswegs verändert. Was die Ostkolonisation allerdings bewirkt hat, war die über viele Jahre festgeschriebene rechtliche und ökonomische Privilegierung der deutschen Siedler. Nach dem Großen Deutschen Bauernkrieg war dies aber auch vorbei.
Die Untersuchung fängt deshalb mit den Fronhöfen an. Es werden ausdrücklich Quellen verwandt, die sich auf die Entwicklung der Fronhöfe bei den Germanen bezogen. Durch die allgemeine Gleichartigkeit der sozio-ökonomischen Entwicklung bei Slawen und Germanen können die Aussagen ohne Probleme aufgenommen werden. Fronhöfe sind die Grundlage, auf der die späteren Burgen und Gutshöfe aufbauten. Im Eigentum von Freien wurde hier die Arbeitskraft der Unfreien genutzt. Dieses Prinzip hat sich bis zur „Bauernbefreiung“ im 19. Jahrhundert erhalten. Der Fronhof stellt die Grundlage dar, von der sich die späteren Burgen und Gutshöfe ableiteten. Die Größe des Fronhofes hatte starke Auswirkungen auf die Entwicklung von Handel und Gewerbe. In einer auf Landwirtschaft fußenden Gesellschaft stellt der Fronhof den treibenden Moment in der ökonomischen Entwicklung dar, was natürlich nicht als absolut bezeichnet werden kann. Als Handel und Gewerbe größere gesellschaftliche Bedeutung erlangt hatten, wurde das fronherrliche Rechtssystem zu einem Hemmschuh der weiteren Entwicklung, der früher oder später überall abgelegt wurde.
Das Lehnwesen wird hier behandelt, weil es grundlegend für die Entwicklung des Feudalismus ist und dessen Reste bis ins 19. Jahrhundert hinein zu finden sind. Es beschreibt ein Abhängigkeitsverhältnis und erklärt, wie sich bereits im hohen Mittelalter riesige Ländereien in den Händen weniger Personen konzentrieren konnten, wie bestimmte Titel, Privilegien und Rechte zu bestimmten Personen gelangten usw.
Das Fehdewesen stammt aus der Urgemeinschaft und hielt sich über lange Jahrhunderte. Anfangs war es das Recht einzelner Personen oder Familien, entstandenen Schaden zu vergelten. Im Mittelalter prallten dann schon ganze Armeen aufeinander, die die Fehde für einen Herren schlugen, Landstriche verwüsteten u.v.m. Hierdurch blühte das Burgenwesen auf. Das ganze Land wurde mit neuen Burgen übersät, nur um den eigenen feudalen Besitz gegen die Ansprüche anderer Feudalherren zu schützen. Aber mit den ökonomischen Bedürfnissen der großen Landesherren und der Städte musste der Landfrieden hergestellt werden, musste das eigene Hinterland befriedet werden. Mit dem Kampf gegen das Fehdewesen wurde der Kampf gegen die Burgen aufgenommen und in diese Zeit fällt die Zerstörung vieler. Mit einem befriedeten Hinterland und neuer Waffentechnik hatte die Burg ihren Zweck verloren und sie begann sich zum Schloss oder zum reinen Herrensitz zu transformieren.
Die Kulturlandschaft Hirschberger Tal lässt sich nur in seiner derzeitigen Form erhalten, wenn sie nachhaltig genutzt wird. Ihre Schlösser und Burgen sind ideale touristische Ziele und deshalb sind hier gute Konzepte im Denkmalschutz und Landschaftsschutz verlangt. Das ist aber ein Politikum der brisantesten Art. Manche wollen ihren alten Besitz in Schlesien zurück und malen die Vergangenheit in den rosigsten Farben, verklären und entstellen die Geschichte, verkehren die Unterdrückung der Bauern in eine Wohltat gegenüber diesen. Auch hier muss untersucht werden, ob ein künftiges Konzept auf den alten Gutsbesitzern aufbauen kann.[4]
Kurzer historischer Abriss
Fronhof
Bei der Behandlung des Fronhofs stütze ich mich auf die Untersuchungen des Georg Ludwig von Maurer aus dem Jahre 1869. Sein Werk ist das umfassendste und detailreichste, dass es zum Thema gibt. Für die Betrachtung ist es wichtig, dass man keine statische Definition des Fronhofs geben kann, wie man es nirgendwo tun kann, wo sich etwas entwickelt. Tut man es trotzdem, gibt man lediglich einen Überblick einer mehr oder weniger kurzen Zeitspanne.
Der ursprüngliche Fronhof ist nicht ohne Land denkbar. Bis in das hohe Mittelalter hinein wird dies allgemein angenommen. Erst mit dem Verfall der alten Hofverfassung und der einhergehenden Zersplitterung hat es sich geändert. Anfangs waren die Ländereien nicht zusammenhängend. Wenn sie um einen Fronhof herum lagen, waren sie oft mit einem Graben oder einem Zaun umgeben. Allgemein ist aber die Abmarkung mit Marksteinen, Grenzpfählen oder Grenzbäumen. Damit war dem Hofherrn das Recht gegeben, auf seinem Land die Gerichtsbarkeit auszuüben.
Die Bewirtschaftung der Hofländereien erfolgte auf zweierlei verschiedene Art und Weisen. Sie wurden entweder gegen die Zahlung eines jährlichen Zinses oder gegen andere grundherrliche Abgaben und Leistungen an Bauern jeden rechtlichen Status hingegeben. Oder sie wurden direkt vom Fronhof aus auf Basis von Frondiensten bewirtschaftet. Die Ländereien der zweiten Art waren wie die Fronhöfe selbst steuerfrei. Da sie keiner fremden Grund- und Schutzherrschaft unterstanden waren sie auch von allen diesbezüglichen Abgaben ausgenommen. Das ist eines der Unterscheidungsmerkmale zu den Zinsgütern und den Gütern höriger und unfreier Bauern.
Fronhöfe findet man überall da, wo sich einst Freie ansiedelten. In früheren Zeiten gab es davon viele, wobei es aber schon seit der Völkerwanderung ungleiche Verteilungen von Land gab. Im Allgemeinen wurde den Fürsten und anderen Stammesadligen ein größeres Losgut zugewiesen als dem gemeinen Freien. Bei der Eroberung eines fremden Territoriums wurde dem fremden Volk nicht der gesamte Grundbesitz entzogen – vielmehr blieb es entweder freier Grundbesitz oder ein freies Gut wurde in ein höriges Zinsgut verwandelt. Für die Neubesiedlung und Verteilung blieben nur das konfiszierte, das öde und das verlassene Land übrig.
Mit der Zeit verschwanden viele Fronhöfe und Höfe freier Bauern.[5] Es wurde zum Teil Brauch, seine Ländereien einem größeren weltlichen oder geistlichen Grundherrn hinzugeben und dasselbe Land von ihm als Lehen oder Zinsgut zurückzuerhalten. Durch den freiwilligen Übergang in die Hörigkeit versuchte man den Bedrückungen zu entgehen, die den freien Hofherren auferlegt waren.[6] Das Verschwinden der Fronhöfe hatte auch eine ökonomische Grundlage. Je größer die Hofländereien waren, desto schwieriger und komplizierter wurde deren Bewirtschaftung. Deshalb wurden die Ländereien zunehmend aufgeteilt und entweder in Erb- oder in Zeitpacht an Bauern ausgegeben.
Die Ländereien eines Fronhofs nannte man oft eine Villikation. Die zu einem Fronhof gehörigen Bauern wohnten in der Regel um diesen herum in einer villa (deutsch: Dorf). In jeder Form war der Fronhof der Mittelpunkt einer Villikation und des zu diesem gehörigen Personals. Er war nämlich der Sitz der herrschaftlichen Beamten, welche die Gerichtsbarkeit und alle herrschaftlichen Rechte handhabten.[7] Die Bauernhöfe und sonstigen Güter einer Villikation wurden als bloßes Zubehör des Fronhofs betrachtet.[8] Mit der Zeit entwickelten sich verschiedene Stufen der Hörigkeit. Für das 6. Jahrhundert wird es erstmals von Georg Ludwig von Maurer nachgewiesen. Die Abstufung erfolgte aber größtenteils im 8. und 9. Jahrhundert. An die Stelle der Vollfreien traten lauter Herren und Diener.[9]
Es gab eine doppelte Art von Fronhöfen. Die einen waren vollfrei und die anderen waren zwar selbst hörig, hatten aber selbst wieder hörige Besitzungen unter sich. Diese Abstufung gestaltete sich wie die Lehnpyramide, an deren Spitze der Vollfreie stand und an deren unterem Ende der Bauernhof stand, der keine weiteren hörigen Besitzungen sein Eigen nennen konnte. Zum Unterschied von den Bauernhöfen nannte man die Besitzungen der hörigen Fronherren Benefizien oder Lehen.
Das Grundprinzip der Hörigkeit bestand in allen unfortschrittlichen Teilen Europas, besonders in Preußen, bis weit in das 19. Jahrhundert fort. Deshalb sei noch ein kurzer Überblick über die rechtlichen Auswirkungen der Hörigkeit gegeben.
Unfreie Leute, egal ob im Ackerbau oder in anderen Diensten verwendet, haben in einer derartigen Abhängigkeit von dem Fronhof und dem Hofherrn gestanden, dass sie wie eine Ware behandelt werden konnten. Das schließt ein, dass sie mit oder ohne Grund und Boden veräußert, vindiziert, versetzt und ersetzt werden konnten. In ihren Beziehungen nach außen waren sie dem Grundhörigen gleich. Sie waren ohne allen rechtlichen Verkehr. Der Hofherr musste sie in rechtlichen Dingen vertreten und er haftete für sie. Ohne Zustimmung des Herrn durfte kein Vertrag geschlossen werden und alle ohne Erlaubnis geschlossenen Verträge waren ungültig. Freier Verkehr trat ausnahmsweise nur bei Handwerkern ein, denen der Herr vorher gestattete, für andere zu arbeiten, und bei Unfreien, denen die Bewirtschaftung eines Bauerngutes übertragen worden war. Ohne dies war eine Verwaltung kaum zu denken. Schlossen Unfreie verschiedener Herrschaften ohne die Einwilligung ihrer Herren eine Ehe, so war diese ungültig. Die aus solch einer Ehe entspringenden Kinder sollten hie und da unter den beiden Herrschaften geteilt, anderenorts der Mutter folgen. Willigte nur eine Herrschaft ein, sollten sie der nicht eingewilligten Herrschaft folgen. Wegen dieser völligen Abhängigkeit wurden die unfreien Leute später auch Leibeigene genannt.
In einer weit selbständigeren Lage befanden sich die Hörigen, die zwar persönlich frei aber dafür an die Scholle gebunden und damit grundhörig waren. Als persönlich freie Leute waren sie waffenfähig, konnten ihr eigenes Vermögen und auch wiederum unfreie Leute besitzen. Da sie aber nicht vollfrei waren, waren sie einem Herrn unterworfen und an dessen Hof gebunden. Sie konnten zwar nicht allein als Person dafür aber gemeinsam mit dem Grund und Boden veräußert werden. Innerhalb derselben Grundherrschaft konnten sie von einem Bauerngut auf ein anderes versetzt werden, weil es sich dabei nicht um einen Verkauf handelte. Als Grundhörige durften sie selbst nicht ihren Wohnsitz verändern oder sich in einer anderen Herrschaft niederlassen. Es sei denn, sie hatten sich vorher von ihrer Hörigkeit losgekauft. Eine weitere Folge der Grundhörigkeit war die Unzulässigkeit allen rechtlichen Verkehrs zwischen Hörigen mit Fremden ohne die Zustimmung des Herrn oder wenigstens ohne dessen Vermittlung. Dies galt für den Verkehr mit fremden Unfreien und Hörigen wie auch mit vollfreien Leuten. Die Ermangelung der Rechtsfähigkeit nach Volks- und Landesrecht bewirkte bei ihnen, dass sie sich in jeder ihrer Beziehungen nach außen von ihrem Fronhof- und Schutzherrn vertreten oder sich von ihm schützen lassen mussten.
In der günstigsten Lage befanden sich diejenigen, welche man Schutzpflichtige oder freie Vogtleute nannte. Zu ihnen zählten alle, welche durch Freilassung oder auf andere Art ihre Freiheit gewannen, die dennoch einer Schutzherrschaft unterworfen waren. Bei ihnen hört die eigentliche Grundhörigkeit auf. Ursprünglich waren sie keine Hörigen, da die eigentliche Hörigkeit eine Grundhörigkeit voraussetzt. Sie waren innerhalb der Schutzherrschaft vollkommen frei, konnten über Eigentum verfügen und den Wohnort wechseln, wie sie wollten. Da aber ihre Vollfreiheit auf die Schutzherrschaft beschränkt war, durften sie diese nicht ohne die Erlaubnis ihres Schutzherrn verlassen. Nach außen bedurften sie in jeder Beziehung die Vertretung ihres Schutzherrn. Auch konnten sie mit dem Grund und Boden, auf dem sie lebten, veräußert werden. Daraus folgt aber nicht, dass sie persönlich abhängig oder hörig waren. In diesem Fall wurde vielmehr nur über ihre Dienste und Leistungen verfügt. Sie selbst blieben wie jede freie Person voll freizügig, auch wenn sie einen anderen Schutzherrn bekamen.
Mit der zunehmenden Entwicklung der Ware-Geld-Beziehung in der Landwirtschaft löste sich die alte Villikationsverfassung langsam auf. Die Eigenwirtschaft des Grundherrn wurde weitgehend eingeschränkt oder ganz aufgegeben. Der Frondienst im herkömmlichen Sinn wurde deshalb mehr und mehr überflüssig. Dieser wurde traditionsgemäß oder durch Fixierung einer Umrechnung in Natural- bzw. Geldabgaben umgerechnet. Die Selbständigkeit der einzelnen abhängigen Bauernhöfe nahm bedeutend zu. Fast ausschließlich in Ostelbien kam es aber ab dem 15. Jahrhundert zu einer vergrößerten Eigenwirtschaft der Grundherren. Der lohnende Getreideexport nach Westeuropa gab Anlass, die Wirtschaft des Fronhofes zu intensivieren.
Das Lehnwesen
Im vorhergehenden Abschnitt wurde gesagt, dass die Fronhöfe sich gemäß der Lehnpyramide abstuften. Deshalb soll kurz auf das Wesen des Lehnwesens eingegangen werden. Notwendig wird es, da die Grundprinzipien bis in das 19. Jahrhundert hinein bestanden. Lediglich der Adel konnte seine Lehnsbindung zum Landesherrn abschütteln. Die Bauern waren jedoch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts durch diese Bindung in ihrer ökonomischen Entwicklung behindert und die Landwirtschaft des östlichen Deutschlands bzw. Preußens blieb im Vergleich zu anderen Regionen rückständig.
Das Lehnsrecht hat seinen Ursprung im gallorömischen wie im germanischen Recht. Während die gallorömische Vasallität die Grundlage der Bindung von Herr und Mann bei vielen europäischen Völkern war, wurde sie bei dem Lehnsrecht um die germanische Vorstellung der Treue bereichert. Es stellt eine Art der Konzentration von Macht an einem Punkt dar. Es regelt aber nicht nur die Bindung zwischen Individuen sondern auch unter Staaten. Die Gewährung von Leistungen des Staates oder des Staatenverbandes und die Teilhabe an den staatlichen Hoheitsrechten werden geregelt.[10]
Die Unterwerfung des Vasallen verlangte nach einer Gegenleistung. Während sie zuerst rein ideeller Natur war, kam später eine reale Gegenleistung hinzu. Land und Ämter waren die herrschaftlichen Gaben an die Vasallen, was reichliches Einkommen versprach.[11] Die Verdinglichung des Lehnswesens förderte aber zugleich die zentrifugalen Kräfte der Gesellschaft. Die oberste Zentralgewalt wurde zunehmend zugunsten der Fürsten geschwächt. Dieser Prozess zeigte sich im deutschen Reich am Ende der Stauferzeit deutlich.[12]
Letztendlich sind es aber die Strukturverschiedenheiten, die über den Werdegang eines Staates im Vergleich mit anderen entscheiden. Gelingt es der Zentralgewalt eine funktionsfähige Verwaltung aufzubauen, können die Sonderinteressen des Adels besser in die Schranken gewiesen werden. Im Gegensatz z.B. zu England und Frankreich konnte im Deutschen Reich keine Zentralverwaltung aufgebaut werden. Mit der deutschen Ostexpansion ist die Macht einzelner Fürsten im Gegensatz zum Kaiser enorm angewachsen. Das Kräfteverhältnis verschob sich dadurch zugunsten der Fürsten. Sie nahmen den Ausbau der Landeshoheit selbst in die Hand. Hier zeigt sich deutlich, dass die Entwicklung der Nationen nicht nur in der hohen Politik entschieden wird, sondern auch in der täglichen, geduldigen Aufbauarbeit der Verwaltung. Was im Deutschen Reich an Verwaltung fehlte, wurde in den einzelnen Territorien aufgebaut. Das hatte die Spaltung des Reichs bis in das neunzehnte Jahrhundert hinein verursacht, wodurch wiederum der Adel seine gesellschaftliche Position weit länger behaupten konnte, als es in anderen Ländern möglich war.
Fehdewesen und Rittertum
Für die Herausbildung einer historischen Kulturlandschaft wie dem Hirschberger Tal spielen Fehdewesen und Rittertum[13] eine große Bedeutung. Ihre Entwicklung erklärt uns den Wandel, den die herrschaftlichen Höfe in ihrem Äußeren im Laufe der Jahrhunderte durchmachten. Fehdewesen und Rittertum erklären uns, warum im Mittelalter ein immer dichteres Netz von Burgen entstand und warum sie gegen Ende des Mittelalters zusehends verschwanden und sich in Herrenhäuser verwandelten.
Die Institution der Fehde stammte noch aus der frühen germanischen und slawischen Zeit.[14] Sie war eine Form der gewaltsamen Austragung von Streitigkeiten zwischen verschiedenen Sippen. Anfangs waren alle zugelassen, die das Recht zum Tragen einer Waffe besaßen. Seit dem 9. Jahrhundert wurde es eingeschränkt und nur der Adel konnte es in vollem Umfang gebrauchen. Im zunehmenden Maße wurde es zur Klärung umstrittener Besitzrechte wahrgenommen.
Seit dem 11. Jahrhundert nahm das Fehdewesen überhand. Durch die Verheerung der Felder und Dörfer durch die latente Bedrohung des Bauerntums als die wichtigsten Produzenten, war die ökonomische Leistungsfähigkeit der feudalen Ordnung stark gefährdet. Bemühungen[15] wurden sichtbar, diesem Treiben Einhalt zu gebieten, zum einen aus ökonomischen, zum anderen aus politischen Gründen.[16]
Die Freien waren waffenfähig und damit einerseits berechtigt zur Fehde und andererseits kriegspflichtig. Im Kriegsdienst liegen die Anfänge des Ritterwesens.
Die Ritter waren die Träger des Staatsapparates im späteren Mittelalter. Beim Landesausbau und bei der regionalen Zentralisation taten sie sich besonders hervor. Im 11. bis 13. Jahrhundert garantierten sie die Erhaltung der Macht des Adels von ihren Burgen aus. Als Ritter wurden alle bezeichnet, die seit dem Ende des 11. Jahrhunderts zu Pferd mit eisernem Brustharnisch und Helm Waffendienst leisteten. Bis zum 13. Jahrhundert konstituierte sich das Rittertum als spezielle Kaste mit eigenen Standesidealen und einer eigenen Denkweise dadurch, dass immer stärker versucht wurde, Nichtritterbürtige den Aufstieg zur Ritterschaft zu verwehren. Insofern fühlte sich auch der Hochadel zur Ritterschaft gehörig, wobei der niedere Adel die Ritterschaft[17] im eigentlichen Sinne repräsentiert.
Der Staatsapparat, wie er sich im Feudalismus entwickelt hatte, war durch Zersplitterung und zahlreichen Überschneidungen der Herrschaftsansprüche des Adels gekennzeichnet. Nachdem aber der Abzug der Bauern in die Stadt und in die Rodungsgebiete zu einer wirksamen und oft angewandten Waffe gegen die feudale Unterdrückung war, mussten die Feudalherren die Formen und Methoden ihrer Herrschaft den neuen Bedingungen anpassen, um ihre Hegemonie nicht zu verlieren. Der Besitz des Adels an Boden, Menschen und Rechten war zu dieser Zeit noch ziemlich verstreut und konnte bei den gegebenen Verkehrs-, Nachrichten- und Transportverhältnissen nur locker verwaltet und beaufsichtigt werden. Es kam nun darauf an, den Streubesitz straffer zusammenzufassen. Dieser Prozess war durch eine starke Konkurrenz unter den Feudalherren gekennzeichnet. Die Großen versuchten, die Schwächeren entweder von sich abhängig zu machen oder sie aus ihrem Machtbereich zu verdrängen. In Fehden nahmen sie sich gegenseitig die Güter weg, die störend zwischen den eigenen lagen und deren Zusammenfassung zu einheitlichen Komplexen behinderten.
Weit wichtiger als ihre militärischen Obliegenheiten ist ihre Rolle bei der Festigung des feudalen Staates. Seit dem 11. Jahrhundert überzog ein immer dichter werdendes Netz von Burgen das Land. Die Mehrzahl von ihnen lag unmittelbar in einem Dorf oder in seiner Nähe. Die Beschreibung dieser Burgen folgt im Kapitel über das Burgenwesen. Obwohl diese meistens nur klein waren, spielten sie eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Bauern. Nur wenn die Bauern sich zu größeren Haufen zusammenschlossen, konnten sie die Burgen bezwingen. Im Schutz dieser kleinen Anlagen übten die Ritter ihre Staatfunktion aus. Sie trieben aus den umliegenden Dörfern die Abgaben ein, hielten über die Bauern Gericht und kontrollierten und beaufsichtigten sie schärfer, als es vorher möglich war.
[...]
[1] Diese Genossenschaft hat sich teilweise bis in das 19. Jahrhundert hinein gehalten z.B. als Dorfgenossenschaft. Wälder, Weiden und Gewässer blieben im gemeinsamen Eigentum und deren Nutzung musste geregelt werden. Die Mitglieder der Genossenschaft unterlagen dem Flurzwang und mussten das Ackerdrittel, welches im Rahmen der Dreifelderwirtschaft brach lag, als allgemeine Weide von den anderen mitnutzen lassen.
Flurzwang bedeutet: Zwang für jeden Bauern, sich im Rahmen der Dreifelderwirtschaft streng an den gemeinsamen Bestellungsplan der Genossenschaft zu richten, der die Saat- und Erntefristen und die Fruchtfolge in den einzelnen Gewannen genau vorschrieb. Er sollte die im Falle einer Missachtung wegen des Fehlens von Feldwegen innerhalb der einzelnen Gewanne unvermeidbare Schädigung der Äcker anderer verhindern und die Nutzung der abgeernteten und brachliegenden Gewanne als gemeinsame Weidefläche für alle Bauern der Genossenschaft sichern.
[2] H. Gericke in: „Deutsche Geschichte von den Anfängen bis 1945“ S. 83
[3] Klein S. 41
[4] Das prächtigste Exemplar dieser Entstellungen, das sich direkt auf das Hirschberger Tal bezieht, ist der Sammelband „Das Tal der Schlösser und Gärten. Das Hirschberger Tal in Schlesien – ein gemeinsames Kulturerbe“. Besonders tut sich hier Andrzej Tomaszewski in seinem Aufsatz „Der Herrensitz als politisch-denkmalpflegerisches Problem“ hervor. Unter dem Deckmantel des Denkmalschutzes versucht er zu begründen, warum eine Rückgabe der Kulturgüter an die alten Besitzer zwingend notwenig ist. Er schrieb: „Für gewöhnlich blieben sie über Generationen in der Hand ein und desselben Geschlechts. Dies ist die beste denkmalpflegerische Lösung. Sie gewährleistet den Schutz des Objekts aus Liebe, als Familienreliquie.“ Weiter schrieb er: „Eine globale Bedrohung erfuhr die Residenzarchitektur im 20. Jahrhundert durch die Demokratisierung der Gesellschaften sowie freiheitliche und revolutionäre Bewegungen, die sich gegen Feudalherrschaft und –besitz richteten.“ Im Großen und Ganzen heißt das, dass die Errungenschaften des polnischen Volkes, wie die demokratische Bodenreform, rückgängig gemacht werden sollen und dass er wünscht, dass die alten Feudalstrukturen wiederhergestellt werden.
[5] Die Höfe der freien Bauern sind nicht mit den Fronhöfen zu vergleichen, da sie aufgrund ihres geringeren Umfanges eine andere Struktur aufwiesen. Zu ihnen gehörten keine Untertanen und die Herrschaft des freien Bauern erstreckte sich nur über sich selbst und die eigene Familie.
[6] Z.B. der Heerbann. Durch die Pflicht an langen Kriegszügen teilzunehmen wurden viele Höfe, vor allem die kleineren ruiniert.
[7] Dazu gehörten der Empfang der Dienste und Leistungen der hörigen Bauern und die sonstige Verwaltung des Gutes.
[8] Die Zugehörigkeit zu einem Fronhof bestimmte den rechtlichen Statuts der Person. Hörigkeit bedeutete nichts anderes als zum Zubehör des Hofs zu gehören.
[9] „Vollfreie Fronhöfe sind von nun an nämlich nur noch diejenigen Herrenhöfe geblieben, deren Inhaber keinen Herrn (senior oder dominus) über sich hatten. Zu ihnen gehörten aber jetzt nur noch die Königshöfe oder die Höfe derjenigen Grundherrn, welche gegen den Strom jener Zeit ihr Allodbesitzungen zu erhalten und zu behaupten gewusst haben. Alle übrigen, wenn auch deren Inhaber als Vasallen oder Ministerialen noch so hoch standen, waren dagegen hörig geworden.“ Von Maurer: Geschichte der Fronhofverfassung Bd.II, S. 319
[10] „Aber nicht immer hatte das Lehnwesen die Kraft, die zentrifugale Tendenz des Feudalismus wirklich zu überwinden; ja es konnte durch den Gang seiner Entwicklung davon getrieben werden, sie noch zu unterstützen. Es gibt keinen Kodex des Lehnrechts, der unwandelbar gegolten hätte; in jedem Land und zu jeder Zeit entfalten sich andere Seiten; es ist weniger eine Summe von Normen als ein loses Geflecht von Vertragsbedingungen. Das Lehnwesen beruht auf einer Symbiose von Herrn und Mann, einer ist auf den anderen angewiesen, einer ohne den anderen nicht denkbar. Aber aus der Polarität entstehen Spannungen. Gelingt es dem Herrn – insbesondere dem Oberherren, dem König - nicht, sein Herrenrecht beim Abschluß oder beim Vollzug des Vertrags in gebührenden Respekt zu setzen, so verlagert sich das Gewicht immer mehr auf die Vasallenseite; die Teilhabe der Vasallen an der politischen Macht führt zu deren Eroberung.“ H. Mitteis: „Der Staat des hohen Mittelalters“ S. 20
[11] Während dem Vorherrschen der Naturalwirtschaft bestand das Einkommen freilich meistens in Naturalien. Mit dem Aufkommen und der stärkeren Verbreitung der Geldwirtschaft wichen die Naturalien zunehmend dem Geld
[12] Im Lehnrecht ist einerseits der Zusammenhalt eines mittelalterlichen Reiches begründet, andererseits führt es zu ständigen Machtkämpfen zwischen Herrn und Mann, König und Adel. Zwar regierte in keinem Land der König nur als oberster Lehnherr, sondern auch kraft alten Volks- und Amtsrechts; dieses macht ihn zum obersten Gerichtsherrn, Heerführer und Wahrer des Landfriedens. Aus seiner Eigenschaft als oberster Richter sollte später das Recht zur Gesetzgebung entspringen. Aber auch diese amtrechtlichen Eigenschaften waren stark vom Lehnrecht durchdrungen und ohne dieses kaum vorstellbar. Während die amtsrechtlichen Elemente mehr statischer und beharrender Natur waren, ging die bewegende Dynamik vom Lehnrecht aus.
Das Lehnrecht schwebte nicht im luftleeren Raum. Wie jedes Recht war es von den materiellen und ideellen gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. Welche vorhandenen Möglichkeiten verwirklicht werden konnten, welche gesellschaftlichen Machtgruppen dem Lehnrecht das Gesetz seiner Entwicklung vorschreiben konnte, lag in den sozialen und politischen Verhältnissen. Diese bestimmten auch die Fähigkeit, eine vorhandene bzw. werdende Rechtsgestaltung auszunutzen. Wenn das Königtum in einer materiellen und geistigen Macht begründet war, welche seine Souveränität außer alle Zweifel stellte, konnte sich die Kraft des Lehnrechts am Pol des Herrenrechts sammeln. Wo sich aber das Königtum im Kampf mit dem Adel verzehrte, wandte sich auch das Lehnrecht auf die Vasallenseite.
Im voll entwickelten Lehnstaat wurden selbst Ämter (Grafschaften), Regalien und andere Rechte und Einkünfte in der Form von Lehen vergeben. Bei einer solchen Entwicklung war die Tendenz gegeben, dass der Lehnherr immer mehr die Verfügungsgewalt über die von ihm vergebenen Güter und Hoheitsrechte verlor. Im 10. und 11. Jahrhundert konnten die deutschen Könige ihre Amtsrechte gegenüber den Herzögen, Markgrafen und Grafen betonen. Indem sie sich auf die Reichskirche stützten und auch Ministeriale einsetzen konnten, wurden die zentrifugalen Tendenzen des Lehnswesens zurückgedrängt. Im 12. Jahrhundert erreichte es aber eine neue Entwicklungsstufe. Das deutsche Königtum konnte nicht wie in Frankreich oder England die Untervasallen im Falle des Ungehorsams des unmittelbaren Herrn zu unbedingter Treue gegenüber dem obersten Lehnsherr verpflichten. Der deutsche Sonderweg in der Entwicklung des Lehnwesens wurde durch das Kräfteverhältnis in Deutschland hervorgerufen, wobei die Rechte der Vasallen gegenüber dem Königtum besondere Betonung erfuhren. Die großen Lehnsträger wurden in dem Maße, wie sie in ihrem Herrschaftsbereich die regionale Zentralisation des feudalen Staates betrieben, selbständige Landesherren. Die Territorialfürsten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit waren mit dem König nur noch durch eine formelle, aber erstarrte Lehnbindung verknüpft. In ihren Territorien wurde das Lehnswesen bereits im 13. und 14. Jahrhundert durch das staatliche Beamtentum ersetzt. (vgl. Müller-Mertens „Deutsche Geschichte von den Anfängen bis 1945“ S.691 f.; Mitteis S. 19ff., S. 55ff., S. 65f., S. 75,)
[13] Vgl. Müller-Mertens „Deutsche Geschichte von den Anfängen bis 1945“ S. 521f., S. 594, S. 622, S. 687, S. 771; Mitteis S. 10f., S. 33f., S. 169, S. 186f., S. 188f.
[14] Bei „rechtem“ Grund, frist- und formgerechter „Absage“ (Fehdebrief) war die Fehde keine unrechtmäßige Gewaltanwendung, sondern Mittel des feudalen Rechts. Dabei waren die Tötung und Gefangennahme des Gegners sowie die Brandschatzung seiner Bauern zulässig.
In zunehmendem Maße wurde die Fehde geführt, um umstrittene Besitzrechte zu klären. Damit ist das Fehdewesen Ausdruck für die Tatsache, dass im feudalen Staat die Zentralgewalt die Ausübung der inneren Funktionen mit anderen Feudalherren teilen musste.
[15] So versuchte man die Sippenfehde und Blutrache durch Bußen (Wergeld) zu ersetzen. Freistätten wurden eingerichtet, wo Fehdehandlungen verboten waren. Es wurde auch versucht, Fehden erst dann zuzulassen, wenn eine Klage vor Gericht erfolglos verlief. Später kam von kirchlicher Seite der Gottesfrieden und von weltlicher Seite der Landfrieden hinzu.
Der Gottesfrieden war eine Bewegung zur Überwindung der feudalen Anarchie und zur Bekämpfung der Gefahren des Fehdewesens. Ausgehend von Frankreich kam diese Bewegung im 11. Jahrhundert auch in das Deutsche Reich. Bischöfe und Äbte drohten mit schweren kirchlichen Strafen für Fehdehandlungen an bestimmten Orten (Kirchen, Klöster, Märkte, Straßen), gegen bestimmte Personen (Priester, Pilger, Kaufleute) oder bestimmter Zeiträume (Mittwoch- oder Donnerstagabend bis Montag früh, kirchliche Feste, Fastenzeiten). Im Deutschen Reich wurde aber nicht nur mit kirchlichen Strafen gedroht, sondern auch mit schweren weltlichen Strafen an Vermögen, Leib und Leben. Hieraus entwickelten sich in Deutschland die Landfriedensgebote.
Ähnlich der Gottesfriedensgebote bekämpften die Landfriedensgebote das Fehdewesen und die damit verbundenen Gewalttaten. Sie setzen für ihren Bruch durch Tötung, Verwundung, Notzucht, Gefangennahme, Raub oder Brandstiftung Strafen fest, wie die Todesstrafe oder Verstümmelungsstrafen. Heinrich IV. erließ als erstes im Jahre 1103 eine Landfriedensordnung und schreckte nicht davor zurück, auch Angehörige des Hochadels als Friedensbrecher hinzurichten. Den Königen gelang es nicht, die Landfriedensgesetzgebung auf Dauer in ihren Händen zu konzentrieren. Die Fürsten bemächtigten sich zunehmend dieser Gesetzgebung und nutzten sie als Mittel zum Aufbau ihrer Landesherrschaft. Diese Gesetze erhielten allmählich den Charakter allgemeiner Straf- und Polizeigesetze. Waffenverbote, besonders für Bauern, und andere Bestimmung wurden darin aufgenommen, die zur Machtfestigung des Adels dienen konnten. Nicht nur den weltlichen und geistlichen Fürsten gelang es zunehmend die Gerichtsbarkeit, die auf den Landfriedensgesetzen beruhte, an sich zu ziehen. Auch kleineren Feudalherren und Städten gelang es, Rad und Galgen zu besitzen, um schwere Verbrechen gegen den Landfrieden zu bestrafen.
[16] Um ein großes Heer aufstellen zu können, mussten die Könige die Ritter möglichst lang binden können. Viele Fälle zeigen, dass viele Ritter nach Ablauf des Heeresdienstes abzogen, auch wenn der Krieg noch nicht vorbei war, und sich wieder ihren privaten Fehden widmeten.
[17] Die wichtigsten Helfer bei den Bemühungen der Fürsten, geschlossene Territorialherrschaften zu bilden, wurden die Ministerialen. Ursprünglich waren sie leibeigene oder hörige Bedienstete aus der unmittelbaren Umgebung der Fürsten. Schon in der Merowingerzeit leisteten Unfreie Verwaltungs-, Hof- und Kriegsdienste. Die faktische Erblichkeit der Lehen, die zunehmende Unabhängigkeit der Lehnsträger veranlassten in der Folgezeit viele Grundherren, die Ausgabe von Landlehen einzuschränken und an Stelle adliger Lehnsträger Leibeigene oder Hörige aus ihrer unmittelbaren Umgebung zur Erfüllung staatlicher Aufgaben heranzuziehen. Besonders der Landausbau und die Territorienbildung sind ohne verstärkten Einsatz unfreier Dienstmannen nicht denkbar. Für ihren Dienst erhielten sie Grundbesitz, der meist kleiner als ein normales adliges Lehen war, welcher nur bedingt vererbbar war und nicht weiter verliehen werden durfte. Da zwischen Ministerialen und Vasallen kein grundsätzlicher Unterschied war, musste auch ihr unterschiedlicher juristischer Status mit der Zeit verschwinden. Die Ministerialen wurden Adlige. Gemeinsam mit dem Teil der Feudalherren, die in größere Abhängigkeit zu den Fürsten geraten war, bildeten die Ministerialen eine neue Schicht des Adels, den so genannten niederen Adel, welcher auch die Ritterschaft im eigentlichen Sinne darstellte.
- Arbeit zitieren
- Diplom-Ingenieur Bernd Müller (Autor:in), 2006, Das Hirschberger Tal als Ergebnis feudal-ständischer Entwicklung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64019
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